Hinter den braunen Kerkermauern Die Barbarisierung des deutschen Strafvollzuges— Allenthalben im Dritten Reich überfüllte Zuchthäuser— Politische Gefangene wie gemeine Verbrecher Stecfasdiritt und Parademarsch statt sinnvoller Anstaltserziehung— Mit seelischen Foltern gegen die„Staatsfeinde" Das barbarische Strafvollzugssystem des Dritten Reiches ist ein schlimmer Rückfall in die Barbarei des alten Preußen- Deutschland ,— ja noch dahinter zurück. In dem deutschen Strafvollzug der Vorkriegszeit mischten sich mannigfache unwürdige und unsachüche Elemente aus dem militaristischen Zwangscharakter des damaligen Obrigkeits- und Bürokratenstaates: die Ausnutzung alter Festungsbauten als Gefangenenunterkünfte, die Versorgung militärisch an der»Majors- ecke« Diaqualifizierter gerade im schwierigen Beruf eines Gefängnsleiters, die Unterbringung solcher Militäranwärter, die weder zum Briefträger noch zum Weichensteller tauglich waren, ausgerechnet in der Strafvollzugsverwaltung. Es war der Sozialdemokrat Dr. Gradnauer, der spätere sächsische Ministerpräsident. der diese Verhältnisse, die Deutschland schon damals sehr unvorteilhaft von den zivilisierteren und vernünftigeren Zuständen in anderen Staaten abhoben, schon zur Jahrhundertwende in einer gerade heute wieder lesenswert gewordenen Schrift»Vom Elend des deutschen Strafvollzugs« sachlich und leidenschaftslos behandelt hat. Der»Staat von Weimar« fand auf diese Weise gerade hier Gelegenheit genug, die großen sittlichen Grundgedanken, die seiner Konzeption zugrunde lagen, zif. verwirklichen. Das preußische Strafvollzugssystem, das Hitler übernahm, war modern und allen guten und vernünftigen Regungen des menschlichen Fortschritts aufgeschlossen. Hitlerdeutschland aber ist trotz seiner pseudo-revolutionären Phraseologie im großen und ganzen nichts als der totale Rückfall in den Zwangsstaat von früher. Das gilt auch für seinen Strafvollzug. Dabei sind die spezifischen Zutaten des Schreckens und der Barbarei, die der Nationalsozialismus hinzugefügt hat— siehe vor allem die politischen Gefangenen!— für sich zu werten und scheidet femer das ganze besonders grausige Kapitel der Kazett-Schande, das neben dem»legitimen« Strafvollzug des Dritten Reiches und ohne direkte Mitwirkung der eigentlichen Justiz- und Strafbehörden daherläuft, als eine abscheuliche Besonderheit aus. Ceberfüllung der Strafanstalten des Dritten Reiches . »Dennoch sind manche Vollzugsanstalten überbelegt«— so heißt es wörtüch in einem Alarm-Artikel, den jetzt das einzige deutsche Fach- und Amtsblatt für Strafvollzug, die von anerkannten Leitern des deut schen Strafvollzugswesens herausgegebenen»Blätter für Gefängniskunde«(letzte November-Dezember- Nummer) veröffentlicht. Und an weiterer Stelle dieses Notschreis, wiewohl er sich der vorsichtigen und vertuschenden Sprache der über allem Gedruckten argwöhnisch wachenden Zensur befleißigt, heißt es: »Diese Ursachen wirken zusammen, um das vorher bestehende, in langen Jahren erprobte und bewährte Gleichgewicht zwischen Zugängen und Abgängen, auf das sich die planmäßige Belcgungsfähigkeit der Anstalten grlindet, da und dort aufzuheben...« Da und dort—? Das ist die Sprache des gleichgeschalteten Subalternen, der, wird er deutlicher und ehrlicher, das Ka- zett und die Dienstentlassung zu fürchten hat. Daß es sich bei der Ueberfüllung der deutschen Gefängnisse und Zuchthäuser um eine allgemeine und dauernde Erscheinung handelt, gesteht der Gewährsmann aus dem»Fach« selbst, wenn er die Gründe für die Erscheinung gleichzeitig wenigstens anzudeuten versucht Er ist über den Mißstand verwundert, da doch »statistisch nachgewiesen« sei, daß»die Kriminaiität seit 1933 im Rückgang ist«. Aber das Ist eine der besonders lächerlichen Behauptungen der GÖbbelspropaganda, es ist»dirigierte Statistik«. Was ist nun der Grund, der von dem Verfasser der Feststellung für die Ueberfüllung der Strafanstalten angegeben wird? Er sagt es ohne Umschweife: »Der energische Kampf gegen das Verbrechen wirkt In den Vollzugsanstalton im Sinne einer Steigerung der Gefangenenzahl. Die größere Strenge der Gerichte beeinflußt namentlich den Gefangenenstand in den Zuchthäusern.