Das wach ferne Lohnöfefetz.Von Pierre H a m p.Turgot sagt:„In jeder Art Arbeit muß es geschehen undgeschieht es auch wirklich, daß sich der Lohn des Arbeiters auf dasbeschränkt, wessen er bedarf, um sich zu erhalten." FerdinandLassalle hat den Satz wiederholt und als Gesetz aufgestellt.Aber das„eherne Lohngesetz" scheint den Lebensbedingungen desArbeiters nicht mehr zu entsprechen, vornehmlich nicht in denkatholischen Gegenden.Lassen wir die Theorie und treten wir durch ein Beispiel indie Praxis ein:Der Lohn eines Arbeiters einer mechanischen Weberei in Nord-krankreich beträgt im Durchschnitt 3 Frank 50 Centimes bis 3 FrankCentimes täglich. Damit aber dieser Lohn, der für alle gleichund beständig ist, sich den Subsistenzkosten des Arbeiters anpasse,wäre eS notwendig, daß die Bedürfnisse der Arbeiter in der ganzenKorporation gleich und beständig seien. Sehen wir da einmalnäher zu:Vor seiner Heirat legt der Arbeiter, vom Lehrling bis zumWebstuhlführer, die Lohnleiter von 1 Frank bis 3 Frank 50 Cen-times zurück. Diese letzte Sprosse erreicht er mit achtzehn Jahren.Verheiratet er sich dann mit einem Fabrikmädchen, das als Garn-winderin oder Spulerin 2 Frank bis 2 Frank 50 Centimes verdient,dienen die vereinigten Löhne den durch die Einrichtungskosten derWirtschaft vermehrten Ausgaben.Kommt das erste Kind, nimmt das Paar seine Ersparnisse inAnspruch, wofern deren vorhanden sind. Es kommt nicht mehraus. Indes hilft ihm das Wohltätigkeitsbureau mit einem Wickel-zeug und die Frau des Unternehmers, die zum Komitee der Pfarregehört und die Wöchnerinnen besucht, gibt auch etwas Wäsche, Nah-rungsmittel und einen kleinen Geldbetrag her.Wir sehen also: schon ist der Lohn zur Erhaltung des Kindesdes Arbeiters unzureichend oder eben noch knapp zureichend. DieWohltätigkeit gesellt sich dazu. Wenn die Mutter vom Kindbettaufgestanden ist, ernährt sie das Kind in der Krippe der Weberei,wohin sie zurückkehrt, um � ihre 2 Frank bis 2 Frank 50 Centimesweiter zu verdienen. Sobald es entwöhnt ist, gibt sie es, nach demherrschenden Brauch, in Obhut. Die Pflegerin bekommt 5 Frankwöchentlich. Der Spulerin, die weiter in die Fabrik geht, bleibennach sechs Arbeitstagen noch 7 bis 8 Frank Uebcrschuß.Es kommt das zweite Kind. Wieder sieht man die Baumwoll-windeln, die Wohltätigteitsdame, den Priester, die barmherzigeSchwester. Zur Taufe gibt's 10 Frank.„Ja, diese Leute tun viel Gutes."Die Pflegerin bekommt 0 Frank wöchentlich für die zweiKinder. Soll die Spulerin noch in die Fabrik? Nach dem zweitenKinde gehen viele nicht mehr hin. Nach dem dritten kann es keinemehr. Sie werden, wenn sie können, Pflegerinnen für die erstenund zweiten Kinder der anderen und verrichten irgendeine derHeimarbeiten, die 50 Centimes täglich einbringen.Wo bleibt da das Paradies des ehernen Lohngesetzes? Reichtder Lohn zur Erhaltung der zwei Kinder hin? Nur noch der Vaterarbeitet regelmäßig. Die Last wächst weiter durch die unmäßigeFruchtbarkeit der Arbeiterfamilie, die sechs Kinder in zehn Jahrenergibt. Wenn das sechste kommt, arbeitet das erste noch nicht. DerLohn des Vaters kann nicht wachsen. Das ist kein Lohn, der durchdie größere Geschicklichkeit des im Beruf erwachsenen Arbeitersgesteigert wird. Der Webstuhl schlägt für den Mann von fünfund-zwanzig Jahren genau so viele Schläge wie für den Vierzig-jährigen.Stellen wir also das wächserne Lohngesetz fest:Der Lohn der Arbeiter strebt einem Betragzu der nur zum Unterhalt desjenigen ausreicht,der die geringsten Bedürfnisse hat.Das willkürliche Geschenk ergänzt die zum Leben notwendigeQuantität bei denen, die gezeugt haben.Man sieht, daß an Stelle des