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JOURNAL ANTIHITLERIEN

Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

NOUVEL" EN AVANT!" Hebdomadaire en langue allemande Redaktion und Verlag: 30, Rue des Ecoles, Paris  - 5. Téléphone: Odéon 42-58

Journal social- démocrate destiné aux réfugiés de langue allemande

Nr. 345. SONNTAG, 28. Januar 1940

Aus dem Inhalt:

Die letzte Chance des

Generals von Schleicher

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Eine   furchtbare Erbschaft

Hitlers neue Völkerwanderung- Wanderer ins Nichts

Am Tage nach der Niederlage und dem Sturze des Hitlersystems wird   sich das deutsche Volk einer furchtbaren Erbschaft gegenübersehen. Das Hitler­system schafft mitten im Kriege Tat­sachen, deren Behauptung den völligen

Recht oder Nützlichkeit

Die Atomisierung der Moral

Durch die Weltpresse lief in diesen Ta- Aber er   war auf Finnland spezialisiert, und die Danziger Politik des Reiches zu   einem Sieg Deutschlands und die Errichtung gen eine kurze Notiz, die ein etwas son- Lügen, die nicht die finnische Frage nützlichen Ende zu führen scheint. Nur zu seiner   Herrschaft in Europa vorausset- derbares Schicksal erhellte. Ein Korrespon- betrafen, haben ihn wohl ziemlich kalt ge- erklärlich, dass die Nationalsozialisten bald zen würde. Wenn aber erst die sichere   dent des Deutschen Nachrichtenbüros in lassen. Er ist nicht plötzlich darauf gestos- dieser, bald jener Menschengruppe,   bald Niederlage Hitlers eintritt,   so werden Helsinki, gleichzeitig Handelsattaché der sen, dass die Nationalsozialisten unehrlich jener Berufsgemeinschaft, bald dieser, bald diese Schöpfungen des Hitlersystems   zu- deutschen Legation, ist als Freiwilliger in sind, er hat nur die Erfahrung gemacht, jener Wirtschaftssparte einen Vorteil zu­sammenbrechen. Massenelend für Mil- die finnische Armee eingetreten. Er wollte dass sie   auch mit Finnland ein unehrliches schanzen. Sie hoffen so, die Verärgerung aufzuhalten, die umso weiter um sich lionen von Menschen wird die Folge mit diesem Schritt gegen die Behandlung Spiel treiben.

