unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 78.

21]

Jm Bauernland.

Donnerstag, den 23. April.

Von Johan Skjoldborg .

Per hielt sich in der Nähe der Tür. Aber trotzdem wurde seine Anwesenheit bemerkt; schon durch die erbärmliche Klei­dung unterschied er sich in dieser Versammlung von den meist wohlgekleideten Männern und Frauen.

Per horchte auf den Gesang und die Predigt. Aber es waren nur gottgefällige Redensarten, wie er sie schon so oft gehört hatte; immer wieder dasselbe bis ins Unendliche.

Aber hier war es warm und geschützt und angenehm. Nach und nach hörte er nur die Predigt wie ein fernes einschläferndes Gemurmel; er hatte nur wenig zu essen be­kommen an diesem Tage und dazu ein paar Schnäpse, so daß er bald in einen Halbschlummer fiel. Seine müden Gedanken fanden endlich Ruhe.

Aber später geschah etwas, das ihn weckte.

.

Es ist einer in dieser Versammlung,

..

"

Es war eine Stimme, die sich näherte..... ist einer in dieser Versammlung

Das bin ich," dachte Per und war im selben Moment vollständig wach.

Es war Bolsens Frau, die betete; sie stand vor der Kanzel mit breiten, über dem Magen gefalteten Händen.

Lieber Herr im Simmel! Ich sage abermals, wenn einer in dieser Versammlung ist, der seine Sünde bereut, so wird der Herr ihn nicht von sich stoßen feineswegs! Ich war in einem armen Heim, ach, in einem sehr armen Heim, sogar in dieser Gemeinde..

Das ist doch wirklich zu arg," date Per. Die Leute begannen heimlich zu Per hinüberzuschielen. Er war wie ein wilder Vogel, der sich zwischen die Hühner ver­irrt hatte. Und wieder ertönte die Stimme:" Ich habe den armen Menschen Worte des Gebetes gebracht und bin ver­stoßen worden, um des Herrn willen. Gott sei gelobt und gedankt! Aber der Herr wird trotzdem nicht den armen Mann von sich stoßen. Keineswegs!"

-

Per ward von Minute zu Minute unruhiger auf seinem Sitz. Seine Nafenflügel vibrierten, die Kopfhaut ging hin und her. Die schwarzen Augenbrauen zogen sich finster zu sammen. Es herrschte wilder Aufruhr in seinem Innern.

Die Blicke, die man ihm von verschiedenen Seiten sandte, zeugten nicht gerade von christlicher Güte; es waren merk würdige Augen, die ihn nedten und irritierten.

Er blickte über diese gutgekleideten Männer und Frauen hin, die alle genug hatten, und dachte dann an die Seinen daheim.

Er ward zornig.

Und Frau Bolsen fuhr immer noch fort.

Da stand Per auf, um sich gegen all dies aufzulehnen, und rief wild und heftig der Sprecherin ins Gesicht:

" Halt den Mund, Heuchlerin! Du Heuchlerin! Zum Teufel, so halt doch den Mund!"

Frau Bolsen verstummte. Das war ja entseglich. Alle wandten sich um.

Wie ein tiefer Seufzer ging es durch die Versammlung. Aber Per hob seine Augen und schrie wild: ,, Herrgott im Himmel, wenn du wirklich da bist, so gib diesen Heuchlern, die hier versammelt sind, ordentliche Ge­danken und ein menschenwürdiges Gemüt!"

Per hatte keine Ahnung von dem, was er sagte. Die Worte wurden in dem Augenblick geboren, ohne daß er davon wußte.

Aber nun, da sie gesprochen waren, standen sie wie in Erz gejossen vor ihm, wie dergleichen wohl geschehen kann. Nummer 497," sagte Madsen- Klinkerup.

Und die Töne des Liedes stiegen mit Straft und Wärme aus der Versammlung empor. Eine alte herrliche, schöne Melodie, die von gläubigen Geschlechtern seit Jahrhunderten gefungen wurde.

bruck.

