R. B., Paris , 11. Oktober. Niemand vermag heute das Schicksal der Abrüstungskonferenz vorauszusagen. Ob sie zu einem Ergebnis führen, oder ob sie scheitern wird, das ist wenige Tage vor dem auf den 16. Oktober angesetzten Termin des Zusammentritts der Generallkommission der Konferenz noch völlig unklar. Kein Zweifel, daß die Regierungen Frank reichs , Englands, der Vereinigten Staaten und Italiens ein Gelingen ernsthaft anstreben, und es ist nebenbei gesagt eine grobe Unwahrheit, wenn man in Deutschland behauptet, daß gerade das französische Kabinett Schwierigkelten auf- Schwierigkeiten häufe. Aber die große Frage ist die, ob die genannten Mächte eine gemeinsame Basis finden, und ob Hitler dann bereit sein wird, auf diesen Boden zu treten. Die der Pariser Regierung nahestehende Presse hat in den letzten Wochen voller Befriedigung immer wieder die Verständigung mit Großbritannien als eine vollzogene Tatsache hingestellt. Ehe Oeffent- lichkeit kennt jedoch die Einzelheiten dieser Abmachungen nicht, und wir gehen wohl in der Annahme nicht fehl, daß zunächst nur ein Rahmen geschaffen worden ist, der einen Spielraum für die Lösung der Detailprobleme läßt Einig ist man sich auch mit Amerika und Italien — über die Einrichtung einer dauernden internationalen Kontrolle, die die Engländer übrigens lieber Supervision (Beaufsichtigung) nennen, ferner über eine Probezeit in der das Funktionieren der Kontrolle festgestellt werden soll, und in der außerdem mit der Herabsetzung der Effektivbestände zu beginnen wäre. Indessen sind offenbar noch keine bindenden Verabredungen getroffen über die Kontrollroethode, über die Dauer der Probezeit und über Tempo und Umfang der in diesem Zeitraum durchzuführenden Verminderung der Truppenzahl. Diese Lücken und Ungewißheiten geben der französischen Oppositionspresse Anlaß und Möglichkeit zu heftigen Angriffen gegen das Kabinett und insbesondere gegen den Außenminister Boncour, dem ohne alle Umschweife Verrat der nationalen Interessen vorgeworfen wind. Die Aufregung dieser Kreise hat sich nach dem Bekanntwerden der deut schen Antwortnote noch gesteigert. Sie sehen in der Tatsache, daß Deutschland seine Verbalnote nur in Rom und London überreicht hat, eine Brüskierung Frankreichs , und sie befürchten, daß Daladler unter dem Druck des britischen Kabinetts, das unter allen Bedingungen ein Fiasko der Konferenz vermedden wolle, zu weiteren Zugeständnissen bereit sein werde. Nun wäre es falsch, den pofi tischen Einüuß der Zeitungen, die zum Teil von der Rüstungsindustrie subventioniert werden, zu überschätzen. Das in seiner großen Mehrheit friedenswilHge französische Vofk wird sich nicht so leicht in ein Abenteuer hdnednreißen lassen, und so wenig es Hitler traut, so erkennt es doch die Gefahren, die ihm aus dem dem Scheitern der Konferenz mit Naturnotwendigkeit folgenden internationalen Wettrüsten erwachsen würden. Die französische Regierung gibt sich auch alle Mühe, eine Panikstimmung nicht aufkommen zu lassen, aber auf der andern Seite sind ihrem Entgegenkommen an Deutschland eventuell auch an Großbritannien Grenzen gesetzt, die sie schlechterdings nicht überschreiten kann. Die Ueberzeugung, daß der Nationalsozialismus vertragswidrige Rüstungen vornimmt, daß die braunen Sturmtruppen militärisch zu werten sind, daß der Geist, der Im Dritten Reich großgezogen wird, eine schwere Bedrohung des Friedens bedeuten, ist In Frank reich allgemein. Die friedfertigen Versicherungen der Hitler, Göbbels usw. werden von niemandem geglaubt. Man hofft durch ein Rüstungsabkommen die Gefahr bannen oder zum mindesten verringern zu können. Man will ein Abbrechen der Brücken zu den andern Mächten wenn irgend möglich verhüten(daher auch die eilige Zustimmung zu den italienischen Anregungen über die wirtschakliche Organisation des Donaubeckens), doch alle diese Er- wägungen werden die französische Regierung nicht bestimmen können, auf eine wirklich ernsthafte Kontrolle, auf eine nennenswerte Herabsetzung der einstweilen für vier Jahre vorgesehenen Probezeit oder auf ihren Widerspruch gegen die sofortige Ueberlassung von „Proben" der Im Friedensvertrag verbotenen Waffen an Deutschland zu verzichten. Das würde für das Kabinett Daladler, das ohnehin schon genug mit den aus dem Budgeldeflzlt herrührenden Innerpolitischen Schwierigkeiten
zu kämpfen hat, verhängnisvoll werden, und der Abrüstungsgedanke überhaupt wäre damit auf lange Zeit begraben. Auch der Versuch Mussolinis, eine Besprechung der Unterzeichner des Viermächtepakts einzuschieben, findet in Paris wenig Gegenliebe, solange man nicht der Unterstützung durch Italien und England sicher sein kann, und so ist eben alles Im unklaren und ungewissen. Die Bereitwilligkeit zu einer Einschränkung der Rüstungen ist bei den Siegermächten heute ohne allen Zweifel größer als je zuvor. Aber Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren liegen die Hindernisse heute bei
Deutschland , dessen Politik es fertig gebracht hat daß die öffentliche Meinung in allen Ländern die lebhaften Bedenken gegen eine Abänderung des Friedensvertrages hegt, die zu der militärischen Gleichberechtigung Deutsch lands führen könnte. Das gilt wie ausdrücklich hervorgehoben sein mag, auch für England, wo M a c d o n a 1 d, selbst wenn er den Wunsch hat Frankreich zu weiteren Zugeständnissen zu veranlassen, bei dem größten Teil der Bevölkerung, und nicht zuletzt bei der konservativen Partei, auf die sich seine Regierung in der Hauptsache stützt auf starken Widerstand stoßen wird.
