Jugend- Vorwärts
Freitag, den 2. Mai 1924
Auf zur Wahlarbeit!
Der Reichsausschuß der Jungsozialisten und der Hauptvorstand des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands veröffentlichen folgende Aufrufe:
Jungsozialisten!
Jugendgenossen und-genossinnen! Wo in diesem Kampf um die Existenz Deutschlands unsere Sympathien, unsere heißesten Wünsche stehen, ist jedem einzelnen von uns ohne weiteres flar. Wiederholt hat unser Verband in feierlichen Kundgebungen sich zur Demokratie und Republik bekannt. Wir wissen auch, daß die zuverlässigste Stüße der demokratischen Republik die Sozialdemokratische Partei ist. Die Sozialdemo fratie ist überdies die Partei unserer Bäter und Brüder, sie hat sozusagen Bate gestanden an der Wiege unserer Bewegung und uns zu allen Zeiten tatkräftig und opferwillig unterstützt.
Die Sozialdemokratie fämpft einen ihrer schwersten Wahltämpfe. Ihre Gegner laffen fein Mittel unversucht, die Machtstellung der Sozialdemokratie zu brechen. Sie fämpfen für die Wiederaufrichtung des alten Obrigkeitsstaates und wollen den Bruch mit Frant reich mit allen Konsequenzen. Gelingt es ihnen, einen großen Teil der Wählermassen zu gewinnen, dann ist es vorbei mit sozialem Fortschritt und mit der Anbahnung einer wahren Böiterverſtändi- ie war das Sprachrohr unserer Forderungen in den Parla
gung.
Die Sozialdemokratie erhebt im Wahlkampf die Fahne des Sozialismus und der einigen deutschen Republik. Unter dieser Fahne müssen wir Jungsozialisten in erster Linie kämpfen.
Wir rufen alle Genossen und Genoffinnen auf die Schanzen! Wir fordern den Einsatz aller Kräfte in diesem Wahlkampf für den Sieg der Sozialdemokratie. In ihr siegt der Wille zu wirtschaft lichem, politischem und fulturellem Fortschritt des deutschen Volkes in der Republif, in ihr fiegt der Sozialismus.
Auf in den Kampf! Jungfozialisten vor die Front! Der Reichsausschuß der Jungsozialisten.
Jugendgenossen und-genoßinnen! Wie Euch allen bekannt sein dürfte, finden am 4. Mai Reichstagswahlen statt. Auch darüber werden die meisten unter Euch im Bilde sein, daß bei diesen Wahlen für unser Bolf Ungeheures auf dem Spiel steht, daß qon ihrem Ausgang das Schicksal unserer nächsten Zukunft abhängt. Siegen die reaktionären, rechtsradikalen Parteien, dann ist es mit der deutschen Republik vorbei. Soeben erst wieder hat der Münchener Hitler - Prozeß gezeigt, daß im Norden wie im Süden einflußreiche Mächte unausgesetzt an der Unterminie rung unserer Staatsform arbeiten, daß sie systematisch den Hochverrat vorbereiten und, in zahlreichen Kampfbünden organisiert, mur auf ihre Stunde warten, um die Verfassung umzustürzen. Ihr Ziel ist die Wiederherstellung des wilhelminischen Obrigkeitsstaates mit allen seinen politischen und wirt schaftlichen Herrlichkeiten, mit seiner Diftatur der gepanzerten Faust und der schrankenlosen Ausbeuterwillfür der Unternehmerklasse.
Das einzige Hindernis, das sich auf staatlicher Seite bis jekt ihren Plänen entgegenstellte, war die republikanische Mehrheit des Reichstags. Fällt dieses letzte Bollwert, dann find im Handumdrehen die fümmerlichen Anfäße freiheitlicher Entwicklung, die uns die Novemberrevolution gebracht hat, beseitigt. Der Sieg der Reaktion bedeutet aber zugleich auch die Herausforderung der auswärtigen Feinde Deutschlands . Unfere Nationalisten und Rechtsparteien erkennen bekanntlich den Versailler Frieden nicht an und haben feinen Zweifel darüber gelassen, daß sie, so bald sie am Ruder wären, den Vertrag zu zerreißen gedenken. Die totfichere Folge würde bei der Wehrlosigkeit Deutschlands ein weiteres Vordringen der Besetzungsmächte sein, die völlige Zertrümmerung unserer Wirtschaft, eine Neuauflage der Hungerblockade, unfägliches Leiden und hoffnungsloses Elend für die breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung.
