AZ. Jahrgang. ♦ Nr. ZSSHeilage zum �vorwärts" Herliner VolksblattSerlin, AI.Vezember lHIöRückkehr aus öem Kriege.0 wie lächelt das Land! Ist das dieselbe Erde noch wie einst?Die Floren grüßen den Himmel, sie singen in seligen Farbenvom stillen Glücke de» Friedens,von werden und Dlühn.— Garbenvon Freuden reifen in mir.Seele, schäme dich nicht, wenn du weinst.Weine, du Glückliche. Millionen Brüder gedenken dein—wie du selber gedachiesl des Friedens—als du noch bangtest lnmMenzerwühlter Felder.— Die Lust barst.von schreindea Granaten zerschnitten.aufipraag die Erde, riß Menschen mit in die Lüste hinein.Hdrfi du noch, wie der summende Ton der Geschosteüber dir pfiff?kleinste der Schrecken. Fühlst du zerspringende Mnen?Denke nicht— laß.— Sieh: Schwalben im Blauen,in den Blumen die Bienen,und auf den levchtenden Wellenwandert ein singendes Schist.O du glückliches Städtchen, dich grüß ich von deinenSöhnen aus fremdem Land!Ihre Grüße glänzen aus meinen Augen,ihr Blick war ein sehnend Beneiden.»Grüß unser Deutschland, die heimat."So sagten sie mir beim Scheiden,drückten die Hand mir, winkten mir nach,bis unser Zug enlschwaud.Wald, nimm mich wieder auf, treib meine Gedankennicht vor noch zurück:jede Stunde ist Seligkeit. Deutschland.nimm auf mich Armen, umschmlege mich,der da lächelt mit weinender Seele.Zeder, der helmkehrt vom Kriege,der ist im Meere der trauernden Menschheiteine leuchtende Znscl von Glück.Heinrich Lersch.Frauenarbeit und Zrauengeist.Von Wally Zepler.Marx' historisch-ökonomische Betrachtungsweise hat zuerstgrundsätzlich die engen Beziehungen zwischen den Wirtschaft-lichen Notwendigkeiten und dem sogenannten geistigenUsberbau, das heißt der Ideen- und Anschauungswelt derMenschen in bestimmten Geschichtsepochen aufgedeckt. Mitdas markanteste Beispiel für diese Beziehungen liefern diepsychologisch geistigen Veränderungen, die sich im letztenJahrhundert in allen Kulturländern im weiblichen Geschlechtzu vollziehen oder mindestens anzubahnen scheinen. In ihnenmehr noch als in der immer wachsenden Teilnahme derFrauen an allen produktiven Aufgaben der Gesellschaft liegtdie ungeheure Bedeutung der modernen Entwicklung der'.leiblichen Berufsarbeit. Um diese Veränderungen festzu-stellen, wenden wir uns am besten der bürgerlichen Welt zu.Der Jahrzehnte lange Kampf der bürgerlichen Frauen-bewegung um Freigabe der sogenannten höheren, der akade-mischen Berufe ist bekannt. Auch hier waren ursprünglichvielleicht soziale Motive mindestens ebenso bestimmend wiegeistige. War die Frau einmal durch wirtschaftliche Not ge-zwungen, gleich dem Manne Erwcrbsarbeit zu leisten, sowollte sie sich auch die Möglichkeit zu sozialem Aufstieg undhöherer materieller Bewertung ihrer Arbeit erkämpfen,Aerztin, Oberlehrerin, Ingenieurin usw. werden können.Daneben aber fühlte eine große Zahl von Frauen auch dieinnere Kraft zu geistigen Leistungen in sich, sehnte sich nachwissenschaftlicher oder künstlerischer Betätigung, nach Teil-nähme an der großen freien Ideenwelt, die der Mann bisherfast ausschließlich allein aufgebaut hatte. So erwuchs derFrauenemanzipationskampf, die Theorie von der geistigenGleichheit und Gleichberechtigung der Geschlechter.Kaum die ersten Etappen zu ihrem Ziel haben diebürgerlichen Frauen zurückgelegt; doch auf dem Wege dahinbegannen nun erst die inneren Schwierigkeiten. Nur aufGrund einer völligen Umgestaltung des weiblichen Daseinskönnte ja ein wirkliches Mitschafsen der Frauen an dergeistigen Menschheitsarbeit möglich sein. Der Mann gibt andiese Arbeit alle seine Kraft, sie bildet das Zentrum feinesWesens, alle Aeußerlichkeiten