Gegen die Schande der Judenverfolgung In der Albert-Hall in London , in der sich am 3. Oktober Tausende zu einer antifaschistischer, Kundgebung zusammenfanden, in deren Mittelpunkt Einstein stand, wandte sich Sir Austen C h a m b e r 1 a i n, der frühere langjährige Außenminister, In scharfen Worten gegen das deutsche Terrorregime, Er sagte u. a.: „Sie, die Sie in diesem Saale sind und ein mittleres Alter erreicht haben, Sie, die Sie auf eine bestimmte Laufbahn hin studierten, wenn Sie um ihrer Haarfarbe willen plötzlich auf die Straße geworfen würden, wenn man Ihnen die Ausübung ihres Berufes verböte — so wäre das vielleicht unvernünftiger, aber weniger abscheulich als das, was gegenwärtig in Deutschland geschieht Stellen Sie sich vor, daß Ihren Kindern, die Sie dazu erzogen haben, als anständige und nützliche Bür ger des Landes, ihre Pflicht zu tun, mitgeteilt würde, die Laufbahn, für die sie arbeiten, sei ihnen verschlossen und wenn sie in ihrem Geburtslande bleiben wollten, könnten sie nur Holzbauer und Wasserträger lür einen Teil ihrer Landsleute sein, die sich für höberstehend erklärten. Ich kamt mir kaum vorstellen, daß Kunst und Wissenschaft von einer schlimmeren Tragödie getroffen werden könnten als sie in diesen Tagen des zwanzigsten Jahrhunderts die Aechtung einer ganzen Rasse bedeutet die sich in jedem Lande und zu allen Zeiten in Künsten und Wissenschaften ausgezeichnet hat Wir können protestieren— wir können es nicht ändern. Aber wir können einiges tun, um die Leiden zu mildern, die so sinnlos verursacht wurden, und um einer menschlichen Rasse die Entfaltung jener Gaben zu ermöglichen, mit denen Gott seine Geschöpfe ausgestattet hat ob sie In dem einen oder in dem andern Land geboren sind. Garnicht so lange Zeit zuvor hätten wir diesen Saal genau so dicht wie heute Nacht mit einer Versammlung füllen können, die ihrer Sympathie für Deutschland Ausdruck zu geben wünschte, da siele meiner Landsleute meinten, daß wir und andre Nationen unsre Pflicht gegen dieses Land nicht recht erfüllt hätten. Welchen Wandel haben einige kurze Monate geschaffen! Die Revolution wurde durch die deutsche Regierung gemacht und diese Halle Ist heute Nacht mit Menschen gefüllt die nicht gekommen sind, um der deutschen Regierung und denen, die sie repräsentiert, Sympathie zu bekunden, sondern um mit denen zu sympathisieren und um denen za helfen, die von dieser Regierung ans ihrem Lande vertrieben wurden."
