Der Blinde Er tastete sich durch die Verdunkelung. Langsam, Schritt für Schritt, schob er sich auf dem Trottoir dahin. Die Menschen huschten an ihm vorbei gleich Fledermäu­sen, gespenstisch und abenteuerlich. Seit­dem er das Augenlicht verloren, seit dem letzten Jahr des grossen Krieges, war es immer dunkler um ihn her geworden. Das Dunkel wurde sein Zuhause. Immerhin fühlte er das Licht wie einen grauen Nebel streif; schwache Umrisse von Menschen oder Häusern schienen ihm manchmal in diesem Nebel zu schwimmen. Und abends fiel der Schein der Lampen durch die Finsternis. Die Menschen erkannten sich, liefen normal, um ihn her war der Rhyth­mus belichteten Lebens, die wohlbekann­ten Geräusche normalen Verkehrs. Aber die Verdunkelung der Stadt, dieses Abwür­gen allen Lichts, nahm dem Blinden   seine letzte Orientierung, verschob die Geräu­sche, Hess die Menschen unsicher hasten und greifen. Sie stiessen ihn an, wichen ihm nicht mehr aus, wie ehedem. Es schien, als suchten sie alle verloren und hilflos nach dem Wege wie er. Gefahr und Ratlosigkeit tappte um ihn her. Die Dun­kelheit, seine Heimat, wurden ihm zum Schrecken, als sie über die anderen her­einbrach. Er lehnte sich an eine Hauswand. Die Leute huschten mumienhaft an ihm vor­über. Manchmal fluchten sie, der Groll zog mit ihnen einher. Das Schwarz des Abends hüllte ihn in einen erstickenden Flausch. Nirgends der fahle Schimmer eines fernen, fernen Lichtes. Schweisstropfen perlten auf seiner Stirn. Er erschrak, wenn die Tritte um ihn her verhallten und das Schwarze sich mit drohender Stille paarte. So stand er, als plötzlich die Sirene zu heulen begann. Die Menschen eilten jäher an ihm vorüber. Abgerissenes Kinderge­schrei. Gepresste Rufe verängstigter Frauen. Er tastete an den Mauern entlang. Wo war der Luftschutzkeller? Er fragte, aber niemand schien zu hören. Das Geheul der Sirene verschlang seine Stimme. Die Strasse wurde leer, nur da und dort der Hall eiliger Schritte. Wohin? Jetzt nur nicht auf der Strasse bleiben. Es war ver­boten. Es konnte Flugblätter regnen, jeder war verdächtig, der auf der Strasse blieb. Glitt da nicht ein Schatten dicht an ihm vorüber? Raschelte es nicht? Er griff in die Tasche, fühlte ein Papier, zerknüllte es, warf es von sich. Er wusste alles, was da geschrieben stand; es waren seine Gedan­ken, innerer Aufruhr eines Invaliden, der den Krieg verflucht und alle, die an die Gewalt glauben... Wohin? Wieder sind Schritte neben ihm, eine Hand packt sei­nen Arm:Kommen Sie..." Die Dunkelheit presst beide aneinander, den Führer und den Geführten, der Blinde lässt sich schlep­pen. Nur weg von der Strasse. Da stösst er Innere Front Bin Brief aus Deulscliland Ueber das neutrale Ausland wird uns ge­schrieben: . Was nun die Kriegsdichterei anbe- rung" seit Kriegsausbruch stark abge­dämpft wurde. Goebbels   erklärte Ende März in einer Rede vor den Filmleuten, .... ,.dass heitere und musikalische Stoffe ge­langt, so ist eure Beobachtung richtig: die rade in jetziger Zeit erwünscht sind..." neudeutsche Kriegslyrik hat schon im Fne- I)as heisst; Schwänke und Singspiele. Der den ihr Pulver verschossen. Ersatz ist ge- �m(jsier]jetrieb wächst auf der ganzen Li­schaffen: die Heimkriegslyrik. In der Na­zipresse konnte man jüngst ein Gedicht auf dieAusbilder" lesen; ihr Schmerz ist, dass sie nicht mit hinaus dürfenund tragen durch die Stuben der Kaserne das ernste Opfer schweigenden Verzichts..." Der zweite Vers lautet: Sie sind Soldaten, um dem Krieg zu die­nen, und bringen andren seine Künste bei und schämen sich mit hartem Wort vor ihnen des ewig gleichen Dienstes Einerlei. Als Verfasser zeichnet ein SS-Mann. Du siehst, es gibt immer wieder Neues unter der Sonne. Im ersten Weltkrieg wurde