Der WeckruT Vor kurzem noch log die Essener ,,Na- tionalzeifung", die Hitlerbewegung habe immer die Sehnsucht nach deutsch -französischer Freundschaft bekundet. Die Kraftstellen gegen Frankreich in Hitlers „Kampf"? Pah, nichts weiter, als längst überwundene Ausbrüche eines jungen deutschen Patrioten. Aber Hitler war auch Herausgeber des„Völkischen Beobachters". Wir greifen eine Nummer heraus, die vom 15. Oktober 1927. Da deliriert ein breit aufgemachter Artikel zum 150. Geburlstag des Dichters Heinrich von Kleist : „Aber wenn auch der Dichter endlich unser geworden ist, die lodernde Flamme seines nationalen Feuergeistes, die in den Freiheitskriegen ganz Deutschland in Brand steckte und noch einmal in wabernder Lohe zum Himmel leckte, als die deutschen Schwertschläge bei Metz und Sedan niederprasselten... ist zu einem schwachen Funken geworden, der unter der Asche eines schwächlichen, kampf- entwohnten Zeitalters ganz zu ersticken droht. Wäre der Geist dieses grossen Deutschen in uns noch lebendig, dann ivehten jetzt über den Rhein hinweg von neuem die deutschen Fahnen in das Welschenland hinein, dann würde vielleicht jetzt an seines Todestages Säkulum Europas Boden erzittern unter dem dröhnenden Gestampfe Hunderttausender um den Sieg oder Untergang ringender deutscher Mannen und Walhalls lichtentströmendes Tor weit aufklaffen zum Empfange ungezählter Scharen neuer Einherier! Zur Ehre der deutschen Nation sei es gesagt, dass Tausende und Abertausende hochklopfenden Herzens des Weckrufes zum grossen Aderlasse harrten, den wir brauchen, um das faule Blut auszustossen. das sich unten in den vermestizfen Schichten eines national entmannten, unnötigen Tand ruhelos schaffenden Zwergengeschlechtes und in durch Goldesmacht herrschendem fremd- völkischen Parasitentum aufgestaut hat, aber der Ruf erklang nicht!" Inzwischen ist der Weckruf erklungen, doch da die deutschen Fahnen noch immer nicht„ins Welschland hinein wehen", würde man es gern auf dem Umwege über ein neues München versuchen. Die Hahr Ii eil dringet durch Das Fiasko der deuf sehen Verordiiung: ge�en Abhören ausländischer Wender Rone Schtckele sestorhen In einem Vorort von Nizza verschied der Dichter Rene Schickele im Alter von 56 Jahren. Er kam aus dem Elsass und war der geborene deutsch -französische Schriftsteller. Aus dem Boden der Grenze stammt sein Erleben, den Menschen der Grenzen entstammen seine Stoffe, Konflikte und Stimmungen. Französisch war seine Muttersprache ebenso wie das Deutsche . Nach dem Weltkriege Hess er sich in Badenwei- ler nieder. Anfang 1934 schüttelte er den Staub des Dritten Reiches von den Füssen . Der Bürgermeister des Ortes suchte ihn zu halten, verbürgte sich für Schickeies Sicherheit. Man brauchte seinen Namen für den Fremdenverkehr des Kurortes, und man darf glauben, dass die Nazis es sich etwas hätten kosten lassen, um mit dem in Frankreich gut angeschriebeneu Dichter zu renommieren. Aber er konnte in dieser Luft nicht atmen; er wäre, französischen Freiheifssinn von der Mutter her im Blute, an der braunen Gemeinheit erstickt. Darum ging er nach Frankreich , seiner zweiten Heimat. Dieser internationale Kopf schrieb elsässischc Heimatsbücher von seltener Inbrunst und war mit «einem Leiden an der sprachlich zerrissenen Heimat der Welt des Emigranten literarisch so nahe, wie er es auch menschlich Lmnier blieb. rg. Der innere Frontdiohler Der„Völkische Beobachter" erzählt eini. ges über die jüngste Tagung geladener Dichter und Schriftsteller im Berliner Funkhaus: „Ministerialdirigent Berndt bezeichnete den deutschen Dichter als den Hüter der Seele seines Volkes. Um seine Aufgabe in diesem