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st. 298. Ii mmi. i. leiiöje heg Jon W Kerliner Dlksblott. sm'G.tk s°Wdttmv. Der Millerandsche Entwurf eines Streikzwangs-Gesetzes. Zu unsrem vor einiger Zeit veröffentlichten Artikel über den genannten Entwurf wird uns vom Genossen Parvus unter dem Titel Eine neue Possibilistischc Groffthat! folgende? geschrieben: .Streikrecht. Streikpflicht und S t r e i k s ch u tz" hat der..Vorwärts" bereits in dem Millerandschen Projekt gefunden. Me steht es um das Streikrecht? Wollen die Arbeiter streiken, so dürfen sie es doch nicht, sondern sie müssen erst ihre Be- schwerdcn schriftlich aufsetzen und dem Unternehmer überreichen. Dann müssen sie 48 Stunde», 2 Tage, auf Antwort warten. Haben die Arbeiter diese Kündigungsfrist eingehalten und wollen sie streiken, so dürfen sie es doch nicht, sondern nunniehr müssen sie Schiedsrichter ernennen. Ein Tag mindestens geht wieder drauf. Veuützen die Unternehmer das Schiedsgericht nur. um die Sache hinzuschleppen, währenddem die Arbeiter durch die ganze Situation darauf gedrängt werden, den Streik zu beginnen, so dürfen sie es doch nicht, sondern s i e müssen weitere sechs Tage warten. Es ist nach den bisherigen Publikationen noch unklar, ob nicht eine weitere Verzögerung durch die obligatorische Abstimmung siatifinden dürfte, jedenfalls haben wir bereits eine mindestens n e u n t ä g i g e Kündigungsfrist. Man niag dafür oder dagegen sein, man mag auf die Dämpfung des.Leichtsinns" der Arbeiter mehr Gewicht legen, als auf die prompte Bethätigung ihrer Begeisterung, so schlägt es doch immerhin den Thatsachcn ins Gesicht, wenn man in dieser Einschränkung der Streiksreiheit eine Aner- kcnnung des StreikrechtS erblicken will I Das umso mehr, als daö AuSsperrungsrecht der Unternehmer uneingeschränkt bleibt. Der Unternehmer kann jeden Augenblick, wenn es ihni pafft, die Fabrikthore schließen und die Arbeiter aufs Pflaster werfen, er braucht nicht erst die Arbeiterdelegierten zu fragen, nicht erst das SchiedS- gcricht anzurufen, er ist absoluter Herr seines Willens, während dem die Arbeiter das alleS n»d noch mehr durchmachen müssen, bevor sie erst, nach dem Sinn und Wortlaut des Gesetzes, das Recht erlangen, zu streiken, das sie also von Haus aus nickt haben. Es ist die wahre und klare Aberkennung des Streik- rechts. Wie steht es um die S t r e i k p f l i ch t? Wenn, trotz aller Verschleppungen, die Majorität der Fabrikversammlung in geheimer Abstimmung den Streik beschließt, so muff die Fabrik gc- schlössen werden; wenn nicht, so ist es der Minorität verboten, zu streiken. WaS ist Minorität und was Ma- jorität? Ein Zahlenbeispiel wird es klar machen. Ich nehme an, «S seien an einem Orte S Fabriken, die von der Streikbewegung er- faßt sind, und das LbstimmungSverhältnis sei folgendes: Gesamt- Für Gegen Ardeiterzahl den Streik den Streik Fabrik A 2000 1600 400 B 1500 700 800 C 500 200 300 D 1200 1000 200 . E 800 300 500 0000 8800 2200 Ohne Gesetz Millerand  , nach den jetzigen Zuständen, Ivürde also der Streik mit 3800 Teilnehmern, also fast Zweidrittcl der Gesamtheit, begonnen. Kein schlechter Anfang. Die Arbeit in den Fabriken A und D könnte offenbar kaum' mehr fortgeführt Ivcrden, aber auch in den andren würde der Abgang fast der Hälste der Arbeiter den Betrieb eminent erschweren. Schon die moralische Wirkung dieser BctriebSänderungen würde den Streikenden in den nächsten Tagen neue Hunderte von Mitkämpfern zubringen. Dagegen nach dem Gesetz Millerand   waren die Arbeiter in den Fabriken B, C und E. zur Arbeit g e- z w u n g e n. Der Streik würde nicht mit 3800 gegen 2200, sondern nur mit 3200 gegen 2800 Personen begonnen. Die Fabriken B, C und E kämen überhaupt aus dem Spiel, hier wäre für den Streik nicht? mehr