« Es ist also die Strafwut des Systems, welche die Zustände selbst heraufbeschwört. eine Strafwut, die in gar keinem Verhältnis zu ihrer Leistung steht, wenn wirklich die Kriminalität im großen in Deutschland nicht etwa gefallen, sondern sogar trotz dieser Schreckensjustiz eher gestiegen ist. Jeder Kenner des Zusammenhangs zwischen Verbrechenszahl und Strafhöhe hätte ihr das übrigens voraussagen können: nur noch im Dritten Reich gibt es hoffnungslos verrannte Anhänger der sogenannten»Sühne«- und »Abschreckungstheorie«. Aber nach dieser allgemeinen Erörterung, die auch schon darum sehr fragwürdig ist, weil sie Wichtiges völlig verschweigt, w e zum Beispiel die Tatsache, daß es im Dritten Reich heute eine Menge Zuchthaussträflinge gibt, wie etwa »Rassenschänder« und»Devisenverbrecher«, die lediglich Deutschland kennt, kommt noch das folgende verschämte Eingeständnis: »Außerdem ist mit den politischen Gefangenen eine neue Gefangenengruppe in einigen zum Vollzug dieser Strafen bestimmten Anstalten als ein Mehr von Gefangeneu hinzugetreten.« Das freilich scheint doch wohl vor allem der eigentliche Grund für den verantwortungslosen Befund im deutschen Strafvollzug zu sein! Dieser Subalterne muß es freilich bagatellisieren! Wie sich für die Gefangenen, ob schuldige, ob unschuldige, politische oder gemeingefährliche, die Trostlosigkeit dieser Zustände auswirkt, dafür ein einziges Beispiel; Soeben berichtet die katholische Emigrationspresse, der es am allerwenigsten sonst liegt, unbeweisbare»Greuelnachrichten« über- das Dritte Reich von sich zu geben, über das Schicksal einiger katholischer»Devisenverbrecher«, der Redemptoristenpatres Brinkmann, Waltz, Aigner, Platt und noch einiger Franziskaner im Staatsgefängnis zu Brandenburg an der Havel . Diese zehn Häftlinge hausen dort gemeinsam in einem Raum von sechs Meter Länge und drei Meter Breite! Als der Pater Brinkmann nun auch noch sein silbernes Priesterjubiläum feierte, brachte man in diese Heringstonne für lebende Menschen auch noch einen improvisierten Altar, so daß der Jubilar seinen Mitgefangenen nunmehr die Kommunion reichen konnte... Wie man sieht; es geht überaus gemüt- und pietätvoll im Hitlerschen Strafvollzug zu! »Slaatsfeinde«« wie gemeine Verbrechep! Erst dieser Tage fand in Dresden eine Tagung des»Reichsverbandes für Gerichtshilfe, Gefangenen- und Entlassenen- fürsorge« statt, dessen Tätigkeit in unmittelbarer Berührung mit den zuständigen Behördenvertretern, die auch die eigentlichen Mitglieder der Organisation darstellen, so etwas wie halbamtlichen Charakter hat. Besondere Aufmerksamkeit verdiente es dabei, daß ein besonders großer Teil der Verhandlungen(wir zitieren weiter unten aus der darüber berichterstattenden kriminalwissenschaftlichen Fachliteratur) dem Fragenkomplex des politischen Gefangenen in Deutschland eigens gewidmet war! Referent war eine Koriphäe der gleichgeschalteten hitlerdeutschen Anstaltsexekutive, der Strafanstaltsdirektor Wüllner. Im Mittelpunkt des Referates, später von der Versammlung einmütig gebilligt, stand folgende Hauptthese Wüllners: »Der Begriff des politischen Gefangenen im Sinne des sogenannten»Ueberzengungstäters«, der nur eine custodia honesta(»Ehrenhaft«) verdiene, ist abzulehnen. Bei dem Versuch einer Typisierung der politischen Gefangenen ist der in Fachkreisen manchmal leider noch gehörten Auffassung rücksichtslos entgegenzutreten, daß der politische Gefangene eine Art »besserer Gefangener« sei«. Das ist die längst geübte Praxis des