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Im Frühling des Jahres 1903 stürmte eine wilde Wahlbewegung durch Deutschland . In den vorausgegangenen Wintermonaten hatte die Sozialdemokratie im Reichstag einen aufrüttelnden Kampf gegen die brotverteuernde Zollmehrheit geführt. Nun eilten die fozialdemokratischen Führer durch die Wahlkreise, um für den Wahltag das Volk zu einer Abrechnung mit den gegnerischen Barteien auf zurufen. Die Versammlungen waren überfüllt. Ich, ein junger Handlungsgehilfe, und mein Freund, der Lehring im Bersandhaus des großen Modehauses war, fehlten nirgends.
menten: was es an gesetzlichem Jugendschutz in Deutschland gibt, verdankt die arbeitende Jugend der Sozialdemokratie. So weisen uns nicht bloß die Bluts- und Klassenverbundenheit und die gleichen Ideale, sondern auch unsere ureigensten Intereffen an die Seite der Sozialdemokratie, und soweit wir ihr in dem bevorstehenden schweren Kampf helfen können, fördern wir die eigene Sache.
Jugendgenoffen und-genoffinnen! Bei der Wahlentscheidung selbst Eure Stimme in die Wagschale zu werfen, ist Euch nicht vergönnt, Ihr seid noch nicht wahlberechtigt. Wohl aber seid Ihr in der Lage, bei der Vorbereitung der Wahlen, bei all den umfangreichen Arbeiten, die in der Zwischenzeit bis zum Wahltermin und am Wahltag selbst zu erledigen sind, mitzuwirken. Zu den Flugblattverbreitungen, der Stimmzettelverteilung, dem Ausschreiben von Listen und den vielen Gängen und Laufereien, die die Wahl mit sich bringt, werden gerade jugendliche Helfer mit ihrer förperlichen und geistigen Elastizität dringend gebraucht. Die Sozialdemokratie, die Partei des arbeitenden Boltes, ist auch die Partei der ärmsten Bevölkerungsschichten; sie verfügt nicht über die reichen finanziellen Mittel, mit denen ihre bürgerlichen Gegner den Wahlkampf bestreiten. Zur Hauptsache ist sie auf die selbstlose, zu jedem Opfer bereite Hingabe ihrer Anhänger angewiesen. In dieser Mobilmachung des Idealismus darf die organisierte Jugend der Klasse, darf unser Verband hinter den Alten nicht zurücstehen. An alle unsere Ortsvereine ergeht darum der Appell, sich der Partei zur Verfügung zu stellen. Der Verband erwartet von seinen Mitgliedern, daß jedes einzelne seine Schuldigkeit tut, denn diese Schuldigkeit bedeutet für unseren Bund nicht bloß die Abtragung einer Danfespflicht, sondern darüber hinaus die Betätigung im Dienst unseres wertvollsten Ziels, des Sozialismus.
Der Hauptvorstand des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands .
Es ist Pflicht eines jeden Menschen, von dem Augenblic an, wo er die Fähigkeit eines selbständigen Urteils erlangt, fich um die öffentlichen Angelegenheiten zu befümmern, weil die um die öffentlichen Angelegenheiten zu befümmern, weil die ganze foziale Existenz, die ganze soziale Entwicklung des einzelnen in höherem Grade von den Einrichtungen und zu ständen abhängt, die der Gesamtheit der Gesellschaft eigen find, als von seinem eigenen Willen und eigener Tüchtigkeit, eigenem
Können.
Bebel.
erste vor dem Eingang der weit abgelegenen Bersammlungshalle auf. Nicht lange blieben wir allein. Um 11 Uhr waren etwa ein Dutzend standfester Genossen da, bald nach Mittag waren es Hunderte und dann Tausende. Dabei ging seit dem frühen Morgen ein Landregen nieder! Der lehmige Hof hatte sich unter den vielen Füßen in einen Sumpf verwandelt. Auch bränate sich die Menge so dicht zusammen, daß an ein Aufspannen der Schirme nicht zu denkten war. Niemand hatte mehr einen tredenen Faden am Leibe. Aber feiner wich vom Fled. Ganz vorn, die Schulter an der geschlossenen Tür, hielten wir beide die fünf Stunden aus.