der Frontsoldat wider seinen Willen an­gesungen, derAusbilder" war froh, wenn man ihn in Ruhe Hess. Diesmal ist auch der Garnisondienst heroisch, denn die Prätorianer sind in der Garnison und las­sen sich widerspruchslos bescheinigen, dass ihr Opfer das schwerste, ihr Dienst der heroischste ist. Wenn das einer 1915 gewagt hätte! An dieser inneren Front tretenlitera­risch" fast nur die Lokaldichter hervor. Es ist, als schämten sich die Namhafteren dieser Glorifizierung der Ofenbank. Oder wollen sie sich nicht vorzeitig abnutzen und hält sie Goebbels   für späterenEin­satz" bereit? Man weiss es nicht. Jeden­falls sind sie etwas still geworden, wie überhaupt der Lärm dergeistigen Erneue- nie, wie seinerzeit während des Weltkriegs, nur hat der wilhelminische Staat nie derart mit der Erneuerungsphrase um sich ge­spien. In den Theatern triumphiert die i Leichtigkeit. So weit Qualifiziertes geboten wird, sind es alte Stücke. Der Spielplan der Berliner   Schauspielhäuser zeigte in der ersten Aprilwoche sechs alte Stücke und fünf Schwänke von 14 Theatern. Völlig versunken ist Gerhart Hauptmann  , obwohl er in den letzten zwei Jahren zwei neue Dramen gestartet hat. Sein neuestes Schau­spiel wurde Ende November vom Wiener Burgtheater   herausgebracht. Es' heisst Ulrich von Liechtenstein  " und behandelt die Wallfahrten des Ritters und Minnesän­gers gleichen Namens, der alsFrau Ve­nus" verkleidet durch die Länder zieht und die Frauen besingt. Auch dies Stück ging unter. Nirgends sah man es meines Wis­sens auf dem Spielplan wieder. Gerhart Hauptmann   die versunkene Glocke. Ver­sunken im Sumpfe der Gesinnungslosig­keit. Sonst wüsste ich nur noch ein Kuriosum. DerVölkische Beobachter", die Roman­tiker reinigend, nimmt plötzlich dem bis­her unangefochtenen E. T. A. Hoffmann erstens seine Romantik krumm und zwei­tens die Bearbeitung einer nordischen Sa­ge. Es handelt sich umDas Bergwerk von Falun", jene alte Legende, in der ein Berg­holen, der ihm von der Königin des Ber­ges verheissen wurde. DerVölkische Beobachter" weist die Märchen-Schöpfung entschieden zurück und meint: Denn für die Dichtung unserer Tage gibt es keine ernstere Verpflichtung als die Anerkennung der Wirklichkeit. Wer von den heute lebenden Dichtern über das Erz des Nordens schreiben wollte, das uns mehr bedeutet als eine blosse romantische Zauberattrappe, der müsste ein Epos von grossartiger Realität schaf­fen. wie es die heldische Lebenswirk- Hchkeit des deutschen   Volkes erfordert." So geht es drüben fortgesetzt durchein­ander. Bald wird Abwarten, bald politische Wirklichkeit gefordert. Wie aber, wenn irgend ein Steguweit dem Ruf nicht wider­stehen könnte, die Scharte auswetzen und dasEpos von grossartäger Realität" ver­fertigen wollte? Dürfte er schildern, wie in den Fjords dieTouristen" mit Hand­granaten landeten, wie diealtgermani- sche Urheimat" vom neugermanischen Stiefbruder heimtückisch überfallen wurde und wie dieser Stiefbruder dabei nach bol­schewistischer Hilfe schielte? Oder wäre das von zu grossartiger Realität? Was Wirklichkeit ist, bestimmt die Reichs- schrifttumskammer. Mancher erfährt es erst in Dachau  , oder wenn er aus der Schrifttumsliste verbannt ist, wie neuer­dings Friedrich Sieburg  , bis Anfang 1940 einer der gerissensten Naziagenten, heute von der offiziösen Liste der neudeutschen Journalisten gestrichen und erledigt so­fern er sich nicht durch eine neue Lumpe­reioben" wieder genehm macht. Jeder dieser Renegaten wird verwendet, bis er mann Elis Fröböm seine junge Frau am j sich abgezogen hat und sein Kredit, den er Hochzeitstag verlässt, um ihr aus dem hei den Neutralen hafte, verwirtschaftet Bergwerk jenen kostbaren Granatstein zu ist... Ländern züchtet die Nazintern