starren, auf das theoretischeNiveau der Bedürfnisse eines ganzen Berufs gegründeten ehernenLohngesetzes das streckbare wächserne Lohngesetz auf- und abwellenddie vielgestaltige Wirklichkeit erfüllt.Daß der Lohn nur den unmittelbaren Bedürfnissen des Ar-beiters genüge— aber daß er ihnen wirklich genüge, erscheinthier als ein Glücksfall. Man kann dann nur auf eine strengewirtschaftliche Abhängigkeit schließen. Aber die Arbeiter-familie in einer dauernden Unzulänglichkeit des Lohnes zu erhalten,Die rabakarbeitenii.Ich fühle täglich in meinen Känden rauschen die totenBlätter lebender Felder,über denen eine große Sonne steht, die ich nicht kenne.Nur ihr Atem glüht mir entgegen aus dem Dust trockenerBlätter,deren Rascheln zwischen meinen schnellen Fingem wieleises Weinen ist.Wie das leise, trostlose Weinen mutterverlassener Kinder.And ich denke an mein Kind zu Äause, das ich jeden Morgenverlassen muß,um hier im großen Fabriksaal jahrein, jahraus aus dengemordeten KindernFremder Länder Spielzeug zu formen für Millionen Lippen.Viele, unzählige, vielleicht Meere ausfüllende Blätterrollen aus meinen Künden.Blätter, die in ihrer Keimat nicht die Blüte und Fruchtihres Mutterstrauches schauen dursten.And ich schaue mein Kind,wie es unter teilnahmslosen Menschensich nach der Mutter sehnt,deren sorgenden Leib es nur des Nachts neben sich fühlt.O ihr arneu, armen Blätter und du mein armes,armes Kind!Kier sitzt eine, die eure tote und lebende Sehnsucht kennt,die in der Einsamkeit ihrer Gedanken eurem nahen und' fernen Weinen lauschen muß.Alle Tage, viele lange Stunden.Alfons Petzold.bedeutet soviel wie ihre geistigeUnabhängigkeit unter-drücken!Der Unternehmer kann sagen:„Arbeite für mich oder stirb!"Aber der Wohltäter setzt hinzu:„Denke wie ich oder stirb, trotzdem du ar-b c i t e st!"Und der wohltätige Unternehmer kulkuliert seinen Gewinnfolgendermaßen:Durch die Wohltätigkeit erzeuge ich im Geiste meiner Arbeiterdie für die Industrie so wertvolle Gefügigkeit. Sie bringt mirBeruhigung. Ueberdies ist der Widerstand gegen das Elend nichtbei allen gleich groß. In der einen Familie mit zwei Kindern,wo der Vater 3 Frank 50 Centimes Lohn bezieht, können die zweiKinder dank der Sorgfalt und der Kraft der Mutter leben bleiben.In einer anderen sterben sie, wenn meine Frau nicht zu Hilfekommt. Mein Profit ist gegeben durch die Zahl der Familien, womeine Frau, der Herr Abbe und meine barmherzige Schwester nichtoder weniger häufig eintreten.Die katholische Kirche, die den Geist der Wohltäsigkeit erzieht,erscheint hier als eine vollkommene Versicherungsanstalt gegen hoheLöhne. Man braucht nur den Brief des Kardinals M e r r h d e lV a l an Herrn d e M u n zu lesen, den der„Temps" am 23. Ja-nuar 1013 veröffentlicht hat:„Es gibt in der sozialen Lehre der katholischen Kirche delikatePunkte, über die man im klaren sein muß, wenn man will, daßdie auf die Volksmassen unter dem dreifachen Gesichtspunkt derReligion, der Moral und der materiellen Wohlfahrt auszuübendeAktion nicht nur, wie dies notwendig ist, durch die Wahrheit regiertwerde, sondern sich nicht gegen diese umkehre, um sie zu verfälschen.Sieht man nicht zum Beispiel dort, wo der Geist fehlt, den SieIhrem Werk aufzudrücken verstanden haben, das Reich derGerechtigkeit übermäßig zum Rachteil der Räch-stenliebe erweitert...?"Durch den Gegensatz des Geistes der Nächstenliebe gegen denGeist der Gerechtigkeit, der Wohltat gegen den Lohn erscheint daseherne Lohngesetz als ein noch nicht erreichter Fort-schritt. Es ist indes nicht allein der Geist der katholischen Kirche,der ihm widerstrebt. Das von dieser begonnene Werk kann ohnesie