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Sehr bald war sie so weit, daß sie etwas durch leichtere Heim­arbeit verdienen konnte, und sie und Bobby schlugen sich erträglich durch. Das einzige, was ihr Dasein verfinsterte, war der Gedanke an den Tag, wo das Asyl fertig sein würde und sie sich von dem Hunde trennen müßte.

Dieser Tag fam aber nie, mochte mum der Philanthrop andere Pläne gefaßt oder die Sache vergessen haben. Bobby behielt seine Unterstügung bis zu seinem Tode.

Und auch später litt die Witwe keine Not. Mit Legaten geht es ja ebenso wie mit allem andern hier in der Welt: hat man erst festen Boden gewonnen, so wird man schon fertig. Der Hund half der Frau über den toten Punkt weg.( Deutsch   von H. Kiy.)

Die Lehrerswitwe gab ihre Adresse an, und damit war die]( Sandmann"," Automate".) Es ist bei Hoffmann wie im Wein­Sache in Ordnung. Sie hatte endlich ein Legat erlangt dant rausch: plötzlich lösen sich alle Beziehungen; die Bewegungen be ihrem Bobby. Nie vergaß fie, daß er der eigentliche Herr war, und kommen etwas Spukhaftes, Fremdes. Aus diesem inneren Zustand daß sie selbst nur seine Gelder verwaltete. dringt bei Hoffmann das Märchen ins Leben und führt seine Eines seiner ersten Stücke und, trotz des grotesten Tänze aus. Jean Paulschen Nachklanges, der da durchgeht, eines seiner besten, Der goldene Topf  ", zeigt seine Art vollkommen. Nichts bleibt hier an seinem Blaze. Das heißt: nicht jeder merkt die Dinge. Man muß Poesie im Leibe haben, um die Wahrheit zu sehen. Die Bürger brauchen Alkohol, damit ihnen die skurrile Außenfläche Was Hoffmanns Auflösung des Lebens in durchsichtig werde. ihrer Wirkung vielfach etwas mildert, ist das Glement des Gro­testen. Er liebt die ironische Betrachtung. In den Elixieren des Teufels" hat er das schauerliche Motiv der Berdoppelung der Per­fönlichkeit grauenhaft genug dargestellt. In der Prinzessin Bram­billa" nimmt er den Gegensatz, die Spaltung des Ichs zum Motiv einer leichtfüßigen, arabestenreichen Groteske. Der Humor Hoff­manns ist föstlich; aber er ist ein gefährlicher Humor, der auf schwankendem Boden tanzt. Es hallen sehr seltsame fremde Ge­lächter aus der Tiefe des Dämonischen   hinein. Und wieder zeigt uns Hoffmann, wie fremde dunkle Mächte sichtbarlich ins Leben des Menschen treten. Er erzählt von unheimlichen Beeinflussungen, von Uebertragungen eines geistigen Prinzips auf ein anderes: ein Lieblingsthema, wie ihn überhaupt Willensbeeinflussungen und magnetische Geschichten sehr anzogen( Der unheimliche Gast"). Er acht abnormen Seelenzuständen nach, weil er glaubt, daß die Natur gerade beim Abnormen Blicke vergönne in ihre schauerliche Tiefe". Verbrechen aus unerklärlichem Zwang( Fräulein v. Scu dery) oder aus bösem Trieb( Sandmann) interessierten ihn. Ent­seßlich grauenhafte Angstzustände schildert er: die Automatenfurcht; wehe Jammer- und Klagelaute in der Natur, vor denen der in den irdischen Organismus eingekerkerte Geist in Schreck und Weh wie vor verwandtem Leiden zusammenbebt.

Die Dichter des Grauens.

Von Peter Hamecher  .

Wir stehen an der Pforte zu dem finstern, unbekannten Reich, wo das Grauen wohnt und das Entseßen". Seltsamen Führern überlassen wir uns, Dichtern und Magiern; dunklen, schwermut­umwehten Gestalten, die, entfremdet der lieben, freundlichen Ge­wohnheit des Lebens und des Lichtes, in jenen nächtigen Bezirken wohnen, wo die Deifidämonie, die Dämonenangit, aus jedem Strauch blickt. Zitternd, widerstrebend halb, und halb gezogen, wie in einem Bann, mit jenem merkwürdigen Gefühl des Gruselns, das aus Lust und Unlust seltsam gegensäßlich sich mischt, folgen wir ihnen auf dem Pfad, der zu den unteren Mächten leitet. Wir folgen; denn wie sehr auch das Lebenvernichtende, das dort unten lauert, mit den Masken des Grauens und des Schreckens uns den Sinn er schüttern mag: eine heimliche Ahnung flüstert uns zu, daß wir an der Schwelle unerhörter Eröffnungen stehen.