skrupellose Hilfstruppen des Volks- und Landesverrats. Mystik, Bestechung, trügerische Verspre­chungen: das alles geht in diesem Treiben bunt durcheinander, immer aber bleibt es Korrumpierung derer, die davon erfasst werden. Immer gehen Spitzelei, Lüge, Tarnung dem offnen Volksverrat, dem Ein­zug des trojanischen Pferdes voran. Immer ist es Spekulation auf die moralische Min­derwertigkeit jener, die das trojanische Pferd ins eigene Land ziehen, immer ist es Zersetzung der hcrkömmlifchen Ideen vor. Volk, Staat, Vaterland. Obwohl sie das Schlagwort Vaterland ge­pachtet und maniakalisch heilig gespro­chen haben, sind die Nazis in einem ge versteht, was der Gangsterpartei oder ihrer Bonzokratie nützt. Es ist die Auflösung des Staatsbegriffs, indem die Phrase vom Machtstaat für eine Partei missbrauchl und zum Tode gehetzt wird. Gälte es die­ser Bonzokratie, sich vor einem Volkssturm zu retten, sie würde nicht zögern, die Dienste der GPU oder einer anderen frem­den Macht anzunehmen, dem Shiafsverrat würde der Volksverrat folgen. Und das deutsche   Volk würde sich heute, nach der Verschacherung der Südliroler wie der n-.-utschbatten, nicht einmal über diesen Landesverrat wundern. Denn es Hegt ein Gesetz in dieser Zerstörung grosser, noch immer gültiger Werte. Wer die Korrumpie- Gewalt des Bösen, Barbarischen mit ihrer Zersetzung des"Volkstumsbegriffs wider Willen gerade das junge Deutschland   auf­lockert und vorbereitet für ein schöpfe­risch-internationales, positiv-europäisches Denken der Zukunft. Ein blntiger, schmerz. hafter Umweg, der infolge der politischen Unreife breiter Schichten des deutschen  Volkes sehr teuer, zu teuer bezahlt wird. Der Onlslinzr Itisun Knut Hamsun  , in seinem politischen seinem Empfinden seit langem völkisch zurückge­blieben, hat vor der braunen Barbarei nicht rung oder Vernichtung anderer Völker als lll|'" kapituliert, sondern hat ihr die Wege Befrc-iungswerk ausgibt, wer bedenkenlos bereitet. Vor dem deutschen   Ueberfall schon konnte die norwegische ZeitungFritt Volk" einen Brief veröffentlichen, in dem Hamsun   die Deutschen   geradezu herbei­winkt:Es ist so, dass viele von unseren ' meingefährlich nihilistischen Sinne vater- rait der Schulter hart gegen eine Hausecke,', landslos. Das beginnt mit ihren Putschen eigene Volksteile verkauft, unterminiert die fremde, rettende Hand ist fort... Still und Attentaten gegen das niedergeworfene, das Volksbewusstsein im eignen Volke. die Strasse... Er tastet nach seiner Brust- wunde Deutschland   der zwanziger Jahre, Wenn die Nazijugend heuteDeutschland  " taschc, das Portefeuille fehlt... Er greift das geht weiter mit Hitlers   Erklärung je- sagt, so meint sie bereits ein Völkerkonglo- sich an der Hauswand entlang, schiebt sich; ner Zeit, dass seine Anhänger nicht daran merat, ausgeplündert und ausgesogen vondeinen Leuten die Hoffnung haben, dass in einen Hausflur, trocknet das Schweis- 1 dächten, die Weimarer Republik   gegen et- einer braunen Hierarchie, die Reichtum 1 cutsch and uns schützen werde... Wir Gesicht mit dem Taschentuch. Es waige auswärtige Gegner mit der Waffe zu und Gesundheit des eignen Volkes vei»-| wollen n� ht in eine fremde Macht kom- aicn. Mehr und mehr von uns haben die Hoffnung auf Deutschland  ..." Die Hitlertruppen kamen und derVöl­kische Beobachter"(29. 