fortdauern. Ein Unternehmer sagt zum Beispiel:„Ich werde in Zukunft meine Wohltätigkeit selbst in die Handnehmen. DaS macht die Arbeiter an die Firma anhänglich."Dieser Spender will nicht, daß sein Geld durch die Hände derGeistlichen den Arbeitern seines Konkurrenten zufließe. ES wirdTendenz der Unternehmer, sich selbst zu versichern.Ihre Sicherheit fordert, daß in den Subsistenzkosten des Ar-beiters die Lohnsumme geringer sei als die Summe der Wohl-tätigkeit._Von der Bntartungder bürgerlichen prelle.In Wien ist vor kurzem eine Prostituierte, Fräulein MarieSchmidt, ermordet worden, und die Angehörigen haben diesenTodesfall, wie üblich, ihren näheren Bekannten und Verwandtendurch eine private Karte angezeigt. Sonderbarerweise aberhat das„Neue Wiener Journal" die private Karte einerschwer getroffenen Familie an die Oeffentlichkeit gebracht.Die Karte hat folgenden Wortlaut:„Was wir bergen in den SärgenIst der Erde Kleid,Was wir lieben, ist uns geblieben,Bleibt uns in Ewigkeit.Es hat Gott dem Allmächtigen in seinem unerforschlichenRatschlüsse gefallen, unsere innigstgeliebte, unvergeßliche Tochter,respektive Schwester, Schwägerin und Tante, Fräulein MarieSchmidt, Sonntag, den 20. Juni 1013, um �3 Uhr früh, im26. Lebensjahre in ein besseres Jenseits abzuberufen.Die irdische Hülle der teuren Verblichenen wird Mittwoch,den 2. d. M.. um 2 Uhr nachmittags, in der Kapelle des k. k. All-gemeinen Krankenhauses feierlich eingesegnet und sodann aufden Zentralfriedhof übergeführt, daselbst nach nochmaliger Ein-segnung im eigenen Grabe zur ewigen Ruhe bestattet. Dieheiligen Seelenmessen werden in mehreren Pfarrkirchen gelesenwerden.Wien, 1. Juli 1013.Die tieftrauernde Mutter, Geschwister und Verwandte."Oftfeeabenteuer.Von Otto Fiale.Die Szenerie ist ein mecklenburgisches Ostseebad. Keines vonden großen, die innerhalb einer Saison die Einwohnerzahl einerStadt wie Weimar zu Gast empfangen, sondern eines von den ganzkleinen; Kurliste 2000 Personen, Kurtaxe 3 M.; macht, da dieVorübergehenden nicht mitrechnen, 6—7000 M. Einnahme. Dafürdarf man kein Kurorchester verlangen und begnügt sich, einmalwöchentlich, mit dem Konzert des xten mecklenburgischen Artillerie-regiments, das allerdings in Uniform spielt!Weder begegnet man am Strand den eleganten BerlinerSchwerenötern, noch in den Anlagen interessanten alleingehendenDamen, nach denen Herren sich umdrehen— alles Familien. Mittel-stand, der seine Kinder nicht von koketten Bonnen, sondern vonbraven Landmädchen beaufsichtigen läßt. Zwar den Herren nachkönnte man auch höher hinauf taxieren; Jachtklubmiitze und nord-deutsche Schneidigkeit verwischen die Spuren des Milieus. Herrensind überhaupt schwerer zu taxieren. Aber die Frauen bieten Hand-haben.Der Strand liegt ganz einsam, weder Mole noch Hotel. Einhölzerner Landungssteg schiebt sich weit ins Meer, wie die Stegeauf HoksaiS Bildern. Die zierliche Buchtung deS flachen UferS, diegefächerten Wipfel der Kiefern auf der hohen Düne vervollständigenden japanischen Eindruck. Man muß durch den Wald, um zum Ortund zu den Menschen zu gelangen, an die vom nahenden Schiffeaus nichts erinnert als Strandkörbe, blaßgrün und sanftrosa. undvom Wind gestraffte Fähnlein.