JOURNAL ANTIHITLERIEN

Journal social-democrate destin6 aux refugies de langue ailemande

NOUVEL"EN AVANT!" Hebdomadaire en langue ailemande Redaktion und Verlag: 30, Rue des Ecoles, Paris -5. Telephone: Odeon 42-58

Nr. 346. SONNTAG, 4. Februar 1940

Aus dem Inhalt: Muss Deutschland siegen? Galgen und Rad Die Jagd nach dem Dollar

Macht euch nicht mitschuldig!

Eine MaEsiiUBitt an das deutsche Volk

Der Vorstand der Sozialdemokrati­schen Partei Deutschlands hat sich hei Kriegsheginn an das deutsche Volk gewendet mit der Erklärung, dass die Niederlage Hitlers und die endgültige Ueberwindung des neuen Militarismus die Voraussetzung für den Frieden und die Neuorganisation Europas sind. Er hat erklärt: Ein Frieden, der die Gewaltakte Hitlers wiedergutmacht, dem totali­tären System ein Ende setzt und dem deutschen Volke wie edlen ver­gewaltigten Völkern Recht und Freiheit wiedergibt, ist das Ziel un­serer Politik." Wir richten heute unsere Blicke auf das polnische und das tschecho­slowakische Volk. Die Gewalttaten des Hitlersystems an diesen Völkern schreien gen Himmel. Wir können nicht glauben, dass das deutsche Volk diese Verbrechen kennt und schwei­gend hinnimmt, oder gar hilligt. Wir fühlen uns verpflichtet, dem deut­ schen Volke zu sagen, was in Polen und der Tschechoslowakei geschieht. In Polen spielt sich eine ungeheure Volkstragödie ab. Der Massentötung von polnischen Zivilisten, Frauen und Kindern hei der Eroberung folgt der systematische Vernichtungsfeldzug ge­gen das ganze polnische Vok nach. Man kann die Blutopfer und die To­desopfer des polnischen Volkes nicht zählen, man kann sie nur voll Grauen ahnen. Grosse Provinzen sind von Deutschland annektiert worden. Dort Avird systematisch der letzte Pole von Haus und Hof und aus den Städten gejagt. Die polnische Schule ist lahm­gelegt. Die Universitäten sind zer­stört worden. Gegen die Universitäts­professoren wie gegen die gesamte ßidungsschicht des polnischen Volkes "Werden Deportationen und Massen- füsilierungen unter nichtigen und empörenden Vorwänden verhängt. Die Zusammendrängung der ausge­raubten und vertriebenen polnischen Bevölkerung in wenigen Provinzen ünter den schrecklichsten Lebensbe­dingungen kommt einem millionen­fachen Morde gleich. In der Tschechoslowakei hat der Terror mit Massenverhaftungen und Erschiessungen gerast. Nach dem 28. Oktober, dem tschechoslowakischen Nationalfeiertag, ist ein wilder Aus­bruch der nationalsozialistischen Bar­barei und des Vernichlungswillens er­folgt. Die schwerbewaffneten Banden Himmlers sind über die Zivilbevölke­rung hergefallen. Massenerschiessun-

jen. Massenverhaftungen von Studen- .en und Professoren und viele Tau- sende von Verhaftungen tschecho­slowakischer Bürger zeigen den Mas­senterror gegen das tschechoslowaki­sche Volk. Systematisch wird das tschechoslowakische Schulwesen und Hochschulwesen zerstört, auch, hier wird ein planmässiger Ausrottungs­feldzug gegen die Intelligenz geführt. Beide Völker, das polnische wie das tschechoslowakische, sind be­raubt und ausgeplündert worden. Sie sollen durch Massenmord, durch die physische Vernichtung ihrer geistig führenden Schichten, durch die Un­terbindung von Erziehungs- und Bil­dungsmöglichkeiten bis ins Mark ge­troffen werden. Hitler will die polni­sche und die tschechoslowakische Frage lösen durch die am Ende die­ses Ausrottungsfeldzuges stehende Feststellung: es gibt kein polnisches und kein tschechoslowakisches Volk mehr. V Der Ausrottungsfedzug gegen die beiden Völker ist eines der grössten Verbrechen, die die Weltgeschichte jemals gesehen hat. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutsch­ lands hat gegen dieses Verbrechen

wiederholt seine Stimme erhoben. Er hat erklärt, dass die Wiedergutma­chung des den beiden Völkern zuge­fügten Unrechtes ein Teil seiner eige­nen Ziele im Kampfe um die Freiheit ist. Das Verbrechen Hitlers bedroht das deutsche Volk selbst mit unge­heurer Gefahr. Die Grenzen, die Hit­ler zieht, sind nicht endgültig. Die; Eroberungen, die er gemacht hat, wer­den vergehen. Dieser Krieg kann nicht zu Ende gehen, ehe nicht Hitler geschlagen und sein System gestürzt ist. Wenn das deutsche Volk nicht selbst Hand anlegt zum Sturz Hitlers , wenn es sich nicht von seinen Ver­brechen abwendet, werden die Opfer der Hitlerpolitik dem deutschen Volke die Mitschuld zuschreiben. Wenn das deutsche Volk, ohne eigene Mithilfe durch fremde Bajo­nette befreit, den Siegern die Hände zur Versöhnung entgegenstrecken wird, so könnte ihm der Ruf entge­genschallen: ihr seid mitschuldig! Dann besteht die Gefahr, dass der Schrei nach Vergeltung, das Gefühl des tiefsten Hasses gegen die Bedrük- ker und die Mörder der vergewaltig­ten Völker stärker sein wird als alle Kräfte der Versöhnung.

Deshalb sagen wir dem deutschen Volke: Macht euch an dem ungeheuren Verbrechen nicht mitschuldig durch Schweigen oder Duldung oder gar Billigung! Lasst nicht den Eindruck entste­hen, dass alle Kräfte des Rechts und der Moral im deutschen Volke ertötet wären! Empört euch gegen diese Verbre­chen, bedenkt, dass es edler ist, im Kampf um Recht und Freiheit Opfer zu bringen, als sein Leben einzusetzen für Verbrecher. Zeigt dem polnischen und dem tschechoslowakischen Volke, dass ihr euch nicht als ihre Feinde fühlt, son­dern als ihre Verbündete im Kampfe um die Freiheit Polens , der Tschecho­ slowakei und Deutschlands . In der Hand des deutschen Volkes liegt es, dass der Weg zum wahren Frieden, zur Versöhnung der befrei­ten Völker nicht versperrt wird durch die Verbrechen Hitlers . Paris , Ende Januar 1940. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands : Hans Vogel