6 Für unsere Kinder Ihr werdet umkommen, her zu mir!' Und sofort, ohne ein Bewußtsein, ob uns jemand gerufen habe, noch wohin wir uns begeben mußten, sprangen die Alte und ich, wie von Federn emporgeschnellt, auf und stürzten durch den Rauch hinter einem Malrosen in einer blauen Jacke her, welcher vor uns eine Strick leiter hinaufstieg; ohne zu wissen warum, er stieg auch ich hinter ihm diese Leiter; ich glaube, daß wenn er sich in diesem Augen blick ins Wasser geworfen oder irgend etwas ganz Ungewöhnliches getan hätte, was es auch hätte sein mögen, ich ihm blind gefolgt wäre- Nachdem er ein paar Stufen erklommen hatte, sprang der Matrose schwerfällig von da aus eine der Equipagen, unter der es schon an gefangen hatte zu brennen. Ich sprang hinter ihm drein und hörte, wie auch die Alte hinter mir her kam; dann sprang der Matrose von dieser ersten Equipage auf eine zweite und eine dritte und ich immer hinter ihm her und so gelangten wir bis zum Schnabel des Dampfschiffs. Hier waren beinahe alle Passagiere ver sammelt. Die Matrosen ließen unter Leitung des Kapitäns eine unserer beiden Schaluppen ins Meer hinab zum Glück die allergrößte. Uber den anderen Bord erblickte ich die hell vom Feuer beleuchteten Uferselsen, welche sich bis nach Lübeck   hinziehen. Es waren gute zwei Werst(Kilometer) bis zu diesen Felsen. Ich konnte nicht schwimmen an der Stelle, wo wir auf eine Sandbank geraten waren, war es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht tief, aber die Wogen gingen sehr hoch. Und den noch, als ich erst die Felsen erblickte, bemäch tigte sich meiner die Zuversicht, daß ich ge rettet sei, und zum Erstaunen der mich um gebenden Personen sprang ich ein paarmal in die Höhe und schrieHurra!" Mich ver langte nicht, näher an den Platz hinzugehen. wo sich die Menge drängte, um zu der Treppe zu gelangen, welche zur großen Schaluppe führte dort waren zu viele Frauen, Greise und Kinder; und ich beeilte mich auch von da an, wo ich die Felsen gesehen hatte, nicht mehr: ich war überzeugt, gerettet zu sein. Ich bemerkte mit Erstaunen, daß fast keines der Kinder Furcht zeigte, daß einige derselben sogar auf dem Arme der Mutter eingeschlafen waren. Kein einziges Kind kam um. Ich sah in der Milte der Gruppe von Passagieren den großen General; von seinen Kleidern floß Wasser; er stand unbeweglich, gestützt auf eine in die Höhe gerichtete Bank, die er sich eben losgerissen hatte. Man sagte mir, daß er im ersten Augenblick sinnlosen Schreckens eine Frau brutal zurückgestoßen habe, die ihm zuvorkommen und eher als er in eins der ersten Boote springen wollte, die dann durch Schuld der Passagiere umstürzlen. Einer von den Beamten auf dem Dampfer hatte ihn in den Rock gepackt und mit aller Kraft ins Schiff zurückgeworfen. Der alte Soldat, der sich seiner augenblicklichen Feigheit schämte, hatte geschworen, nur als Letzter, nach dem Kapitän, das Schiff zu ver lassen. Er war von hoher Gestalt, blaß, hatte eine blutige Schmarre auf der Stirn und sah mit zerknirschtem, demütigem Blicke um sich, als wolle er um Verzeihung bitten. Nunmehr näherte ich mich dem linken Schiffs borde und sah unsere kleine Schaluppe wie ein Spielzeug auf den Wellen tanzen; zwei in der selben befindliche Matrosen luden die Passa giere durch Zeichen ein, den gefährlichen Sprung in dieselbe hinein zu machen aber das war nicht leicht:Nikolaus I." war ein Linienschiff, und man mußte sehr geschickt hinabfallen, um die Schaluppe nicht umzuwerfen. Endlich ent schloß ich mich; ich begann damit, daß ich mich auf die Ankerkette stellte, welche außen längs des Schiffes ausgespannt war, und war schon im Begriff, den Sprung zu machen, als eine dicke, schwere, weiche Masse auf mich stürzte. Eine Frau umklammerte meinen Hals und hängte sich regungslos an mich. Ich ge stehe, mein erster Impuls war, ihre Hände mit Gewalt über meinen Kopf zu werfen und mich auf diese Weise von der schweren Masse zu befreien: zum Glück folgte ich diesem Im puls nicht. Der Anprall hätte uns beide fast ins Meer geworfen; glücklicherweise baumelte aber gerade da vor meiner Nase ein Tauende, welches weiß Gott von wo herabhing und an das ich mich mit der einen Hand an klammerte, voll Unwillen, daß ich mir dabei die Hand bis aufs Blut wund scheuerte.... Als ich dann nach unten blickte, sah ich, daß ich und meine Last sich auf einmal über der Schaluppe befanden und... nun mit Gott  ! Ich glitt hinab... das Boot erbebte in allen Fugen.... Hurra! schrien die Matrosen. Ich legte meine Last, welche ohnmächtig war, auf den Boden des Bootes nieder und wandte so gleich mein Gesicht dem Schiffe zu, auf dem ich eine Menge Köpfe sah, namentlich von Frauen, die sich fieberhaft längs des Bordes drängten.