Endlich wurde der Eingang frei. Die Menschenmenge wälzte sich in die Halle. Mit einem Rundblid hatten wir den Stand des Rednerpultes erfaßt und steuerten mit Armen und Beinen unter Knüffen und Büffen darauf zu. Der Durchbruch gelang. Unmittelbar vor der rotbehangenen Rednertribüne erkämpften wir uns unferen Plaz. Nun mukte Bebel tommen. Suchend hafteten unsere Blicke auf dem Eingang. Wir brauchten nicht lange zu warten. Ein Sturm von Jubelrufen braufte von den Lippen der Arbeitsmänner und Arbeitsfrauen, als ihr greifer Führer den Raum betrat. Bir waren begeistert und ergriffen. Aber vergeblich schweiften unsere Blide über den Saal, um den Mann zu finden, der nach unserem Phantasiebild nun hochragend über allem Volke durch die Menge schreiten mußte. Erft als er auf der erhöhten Bühne vor uns stand, sehen wir ihn, den Bebel: einen Mann von fleinem Körpermaß, eisgrau an Bart und Haar, schlicht, und im Auftreten so ganz anders, als wir uns den Bannerträger der Arbeiterheere des Erdballs gedacht und ausgemalt hatten. Mit Ehrfurcht blickten wir auf den Mann. der vom Drechslergesellen zu einem der größten politischen Führer aller Beiten emporgestiegen war. Wir fahen in ihm die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie verförpert und übertrugen unsere Schwin gende Begeisterung für die Bartei und ihr Evangelium in schwär merischer Berehrung auf den Führer.
Das war nicht so leicht zu ermöglichen. Unsere Geschäftszeit dauerte bis nach 8 Uhr abends. Um diese Stunde wurden die weit entfernten Bersammlungsräume wegen großen Andrangs meist schon polizeilich abgesperrt. Sonntags follten wir um 11 Uhr morgens an unserem Kontorpult stehen, gerade wenn die sozialdemokratische Versammlung eröffnet wurde. So mußte den unter den verwegen. sten Ausreden geschwänzt werden. Bei fast jedem Berfammlungsbesuch fetzten wir unsere Stellung aufs Spiel Da, eines Tages, leuchtete von den Anschlagsäulen der Name August Bebel . Der sozialdemokratische Führer, volkstümlich mie fein anderer Abgeordneter in Deutschland , folite in einer öffentlichen Versammlung reden. Es wurden Einlaßkarten zu 10 Pfennig das Stück ausgegeben. Sie waren vergriffen, noch ehe mein Freund, der Stift, sich aus dem Geschäft zum Volkshaus stehlen konnte. Wohlhabende Leute opferten schwere Silbermünzen, ja ein Goldstüd, wenn sie eine Karte erlangen fonnten. So sah ich, wie am Lane der Versammlung ein Reisender unferes Geschäfts einem Beder 20 Mart für eine Einlaßkarte bot. Der Arbeiter aber, ein organisierter Sozialdemokrat, ging selbst in die Verfammlung. Er berichtete am Morgen danach, daß der Reisende am Saaleingang von der Aufficht hart angefaßt sei, meil er mit einer gefälschten Karte in den Während die Boltsversammlung erwartungsvoll des Beginnens Saal zu kommen versucht habe. Schon gaben wir die Hoffnung, harrie, wurde es auf dem Dach der niedrigen Halle lebendig. Staub Bebel zu hören, auf, als angekündigt wurde, daß er am kommenden und Ziegelstückchen fielen auf die Menge. Dachpfannen flogen auf Sonntag auch in einem industriellen Vorort sprechen würde. Ginlahden Hof. Arbeiter, die nicht mehr in den überfüllten Saal gelangen farten gab es da nicht. Man mußte sich seinen Blah in des Wortes fonnten, deckten das Dach ab. Schon sah man durch breite Lücken in wahrster Bedeutung erstehen. Daß uns dies gelingen müsse, stand die Regenwolten, und auf den Dachsparren turnten Männer, die von für uns beide angehenden Genossen fest. Auf 3 Uhr nachmittags war dieser Balerie" Bebel zu hören trachteten. Der überwachende der Beginn der Bersammlung angesagt. Um 6 Uhr früh waren wir Bolizeibeamte wurde unruhig. In gebietendem Amtston forder'e er mach, um 8 Uhr trafen wir uns, um 10 Uhr pflanzten wir uns als die Leute auf, das Dach zu räumen, da Lebensgefahr bestehe. Reiner
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Ludendorffs Generalstab entwirft Schlachtpläne gegen
die Arbeiter- Jugend!
An die jungen Sozialisten.
Bon Riara Bohm- Schuch.
Wieder wird Deutschlands Jugend aufgerufen zur Mitent scheidung für des Volkes und des Staates Zukunft. Sind sich alle jungen Menschen der Verantwortung bewußt, die sie mit der Er. füllung ihres staatsbürgerlichen Rechtes tragen? Gewiß nicht alle; denn wäre es so, dann könnte es deutschvölkische und kommunistische Jugend überhaupt nicht geben. Wir wissen aber, daß große Massen der Burschen, aber auch der Mädels, bei den extremsten Flügeln der Parteien stehen. Und warum? Im Grunde doch nur, weil sie alle die große Sehnsucht haben, aus der bleiernen Armut der Tage,
aus der grauen Not der Gegenwart in eine helle, sonnige Zukunft zu gehen, die der Jugend wieder die Freude am Leben gibt. Mag diese Sehnsucht auch verschüttet sein von Abenteurerlust, Haßgefang, Heldenanbetung, Kriegs- oder Revolutionsbegeisterung, sie ist dennoch der tiefste Quell alles jungen Seins. Darum hat alle Jugend etwas Gemeinsomes: den flammenden Willen zur Lat .