zu holen, die Arbeiter müßten ihre Interessen preis- geben, obwohl doch die Aussichten durchaus nicht schlecht waren. Aber auch die Fabrikanten A und D, die nun plötzlich verpflichtet wären, ihre Fabriken zu schließen, würden eS nur als Er- leichterung empfinden, da sie bei der geringen Ar- b eiterzahl sowieso den Betrieb nicht hätten mit Nutzen weiterführen können: sie sparen nur die Kosten, die sie sonst hätten, um zum Schein den Betrieb aufreckt zu erhalten. So wären die ersten Folgen dieses Gesetzes: Verringerung der Zahl der Steikenden, Verschlimmerung der Situation für die Arbeiter, ihre Verdeffenmg für die Unternehmer. Die Streikpflicht entpuppt sich vor unsren Augen als Arbeitspflicht. Das Gesetz soll vor Streikbrechern schützen und eS schafft planmäßig Streikbrecher, nämlich jene Minoritäten der einzelnen Fabriken, die eZ zur Arbeit zwingt. Nun wird man sagen, es seien auch andre Zahlen- Verhältnisse denkbar, bei denen das Ueberaewicht auf den Streik- zwang zu stehen komme, also nämlich wenn starke Minoritäten gegen den Streik sein sollten. Doch auch dafür ist gesorgt l Die Majorität muff auf jeden Fall mehr als ein Drittel der Stimm- berechtigten betragen. Ich erinnere ferner daran, daß über den Streik in geheimer Abstimmung beschloffen wird. Was damit bezweckt wird, hat uns Herr M i l l« r a n d selbst im voraus klar gemacht. Als er beim Znsammentritt des Parlaments von R t b o t über sein Projekt apostrophiert wurde, führte er, um diesen Vertreter des Unternehmertums zu beruhigen, das Beispiel deS Bergarbeiterstreiks zu Dourges an. Jene streikenden Bergarbeiter haben bei öffentlicher Abstimmung sich für die Fortführung deS Streiks erklärt. Man habe sie gleich danach geheim abstimmen lasten, und sie erklärten sich mit 850 gegen 500 Stimmen für die Wiederaufnahme der Arbeit! (Stenogr. Ber. ö. November 1000 Seite 1067.) TaS ist durchaus nicht überraschend. Die öffentlicheMassenabstimmung die von der öffentlichen Einzelabstimmung wohl zu u»ter- scheiden ist ist eben eine gemeinsame Abstin, mnng, bei der der Einzelne sich nur al« Teil der Gesamtheit fühlt, wo also da« SolidaritätSgefühl am stärksten zum Durchbrnch kommt. Die geheime Abstimmung zerstört den Zusammenhang der Masse. der Abstimmende sieht sich isoliert, allein vor seinem Stimmzettel. er schwankt und weicht zurück. Also aus die Zertrümmerung des Massenwillens, auf die Desorganisation und Entmutigung der Abstimmenden hat man«S abgesehen, und da« ist es. tvessen sich M i l l e r a n d vor seinem kapitalistischen Opponenten rühmte. Man begreift, daß es unter diesen Umständen von von, herein schwer fällt, ein Majoritätsvotum für den Streik zu stände zu bringen. Für das übrige sorgt der Unternehmer. Wir wisten. daß er mindestens neun Tage Zeit hat bis zum Beginn deS Streiks Während dieser Zeit kann der Unter- nchmer seine Arbeilerzahl soweit vermehren, als ihm beliebt. niemand hindert ihn daran Nun wohl, statt wie jetzt Streikbrecher zu engagieren, wird er noch vor d e m S t r ei k die Fabrikräume mit allerlei Gesindel füllen, das er zu nichts andrem braucht, als um den Streik niederzustimmen. Die Arbeiterzahl einer Fabrik ist überhaupt eine veränderliche Größe. Die Fälle sind selten. wo der Unternehmer seine Arbeiterzahl nicht, wenn eS ihm pafft, und auf kurze Zeit, um mindestens die Hälfte vermehren könnte. Aber sckon ein Zuschuß von 25 Proz. Streikbrechern verwandelt, wie man leicht nachrechnen kann, das obligate Drittel in fast Zwei- drittel, ohne die aber der Streik nicht mehr stattfinden darf I Gelingt diese Machenschast des Unternehmers nicht, so greift abermals der Gesetzgeber helfend ein. Es ist bekanntlich eine wichtige Aufgabe jedes größeren Streiks, möglichst viel Streikende anderweitig in Arbeit