hohen Sinne erfüllen zu können, müsse er mitten im Erleben der Zeit stehen, um so die gewaltigen Impulse für das gegenwartsnahe Schaffen empfangen zu können." Man sollte meinen, das die Gegenwart am nachdrücklichsten an der Front erlebt wird. Das Regime ist anderer Meinung: „Das Wirken dc-s Dichters in der Heimat sei genau so wichtig, wie das jener Kameraden, die das Glück haben, die stürmische Gegenwart an der Front mit- erleben zu können.... Wir fordern den Frontdienst der deutschen Dichter in der Heimat, und wir wollen die deutsche Dichtung wirklich zu einer Waffe unserer Zeit machen." Brauchen die Prätorianer der inneren Front schon lyrischen Zuspruch, um im Kampfe gegen den Meckergeist nicht umzufallen? Am 25. Januar wurde über alle deutschen Sender ein Vortrag gehalten, der vom Abhören ausländischer Sendungen abschrecken sollte. Der Vortragende ging von der Verordnung gegen das Abhören fremder Sender aus, und gab dann folgende Erläuterungen: „Der Paragraph 1 bestraft das absichtliche Abhören ausländischer Sender und Sendungen. Der Paragraph 2 bedroht mit Zuchthausstrafe, eventuell Todesstrafe denjenigen, der das, was der ausländische Sender verbreitet, seinerseits weiter verbreifet. Der Paragraph 3 bestimmt, dass straflos bleibt, wer aus dienstlichen Gründen fremde Sender abhören muss. (1) Was ist ein ausländischer Sender? Sämtliche Rundfunksender ausserhalb des deutschen Reichsgebiets sind ausländische Sender, also auch die der Neutralen, und auch die der mit uns befreundeten Neutralen. Es gibt keine Ausnahmen davon. Sie müssen sich darüber klar sein, deutsche Volksgenossen, dass auch der bestgesinnte Neutralsender einmal Nachrichten aus den Feindländern verbreitet. (2) Verboten ist nicht nur das Abhören ausländischer Nachrichten, sondern auch musikalischer Darbietungen. Auch das fällt unter Paragraph 1 der Verordnung. Das Abhören aller ausländischen Sendungen, ob gesprochener, ob musikalischer, ist verboten. Wer das dennoch tut, hat eine hohe Freiheitsstrafe verwirkt. Es darf nicht sein, dass der Abhörende sich etwa darauf herausreden will, oder kann, er habe ja nur ausländische Musik hören wollen ,und er sei aus Versehen dann in die Nachrichtensendungen gerutscht. (3) Strafbar ist in erster Linie derjenige, der, um ein Beispiel zu nennen, den Londoner oder Strassburger Sender abhört. Wer sich aber etwa auch noch Notizen macht, was leider häufig passiert ,ist besonders strafbar. Es wird darauf hingewiesen, dass Milde in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Der Zuwiderhandelnde hat schwere und schwerste Freiheitsstrafen zu erwarten, auch werden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf lange Zeit aberkannt werden. (4) Bestraft wird auch der, der nur „mit abhört". Es ist z. B. vorgekommen, dass sich Personen staatsfeindlicher Gesinnung zusammengetan haben, um gemeinsam fremde Sender abzuhören. Strafbar ist in solchem Fall nicht nur der Mitabhörende, sondern auch besonders, wer abhören lässt. In diesem Falle ist bereits der Paragraph 2 der Verordnung verwirkt. Wer andere abhören lässt, der verbreitet fremde Nachrichten im Sinne des Paragraphen 2. Der Tatbestand ist auch dann voll erfüllt, im Sinne des Paragraphen 2, wenn derjenigen, der abhören lässt. selbst nicht dauernd anwesend bleibt. Wenn er z. B. selbst den Raum, das Zimmer usw. verlassen hat, so bleibt der Tatbestand erfüllt, er selbst bleibt schwer strafbar. Die Verbreitung feindlicher Nachrichten zeugt von ebenso verbrecherischer und ehrloser Gesinung wie der Landesverrat. Daher wird in schweren Fällen, die wohl fast immer vorliegen dürften, auf Todesstrafe erkannt. Solche Volksschädlinge