nationalsozialistischen Regimes! Was der Direktor Wüllner sonst noch auch an statistischem Material über die »Staatsfeinde« in Hitlerdeutschlands Kerkern seiner Gemeinde vorlegte, das freilich wurde, ungewollt, ein hohes Lied auf die menschliche Würde der politischen Gefangenen, das Respekt erzwingt. Jawohl, Herr Wüllner registriert es mit bas- sem Erstaunen, daß 72 Prozent, drei Viertel aller politischen Opfer Hitlers , verheiratet sind: keine leichtsinnigen SA -Bengels also, sondern Menschen, die ihr bißchen häusliches Glück daransetzen, daß in Deutschland wieder die Begriffe von wirklicher Ehre und wahrhaftem Anstand groß geschrieben werden sollen. Es geht dem Wüllner auch schier gar nicht in den Kopf, wenn er feststellen muß, daß»merkwürdigerweise« von den politischen Gefangenen über 68 Prozent bis zur politischen Strafe nicht vorbestraft sind, während doch die unpolitischen einen Bestand von 73 Prozent haben, der nicht zum erstenmal mit der Strafjustiz Bekanntschaft gemacht hat. Auch das Eingeständnis Wüllneis verdiente eigentlich in Erz und Marmor für alle Zeiten als deutscher Ruhm festgehalten zu werden: »Die Dreißig- bis Fun funddreißig jährigen bilden den weitaus größten Prozentsatz der politischen Gefangenen. Von 35 Jahren ab fällt dann die Kurve fast senkrecht ab.« Jawohl, so muß es sein! Es sind die Menschen, die sich ihrem politischen Ideal in der Fülle männlicher Kraft und Gesundheit opfern. Man muß schon Wüllner heißen und in Hitler seinen»Führer« anbeten. um so moralisch asthmatisch zu sein, in diesem Heldentum gar so viele statistische■ Merkwürdigkeiten« zu entdecken. Uebrigens ist auch das bezeichnend für den Wert der politischen Illegalität drüben und vor allem ihren moralischen Gehalt: Es wird registriert, daß bei den Kriminellen 65 Prozent aus dem Arbeiter- oder Arbeiterinvalidenstand kommen, bei den Politischen aber nur 53.7 Prozent. Ein Beweis mehr dafür, wie es sich so wirküch um die menschliche Anständigkeit jenseits von Klassen- und Parteischranken handelt, die noch den Kopf drüben hoch trägt! Wäre das nicht auch ein vernichtendes Urteil über dieses System, aber zugleich auch ein leuchtender Hoffnungsstern der Zukunft? Fein säuberlich will er die»Staatsfeinde« einteilen, der Herr Wüllner; und entsprechende Vorschläge an Hitler hat die Tagung genehmigt. Die»Fanatiker«— der Ausdruck stammt von dem Referenten selbst und er sagt von ihnen, daß sie sogar»im Strafhause von ihrer verderblichen Tätigkeit nicht lassen können«— sollen von denen geschieden werden, die nur als »Mitläufer« und»Sympathisierende« in Frage kämen, unter denen doch so»manche charakterlich wertvoll« wären. Ach nee! Die Fanatiker sollen jetzt nach den Vorschlägen des Kongresses in b e s o n- ren Strafanstalten, also unter besonders terroristischen Bedingungen endlich untergebracht und vom Gros der »Mitläufer« säuberlich getrennt werden. Es ist unschwer, sich auszudenken, was es in diesen Bagnos für politisch»Unverbesserliche!: geben wird. Drill und Erpressung; Welcher Geist der Kreatur-Entwürdigung in der Hitlerschen Strafanstalten eingezogen ist, geht aus den beweglichen Klagen solcher Vollzugsfachleute im Drit ten Reich hervor, die sich nur schwer mit den»Errungenschaften« des»deutschen Sozialismus« abzufinden vermögen und dafür, mindestens in ihrem problematischen Berufsbereich, an einem Mindestmaß von Vernunft und Sachlichkeit festhalten möchten. Es ist noch gar nicht so lange her, daß der Frankfurter Strafanstaltsdirektor H ä n s e 1 in einer früheren Nummer der schon genannten»Blätter für Gefängniskunde« lebhaft Klage über die sinnlose Militarisierung des deutschen Strafvollzugs und damit eine besondere Form der nationalsozialistischen Gefangenenquälung führte. In dieser Beschwerde hieß es wörtüch: »Heute bieten verschiedene Gefängnisse das Bild militärisch organisierter