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sein, und dieses Massenelend muss nie- protestieren, die man seinen wahrheitsge- Der Fall ist symptomatisch. Der Nütz- greift, je mehr kleine Interessen und   kleine derdrückend und hemmend auf jeden mässen Informationen in Berlin hat ange- lichkeitswahn, den die Nationalsozialisten Ideale in den Strudel des Niedergangs ge­Versuch wirken, die durch Hitlers deihen   lassen. Die Depeschen über die fin- dem deutschen Volke eingeimpft haben, hat zogen werden  . Es ist gegen das überspitzte Spezialisten­Kriegswirtschaft zerstörte deutsche Wirt- nische Situation sind entweder unterdrückt seltsame Früchte gezeitigt.„ Recht   ist, was oder umgefälscht oder durch lügenhafte dem deutschen Volke nützt", lautet einer tum in   der Wissenschaft viel gesprochen schaft auf die Versorgung des deutschen Meldungen ersetzt worden, die im Propa- der braunen Kernsprüche. Wenn einmal und geschrieben worden. Das Spezialisten­gandaministerium fabriziert, jedoch mit der ,, Recht ist, was nützt", dann gibt es keine tum in der Moral ist eine weit gefährli­Das   Dritte Reich richtet sich im er- Marke„ Helsinki" versehen waren. Nach freie sittliche Entscheidung   mehr, dann chere Erkrankung des menschlichen Gei­oberten Polen ein. Die polnische Bevöl- einigen vergeblichen Protesten hat der gibt es im Labyrinth des moralischen Wirr- stes. Ganze   Länder sind ihr wenigstens kerung wird aus den für Deutschland Journalist den Entschluss gefasst, sich vom sals nur noch einen einzigen Anhaltspunkt, vorübergehend anheimgefallen. Ganze annektierten Provinzen von Haus und Hitlerregime loszusagen und in die finni- eben den Nutzen. Und so hat sich der Völker haben bis vor kurzem in dem Wahn Durchschnittdeutsche gewöhnlich geholfen, gelebt, man könne ein Raub- und Mordre­Hof gejagt, ihr Besitz ist die Beute der sche Armee einzutreten. indem er dieses Zweckschema auf seinen gime wie das Hitlersche von weiteren Ver­Eroberer. In die von der polnischen Be­In dieser Zeit, in der die Menschen kleinen Lebenssektor übertrug und sich et- brechen abhalten,   indem man ihm einige völkerung geleerten Provinzen rücken die Deutschen vor, die Land und Häu- durcheinandergerüttelt werden wie die Pa- wa sagte:„ Recht ist, was dem Schuster- Opfer überlässt und es durch grenzenlose den Verhandlungstisch ser und Besitz sich aneignen. Das Hit- pierröllchen in einer Lostrommel, mag der handwerk nützt" oder„ Recht ist, was den Duldsamkeit an geschilderte Fall nicht einmal ausserge- Interessen der Hausbesitzer dienlich ist" lockt. Erst jetzt setzt sich die Auffassung lersystem hat eine regelrechte Völker- wöhnlich erscheinen. Und doch dass je- usw. Es muss sich nicht immer um mate- durch, dass Sittlichkeit unteilbar ist und wanderung organisiert. Die Polen wer- mand 1940 vom Hitlerregime abrückt, weil rielle Fragen handeln. Man kann sich auch dass die Atomisierung der Moral die Spe­den zurückgedrängt, sie werden in so ihn plötzlich heftige Zweifel an der Ehr- kleine Ideale schaffen und bei allem, was zialisierung auf einzelne Moralatome nach schauerliches Elend gestossen, dass ihre lichkeit seiner braunen Parteigenossen vorgeht, nur danach fragen, ob es diesem sich zieht. Ein Raubmörder kann sich Sterblichkeit riesengross werden muss, packen, hat etwas Ueberraschendes. Sollte Ideal zu„ nützen" scheint. Da geschieht es nicht von seiner Schuld loskaufen, indem zu allem Ueberfluss wird ihre intellektu- dieser Mitarbeiter des Deutschen Nachrich- dann, dass einer die nationalsozialistische er einige Opfer auslässt vielleicht nur, elle Oberschicht regelrecht dezimiert. tenbüros wirklich nie zuvor bemerkt ha- Unmoral gut heisst, solange etwa an Finn- um sie sich für später aufzusparen. Recht Hinter ihnen   erscheinen die vom Drit- ben, dass in Deutschland seit sieben Jahren land kein Verrat geübt wird. Da geschieht es ist nicht, was irgendeinem Volke Reich gerufenen„ Pioniere des offiziell und gewohnheitsmässig gelogen anch, dass einer die ganze verbrecherische dem Schusterhandwerk oder der Flei­wird, grobfädiger gelogen wird, als man es Erbärmlichkeit des Hitlerregimes durch- scherinnung nützt, Recht ist, was vor Deutschtums". Das Dritte Reich hat die je zuvor in irgendeinem Staate der Welt schaut und noch jahrelange enger Mitar- dem Weltgewissen, an dem wir alle teil­Absicht, in den annektierten Provinzen erlebt   hat? Natürlich hat er es bemerkt. beiter Hitlers bleibt, so lange nämlich, als haben, bestehen kann. mehrere Millionen Deutsche anzusie­deln.

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Das ist die Wiederaufnahme der