müssen isoliert und unschädlich gemacht werden. (5) Als Verbreiter ist auch der strafbar im Sinne des Paragraphen 2, der seinen Apparat in höchster Lautstärke laufen lässt, so dass also ein unbestimmter Personenkreis(Nachbarn, Passanten usw.) die fremden Sendungen, ob sie wollen oder nicht, vernehmen müssen. (6) Auch Angehörige der Wehrmacht fallen ebenso ausnahmslos unter die Bestimmungen der Paragraphen 1 und 2 und können für sich nicht etwa den Schutz des Paragraphen 3 in Anspruch nehmen,! soweit sie nicht einen dienstlichen Auftrag zum Abhören der fremden Sender erhalten haben. Wehrmachfsangehörige haben kein Recht auf Ausnahme, das sich etwa aus ihrer Zugehörigkeit zur Wehr macht ableiten Hesse. (7) Was für die Wehrmacthsangehörigen gilt, gilt in noch höherem Masse für die Parteigenossen. Sie haben erst recht keine Ausnahmestellung. Sie müssen im Gegenteil, Partei und Wehrmacht , mit einem guten Beispiel den anderen Volksgenossen vorangehen. Bei einem Parteigenossen wird das Abhören fremder Sender in Zukunft besonders strenge Bestrafung aach sich ziehen. 8) Die Verordnung des Reichsverteidigungsrats gilt nicht nur für Reichsdeutsche, sondern auch für neutrale Staatsangehörige, die in Deutschland sich aufhalten. Wer in Kriegszeiten unser Gastrecht geniesst, muss im Kriege, dieselben Einschränkungen auf sich nehmen, wie der Deutsche. Er hat also auch nicht das Recht, Sender seiner Heimat abzuhören. (9) Als Gerichte zur Aburteilung der Ver- fehlungen gegen die Verordnung des Reichsverteidigungsrats sind Sondergerichte für zuständig erklärt worden. Sie bestehen aus drei Berufsrichtern, und zwar in erster und letzter Instanz. Es handelt sich dabei um ein besonders schnelles Verfahren, denn diesem Gesetz gegen das Abhören fremder Sender und die Verbreitung fremder Lügennachrichten kommt dieselbe Bedeutung zu wie dem„Heim- tückcgcselz". Dieser Einschüchlerungsversuch lasst vieles erkennen: den Umfang, in dem in Deutschland ausländische Nachrichten gehört werden, die Kunstgriffe, die dabei angewendet werden, und vor allem die Wirkungslosigkeit der Strafandrohung. Man erkennt auch, wie sehr sich das System vor der Wahrheit fürchtet — die Stelle über die Neutralen sagt alles. Man fürchtet sich zum Beispiel vor den italienischen Sendungen. Man sieht auch, dass die Soldaten und die Pgs. auf die Verordnung gepfiffen haben. Trotz aller schweren Strafandrohungen und aller Einschüchterungsversuche wird das Volk weiter darauf pfeifen. Freikellitkalonder Im Verlag Sebastian Brant (Paris ) erschien wiederum ein„Deutscher Freiheitskalender", der dem Kampfe gegen die Diktaturen gilt. Alte Holzschnitte beleben die 100 Seiten, auf denen lesenswerte Beiträge über Deutschlands Geschichte, das Gesicht der braunen Barbarei, deutsche Psychologie und Perspektiven der Zukunft zu finden sind. Hervorzuheben wäre Tho mas Manns Aufsatz über Kultur und Politik, Veit Valentins historische Betrachtungen, Arthur Kösllers antike Skizze„Die Kreuze". Mit kleinen Beiträgen sind einige Schriftsteller zu finden, die sich in einem Freiheitskalender etwas merkwürdig ausnehmen, denn sie haben sich bis heute noch nicht klar darüber aussprechen können, ob sie für die wirkliche oder für die Hitler-Stalinsche Freiheit sind. LTnrecht tun würde man mit diesem Vorwurf höchstens Andersen Nexö , der sich mit arteriosklerotischer Beharrlichkeit der Moskauer Krippe verschrieben hat, ob nun daneben das Hakenkreuz weht oder nicht. Der Kalender zitiert von ihm nur einen Spruch: „Die Aufgabe der Emigranten ist die schwerste, aber auch die wertvollste, die es heute gibt. Wie Samen und Keime der Freiheit wehen sie über die