Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Mittwoch, den 4. Februar.
Nr. 24.
Das Menschlein Matthias.
24]
Erzählung von Paul JIg.
1914
achtend, schloß sie das Kellerloch wieder auf und ließ den winselnden Sträffing entwischen.
-
,, Marsch ins Nest! Ich will Dich künftig nicht mehr haben. Deine Alte soll Dir einen anderen Unterstand suchen!" „ Ja was? Ist das so gemeint? Herr, du mein Trost! drohte sie in unwahrscheinlicher Selbstverleugnung. Sie Mitten in der Nacht kommit mir der Laufer heimgeschlichen... wußte jetzt, daß Matthias wieder einmal hauptsächlich für Und mit dem vollen Stratten! Es pußt einen fast! Wohl, das Vergehen des Großen gebüßt hatte, nur weil jener ihr Bürschle, Du kommst mir jetzt grad recht. Dich will ich im unrechten Augenblick in die Hände lief. Alles in allent kuranzen. Wo hast Du's Gled?" lamentierte sie jetzt wirk- war sie eine Weile bis in die Fingerspitzen zerknirscht, voller lich wie von Sinnen, während Matthias in stotternder, Scham über ihre rasende Tierheit. Ja, sie sandte sogar wimmernder Haft die Gründe seines Mißerfolges aufzählte. einen flehenden Blick zum Sternenhimmel auf... einen Er sei von Mergentwil nach Brillisau in jedem Haus ge- stummen Hilferuf, der ihr Unterstes nach oben kehrte. wesen, aber die Leute hätten fast überall draußen im Dehmd geschafft, und bei den übrigen müsse ihm ein anderer Hausierer zuvorgekommen sein. Aber die Angehrin ließ ihn nicht ausreden.
Ein Pfifferling! Dich kenn' ich. Auf der faulen Haut bist Du wieder gelegen... den ganzen langen Nachmittag!" strich sie ihm Gehör und Gnade unbarmherzig aus, wobei fie Matthias so fräftig unter dem Arm packte, daß er ihr gleichsam hüpfend in die Stube folgen mußte.
Gelt, Du tust mir nichts, liebe Basgotte! Ich bin gewiß nicht schuld.' s nächste mal, Basgotte..." flehte er, schon völlig außer Atem, bevor er noch einen Streich erhalten hatte. Es gelang ihm auch, eins ihrer Knie zu umfassen. Aber sie schleppte ihn am Boden fort, bis zum Spiegel, dahinter das Pfefferrohr steckte. Es half eben nichts mehr, sie war wieder vom Satan geritten und mußte schlagen... schlagen mit aller Straft, um nicht aus der Haut zu fahren. Es wurde ein grausiger Tanz in der mondscheinhellen Stube. Der Geschlagene wehrte sich verzweifelt, biß die rohe Zuchtmeisterin in den Arm, ins Bein, flaubte und fragte sie und vermehrte so ihre Wut. Wilde Schreie zerrissen die weite nächtliche Stille. Aber sie reichten kaum bis zur nächsten Behausung, und die Wirtin zum Gupf brauchte nicht zu bangen, daß ihr ein menschenfreundlicher Nachbar in den Arm fallen werde. Solange sie selbst es aushielt, ließ sie nicht nach; sie wollte diesmal ganze Arbeit machen, den Trotz des Bürschleins mit allen Wurzeln ausreuten. Als sein Widerstand gänzlich gebrochen war und er kaum noch japsen konnte, nahm sie ihn wieder beim Widel und stieß ihn auf einen Kartoffelhaufen in den dumpfen Keller, den kein Schimmer Licht erhellte. Da möge er den Rest der Nacht verplärren und darüber nachdenken, ob er sich endlich bessern wolle.
Ihre Befriedigung währte jedoch nicht lange. In der Kammer droben vernahm sie Maries harten, stictigen Husten, der ihr selber wie mit Messerstichen zusetzte. Das Mädchen, mit dem es langsam zu Ende ging, schien von dem Lärm aus dem ersten Schlaf aufgeschreckt zu sein. Ein Licht in der Hand, stürzte die Angehrin hinauf, dem Anfall zu wehren.
Die Kranke hatte auf Geheiß des Arztes ein eigen Lager bekommen, aber ihr schwindendes Leben war nicht mehr zu
retten.
Wo litt denn eine mehr am Leben, als sie in ihrer Gier und Ungenüge? Wie konnte sie sich ihrer Natur erwehren? Immer aufs neue wieder rief es ihr zu: Fort aus diesem Fuchsbau!" Was taugte ihr die herrliche Fernsicht, die erhabene Einsamkeit? Das vielgestaltige Landschaftsbild konnte ihre darbende Seele nicht mit Leben erfüllen, das eintönige Rauschen im Tobel war nicht die rechte Musik für ihr Ohr, die jäh abfallenden Matten fein Gelände für ihre Sohlen. Weite, fruchtbare Ebenen, fruchtbare Klee- und Kartoffeläder, wogende Achrenmeere hatten ihren Mädchenaugen gefallen, ein starkhintrottendes Ochsenpaar, eine wühlende Pflugschar, die Kolonnen der Mäher und Drescher ihre Sinne entzückt. Das war ihr verloren. Darum mußte sie verderben.