(Denkt man sich glühende Papier-laternen und den aufgehenden Vollmond, selbst ein tiefgoldenesLampion hinzu, so ist es ein Strandfest.)Der Ort wirkt wie eine Siedlung in Kanada. Zwischensäumenden Wäldern ist ein tüchtiges Stück Land urbar ge-macht, ein lichte? Biereck in dunklem Rahmen, quer voneiner Linie durchschnitten, der Fahrstraße, an der die Bauernihre niederen strohgedeckten, weißgekalkten Hütten aufgereihthaben. Wo keine Häuser stehen, wogen gelbe Getreidefelder, drehtsich eine Mühle, grasen Kühe, die Tiere mit den impressionistisch ge-fleckten Leibern, auf grünen Wiesen. Die Steige längs den Häusernsind mit Birken bepflanzt. Die weißen, schlanken Stämmchen, daszitternde Laub, erinnern mich an etwas; ich finde es nicht. Sieheimeln mich mit ihrem sanften Grün, daS auch im Sommer etwasFrühlingShafteS hat, in einer ganz bestimmten Weise an: woempfand ich das schon einmal, daß der Sommer nichts Reifes,sondern etwas Zartes, Ephebenhaftes hat? Nun weiß ich es:Wir gestatten uns nun zunächst die Frage:„Seit wann werdenoerartige streng private Karten in die Oeffentlichkeit ge-bracht? Und seit toann tut man das gar, wenn die tiefgebeugtenMenschen nicht nur von einem Todesfall, sondern sogar voneinem Mord betroffen wurden?"In Berlin müßte selbst das gemeinste Blatt der jour-lnalistischen Gosse seine schwerwiegenden Gründe haben, um soden Schmerz einer gebeugten Mutter in die Oeffentlichkeit hinaus-zuzerren.Also wird ja wohl auch das„Neue Wiener Journal"seine Gründe gehabt haben.Welches sind diese Gründe?Wir würden in die Sphäre des„Neuen Wiener Journals" hin-absteigen, wenn wir die religiöse Ausdrucksweise dieser Trauer«karte irgendwelcher öffentlichen 5lritik unterwerfen wollten. Wieeine Mutter sich mit dem Schmerz um ihre ermordete Tochter ab-findet, ist ganz und gar ihre Sache.Wie es eine Roheit ist, diesen Schmerz an die Oeffentlich-keit zu ziehen, würde es auch eine Roheit sein, seine Ausdrucks-formen kritisieren zu wollen.Wir dürfen aber aussprechen, daß niemand diese Trauer-karte lesen kann, ohne daß sofort der Lebenswandel der Ver-storbenen vor ihm aufsteigt und zu der Karte einen im Sinne derSktmdalpresse„pikanten" Gegensatz bildet.Wenn es sich um die landläufige Todesanzeige eines gewöhn-lichen Bürgermädchens gehandelt hätte, wäre die Karte in keinerWeise interessant gewesen und selbst das„Neue Wiener Journal"wäre nie auf den Gedanken gekommen, sie in die Oeffentlichkeitzu werfen. Weil es sich aber in diesem Falle um eine Prosti-tuierte handelte, tritt der eben erwähnte Gegensatz ein, der dieKarte„pikant" macht.Um also diesen„pikanten" Gegensatz zu erreichen, schändet das„Neue Wiener Journal" nicht nur den Schmerz einer vernichtendgetroffenen Mutter, sondern jedes menschliche Gefühl überhaupt.Man sollte meinen, daß sei schon allerhand; aber es kommtdoch noch ein ganz Stück besser.Im unmittelbarew Anschluß an die religiöseTraueranzeige bringt das Blatt einen sachkundigen Artikel überdie„Spezialität" der Verstorbenen, dem wir folgenden PassuSentnehmen:„Mizzi Schmidt war von braven Eltern liebevoll gehegtund gepflegt, denen sie einfach davonging, um sich„auf dieeigenen Füße" zu stellen, was sich für sie im unermüdlichenLaufe der Erlebnisse am rentabelsten durchs„Fallen" ergab.In keinem Sinne also eine„arme Verlorene", nein, ein ganzeigener Typus, eine„Kapitalistin von der Straße", die ihr„Bankdepot" hatte, eine„Liebeshändlerin" ganz eigener Sorte,die nämlich bald ein„stabiles Geschäft" betrieb, bald„hausieren"ging oder auch, wenn es sich gerade so traf, beide Geschäfts-arten miteinander vereinigte. Sie hatte nämlich zuzeiten ihr„festes Verhältnis", ihren„sicheren Verehrer"— und einerderselben hatte ja mit 20 000 Kronen den Grundstock ihres Ka-pitalbestandes angelegt— und dann kultivierte sie wieder dieStraße und den Detailhandel der Liebe a la rninute. Alles mitwohlüberlegtem Geschäftssinn."Ziehen wir also die Summe:Tie trauerbedrückte Mutter versendet eine private Karte, inder sie ihren Schmerz in religiösen Formen ausspricht und allesGewesene schonend