Grenzen und bereichern die Kultur der Länder, wo sie Obdach finden. Jedes Land sollte mit offenen Armen die Emigranten aufnehmen— und dazu dankbar sein..." Vom„Vaterland des Proletariats" abgesehen, das sich bisher entschieden weigerte, die„Samen und Keime der Freiheit" aufzunehmen und die Bereicherung durch nazistische Gäste vorzog. Warum also musste sich der„Freiheitskalender" einiger der Moskauer Mitläufer ! bemächtigen? Wen wollte er damit über die wahre Sachlage täuschen? Sich oder diese Auch-Humanisten? Die neue Klar- j heit, mit der das Vorwort kokettiert, ist Idas nicht. rg. Ijorhwren «�espräcli■»5© „Und dann, mein Sohn, möcht' ich euch ernstlich raten, dass ihr uns etwas Dank entgegenbringt. Wir waren nämlich deutsche Frontsoldaten, als ihr noch friedlich in die Schule gingt und euch um Deutschlands Not nicht weiter schertet. Es stünde euch, die ihr das Szepter schwingt, viel besser an, wenn ihr die Väter ehrtet." „Ja, Vater, längst schon wollt ich mit dir sprechen. Wie ist das eigentlich, du sagst mir doch, ihr kanntet Hitlers blutige Verbrechen ihr hasstet seine Macht und euer Joch— und habt in seinem Namen doch geschossen, Frontkämpfer ihr, und rühmt euch dessen noch, rühmt euch des Menschenbilds, für ihn vergossen?" „Nimm doch Vernunft an! Ja, uns allen grauste vor diesem Krieg. Wir hätten uns gewehrt, doch ahnst du nicht, wie Hitlers Terror hauste..." „Kurz, keiner hat die Flinte umgekehrt. Und dafür sollen wir euch danke sagen? Wofür erwartet ihr, dass man euch ehrt— für eure Angst und Hitlers Niederlagen?" „So sollen wir vor euch die Stirnen senken, uns schämen gar— vor unserm eignen Blut?" „Nein, nicht vor uns. Ihr sollt an Polen denken und an die Schmach, die Deutschland auf sich lud. Ihr wart dabei. Ihr habt es mit verschuldet, dass auf uns Jungen Hitlers Schande ruht, dass man uns draussen widerwillig duldet, dass alle Welt auf uns mit Fingern zeigt. Rühmt euch nicht eurer Taten, sondern— schweigt!" Ralionlerle Dainenliüt«» Es gibt in Deutschland eine„Fachabteilung Damenkopfbekleidung" und innerhalb dieser Fachabteilung eine„Arbeitsgemeinschaft zur Regelung des Filz- und Sommerhutverkaufs". Da die deutschen Damen ihre Köpfe bisher zu hemmungslos bekleidet haben, hat die Arbeitsgemeinschaft den Modistinnen verboten, vor dem 1. Februar„Strohhutfenster zu zeigen'. Filzhüte sind sogar bis zum 29. Mal aus den Auslagen verbannt. „Nur in Ausnahmefällen sind einzelne Filzhüte unter einer grösseren Anzahl von Slrohhutmodellen zulässig. Entsprechend dieser Regelung dürfen vor dem 29. Mai auch keine Inserate über den Verkauf von Filzhüten veröffenHu-ht werden." Da die Strohhalme ins Brot und die j Wollfasern in alle möglichen Ersatzstoffe | gebacken werden, darf man sich über das Zusammenschrumpfen der Damenkopfbekleidung nicht wundern. Man fragt sich nur, wozu die deutschen Schaufe«ster überhaupt noch dienen, wenn nicht dazu, eines Tages eingeschlagen zu werden. Gurkensalat, Zu den Leidtragendca des Stalin -Hitlerpaktes gehören die deutschen Abreisskalender. So ist auf einem Abreissblatt vom 3. Januar zu lesen;„Der Kontmu- nismus aber ist der Schrittmacher für den lod, für den Volkstod, für den Untergaagl Adolf Hitler ."—„Pellkartoffeln mit Speck- (unke und Gurkensalat."— Wobei der deutsche Leser lediglich ob des Gurkensalats staunt. Woher Gurken im Jan aar? BEZ U GSBEDIN G UN GEN Der\EUE VORWAERTS kostet Argentinien Belgien Brasilien Bulgarien E/itland Finnland Frankreich ürossbrlt. Holland Italien .lngOilaT. Lettland Litauen Luxemburg .Norwegen Paloestina Portugal Rimiaenieo Schweden Schweiz Ungarn USA Imp. Union, 13, rue Mdchain, Paris . Le Girant: Albert MARION.