Wie schon oft, wenn der Kummer sie fast erwürgte, sah sie auch jetzt wieder zu dem schreckhaften Felsen auf, in dem traurigen Erwägen:„ Ein Riß, ein Sturz in der Nacht... dann hätten wir Nuh!"
In der Kinderkammer wurde indessen ein heimlicher Bund geschlossen. Der Große hatte sich hinter dem Rücken der Mutter hinaufgeschlichen und tat jetzt in seiner knorrigen Art alles, um den gebrochenen Matthias zu beschwichtigen. Begriff er doch recht gut, daß dieser heute für ihn hatte bluten müssen.
,, Uebermorgen kommst Du einfach mit mir!" meinte er zutunlich, indem er den in die Bettdecke Verkrampften mit dem Ellbogen anstieß.„ Wir gehen dann über Mertigen und Haslach , ich auf der einen, Du auf der anderen Seite. Wo Hunde sind, brauchst Du nicht hinein. Ich fürchte sie nicht. Dann mußt Du's mit den Weibern nur so machen wie ich: weißt, so ein bißchen lamentieren, es gehe uns heidenmäßig schlecht daheim, fie möchten sich doch erbarmen. Und nur nicht abzotteln, ob sie feifen oder fausten. Ich sag' dann immer: He nun, wenn Ihr nichts braucht, so tut's halt um Gottes. willen. Wir sind unser achte, und der Vater kann's allein nimmer machen." Aber natürlich, wenn Du bloß so ver tattert dastehst: Wollt Ihr nichts kramen?" und Dich mit einem Wort abschirren läßt, kommst Du zu nichts. Man muß ihnen gehörig einheizen!"
„ Er ist drum noch viel zu klein zum Hausieren! Was braucht sie beide zu schicken? Das ist nur der Geiz. Ich fag's dem Vater. Er soll's ihr verbieten!" ereiferte sich die Kranke, der die Lust zum Schlafen vergangen war. Sie gab damit das Zeichen zu einem unerhörten Angriff und Sturmlauf gegen die Mutter.
Beim Eintritt der Mutter saß Marie aufrecht im Bett, mit überhängendem Kopf, von dem das feuchte Haar wirr, strähnig über Brust und Schulter floß. Eingefallen, fieber- Bald jeden Abend hockt sie jetzt mit dem Postheiri zuhaft atmend, in einem gramvollen Zustand der Erschöpfung sammen, füchelt und brätelt ihm, was er nur mag, und blickte sie die Kommende von unten herauf böse an. alles umsonst! Er gibt ihr feinen roten Baßen dafür. Was smmer mußt Du... Spektakel machen, wenn andere geht uns der an? Wir sind ihm nichts schuldig. Der Vater schlafen möchten!" wehrte sie deren untaugliche Hilfe kopf- weiß nichts davon. Aber wart' nur, ich paß ihm auf, der schüttelnd ab. Als wißte sie um ihr nahes Ende, ja, als muß noch merken, was eine Schleuder ist!" enthüllte Konrad sei ihre Seele bereits im ewigen Frieden aufgegangen, war seinen gefährlichen Haß, knurrend wie ein guter Wachthund. sie empfindlich gegen jedes laute Wort. Am wenigsten Dann zog er seine Feßenhosen aus, hielt sie Marie dicht vor konnte sie das Schreien und Toben der Mutter mehr ertragen. die Augen und sagte:„ Da schau! So läßt sie mich herum„ Herr Jesus, Du Armes, Geplagtes!" jammerte diese laufen. Eine Alte hat mich heut angeranzt: Wenn Ihr noch kleinlaut, geduckt von dem trostlosen Leid. Was soll ich so arm seid, so kann Dir die Mutter doch's Zeuglein flicken!" aber machen, wenn die Lumpenhunde mich bis aufs Blut' s ist aber auch wahr. Früher hat sie's doch auch machen hezen?' wird ja alle Tage ärger, wenn ich ihnen nicht können." wieder einmal den Meister zeige. Leg Dich nur wieder hin, Du kannst jetzt ruhig schlafen. Ich muß mich ja selber hassen, weil es manchmal so unsinnig über mich kommt."
Noch manchen Unbill brachten die kindlichen Empörer zur Sprache. Die bösen Launen der Mutter, deren wilde Verdächtigungen des Weltlaufs vergifteten ihr junges Leben, Darin sagte sie nur die lautere Wahrheit. Sie hätte sich das ewige Brüten und Seufzen erfüllte alle mit Unlust und kopfüber die Stiege hinunterstürzen mögen, als sie das Mißtrauen. Warum mochte hier keines singen wie in anderen Sterbensmatte Kind verließ, dessen Augen sie mit einem stillen, Hütten? Auch am schlechten Essen, der mangelhaften Ordnung schweren Vorwurf verfolgten. Ihre vorige Weisung miß- spürte man die mütterliche Abkehr. Sie war geiziger als