des Lebens, alles, was ihnablenken könnte, geschweige denn die großen Aufgaben derKinderpflege und-erziehung nahmen die Frauen bisher aufihre Schultern. Ließe sich Nim eine Möglichkeit finden, siebis zu weiten Grenzen von dieser Belastung zu befreien(ichhabe neulich hier zu zeigen versucht, daß die Entwicklungdahin treibt, auch Hauswirtschaft und Erziehung mehr undmehr zu sozialisieren), so bliebe dennoch die Frage nach demWert der neuen weiblichen Geistesarbeit für die Gesamtheit.Denn nicht etwa darum kann es sich handeln, was denFrauen selbst begehrenswert dünkt, vielmehr darum, wo dieWurzeln ihrer inneren Kraft ruhen, in welchem Punkt sie diehöchste schaffende Fähigkeit entfalten. Deshalb der heiße undimmer von neuem aufflammende Streit darüber, ob derweibliche Geist wirklich gleich dem männlichen schöpferischveranlagt ist. ob ihm bisher nur die Entfaltrmgsmöglichkeitfehlte, oder ihm nicht vielmehr die Natur selbst die eigentlichproduktive Kraft versagt hat. Eine Stellungnahme zu diesen:Problem erfordert mehr als oberflächliche Redensarten; esführt in die Tiefen psychologischer und biologischer Forschungund schließlich in die philosophischen Urfragen über dasWesen von Geist und Natur. Aber eben, weil es so ist, kannman seiner Lösung auch nicht durch noch so geistvolle Dis-kussionen näherkommen, nur lange und umfassende Er-fahrung über die Resultate weiblicher Tätigkeit wird langsamzu einem Urteil über die letzten Grenzen weiblicher Pro-duktionskraft führen können.Man kann die Frage aber auch unter einem andern Ge-sichtspunkt betrachten. Jene schöpferische Urkrast, um derenSein oder Nichtsein in der Anlage der Frau der Streit sichdreht, verkörpert sich ja immer nur in wenigen Begnadeten.Die Existenz der Menschheit ruht dagegen auf der un-ausgesetzten schaffenden Arbeit der Masse, einer Arbeit,die nicht genialen Geistesblitz, wohl aber immer gleiche an-gespannte Bemühung, ausdauernden Willen, Arbefts-Hingebung fordert. Fordert, eben darum aber auch ent»wickelt. Sei man noch so vorsichtig im Urteil über dieangeborenen Qualitäten des weiblichen gegenüber demmännlichen Geschlecht: die Gaben, die die Frau zu tüchtigerDurchschnittsarbeit auf allen Schaffensgebieten befähigen.können ihr schwerlich abgesprochen werden, und wo immer siesich selbst ein neues Feld erobert hat, oder wohin die Not derVerhältnisse(wie jetzt im Krieg) sie schob, überall bisher hatsie Kräfte entfaltet, von deren Besitz sie selbst oft kaum etwasahnte.Mit Notwendigkeft müssen sich deshalb, wenigstens biszu bestimmten Grenzen, auch innere Rückwirkungen geltendmachen. Sie sind leicht genug zu erfassen. Denn sie stellenzunächst die ganz unmittelbare geistige Reaktion auf den der-änderten Jnteressenkreis der arbeitenden Frau dar. Wardieser früher fast ausschließlich durch Familie und Haus be-stimmt, so ist er nun in die Erwerbsarbeft hinausgerückt: derBeruf, die Arbeitstechnik, der Umgang mit Kollegen undKolleginnen und damit fortdauernd neue Ideen und Erfahrungen nehmen ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Esmuß sich schon um recht stumpfsinnige Naturen handeln,wenn bei so unaufhörlichem Anstoß von außen niemals einFunken geistigen Interesses sich entzünden, die eigenen Ge-danken sich nie an dem Gehörten fortspinnen sollten.Und das gilt für die einfachste Fabrikarbeiterin so gutwie für die gelehrte Akademikerin. Ihr Horizont hat sichgeweitet, ihr Geist ist nicht mehr wie ein Gefangener in einerengen Kerkerzelle, für den das weite Himmelslicht immerSilvefterabenö.Eine Geschichte aus der Pickbalge.Von Wilhelm Scharrelmann.Es war am letzten