Unsere Führer sind die Dichter des Grauens, die kühnen Freier des Ueberjinnlichen, die sehnsuchtsvollen Hungerleider nach dem Unerreichlichen": die Hoffmann, Poe  , Villiers de l'Isle- Adam   usw. Es gibt eine Art des Grauens, die das grausige Motiv um seiner selbst willen beschwört und in Wirkung wie Absicht nur auf Nerven­fensation aus ist. Auch in dem Grauen, das jene Dichter auf uns werfen, spricht diese elementare Spannungswirkung ein deutliches Wort. Aber dieses Grauenhafte ist Ausdruck, Sinnbild, voll meta­physischer Beziehungen. Es ist Zeichen eines Weltgefühls. Schauer aus den Tiefen des Alls hauchen uns an. Der Dichter, echter Roman­tifer, voll der Sehnsucht nach dem Unendlichen, weht mit seinem Schleier, und die dunkle, geheimnisvolle Geisterwelt wird Erschei­nung. Wir sehen die unheimliche Gegenseite, das teuflische Antlitz der Welt, und alle Gelächter der Hölle umgellen uns. Die dunkle Materie faßt uns mit Entsezen. Der prickelnde Reiz der Sensation, des Irritationsgefühls wird zum metaphysischen Grauen. Die Ur­angst befällt uns; der Schauer des Unendlichen, der der Uranfang der Religionen ist.

Der erste, der mit voller Entschiedenheit die schwarze Maske" trug, war E. Th. A. Hoffmann. Schon vorher versenften sich einige Romantiker in die Nacht- und Rätselgebiete der Natur. Arnim   hat mancherlei Spukhaftes in seiner" Isabella von Aegypten  "; auch sein toller Invalide" ist zu nennen. Auch Chamissos Peter Schle­mihl" ist ein Wert voll seltsam grauenhafter Fremdheit. Tied schreibt die feinen Naturmärchen vom" blonden Eckbert", vom Runenberg", die den Gegensatz zwischen Mensch und Natur in schneidender Schärfe versinnbildlichen. Genug des Fremden, Dämo­ nischen   hatte besonders Heinrich v. Kleist in seinem Wesen. Aber erst Hoffmann offenbarte sich das Weltbild in seiner spukhaften Spaltung derart, daß aus ihm ein deutliches Gebilde, eine Dar­stellung des grauenhaften Dualismus der Prinzipien hervorgehen fonnte. In einem fast grotesken Körper stedte bei Hoffmann eine reiche, mit allen Phantasiefarben des Ostens geschmückte Träumer­feele. Und Hoffmann war nicht nur Dichter, sondern auch Musiker und Zeichner von Passion und Fähigkeit. Und nebenher war er Beamter, Kammergerichtsrat in Berlin   in den Tagen der Reaktion unter Friedrich Wilhelm III.   Das ist ein merkwürdiger Kontrast: auf der einen Seite die Menge außerordentlicher Fähigkeiten und auf der andern das skurrile Aeußere und der philiftröse Beruf. Daraus entwickelt sich eine Diskrepanz des Fühlens, die allerdings durch außerordentliche Senfibilität und eine merkwürdige schwebende Losgelöstheit ermöglicht und bestärkt wird. Der feste" Erdboden wird ihm schwankend. Der Alltag wird ihm eine durchsichtige Maste. Er erkennt aus geheimen, unscheinbaren Andeutungen, was unter dem Schleier der Skurrilität verborgen liegt. Ihm kann es nicht verborgen bleiben, daß der Archivar Lindhorst in Wirklichkeit ein Salamanderfürst ist, oder der Dr. Alpanus ein großer Zauberer. Ueberhaupt liebt er dieses Motiv: die höhere Natur, die sich den Bedrängnissen des gemeinen Lebens unterwerfen muß. Aber er sieht auch durch die hindurch, die nicht aus dem höheren Reich des Geistes fommen; ihm schaudert vor dem tief gespenstischen Phi­liftrismus", der ihn mit der entsetzlichen Leere des Automaten an­gähnt. Das Automatenmotiv in seiner Schrecklichkeit: die wahn­wißige, gefpenftische Nachäffung des Menschen ist ihm vertraut.