4.) kann eine Ham- drängt ihn zu schreien:Licht! Licht!" verteidigen. Und das mündet schliesslich schleudert hat. Es ist die negativ-interna- Da erhebt sich die Sirene wieder, anset- in die Entthronung des Staates und seiner fionale Denkart politischen Gangstertums, zend mit tiefem Tone, nach oben heulend Institutionen durch eine Gangsterparlei, die in nihilistischer Imperialismus der Ge- Der Alarm ist vorüber, es war nur ein üebertragung der Staafssouveränität auf meinheif. Probealarm. Die Strasse belebt sich, das Leben kriecht aus Kellern. Wieder hasten die Menschen davon, lautlos und fremd. Er lässt sich von den Wellen der Hastenden mit davon tragen. Er spürt, wie manchmal Hände an den Häusern entlang tasten, al­les erscheint scheu, hastig, unsicher, stumm. Alle sind sie wie er, der Blinde. Ein Volk, seit Jahren in geistiger Verdun­kelung gehalten! Unsicher geworden, fin­det es sich in seiner Umgebung nicht mehr zurecht, tappt im Dunklen, wird ängstlich, ergibt sich in jede Führung, ganz gleich wohin, und preist selbst den falschen Füh­rer als Retter aus der Finsternis. Eines Ta­ges wird es dastehen wie er, der Blinde: betrogen, beraubt und schreiend nach Licht, Licht, Helle... Die Wellen lösen sich auf, leerer wird die Strasse wieder und leerer. Nur die Dunkelheit bleibt und die lauernde Angst. Der Blinde biegt in eine Hauptstrasse ein, Lichlfcfzen schimmern grau von weither. Er hat seine Bangigkeit überwunden, tiefes Mitleid fühlt er. Mitleid mit diesen Millio­nen, die sich Sehende nennen. B. G Mit Gott für König und Vaterland. Die wenigen Todesanzeigen für Gefallene, die in der deutschen   Presse gebracht werden dürfen, beginnen mit der Wendung:Für Führer und Vaterland fiel..." Ber braune Fandenverrat Xersltfrnny der Volks limiMplirase Zu den Widersprüchen der Nazi-Praxis gehört ihre raffiniert getarnte Vaterlands­losigkeit. Mit dem demagogischen Geschrei für Staat, Volkstum und Vaterland ist die braune Bewegung gross geworden, in der Verwirrung aller dieser Begriffe wird sie enden. Seyss-Inquart  , Hacha  , Quisling  , Mussert, das Treiben der Kommunazi, der Agenten des Stalin Hitlerpaktes in allen eine Parteihierarchie zum Nutzen dieser Die Geschichte geht, um neue grosse Zuschrift an die ZeitschriftNa- Hierarchie, die Aufrichtung einer blutigen Ziele zu erreichen, mitunter verschlungene j nachdrucken, in der Hamsun   die Willkürherrschaft, die unter Recht jeweils Wege. Und so kann es kommen, dass die:! �ntmäs.-.ige Regierung beschimpft, weil i sie den Refehl zum Widerstand gegeben habe. Während Sigrid Undset   und andere namhafte norwegische Schriftsteller gegen fBjhlwfcll den heimtückischen Ueberfall zu Felde zie- Mw"m 1 hen. hat sich der Achtzigjährige mit den An einen Junaten Deulschen Quislingen gemein gemacht. Aller schützt nicht vor Arterienverkalkung. Dein Ideal ist der Rebell, mein Junge, und da du dir als ein Rebell erscheinst, hältst du dich selbst für einen Kerl, mein Junge, und lebst verdammt gefährlich, wie du meinst. Ich will dir ein Geheimnis anvertrauen, das dir dein Lehrer vorenthielt, mein Sohn, Allein mit Schiessen, Stechen, Hauen macht man wohl Lärm doch keine Rebellion. Weisst du, was das bedeutet: rebellieren? Das heisst, dass man mit seinem Kopfe denkt und prüft, wofür es lohnt, ihn zu riskieren. Der ist kein Kerl, der seinen Kopf verschenkt. Den Kopf hast du riskiert, wie dir's befohlen, doch hast du schon einmal damit gedacht? Du bist nur kühn, um dir das Lob zu holen, das dich zu einem guten Bürger macht. Entschliesse dich, die Regeln aufzugeben, die man dir künstlich in den Kopf gezwängt. Dann weisst du, was das heisst: gefährlich leben, dann bist du in Gefahr, dass man dich hängt. Lauf nicht mehr mit im altgewohnten Trabe zwar fällt dir dann kein Orden in den Schoss, zwar giltst du dann nicht mehr als Musterknabe, zwar sagt, wer brav sein will, sich von dir los, doch so nur wirst du ein Rebell, mein Junge, noch bist du nicht, was du zu sein vermeinst, noch bist du nichts als ein Helot, mein Junge, lern endlich wagen, werde, was du scheinst! BEZUGSBEDINGUNGEN Der!VEUE VORWAERTS kostet Le Girant: Albert MARION-