unterzubringen, eventuell aus der Stadt zu schaffen. Nun wohl, je mehr das gelingt, desto mehr schmilzt bei den Abstimmungen, die sich nach dem Gesetz mindestens jede Woche zu wiederholen' haben, die Strcikmajorität zusammen, da alle, die anderweitig Arbeit finden, nicht mehr mitstimmen dürfen. Uebrigens enthält das Gesetz nicht einmal ein Verbot, Strcikbre cher z u e n g a g i e r e n. Der Unternehmer darf nur ohne Beschluß die Arbeit nickt wieder aufnehmen, aber es ist ihm stillschweigend erlaubt, in­dessen Arbeiter aufzunehmen und Arbeiter zu entlassen. Wie nun, wenn er an einem bestimmten Tage den Streikenden, d. h. seinen sämtlichen Arbeitern die Entlassung zukommen läßt, die also in seiner Fabrik nichts mehr mitzubestimmen haben, und erklärt, mit einem neuen Personal die Arbeit aufnehmen zu wollen? Diesen Fall hat unser schlauer Gesetzgeber überhaupt nicht vorgesehen. Und mit keinem Wort wird' verhindert, daß die entscheidenden Streik- Versammlungen immer von neuem von Strcikvrechern überlaufen werden, die auf den soeben von dem Unternehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrag pochend, ihr Stimmrecht verlangen! DieStreikpflicht", die der Redaktion so imponiert, würde in der B a u i n d n st r i e, bei der die stärkste Fluktuation der Arbeiter- schaft stattfindet. a»f eine effektive Streikvernichtung hinaus- laufen und für alle andren Produktionszweige eine eminente Ein- Hemmung der Streits und eine planmäßige Organisation von Streitniederlagen bedeuten. Schließlich der. S t r e i k s ch n tz I" Wer einen Arbeiter bei seiner Abstimmung über den Streik durchGelvalt, Einschüchterung oder Versprechungen beeinflußt", wird mit Gefängnis von einen, Monat bis zu einem Jahr und Geldstrafen bestraft. Wer glaubt im Ernst, daß man damit die Unternehmer und ihre Organe fängt? Sie brauchen ja gar nicht den einzelnen Arbeiter direkt zu beeinflussen, sie vermehren nur. wie oben angedeutet, die Zahl der. Abstimmenden durch Streikbrecher, deren Engagement ihnen freisteht. Aber die Bestimmung hat ihre Kehrseite, und die ist bös. Wer auch nur den Pari)er socialistischen Kongreß besucht hat, kann sich eine Vorstellung machen, wie tumnltuarisch es in einer Streikversammlung bei der entscheidenden Abstimmung zu- gehen wird. Da wird man das Votum gruppenweise ausschreien, inan wird an den Tischen zusammengedrängt, man wird sich gegen- seitig die Stimmzettel aus den Händen reißen nsw. ist das nun nicht etwaEinscküchterung"? Also ins Gefängnis die Hälfte der Versammlung mS Gefängnis nicht unter einem Monat und bi« zu einem Jahr I Und wenn die Gewerkschaft den Streik beschließt und eS der Versammlung mitteilt, werden sich nicht da auch in Frankreich   Richter finden, die darin eine Beeinflusiung deS Einzelnen erblicken? Und wenn ein Arbeiter zu seinem Tischnachbar spricht:.Du Lump, Dir schlage ich Deinen dummen Schädel ein, wenn Du gegen den Streik stimmst", werden sich nicht auch die Richter in Paris   finden? DieserStreikschutz" ist in Wirklichkeit Schutz der Arbeitswilligen. Hat man es in Deutschland   schon so schnell vergessen:Wer einen Arbeiter, der arbeiten will, daran hindert....." Aber die Zucht- hauS-Vorlage hat doch wenigstens auch gegen die Aus- sperrungen sich gewendet. In dieser Beziehung steht die Vorlage MillerandS noch hinter jenem reaktionären Vorschlag zurück, der selbst dem deutschen Reichstag viel zu arbeiter- feindlich war. Und für dieses Unheil, das man über sie verhängt, die Fall- stricke, die man der Gewerkschaftsbewegung in den Weg legt, was erhalten die Arbeiter?Parlamentarismus  " in der Fabrik.Mit- bestimmungSrecht im Produktionsprozeß" Worte, nichts als Worte! Wo bleibt das Parlament, wenn die Regierung das Recht und die Macht hat, das gesamte Volk nebst dem Parlament und allen seinen Rechten und Ansprüchen aus den, Land zu jagen. Nun wohl, der Unternehmer engagiert und entläßt nach Gut- dünken die Arbeiter seiner Fabrik, das souveräne Volk seine? Staat?, den er übrigen« verkaufen, verschenken oder nach seiner Laune i» Trümnier schlagen kann.Mitbestimmungsrecht im Produktion?