Abend des Jahres. Nach dem Schnee.den die letzten Wochen gebracht, rieselte ein staubfeiner Regenvon: Himmel herab, machte die Straße glatt und schlüpfrigund hüllte die Gaslaternen in leichte, sprühende Nebel. Inder Pickbalge lagen fast alle Häuser bereits in tiefem Dunkel.Mutter Kramer schlief längst in ihrer Kammer, und derSchneider Weckstroh war mit seiner Frau zu seinem Schwa-der, dem Böttcher Kohlstruck, in der Brückenstraße gegangen,um den Silvesterabend dort bei Berliner Pfannkuchen undheißem Punsch zu verschlemmen. Auch Trina Websch hattebereits ihre Lampe gelöscht, und nebenan bei Budelmannsrührte sich schon längst keine Katze mehr.Wer aber nicht schlief, das war der alte Philipp Meeksoben in seiner Giebelstube, Spiekersgang Nr. 7. Er saß,in seine Gedanken versunken, in seinem alten Kanapee, kraulteseinen grauen Halsbart und erwartetee seine Freunde, denalten David Knüll aus dem Spiekersgang, der lang wie einGoliath war. und auf den darum der Name David ausgesuchtpaßte, und Klaus Speck, dem der seine so prall und ange-gössen saß wie seine Joppe, in der er fett und zufrieden stecktewie die Wurst in ihrer Pelle.Seit langen Jahren gingen die beiden an jedem Sil-vesterabend zu ihrem Freunde in der Pickbalge, denn PhilippMeeks hatte zum Ueberfluß an diesem Tage auch Geburts-tag, und so hatten sie Gelegenheit, gleich zwei Fliegen miteiner Klappe zu schlagen.Bald nach neun Uhr hörte Philipp Meeks denn auch dies-mal seine alten Freunde mit langsamen, schlürfenden Schrittendie Gasse heraufkommen. Bedächtig stiegen sie die steile undenge Treppe zu seiner Giebelstube hinan, wobei Klaus Speckwie ein Nilpferd schnaufte und erst geraume Zeit nach DavidKnüll oben landete.Philipp empfing sie alljährlich mft erheuchelter Verwun»derung, alz wisse er durchaus nicht, wie er noch zu so späterStunde zu einem Besuch komme?„Wo kommt Ihr beiden noch so spät her?" fragte erdenn auch diesmal mit runden Augen, worauf David Knüllerwiderte:„Tschä, das sag' man, Philipp. Wir wollten Dirim alten Jahr bloß noch mal so bei Weglang guten Abendsagen, und denn, weißt Du, is uns auch vorhin eingefallen.daß Tu ja auch Geburtstag hast heute, und da wollten wirdoch mal eben gratulieren, wenn Du nix dagegen hast."Philipp tat sehr überrascht, lachte in seiner knifflichenWeise und sagte:„Na, is gut. Denn setzt Euch man'n lütjenAugenblick."Auf diese Einladung sank dann Klaus Speck wie einMchlsack in die rechte Ecke des alten Kanapees, das mitknackeirden Federn erschreckt in sich zusammenfuhr, währendsein Freund David Knüll etwas bescheidener die linke ein-nahm. Philipp Meeks aber holte aus seiner Kommode einegeheimnisvolle Flasche und schickte sich an, den Geburtstags-und Silvesterpunsch zu brauen.Nachdem mit aller Umständlichkeit auf einem alten Pe-troleumkocher das Wasser erhitzt war, wurde der Punsch unterunendlichem Probieren und außerordentlich sachverständigenBemerkungen seiner beiden Gäste gemischt und schließlich ineiner dampfenden alten Suppenschüssel auf den Tisch gestellt.Dann wurden die Gläser gefüllt, und alle taten noch maleinen feierlichen Probeschluck. Dabei sagte Klaus Speck injedem Jahr:„Donner, Philipp, der ist gut!" Und DavidKnüll bestätigte regelmäßig:„Tschä. so muß er sein! Heißund stark und nicht zu söt! Für das Söte bin ich nich!"Darauf stellte Philipp Meeks, zufrieden lächelnd, seinenTabakskasten aus alteem Mahagoniholz auf den Tisch, undseine beiden Gäste zogen ihre Pfeifen aus der Tasche und be-gannen sie zu stopfen und in Brand zu setzen. Nun langteauch Philipp Meeks die seine von der Wand, verfuhr genauso, setzte sich den beiden