Der Gesang wuchs und hinterließ einen mächtigen Ein­

1914

Per fühlte sich klein. Sie hatten vielleicht trotzdem recht. Was bedeutete es übrigens, wenn er, Per, und einige andere lebten oder starben.

Nein, vergessen, vergessen...

Per stürzte hinaus.

11

Wer war dieser Mensch?" fragte Madsen- Klinkerup und rüdte an seinen Brillengläsern: Er war wohl berauscht!" Das ist ein armer, erbärmlicher Mensch, der unten im Moore wohnt," bemerkte sein Nebenmann.

Und Bolsen, der auf der anderen Seite stand, fügte wichtig hinzu:

Er ist wohl das, was man gemeinhin ein Subjekt nennt!"

,, So, so! Ja, ja!" Madsen- Klinkerup seufzte. Nein," antwortete Niels Rask vom Hoibyhof fest. Ein Subjekt ist er nicht!"

Per stand draußen und hatte nur noch ein größeres Gefühl der Verlassenheit als zuvor.

Er hatte auch noch zu allem anderen einen Fluch auf sich geladen, schien es ihm.

Ja, vergessen, vergessen... Alles vergessen!" seufzte

er müde.

.

Der Doktor von der Nachbargemeinde kam im Schlitten angefahren. Hören Sie", sagte er zu Per, haben Sie nicht einen Augenblick Zeit, das Pferd zu halten. Ich muß ins Feld hinein."

Ber nahm ganz mechanisch die Zügel. Ber erhielt ein Trinkgeld.

Er schlenderte den Weg entlang planlos... Etwas später stand er vor dem Ladentisch des Kauf­manns und verlangte eine Flasche Branntwein.

Er sagte kein Wort weiter, blickte nicht zur Seite, sondern machte nur, daß er wieder herausfam.

Hinter der Scheune des Bastors nahm er den ersten wärmenden Feuertrunk. Das beruhigte so schön, und er nahm noch einen Schluck.

Er schlug den Weg durchs Dorf ein, seinem Heim zu. Eigentlich war es doch ein ganz freundliches Dorf, schien ihm: die Höfe lagen so gemütlich durcheinander. fühlte sich ganz wohl, ausgezeichnet.

es

Er

Ein Stück weiter unten erblickte er die goldene Kringel des Bäders... Stonnte es etwas schaden, wenn er hineinging und auf Rechnung des Hoibybauern ein Brot bekam... Ach, was zum Teufel!.

Denn er mußte etwas mit heimbringen.

Durch das Fenster sah er, daß ein junges Mädchen int Laden stand. Ha ha!

Er forderte schnell zwei Schwarzbrote, ein Weißbrot und eine Tüte mit weichem Kaffeebrot.

Das Mädchen sah ihn einen Augenblick fest an. Aber Per fuhr sie im barschen Ton an, sich etwas zu beeilen. E3 seien Fremde daheim und er hätte keine Zeit, hier zu stehen und zu warten.

,, Es ist für Per Holt aus dem Moorhause. Ich habe hier noch mehr stehen." Per machte, daß er zur Tür hinausfam.

,, Das ging großartig," sagte er zu sich selber. Er lachte über den gelungenen Anschlag. So ist's, wenn man frech ist. Das ist die richtige Art und Weise. Aber man ist ja zu dumm."

19.

Per Holt taumelte weiter, Nächte und Tage lang in der selben Verfassung.

Wenn der Rausch sich verflüchtigen wollte, goß er wieder Branntwein nach.

Wenn er sich der Nüchternheit näherte, veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes auffallend: Sein Blick flackerte dann unruhig, gepeinigt und gequält umher.

Dann trant er wieder mehr, und sein Antlitz bekam von neuem den milden versöhnlichen Ausdruck, als wenn er feine Sorgen mehr habe.

Er schlief fast gar nicht; auch während der Nacht war er beinahe fortwährend in Bewegung; er ging umber und ver­richtete allerhand Kleinigkeiten, stopfte die Bettdecken fest