Italien warnt! Ungarn distanziert sich .Popolo d'Italia'4, das Blatt Mussolinis, bringt einen Aufsatz, der von der ganzen italienischen Presse abgedruckt wird und der um so größeres Aufsehen erregt als man annimmt daß er vom Duce selber geschrieben ist In diesem Aufsatz mit der Ueberschrift„Die Unterführer" wird Deutschland ausdrücklich von den„vielen, allzu vielen Demonstrationen" gewarnt die alle Nachbarn beunruhigen, und dann weiter gesagt: Mit aller notwendigen Bescheidenheit müssen es sich unsere deutschen Freunde gesagt sein lassen, daß es im ureigensten Interesse des Dritten Reiches an der Zeit ist die Einheit in den Direktiven und im Kommando wiederherzustellen und die Un
terführer an der Peripherie zur Ruhe zu rufen. Ansonsten wird der überstürzte Wirbel mehr oder minder glücklicher Initiativen und mehr oder minder intelligenter Befehle damit enden, daß eine äußerst bedauernswerte Konfusion angerichtet wird. Noch schärfer äußert sich der regierungsoffiziöse„Pester Lloyd": Man wird in Deutschland verstehen müssen, daß unser Land grundsätzlich und unverrückbar auf dem Boden der Freiheitsrechte, also speziell auch der freien Meinungsäußerung und der Preßfreiheit, steht und daß es mithin der ungarischen Presse— bei allen unerschütterlichen Freundschaftsgefühlen für das mächtigste Volk— nicht verwehrt sein kann, ihrer Auffassung über Ereignisse Ausdruck zu verleihen, die diese Frage nahe berühren... Von unten herauf kam der Drang zur Ausrottung mißfälliger Ideen. Die Studentenschaft war es, die ungezählte Tausende von Büchern auch der edelsten deutschen Dichter und Denker auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Wie diese Autodafds auf die übrige Menschheit wirkten, darüber wäre es müßig, auch nur ein Wort zu verlieren. Die Scheiterhaufen der Bücher sind nunmehr ausgebrannt aber der Geist der sie aufflammen ließ, lebt noch weiter. Er lebt weiter in den Gesetzen, die jeden freien Gedanken, der sich nicht gleichschalten ließ, verpönen und verfolgen. Ungarn , als„Freiheitshort", blickt halb mitleidig, halb verächtlich auf den deut schen Sklavenstaat herab... Selbst U n- ga rn!
Rebellion der Lümmel H. G. Wells , einer der geistreichen sozia listischen Schriftsteller des heutigen England, sprach sich in einem kleinen, auserwählten
Kreis scharf gegen die blutige UnrfifldsamkeH des Hitlcrregimes aus. Er sagte u. a.: „Ist je ein Buch durch Verbrennen getötet worden? Ich glaube es nicht. Denn, einmal gedruckt hat ein Buch eine Vitalität die die aller menschlichen Wesen well übersteigt Ich wünschte, es wären nur Bücherverbrennungen, in denen die Intoleranz ihrer Bosheit Luft machte. Unglückseligerweise macht sie nicht immer bei Bücherverbrennungen halt Sie schlägt meist jene, die sie lesen, schreiben und verbreiten. Die sind verwundbarer. Gerade jetzt Ist in manchen Weltgegenden eine Epidemie der Unduldsamkeit ausgebrochen, die widerliche und ungewöhnliche Formen annimmt Es ist ja ganz schön für einen sehr erfolgreichen und verwöhnten Schriftsteller voll radikaler Ideen, wie Ich es bin. In kühner und witziger Art über Bücherverbrennungen zu plaudern, aber es Ist ein ganz anderes Unterfangen In Rußland , In Italien und in Deutschland — vor allem In Deuts c h- 1 a n d. In Deutschland betreibt der radikale Schriftsteller und der echte, ehrliche Schriftsteller ein abenteuerliches und gefährliches Handwerk. Er wird verfolgt und umherge- stoßen.— Das deutsche Geschehen ist kein Pogrom. Die Juden hört man am meisten. aber es sind nicht nur die Juden, die leiden." „Mir scheint das, was da geschiebt, mehr als alles andre eine Rebellion plumper Lümmel gegen die Zivilisation zu sein, die Revolution plumper Lümmel gegen das Denken, dem gesunden Menschenverstand, gegen die Bücher. Und nicht nur lu Deutschland , schwindet die weitgespannte Duldsamkeit, mit der das Jahrhundert begann, dieser Zug geht über die ganze Welt Aber eines weiß ich sicher: auf die Dauer werden die Bücher siegen. Die plumpen Lümmel werden zu Fall gebracht werden. Auf die Dauer wird der gesunde Verstand mit all den schreienden, keifenden Helden aufräumen. Menschen mögen leiden und Menschen mögen sterben, aber der menschliche Geist in Wissenschaft und Literatur verkörpert schreitet voran!"
Man raubt••.• und man will betrügen Aus jeder Nummer des„Rdchsanzeigers" Ist zu ersehen, in welch gewaltigem Ausmaß Eigentum von Arbeitern, Arbeiterorganisationen und Arbeiterbetrieben geraubt worden ist Die braunen Herrschaften aber begnügen sich nicht mit dem, was ihnen durch Gewalt in die Hände gefallen Ist Sie versuchen auch durch List angebliche Verpflichtungen von Organisationen und Einzelpersonen einzutreiben. So ergehen z. B. in letzter Zeit vom Verlag J. H. W. Dietz, Berlin und vom Bücherkreis, G- m. b. H-, Aufforderungen zur Begleichung von Rechnungen an Stellen, die sich außerhalb der deutschen Reichsgrenzon befinden. Selbstverständlich wird diesen Aufforderungen keine Folge geleistet. Anständige Menschen verbietet es schon das Ehrgefühl Räubern bei ihrem ehrlosen Handwerk zu helfen.
Herausgeber: Ernst Sattler, Karlsbad . Verantwortlicher Redakteur: Wenzel Horn, Karlsbad . Druck:„Graphia" Karlsbad . Zeitungstarif bew. m. P.D. ZI. 159.33WII-1933.
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