- Prozeß" der Unternehmer läßt sich nicht nur in Bezug auf Auf- träge, Absatz, ProduktionSumfang, Technik, kurz alles, worauf es im Produktionsprozeß ankommt, von den Arbeitern nicktS dreinreden. sondern er behält nach wie vor das Recht, sie in seinem Betrieb zusammenzuwürfeln, wie Kartoffeln in einem Sack, und wenn die Arbeiter streiken wollen. müssen sie erst die Stricke lösen, mit welchen sie daS Gesetz Millerand in das kapitalistische Joch bindet. DaS ganz» Mitbestimmungsrecht ist daS aller- bescheidenste B es ch w e r d ere ch t, einmal im Monat, vor dem Unternehmer selber eS«rre'icht nicht einmal jenes Beschwerde- recht, welches die leibeigenen Bauern an vielen Orten gegenüber ihrem Herrn hatten. Und das sollen keine Phrasen sein?! Aber die S ch i e d S g e r i ch t e? Da die Unternehmer in ihnen stets mindestens die Hälfte der Stimmen haben und mit absoluter Majorität beichlosien wird, thuOs ihnen nicht wehe. Und was geschieht, wen» der Unternehmer einen ihm unbequemen Beschlutz der Schiedsgerichte ignoriert? Schrecklich, er darf in die Handelskammer nicht mehr wählen l Man wäre beinah versucht, das kindliche Unschuldsgemüt dieses Gesetz- gebers zu bewundern, der einem geriebenen Unternebmertum. das in allen Wassern gewaschen ist, mit der moralischen Zuchtrute droht; aber so naiv ist Herr Millerand   gewiß nicht, vielmehr muß er wissen, daß.-je geringer die Macht der Schiedsgerichte, desto vor- sichtiger und unbedeutender werden ihre Entscheidungen sein. Ueberhaupt sind die AuSführungSbestimmungen dieser Vorlage derart, daß sie sicher unausgeführt bleiben wird, sollte sie auch an- genommen werden, woran freilich kaum zu denken ist. Und daS ist daS schönste an ihr. Nicht schön aber ist eS, daß man a»S dieser Simpelei großes Wesen macht und den Arbeitern damit den Kopf verdreht. Aber eins sehe auch ich in diesem Millerandschen Borschlag, derrevolutionär" ist: daß er klarer als alles Vorangehende das Wesen des Possibilismus aufdeckt. Der Possibilismus lenkt die Aufmerksamkeit der Arbeiter von dem harten, langsamen, aber siegessichercn Klassenkampf ab, mn dem Schatten einer pratlischen Gegenwartspolitik nachzujagen, die sich dann als boden- lose Illusion erweist. Wer kennt nicht die steigenden Schwierigkeiten der Streiks? Wir wären froh, wenn wir sie»lindern könnten. Auf welchem Wege auch. Jenen der Gesetzgebung und der Regierungs- aklion verwerfen wir gewiß nichts. Wir haben auch dieSbezüglick uiisre bestimmten parlamentarische» Forderungen. Sie sind scbr bescheiden, denn wir wissen, daß die Schwierigkeiten in der kapitalistischen   Gesellschaft liegen und daß der kapitalistische Staat sein eignes Wesen nie verleugnen wird. Wir revolutionäre Social- demokraten sagen deshalb auck den Arbeitern in aller Einfachheit: Diese? und'jenes wäre vielleicht jetzt schon zu erreichen, es ist gewiß sehr gering, aber wir stehen eben vor der kapitalistischen  Klassenherrschaft, und der einzige bündige Schluß ist wiederum, daß wir die politische Macht erobern müsse»; auf jeden Fall stärkt enre Organisationen, denn darin liegt die einzige Macht, die ihr jetzt und in der Zukunft Unternehmern entgegensetzen könnt." Aber da kommt P o s s i b i l i st mit der Miene des großen Praktikers, dreht Zauberstab der Gesetzgebung in den Fingem und nimnit sich spielend all« Schwierigkeiten jgi lösen. Er kennt eben den dee den vor, diese Schwierigkeiten nicht. Er ist der schlimmste Utopist, ein Utopist der Gegenwart, weil