Hoffmann benußt manchmal noch zu seinen fünstlerischen Zwecken Bestandteile des Dämonenglaubens des Mittelalters. Auf derartigen Apparat verzichtet durchaus der andere große Dichter des Grauens: Edgar Allan Poe  , der Enkel normannischer Ritter, der Sohn Amerikas  . Und doch ist Poe bei weitem spukhafter, un­heimlicher, entseglicher als Hoffmann. Alles ist bei ihm qualvoller, halluzinativer, fast maniakalisch. Ein seltsam fieberisches Trauma licht, überirdisch und fremd, fließt um die Welt Bocs, die weiter von der Wirklichkeit entfernt scheint als die Hoffmanns, trotzdem er auf den Spuf der Dämonen verzichtet und mit der Genauigkeit der wissenschaftlichen Methode zu arbeiten vorgibt. Kein Lächeln huscht über dieses kranke, bleiche Gesicht, das, wie im Spiegel, mit unerbittlichem Ernst und einer unglaublich bezwingenden Macht die tiefen Melancholien, die Vernichtungsdelirien, die Angst- und Fieberbilder seines Innern sowie die Imaginationen einer über­irdischen Traumwelt erblicken läßt. Wie tiefe unheilbare Schwer­mut lastet es hier auf allem. Fieberisch glüht der Horizont. Pocs Werk ist die Geschichte eines menschlichen Herzens, wie sie nie ge= schrieben ward. Nicht von seinen Kriminalgeschichten und wissen­schaftlichen Grotesken muß man sprechen. Aber man muß seine romantischen Erzählungen betrachten und als Ergänzung seine Liebesgeschichten und Gedichte heranziehen. Tiefere Schauder als Man nehme William diese Darstellungen kann nichts erregen. Wilson", in dem er, allerdings anstatt von der rein psychologischen noch von der moralischen Seite aus, die grundlegende Spaltung des Bewußtseinsterns darstellt. Dies ist das Furchtbare in Poe: er schreibt eine Krankheitsgeschichte; eine Geschichte vom Zerfall der inneren Kräfte; die Anarchie dringt in das Innere ein; un­motivierte Verbrechen entstehen aus dieser Herrenlosigkeit; Wahn­finn und wilde Visionen tauchen auf. Aber der Dichter zeichnet das mit unbeirrter Hand auf; immer ist noch eins in allem Zerfall stärker als alles: der Wille, zu beobachten, zu analysieren; es ist etwas Zwangsmäßiges darin, aber auch etwas Zwingendes. Dabei ist er ein Psychologe, der Dostojewski   nichts nachgibt. Und er ist ein Künstler ohnegleichen, bedeutend stärker als Hoffmann; gleich­viel ob er die wunderbaren Gebilde seiner reinen Imaginationen, die schrecklichen Gemälde des Zerfalls( Untergang des Hauses Usher), den lähmenden Schreck( Der rote Tod) oder das wüste Débâcle einer Seele in Verbrechen und Wahnsinn( Geist des Ver­brechens usw.) darstellt: der Eindruck brennt sich wie eine Vision, in der Entseßen und Schönheit sich mischen, in uns ein. Poes Seele konnte nicht atmen in der Luft des amerikanischen Utilitaris­mus und Merkantilismus. Sie sucht die Räusche des Alkohols und der Gifte. nld der wenig widerstandsfähige Körper gab nach und zerbrach bald wie eine schlechte Hülle.

Die künstlichen Paradiese des Opiums kannte und liebte auch Charles Baudelaire  , der die Franzosen mit Poe und Hoffmann Auch er ist hier zu nennen. Die schmerzhafte bekannt machte. Entartung und Erkrankung der Instinkte in einer ursprünglich schönen, leuchtenden Seele treibt ihn in das leidenschaftlichste à rebours; in die Empörung des katholischen   Satanismus. Er fingt seine Satanslitanei; träumt von den Räuschen des Negativen und tröstet sein wundes Herz mit wilden Flüchen. Die französi­ schen   Dichter des Grauens liehen überhaupt die katholische Form der satanischen Revolte. Huysmans   schrieb seinen Satanisten­Roman Da unten", in dem er auch eine Darstellung des scheuß­lichen Luftmörders Gilles de Nahes gibt. Barbey d'Aurévilly  , Edel­mann und Katholik in der Blütezeit des Demokratismus, erzählt von den Teuflischen":" wahre Geschichten aus unserer Zeit des