übergeht.Das„Neue Wiener Journal" zerrt diese Karte einerMutter in die Oeffentlichkeit, was an sich bereits eine Roheit ist.Aber damit nicht genug: es serviert als ersten Gang denSchmerz der Mutter und dann als zweiten Gang eine pikantePlauderei über die Dirnengeschäfte der Tochter.Wenn das nicht heißt das journalistische Geschäft(von einemjournalistischen Beruf kann in diesem Zusammenhange überhauptnicht die Rede sein) zu einer schonungslosen Leichen-Plünderung herabwürdigen, wollen wir gerne bekennen, daßunsere altmodischen Wertungen offenbar nicht mehr in die moderneWelt hineinpassen.Wenn aber die Presse auf diese Weise nach niedrigen Sen-sationen jagt, braucht man sich nicht zu wundern, daß mich die g e-treuen Abonnenten desgleichen tun.Nachdem das„Neue Wiener Journal" die Trauerkarte diesesMordeS so intelligent ausgeschlachtet hat, bringt es schließlich einenArtikel, aus dem wir zitieren:im Norden, im hohen Norden, wo die Sommernächte hell bleiben,und nun weiß ich auch, es find nicht nur die schlanken, ftauenhaftenBirken, die zu meiner Erinnerung sprechen, es sind vor allem dieBauernhütten und dazwischen die Holzvillen mit den vorgebautenVeranden, in denen die Leute zu ebener Erde frühstücken und denVorübergehenden über das Vorgärtchen hinweg zurufen— russischeDatschen sind es läng? einer Ueberlandchaussee. wie sie vor denTöven Petersburgs sich an der Wiborger Landstraße bis an diefinnische Grenze hinziehen.lind nun die Menschen. Wenn man den Tag in vier Mahl-zelten zerlegt, bleibt nicht viel von ihm übrig. Von 8—0 Frühstück,von 12—1 Mittagessen, von 4—5 Kaffee tnd von 7—8 Nachtessen:dazwischen kann man gerade ein bißchen spazieren gehen, ein Badnehmen und einen Brief schreiben. Im Anfang schien eS mir, alssäße die Familie gegenüber, die ich so schön durch Zimmer undHinterfenster bis zum Wald sehen konnte, noch viel öfter und längeram ewig gedeckten Tisch, aber eS war eine Täuschung.Die fünf Mitglieder schienen nur fünfmal so lange zuessen, und das Decken und Abräumen durfte ich dochnicht mitrechnen, wenn auch der Lärm derselbe war. Rechnete iches fteilich mit, so daß z. B. folgende Ordnung herauskam:7—8 Tischdecken, 3—0 Essen, 0—10 Abräumen, 11—12 Decken,12—1 Essen usw., so ist eS erklärlich, daß ich in eine Art Ver-folgungswahn geriet und eines TageS in den Spiegel sah, ob ichnicht meinerseits zu wenig aß und der Abzehrung entgegenging.Und eines Tages konnte ich daS glückliche Familienleben, be-ruhend auf der Grundlage eines einträchtigen H-ißhungerS.noch aus größerer Nähe studieren. Meine Veranda wurde plötzlichdurch ein Stück Le-nwand zwischen vier Leisten, eine ArtunbemalteS Riesengemä lde, in zwei Hälften geteilt, und eSwar daS schönste Nebeneinander zweier Lager hergestellt.Wie überhaupt die ganze Häuserreihe eine verblüffende Aehnlichkeitmit einer Reihe von„cbamdro shparees" bot, von denen die Vorder-wand hinweggenommen war, damit die Vorübergehenden einen Spaßhatten— aber ich wette, keiner empfand die Komik des Bilde».Hinter der Leinwand begann auf meiner Veranda ein angeregtesund aufgeregte? Familienleben, und wenn ich auf meinem Diwanlag. war eS nicht anders, als sei ich dabei. Ein leibhaftiger Konsulaus Hamburg mit seiner Tochter. Wie kam der Mann hierher?Nichts leichter, als es herauszubekommen, da er selber genug darüberschimpft! eS schien ein heftiger, cholerischer Herr zu sein. Ein kleinerRoman. Die Tochter hatte sich mit einem Künstler verlobt undüber den Schwierigkeiten, die der alte Herr machte, waren dieSommerwochen vorübergegangen. Dann hatte er nachgegeben undnun war er hier, weil doch A r t u r, der doch wochentags an irgend-