er die kapitalistische Wirklichkeit verkennt. Da« Ergebnis ist selbstverständlick. daß er sich in den Maschen seiner eignen GesetzeSmacherei verstrickt und zu Fall kommt. Interessant ist aber, wie daS gegenseitige Verhältnis sich ändert: Erst erscheinen wir ja als Pessimisten, und unser Possibilist als Optimist, zum Schluß wird es gerade umgekehrt. So konnte z. B. da» Gesetz M i Ii e r a n d nur von jemand ge- schrieben werden, der an den ArbeiterstreikS völlig verzweifelt. Nur weil er von ihnen nicktS mehr erwartet, giebt er sie so leichten HerzenS preis, um dafür ein gewisses kapitalistisches Wohl« wollen für die gefügigen Arbeiter einzutauschen. Wir aber, weil wir die Illusionen nicht wollen, ersparen unö die Enttäuschung. Wir verzweifeln keinen Augenblick, in den Schwierigkeiten sehen wir nur einen Anreiz zur größeren Agitation und O r g a n i s a- t i o n und wir rufen den Arbeitern zu: Stärkt eure Gewerkschaften! Stärkt die p o l i t i s ch e O r g a n i s a t i o n! Ihr braucht nicht zu verzagen und auch nicht zum Versöhnungsfest mit euren Feinden zu rüsten. R ü st e t z u m K a m p f I Parvus. »» » Zum obigen Artikel sendet Genosse Parvus folgenden Nach- trag:Ans'dem mir nunmehr vorliegenden, genauen Wortlaut de? Millerandschen Gesetzentwurfs ergiebt' sich, daß vom Unternehmer während des Streiks engagierte Leute nicht mehr über den Streik mitzubestimmen hätten'. ES sollen nämlich nur jene da? Stimmrecht haben, welche an der letzten Löhnung vor dem Streik teilnahmen. Der Unternehmer mutz also, um den Streik niederzustimmen, beizeiten vorbeugen. Er kann das sehr bequem thun. da ihm das Gesetz, wie ich in meinem Artikel gezeigt habe. einen Spielraun, von mindestens neun Tagen, der bei einiger G-'- sckicklichkeit leicht um noch etliche Tage vermehrt werden kann, frei- läßt. Kuck bleibt es ihm unbenommen, durch eine A u s sp e rru n g in jedem Augenblick sich den Strcikbestimmnngen zu entziehen, und eS geschieht ihm überhaupt nichts, wenn er sie verletzt." Erst kürzlich konnten wir das Schauspiel sehen, wie der Genosse Parvus gegen ein Gesetz von Millerand in der schärfsten Weise loszog, daS den Arbeitern Männern, Frauen und jugendlichen Arbeitern in gemischten Betrieben in wenigen Jahren den Zehn stundentag sichert, nur, weil der Zehnstundentag nicht sofort, sondern schrittweise zur Einführung gelangt. In Frankreich   herrscht über die Nützlichkeit dieses Gesetzes unter den Arbeitern heute kein Streit mehr. Auch gegen diesen neuesten social- reformatorischen Entwurf, der ja ganz unabhängig von den An-- schauungen über socialistische Minister geprüft werden müßte, wütet Parvus in einer kaum noch ernst zu nehmenden Weise. Ohne auf alle Einzelheiten des Millerandschen Gesetzentwurfs heute eingehen zu wollen, wollen wir die Ausführungen des Genossen Parvus nicht unerwidert lassen; die von ihm beliebten Ueber- treibungen und Aufbauschungen fordern geradezu gebieterisch eine Zurückweisung in vernünftige Grenzen. Uns liegt jetzt der Wortlaut des Gesetzentwurfs vor und wir wollen von vornherein zugeben: das von Millerand in LenS e»t- wickelte Programm ist nicht ganz erfüllt. In LenS wurde versprochen: das obligatorische SchiedS- gerichtSverfahren und die obligatorische Organisation deS Streiks nach den Gesetzen der Majorität. ES ist dem socialistischen Handelsminister anscheinend nicht gelungen, seme bürgerlichen Kollegen für daS weitergehendere Lenser Programm zu gewinnen. Es fragt sich nun, ob trotz des fakultativen Charakters das Gesetz nicht doch der Arbeiterklosse erheblichen Vorteil bringt, oder ob das Projekt wirklich, wie es Parvus thut, von Grund aus zu verwerfen ist. In erster Linie bemängelt Parvus, daß so lange Zeit verginge, ehe die Arbeiter in den Streik zu treten