anderen gegenüber an den Tisch, undalle drei fingen an zu rauchen,„als wenn der llltje Mannbackt". Dabei begann man unter fleißigem Umrühren derGläser und ebenso fleißigem Trinken über die teueren Zeitenzu reden, ging aber allmählich zu den Neuigkeiten über, diesich in der Pickbalge, im Spiekersgaug und in der Brücken-straße zugetragen hatten, klöhntee und paffte und paffte undklöhnte dann wieder, bis die Uhr Mitternacht schlug, woraufman aufstand— was bei Klaus Speck mit Schwierigkeitenverbunden war— die Gläser austrank, sich die Hand schüttelteund sich zum neuen Jahre gratulierte, wonach Klaus Speckmit seinem Freunde wieder abzog und durch die Pickbalgenach Hause stapfte.Das war bisher immer das Programm des Silvester-abends gewesen, und es schien auch diesmal, als wenn allesnach alter Gewohnheit verlaufen sollte— als Philipp Meekseine Bemerkung machte, die dem Gespräch und dem ganzenAbend einö völlige unerwartete Wendung gab.Es gehörte freilich noch durchaus mit zum Programm,daß David Knüll erklärte, daß dieser Silvester nun bestimmtund ganz gewiß sein letzter sei, eine Prophezeiung, die er injedem Jahre machte, aber die Bemerkung, die Philipp Meeksals Erwiderung darauf losließ, ging in einer völlig fremdenTonart.„Tschä," sagte er,„werv ichs nu so recht überleg'—<was hat man nu von sei'm Leben? Das sag mir mal eurer!Da geht ein Jahr wie das andere hin, und man wird bloßälter dabei. Das ist schließlich alles."„Philipp," erwiderte Klaus Speck, gemütlich an seinerPfeife saugend,„fang nich an zu stänkern auf'n Silvester,abend! Das is man ja rein gar nich gewohnt bei Dir!" �„Das ist schon die ganze letzte Zeit so über mich ge-kommen!" erwiderte Philipp Meeks.„Und es ist auch so,wie ich sag'. Bloß alt wird man. Alt und kalt. Passen tutmich das schon lang nicht mehr!"„Sag ich ja," brummte Knüll.„Und ein Jahr muß jamal das letzte sein. Dies Jahr komm ich mr dran."„Wart's ab, David," tröstete ihn Klaus Speck. Wenn'Sso weit is, kannst Du noch genug unken."„Was ich sagen wollt'," fuhr Philipp MeekS fort, derdurch die Zwischenreden ein wenig aus dem Konzept geratenwar,„ich Hab was auf'm Herzen! Die ganze Woche Hab ichsmir schon vorgenommen: Wenn Du Klaus Speck und DavidKnüll zu sehn kriegst, denn willst du's mal mit die überlegen."„Tschä, denn man los!" ermunterte ihn David Knüll,und Klaus Speck sagte auch:„Denn sprich Dich'man malrein darüber aus, Philipp!"'-'.Philipp Meeks rutschte nach diesen Aufforderungen un-ruhig auf seinem Stuhl hin und her, paffte wie toll aus seinerPfeife und sagte schließlich:„Tschä, das sagt Ihr wohl! Sprichdich man darüber aus! Das is man nich so einfach! Damuß man auch'n Dreh mit kriegen!"Dann schwieg er wieder, nahm einen Schluck aus seinemGlase, paffte von neuem, schob seine Stirnfalten rauf undrunter und schien überhaupt krampfhaft nachzudenken.„Laß Dich Zeit, Philipp!" redete Klaus Speck ihm ge-mütlich zu.„Die Glock geht erst auf elf mrd bis zum neuenJahre willst Du's wohl fertig kriegen!"„Es hat mich rein unter!" stöhnte Philipp MeekS.„Sie zu, daß Du mal für'n Augenblick Luft bekommst,'�ermunterte ihn Klaus Speck.„Also, um den Schnack kurz zu machen," raffte sich Pbi-lipp Meeks auf,„Ihr kennt doch Trina Websch?"„Trina Websch?" fragte Klaus Speck.„Na, daS is nu'ne Frage!". � �„Gut. Nu, denn könnt Ihr Euch auch wohl'n Gedankendarüber machen, was das for'ne BewandniS hat, daß ichheute abend von Trina Websch ansang'?"„Nee," sagte Klaus Speck nach einer Pause.„Ich kannmir rein nir dabei denken, Philipp. Kannst Du Dir wasdenken, David Knüll?"Knüll schüttelte sein graues Haupt.„Daß ich nichtwüßt'!" sagte er.