10Für unsere KinderNun frage ich dich, du deutsches Arbeiter kind: Sind diese Heldentaten wirklich desRuhmes wert? Erfüllt dich nicht Trauer undEntsetzen, wenn du liest von dem grauenvollenMorden und Schlachten der Völkerkriege?Und diese schrecklichen Dinge willst du inLiedern besingen? Besinne dich!Vielleicht entgegnest du mir:„Freilich sinddie Kriege schlimm und verabscheuungswürdig;aber wenn doch nun die Franzosen immeranfangen..Wen meinst du damit: die Franzosen?Das französische Volk? Liebes Kind, das Volksängt überhaupt keinen Krieg an, weder dasfranzösische noch das deutsche. DaS Volk haßtden Krieg, der seine Söhne mordet und seineTöchter zu Witwen macht. Frage deinenVater und deine Mutter; sie werden dir sagen,daß das deutsche und französische Volk sichlängst die Bruderhand gereicht haben. DieKriege werden von anderen Leuten gemacht,welche die Völker gegeneinander Hetzen, umden selbstsüchtigen Interessen der Reichen undMächtigen zu dienen. Das sind ihre„Helden"-taten! Nun könntest du mir noch eins entgegnen:„Aber es gehört doch Mut und Taserkeit dazu,sein Leben in die Schanze zu schlagen." Dasklingt nicht übel. Sein Leben in die Schanzeschlagen; aber das allein tut's nicht. JederRäuber und Rausbold tut dasselbe und erntetmit Recht unseren Abscheu. Nein, es mußnoch etwas hinzukommen: Eine große undgute Sache muß der Preis sein. Wer dafürsein Leben wagt, der ist ein Held; der ver dient unser Lob. Nun will ich zwar nicht inAbrede stellen, daß auch unter den Kriegs helden manche gewesen sind, die für eine guteund gerechte Sache gefochten haben. An ihremRuhme soll nichts geschmälert werden; aberdann sollte man auch nicht vergessen, daßderselbe Ruhm jedem ihrer„gemeinen" Sol daten gebührt, der ebensogut sein Leben indie Schanze geschlagen hat.„Zehntausendentschliefen, die nie wachen auf..."Aber weg von den Stätten des Blutver gießens; ich weiß euch bessere„Helden". Undganz„moderne" dazu. Kennt ihr FridtjofNansen, den Nordpolfahrer? Er hat alles, waser hatte, Weib und Kind und Gut und Lebenan die Erreichung eines hohen Zieles gesetzt:Er wollte den Nordpol entdecken und hatunter ungeheuren Mühen und Entbehrungeneine Fahrt durch Nacht und Eis unternommen.Was dünkt euch, war er ein Held?Oder ein anderer: Der Graf Zeppelin. Erhat alles, was er hatte, an die Erreichungseiner Lebensaufgabe gesetzt; er setzte seinLeben ein für eine große Sache. Was dünkteuch, ist er ein Held?Aber ich weiß noch andere Helden undHeldinnen. Ihre Zahl ist Legion, und wennes euch auch erst wunderlich vorkommt, daßich in diesem Zusammenhang von ihnen spreche,so will ich's doch tun.Ich kenne eine Frau, die bringt den LeutenGrünwaren ins Haus. Ihr Mann ist seitzwanzig Jahren tot; sie hat drei Kinder, zweiSöhne und eine Tochter, alle wohlerzogenund jetzt in guten Stellungen. Die Frau hatkeine Hilfe gehabt und keine begehrt. Nach mittags geht sie seit vielen Jahren zum Waschenund Reinmachen aus. Was dünkt euch, istdiese Frau eine Heldin?Ich kenne«inen Mann; er ist Tischler;seine Frau ist seit langen Jahren krank, schwerkrank, so daß sie nichts verdienen kann. DieKinder gehen noch alle zur Schule. Der Ver dienst des Mannes ist gering; aber er hältden Kopf aufrecht; er opfert sogar mit Freudenseine wenigen Groschen für die Brüder derArbeit, seine Kameraden, die dafür kämpfen,daß der schmale Lohn erhöht wird. Wasdünkt euch, ist dieser Mann ein Held?.Ich kenne noch eine Frau. Sie geht in dieFabrik. Ihr Mann verdient nicht viel, undsie muß helfen, daß genug Brot für die Kinderins Haus kommt. Mittags hastet sie heim, umfür die Ihrigen das ärmliche Mahl zu bereiten.Der Feierabend bringt ihr kein Ausruhen. Siesorgt für Kinder und Mann, kocht, wäscht,flickt und stopft. Und ist sie mit allem ferrig,so liest sie. Sie liest eine Zeitung, sie liestSchriftchen und spricht darüber mit dem Vater.Und manchmal geht sie in Versammlungen,aus denen sie mit glänzenden Augen heim kehrt. Sie erzählt den Kindern von dem,was sie dort gehört hat und was ihr Herzbewegt. Mit der Zeit, die sie ihrem Schlafeabbricht, um zu lernen; mit den Pfennigen,die sie sich abdarbt, uni den Kampf der Ar beiter für ihr Recht zu unterstützen, will siedazu helfen, daß alle Menschen Wohlgefallenund Freude auf Erden haben sollen. Wasdünkt euch, ist diese Frau eine Heldin?Ach, meine Lieben, ich kenne noch sehr vielesolcher tapferen Männer und Frauen, die inder Stille ihren schweren Kampf kämpfengegen Not und Unglück, gegen Armut und Un wissenheit, gegen Unterdrückung und Unrecht.