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Sie soll auf Gedeih

Pläne, die im ersten Weltkrieg von 1914 gearbeitet, nach dem aus dem Westen werden, so dass eine allgemeine Vergrös  - periment missbraucht, das ihr vollstän­bis 1918 im Grossen Deutschen Haupt- Deutschlands rund 400 000 Familien, das serung der Betriebsgrössen einträte. Fa- dig fernliegt. Sie wird zur Uebernahme quartier gewälzt worden sind. Diese sind rund zwei Millionen Menschen,   in milien, die fest   auf eigenem   Grund und des den Polen gestohlenen Landes und grosszügige deutsche Besiedlung Polens, die annektierten polnischen Gebiete ge- Boden sitzen, zum grössten Teil schon Besitzes befohlen. die aus dem polnischen Gebiet deutsche bracht und dort angesiedelt werden sol- seit sehr langer Zeit, werden landflüch- und Verderb mit den Eroberungsgelü­Militärkolonien machen wollte, ist das len. Man nahm zunächst an, dass es sich tig gemacht, damit sie auf erobertem, sten des Hitlersystems verknüpft wer­Lieblingsprojekt   Ludendorffs gewesen, um ein sehr weit vorausschauendes Pro- dem Polen gestohlenen Lande siedeln. den, sie soll am erobernden Nationalis­der seinerseits von dem Kreise um Hu- jekt handele, das in langen Fristen, und Es handelt sich nicht um ein kulturel  - mus mit ihrer ganzen Existenz inter­genberg beeinflusst war. Ludendorff zwar in der Hauptsache erst nach dem les, sondern um ein rein machtpoliti- essiert werden. drängte darauf, diese Volksverpflanzung Kriege verwirklicht werden sollte, das sches Projekt. Die badischen und würt- Dis Hitlersystem zielt mit dieser Um­im Laufe des Krieges selbst durchzufüh- heisst also praktisch niemals. Inzwi- tembergischen Kleinbauern Kleinbauern brauchen siedlung nicht auf neue Stabilität ab. ren, er hat später in seinen Memoiren schen ist aber sichtbar geworden  , dass den ,, Reichskommissar für die Festigung Diese künstliche deutsche Besiedlung  bitter Klage darüber geführt, dass man die Behörden des Dritten Reiches mit der des deutschen Volkstums" nicht zur Fe- des polnischen Gebietes soll das Sprung­nicht auf ihn gehört habe. Das Dritte Durchführung dieses Projekts nicht auf stigung ihres deutschen Volkstums. Aber brett liefern für die weitere   Expansion. Reich wartet nicht bis zum Tage nach den Sieg Hitlers warten wollen, sondern sie sollen das Deutschtum erobernd nach Die ,, bewussten Kämpfer für das dem von ihm erhofften Siege, es hat dass sie danach trachten, mitten im Osten tragen. Der Staatssekretär   im Deutschtum" sollen nicht verteidigen, alsbald nach der Eroberung Polens die Kriege eine vollendete, schwerwiegende Reichsernährungsministerium Willikens sondern weiter vordringen. Die Völker­Völkerwanderung in Gang gesetzt und es Tatsache zu schaffen. Sie sind bereits verlangt von ihnen, dass sie sich in Po- wanderung, die in Gang gesetzt wird, soll ist entschlossen, sie in grösstem Aus- an eine Bestandaufnahme der süddeut- len als ,, bewusste Kämpfer für das deut- sobald nicht zu Ende kommen. Der Stoss masse und schnellsten Tempo durchzu- schen Bevölkerung gegangen, und sie sche Volkstum" betätigen. Die klein- soll in historischen Zeiträumen weiter­führen. Die erste Welle dieser deut- fangen an, die Familien auszuwählen, bäuerliche Bevölkerung in Baden und in gehen. Die zwei Millionen Menschen aus sehen Invasion in polnisches Gebiet wa- die verschickt   werden sollen. Nach ih- Württemberg hat  , wie alle deutschen Westdeutschland, die den Fangstoss ren die Deutschen aus den Ostsee pro- ren Plänen sollen allein aus Baden min- Stämme, ihre besondere Rolle in der führen sollen, sind für die Väter dieser vinzen. Die zweite werden   die Südtiro- destens 60 000 Familien auswandern, aus allgemeinen deutschen Kultur gespielt. Projekte nichts als Rohmaterial,   über ler sein. Ein Teil von ihnen soll in den Württemberg etwa 50 000 Familien. Um Diese Bevölkerung ist ihrem Grundzug dessen Leben und Geschick sie vom grü­Westbeskiden angesiedelt werden, der dieses Projekt, das rücksichtslos Hun- nach konservativ, einer der Träger der nen Tisch herab eiskalt bestimmen. andere Teil im Korridor und im Posen- derttausende von ansässigen Klein- süddeutschen Demokratie, sie ist von Wir haben uns über das Geschick der sehen. Die dritte Welle, die millionen- bauern entwurzelt   und deportiert, der durchaus antiexpansionistischer Gesin- vertriebenen und gemarterten Polen em­stark sein soll, soll aus Westdeutsch- deutschen Oeffentlichkeit schmackhaft nung. Niemals hat sie zu jenen Bevöl- pört. Wir empören uns nicht minder land kommen  . zu machen, bezeichnet man es als einen kerungsschichten in Deutschland gehört, über das Geschick, das Millionen   von Die sogenannte ,, Reichsstelle für grosszügigen Versuch, der landwirt- die Träger des romantischen Macht- Deutschen zugedacht ist. Solange das Raumforschung" hat gemeinsam mit schaftlichen Zwergwirtschaft in Baden wahns und des Alldeutschtums sind. Hitlersystem besteht, bleiben   die Bauern­dem ,, Reichskommissar für die Festi- jund Württemberg ein Ende zu machen. Diese sesshafte, konservative Bevölke- familien in Westdeutschland im Griff gung des deutschen Volkstums", dem Der Besitz der Auswandernden soll den rung wird   jetzt ihrem ganzen Wesen der braunen Staatsmacht. Sie haben Gestapochef Himmler, ein Projekt aus- zurückbleibenden Familien   zugeschlagen entgegen zu   einem machtpolitischen Ex- nicht, wie die Deutschen aus den Ostsee­