vem, ächten. Wer noch auf dem längst aufgegebenen Standpunkt steht, daß Streiks ihrer selbst willen ihresagitatorischen Werts" wegen geführt werden müßten, der mag dies bedauern. Die Erfahrung der wirtschaftlichen Kämpfe lehrt aber, daß die unvorbereitetenwilden Streiks", hervor- gerufen durch dieFlanime der Begeisterung", gewöhnlich mit einem Fiasko enden. DieEinschränkung der Streiksreiheit" wird heute schon bei allen größeren Gewerkschaften durch StreikreglementS durchgeführt. Parvus bestreitet ferner, daß das Gesetz den Arbeitern die Streik Pflicht auferlege. Diese seine Behauptung stützt er auf eine Reihe von Voraussetzungen, die er nach Einsicht des Wortlauts des Entwurfs selbst nicht mehr aufrecht erhalten kann. Parvus� hätte gut gethan, nach Kenntnisnahme des Entwurfs seine ganzes Kritik einer eingehenden Revision zu unterziehen. ES ist selbstverständlich, daß die Streikpflicht nur dann eintreten kann, wenn die Mehrheit sich dafür entscheidet. So will es da? demokratische Princip. Daß im entgegengesetzten Fall, wenn nänilich die Streiklustigen in der Minderheit bleiben für vieselben die Pflicht des WeiterarbeitenS eintritt, ist so selbstverständlich, daß eS der langen und breiten Beweis» führuug Parvus' dazu wahrhaftig nicht bedurft hätte, die« klar zu machen. Mit der für Parvus ganz schrecklichen Arbeitspflicht" wird er sonst niemand schrecken. Seine heran» gezogenen Zahlend cispiele haben absolut keinen Wert; sie sind, wie er ja selbst zugiebt, durch geringfügige Verschicbungen ebenso gut für die entgegengesetzte Anschauung nutzbar zu machen. Mit der geheimen Abstimmung soll die Zertrümmerung deS Masse»willens, die Desorganisation und E n t»< m u t i g u n g der Abstimmenden beabsichtigt sein. Auf der gleichen Höhe mit dieser Uebertreibung steht die Schwärmerer Parvus' für die öffentliche Stimmenabgabe. Wir glauben ähnlichen Argumenten schon mehrfach in den Spalten der»Kreuz- Zeitung  " und andren reaktionären Blättern begegnet zu sein. Besonders unglücklich ist Parvus darüber, daß das Gesetz die Zahl der Streikenden vermindere. Allerdings hat da? Gesetz den auS- gesprochenen Zweck, die gewerblichen Streitigkeiten möglichst durch das Einigungsverfahren zu beseitigen, die wirtschaftlichen Kämpfe- auf ein Minimum zu beschränken. Kommen Arbeitsniederlegungen aber vor, so kann die Zahl der Streikenden nach den Bestimmungen des Gesetzes in eben so vielen Fällen erhöht werden; alles kommt eben auf die Abstimmung an. Außerdem: Wer Einblick in die Kämpfe der Gewerkschaften hat, weiß, daß ein allgemeiner weit aus»! gedehnter Streik den Unternehmern in der Regel viel willkommener ist» als der Kleinkrieg sBranchenausstände, Werkstätten«, Baustreiks). Der allgemeine Streik schweißt die Unternehmer zusammen, leert auch viel schneller die Kassen der Gewerkschaften.| Geradezu verblüffend wirkt die Art, wie Parvus eS unternimmt, Situationen auszumalen, die angeblich infolge des Gesetzes eintreten würden. So läßt er die Streikversammlung in ein wahre» Tohu» wabohu ausarten, nicht die Vernunftsgründe entscheiden, sondern Mo Faust. Man reißt sich die Stimmzettel aus der Hand, und schließlich wandert die halbe Versammlung ins Gefängnis. So wenig wir also den Ausführnngen Parvus', der den Entwurf in einer Manier abthut, wie Eugen Richter   den ZukunftS« st a a t, beistimmen können, so wollen wir doch gern zugeben, dast das Gesetz gewiß manche UnVollkommenheiten enthält. ES handelt sich hier um ein Experiment, dessen Mängel wohl erst damt richtig in die Erscheinung treten werden, wenn eS in die Praxis umgesetzt sein wird, aber es ist ein Experiment so interessanter und fruchtbarer� Art, daß die Kritik mir in nüchtemer, ernster Weise einsetzen sollte. Wir möchten für heute nur auf einiae Mängel kurz hinweisen.