The jungen Sozialisten wißt, daß heute die Tat etwas anderes ist als in vergangenen Zeiten. Ihr habt gelernt aus der furchtbaren Menschenverwüstung des Krieges, Ihr lernt noch jeden Tag aus eigener und anderer Menschen Not, daß nicht neues, blindwütendes Zerschlagen, sondern nur ein mühseliges Wiederaufbauen uns eine Zukunft schaffen kann. Die Welt hat sich gemendet, eine neue Moral bricht sich Bahn und stellt die härtesten Anforderungen an die Selbstbeherrschung, an die Verantwortlichkeit jedes einzelnen und der Gesamtheit. Nicht das Dreinschlagen, sondern der unbeugfame Wille zur friedlichen Berständigung ist die höhere, wenn auch härtere Sittlichkeit. Ihr wollt die Berantwortung am Staat, weil Ihr wißt, daß die Freiheit im Staat nur möglich ist, durch stärkste innere Bindungen der Menschen. Ihr wollt Gerechtigkeit, darum führt Ihr als junge Sozialisten den Klassenkampf. Euch ist klar, daß Gerechtigkeit sich nur auf der Gleichberechtigung aller Glieder des Bolles aufbauen fann. Eure Tat ist Arbeit in zielflarem Wollen.
der so Angeredeten wich vom Plaz. Der Polizeibeamte wiederholte seine Aufforderung noch entschiedener. Die Dachgäste aber rührten sich nichy. Da ging der Beamte in rafchem Entschluß auf Bebel zu. Sie wedseiten ein paar Worte. Dann winkte Bebel lachend zu seinen Shr müßt heruntergehen, sonst darf die Parteigenossen hinauf: Bersammlung nicht stattfinden. Tut mir den Gefallen!" Im nächsten Augenblick ward das Dach geräumt. Der Kommiffar bebantte sich mit einer Berbeugung bei unserem Führer, und durch die Halle ging eine fröhliche Bewegung.
Dann sprach Bebel . Ruhig fetzte seine volle, tönende Stimme ein. Bald aber wurde sie lebhafer, beweglicher, haftiger. Ihn und die Taufende im Raum rissen Erregung und Begeisterung fort. Das innige Mitgefühl Bebels mit den darbenden Massen, sein lodernder 3orn auf die Welt des Kapitalismus, der prophetische Glaube an das nahende sozialistische Zeitalter glühte in seinen Worten. Man verEs war in der Lat ein Jüngling im greifen Haar, der da zu uns sprach. Er war es, uno wir Junoen, die ihm hörten, jauchzten ihm als dem Künder unserer eigenen fühnen Pläne zu.
gaß völlig, daß ein Mann in hohen Jahren auf der Tribüne stand.
Mit dreimaligem ,, Borwärts!" schloß der Führer. Tosender Beifall erfüllte fange den Raum. Nur einen Schritt vor uns saß Bebel und blickte lächelnd in die ihm zujubelnde Menge. Da hielt es uns nicht länger, wir streden ihm die Hände hin, und Bebel hat sie mit ein paar aufmunternden Worten gebrückt.
Der Wahltag und dann die Stichwohlen famen. Sieg auf Sieg für die Sozialdemokratic. Mein Freund, der Stift und ich lief: n immer wieder aus dem Kontor zur nächsten Zeitungsexpedition, um die neuesten Ergebnisse zu erfahren. Als ich um Mittag mit dem Schlußresultat auf einem Zettel in das Kontor rat, lief ich dem Chef in die Hände. Er kannte den Roten und wußte Bescheid. Giftig fragte er:„ Na, endlich wieder da? Wieviel haben wir denn durch?" Ich strahl'e über das ganze Geficht, und es fuhr mir heraus:„ Einundachtzig. Herr Kommerzienrat!"
Der Chef, die Kollegen und nicht zulegt ich selber waren verblüfft über meine Dreiftigkeit. Der millionenschwere Großkaufmann drehte fich furz um und hieb die Tür zum Privatkontor wütend hinter sich ins Schloß. Die Buchhalter und Korrespondenten fahen mich an, wie einen Gehenften. Ich aber sah und dachte überhaupt nichts. In mir war ein Jubel und ein Brausen, als fangen ungezählte Scharen in dröhnendem Marschschri't das Lied der deutschen Sozialisten: Das ist der Arbeit heilger Krieg
Mit uns das Boit, mit uns der Sieg!