Mtr unser« Kinder21Bauernhäuschen gewohnt, um daZ sich dieReben rankten und unter dessen Dach dieSchwalben lustig zwitscherten. Wie glücklichwar sie damals gewesen! Jetzt war sie traurigund einsam, trotz ihres großen Reichtums. Siewar traurig und einsam, weil sie kein Kindhatte. In ihren marmornen Hallen erschollniemals das Getrippel flinker Kinderfüßchen.In ihren großen, glänzenden Gemächern tönt«niemals ein Helles Kinderlachen. Das warihr Kummer, und weil das Gänseblümchensie an ihre eigene Kindheit erinnerte, mahntees sie auch wieder an ihre Sehnsucht nacheinem Kinde. In ihrem Auge erglänzte eineTräne. Sie beugt« sich nieder und preßte ihr«Lippen auf«ine der weiß und goldenen Blüten.Ter laute Ton einer elektrischen Glocke scheuchtesie aus ihren Träumen empor. Ihre erstenGäste waren angekommen. Schnell wischte siedie Träne aus ihrem Auge und ging ihrenFreunden lächelnd entgegen.Bald war das ganze Zimmer mit fröhlichenMenschen angefüllt. Da waren Männer inschwarzen Anzügen und Frauen in buntfarbi gen Kleidern mit Spitzen und Edelsteinen ver ziert. Dem Gänseblümchen gefielen sie un gemein.»Die sind noch schöner als Blumen,"dachte es.Bis spät in die Nacht hinein erklang Musikund Gesang und der Schall fröhlicher Stimmendurch die strahlenden Räume, und das Gänse blümchen fühlte mit Stolz, daß es an allder Pracht und Lustbarkeit einen Anteil hatte.Als die Musik endlich verstummt war, als alleGäste sich verabschiedet hatten und all« Lichterausgelöscht waren, dacht« es noch lang« nachüber das, was es gehört und gesehen hatte,und begeistert rief«s aus:»Wie schön ist dasLeben!" Das kleine, unerfahrene Treibhaus-pflänzchen wußte noch nicht, daß es auch vielLeid und Elend im Leben gibt; das sollte esindessen bald lernen.Am folgenden Morgen sah seine Umgebungviel weniger freundlich aus. Das Zimmer wardnur fahl beleuchtet von dem matten Tageslichteines trüben Wintermorgens, das sich durch dieFenster hereinstahl. Ein dumpfes Schweigenlastete auf dem großen, prächtigen Hause.Unser Gänseblümchen und die anderen Blumenin den Töpfen, ebenso wie die Rosen undNelken in den Vasen ließen ihre KöpfchenHöngen, denn es hatte noch niemand darangedacht, ihnen frisches Wasser zu geben, unddie Lust in dem Zimmer war dumpf undschwül. Spät, erst sehr spät am Vormittagtrat die Gastgeberin des vergangenen Abendsherein. Jetzt sah st« noch bleicher aus inihrem blaßblauen Morgenkleid, und es spieltekein Lächeln um ihre Lippen. Sie war einetraurige, kränkliche Frau, schon deshalb, weilsie nichts auf der Welt zu tun hatte. WenigeMinuten nachdem sie gekommen war, empfingsie den Besuch ihres Arztes. Er kam vonZeit zu Zeit zu ihr, nur um ihr zu versichern,daß sie nicht so krank sei, wie sie selber glaube.Er war ein freundlicher, lebhafter Mann,ebenso fleißig und vielbeschäftigt, wie dieseGesellschaftsdame untätig. Er fühlte ihrenPulS und verschrieb eine harmlose Arznei.Dann sagte er:„Nicht wahr, Frau Wetbach, Sie habenKinder sehr gern?"Di« Frau blickte schnell auf:„Gewiß; aberwarum fragen Sie mich?"„Ich frage Sie deshalb," antwortete derArzt,„weil mir eben einfällt, daß eine Frauwie Sie, die keine eigenen Kinder hat. wohldaran täte, den Kindern anderer Leute ihreLiebe zu schenken."„Wo soll ich anderer Leute Kinder finden,die meiner Liebe bedürfen?" Die Frau spraches in müdem Tone.Ernsthast erwiderte ihr der Arzt:„ES gibtihrer Tausende in dieser großen Stadt. Aberich dachte soeben an«in bestimmtes kleinesMädchen, das meine Patientin ist. WollenSie dies« Klein« aufsuchen, sich um sie be mühen und ihr Liebe und Güte erweisen?"Di« Frau nickte eifrig und lauschte aufmerk sam, während der Arzt fortfuhr:„Wenn Siezu ihr gehen wollen, so müssen Sie IhrenStaat zu Hause lassen und ein recht einfachesStraßenlleid anziehen, denn meine kleinePatientin lebt fünf Treppen hoch in einemvon vielen Familien bewohnten Hause, daSin einer schmalen, schmutzigen Gasse steht. Ineinem kleinen, armseligen Zimmer liegt sie aneiner Krankheit danieder, die erst nach Mo naten geheilt sein wird. Eigentlich sollte siein einem Hospital sein, aber ihre Mutter willsich nicht von ihr trennen, weil sie jetzt ihreinziges Kind ist. Sie halte noch mehr Kinder,aber die sind gestorben. Sie liebt ihr Kindüber alles, aber hat nur wenig Zeit, sich ihmzu widmen; denn Tag für Tag muß sie fürandere Leute waschen und bügeln. Der Vaterarbeilet vom frühen Morgen bis zur sinkendenNacht in einer Fabrik. Sie könnten viel fürdieses kleine Mädchen tun, Frau Wetbach.Wollen Sie zu ihm gehen?"