Anstalten. Ueber die in§ 10 gegebenen einzelnen Bestimmungen hinaus(gemeint ist eine neue Strafvollzugsordnung des Reicbsjustizmlni- sters Gärtner, die den erzieherischen Charakter der Anstaltsbebandlung weitgebend durch rohe Abschreclrungsmethodeu ablöst. D. B.) werden Anforderungen an die Gefangenen gestellt, die nur als Gebert reibung angesehen werden können. Der Wortschatz stammt ebenso wie die Umgangsform zum großen Teil aus dem militärischen Leben. Das Verhältnis der Beamten untereinander ist ein militärisches Vorgesetztenverhältnis geworden. Es handelt sich dabei nicht nur um die Ueber- nahme militärischer Disziplin, sondern allgemein um die üe.bernahme militärischer Formen um ihrer selbst willen... Wenn ein« Anzahl Gefangener in Gefange- nenkleidnng, deren Zustand im allgemeinen nicht der beste ist, nnd mit mangelhafter Haltung den Stechschritt übt oder auf militärisches Kommando den Parademarsch auszuführen versucht, so wirkt das nur lächerlich, nnd zwar nicht nur für die Außenstehenden, sondern auch für die Gefangenen.« In der Tat: von allen guten Geistern verlassen ist dieses deutsche Bagnowesen unter Hitler , das zum System gehört, wie die Hörner zur Kuh. Für die»Politischen « hat man als Methode der»zusätzlichen« Quälereien noch die besonderen Druckmittel zur Verfügung, die sich aus dem Zwingercharakter der regierenden Partei und dem Aufhören fast jeder privaten, unkontrollierten Häuslichkeit in Deutsch land ergeben. Fruchten nämlich alle Versuche der»Bekehrung zum Nationalsozialisten« im penetranten»vaterländischen Unterricht« des Gefängnisses selbst nicht, hat man immer noch den kleinen Umweg über die Familie des Opfers zur Hand, um ihn so endlich kirre zu machen. Nicht umsonst hat der zitierte Dresdener Kongreß sich nicht nur für»eine zusätzliche Sonderbehandlung« gegenüber den »Fanatikern« entschieden, dessen»Anf- gabe die Wandlung der politisclien Sinnesrichtung des Gefangenen ist«(wörtlich!), sondern es ist auch ausdrücklich dort statuiert worden, daß»die Frauen und Kinder der politischem Gefangenen immer von den nationalsozialistischen Gliederungen zu erfassen sind«; es wurde betont, daß diese Maßnahme»überall so schnell wie möglich« durchzuführen sei. Es ifit ganz klar, wie das gemeint ist: wenn schon Gefängnispfaff oder Zuchthaussergeant nichts erreichen.— vielleicht schaffen es die Tränen der Kinder und das verheulte Gesicht der Frau?!. Hier die Peitsche und dort das Zuckerbrot: Ein Inferno wahrhaft diabolischer Gesinnung ist diese bis oben vollgestopfte Galeere! F.£. Roth. Heldenehrung Die Todesanzeigen in der nationalsozialistischen Presse sind nach wie vor aufschlußreich. Hier ein neues Beispiel aus der»Preußischen Zeitung«(Nr. 352): »Gestern abend starb nach langem, qualvollem Siechtum der SA. -Oberscharführer Johannes Lindtner. Sein Tod war die Folge der Verletzungen. die er in seiner Heimat im Kampfe für Deutschland erlitten hat. Johannes Lindtner marschiert in der ewigen Standarte Horst Wessels. Sein Geist lebt in seinem Sturm und in den Sturm- Abteilungen Adolf Hitlers weiter. Königs berg (Pr), 19. Dezember 1936. Der Führer der SA --Brigade 4, Behrendt, Brigadeführer. Und in der darunter stehenden Anzeige vom Führer des Sturmes 3/43 heißt es: ,■ »Sein schweres Los. das ihm in seinem Kampf um Deutschland als O e s t e r r e I c h e r vom Schicksal auferlegt wurde, und das er mutig und in treuer Ergebenheit zum Führer trug, ist uns ein Beispiel stiller Pflichterfüllung.« Der junge Mensch kämpfte also in seiner Heimat Oesterreich »für Deutschland «— gegen die derzeitige(dem Dritten Reich befreundete) österreichische Regierung, und »sein Geist lebt In seinem Sturm weiter«— nämlich in einem Sturm der(angeblich aufgelösten) österreichischen Legion.
Ausgabe
4 (27.12.1936) 185
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