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Begräbnis- und Trauerbräuche.
Von Dr. Adolf Heilborn.
bes Sozialismus zeigt er uns, wie die landläufige flache Definition Erde nieder. Unter Vortritt des Meltesten wird der Leichnam der Juristen, Eigentum sei die volle rechtliche Herrschaft über mit grünen Zweigen oder Grasbüscheln bedeckt, wobei jeder eine Sache", durchaus nicht einmal für das römische Recht zutrifft, das Gebet spricht:„ Mein Gott, der Vater ist gestorben; ich Bird die aus geschweige denn für die Zukunft aufrechterhalten werden kann. Er Nur selten ist der Menschheit das Sterben so vertraut ge- bitte, gieb Gesundheit, Besitz und Kinder." zeigt, wie der gesellschaftliche Charakter der Privatrechte, der wesen, wie es uns in diesen drei langen, bangen Jahren gelegte Leiche gleich in der ersten Nacht von Hyänen gefressen, Gedanke, daß alle vom Privatrecht verliehenen Befugnisse, wenn sie ward, da der Tod in wechselnder Kriegergestalt über die Erde fo gilt dies als ein Zeichen Gottes, auf dessen Geheiß in auch zunächst nur das Individuum zum Zweck haben, gebunden sind geht und schier allzu reiche Ernte hält. Nicht allein den diesem Falle die Tiere handeln, daß der Verstorbene ein guter durch die Rücksicht auf die Gesellschaft, immer stärker Männern da draußen, die ihm stündlich begegnen, die er Mensch war. Erwähnt sei hier noch der ja allbekannte nach rechtlicher Anerkennung gegenüber der individualistischen Auf- mitten in der Bahn stürzt und fort vom vollen Leben reißt: Brauch der Parsi, der einst vor dem andringenden Islam aus fassung schreit. auch den Daheimgebliebenen ist wohl aus diesen Sterbetagen Persien nach Indien ausgewanderten Anhänger der ZarathustraDieselbe Entwidlung sehen wir bei der Stellung der Rechts- ein neues Verhältnis zum Tode erwachsen, ein Empfinden, das Lehre, die Leichen auf hohen Türmen, den Türmen des ordnung zur menschlichen Arbeit. Immer mehr schwellen im Sterben über die sinnlose Vernichtung hinaus die hohe Schweigens", den Geiern zum Fraße auszusetzen. Schon der alte hier die Vorschriften an, die der Jurist zwingende" nennt, deren Idee des Dpfers begreifen lernte. griechischeHistoriker Herodot wußte von diesem Brauche zu erzählen. Wesen in ihrer Unabdingbarkeit" liegt. Das Recht zwingt den ein- Wesentlich anders steht der Naturmensch dem Tode gegen- Eine andere frühe Form, den unheimlichen Toten zu bezelnen Arbeiter, selbst wider seinen Willen frei zu sein. Troßdem über, wie das besonders deutlich aus den Begräbnis- und seitigen, sich seiner so gut als möglich zu versichern, besteht Hinterbliebenen er durch Vertrag mit dem Unternehmer auf gewisse Rechte verzichtet Trauerbräuchen der Wilden erhellt. Und weil es in der Kultur- darin, daß die selber den Körper hat, bleiben ihm diese dennoch gewahrt. Für das Recht hat der Privat- entwicklung ganz wie in der natürlichen Entwicklung der Lebe- berzehren." Sucht dann die Seele," sagt Slaatsch, vertrag, wenn er als ein unjittlicher angesehen wird, feine Eristenz. wesen nirgends unvermittelte Sprünge gibt, weil jede Sitte ihren alten Sitz, so muß sie in die Ueberlebenden Diese Entwicklung nun das ist das Neue hat durch den in Traditionen steht, d. h. durch Weitergeben einer irgendwann fahren; das hat die günstige Folge, daß letztere die EigenKrieg eine Ausdehnung und Beschleunigung erfahren, die auf das einmal gewonnenen Anschauung, eines irgendwie einmal ge- fchaften des Verstorbenen in sich aufnehmen. In diesem sorgfältigste beachtet werden muß. Gewiß finden wir in der Ge- übten Brauches an Kinder und Kindesfinder und so durch alle Gedankenzusammenhange ist das Urwesen und die Ursache des schichte des Rechts leise Anfäge zu dem Gedanken, daß der Glieder eines Volkes fort, sind die letzten Niederschläge jener Stannibalismus( Menschenfresserei) zu suchen." Die australische Produktions freiheit, die privater Willkür überlassen ist, ein frühen Anschauungen der Menschheit vom Tode Mutter ist sogar das Fleisch ihres gestorbenen, geliebten Produktions zwang entsprechen müsse. Wer z. B. Rechte aus dem auch in unseren Begräbnis- und Trauer- Kindes und schleppt die sauber hergerichteten und rot gefärbten Lehen beansprucht, so sagt das alte Deutsche Recht, hat auch die bräuchen durch all die Hüllen hindurch, mit denen wir, Knochen ihres Lieblings jahrelang mit sich in einem Beutel Pflicht, das Lehen zu nutzen. Zögert der Bergwerkseigentümer längst in Unkenntnis der ursprünglichen Bedeutung und ihrer herum.„ Diese Jdee, die Eigenschaften eines andern sich auf mit der Hebung der Schätze des Bergwerts, so entzieht ihm das uralten Beziehungen, sie umgeben haben, noch under förperlichem Wege einverleiben zu fönnen," fügt klaatsch Berggefeß das Bergwerkseigentum. Zum Wohle des gemeinen Wesens tennbar und lebendig. seinem Berichte hinzu, ist der Menschheit teils unter der macht das preußische Landrecht den scharfen Einschnitt in die Brivat- Von allen Daseinsrätseln ist für die naive Menschheit der Form des Aberglaubens, teils im Gefolge religiöser VorDie australischen Eingeborenen bieten wirtschaft, daß der Staat jedermann zum Verkaufe feiner Sachen, natürliche Tod sicherlich das schwierigste und unheimlichste. Es stellungen verblieben. insbesondere auch seiner Getreidevorräte behufs Abwendung einer dünkt dem Naturfinde unfaßbar, daß ein Wesen gleich ihm, darin für die Mission einen sehr günstigen Boden, insofern ihnen drohenden Hungersnot zwingen darf. das eben noch warm und rot daherging, plötzlich kalt und die Vorstellungen, die beim christlichen Abendmahl von Bedeutung Diese gefunden Keime hat die Manchesterlehre rücksichtslos zer- blaß hingestreckt liege. Der Wilde kann sich gar nicht vor- sind, durchaus selbstverständlich erscheinen, indem sie Christus treten, bis uns der Krieg eine Flut von Verordnungen gebracht hat, stellen, daß das Leben dieses Weggenossen auf einmal auf- als einen hervorragenden Menschen beurteilen, dessen Fleisch die das mit starkem Strafschutz umgebene öffentliche Inter höre, da es doch gleich seinem eigenen noch eben da und Blut genossen werden muß, um ihm ähnlich zu werden." esse der Verfügungsfreiheit des Eigentümers über seine war und sich auch ganz so betätigte. Und aus diesem Eine dritte, frühe Art, sich des Leichnams für immer zu Sachen gegenüberstellen. Gab es bisher einen privateren Unerklärlichen und dem Empfinden schreckender Totenfälte und entledigen, ist der Brauch, den Toten ins Wasser zu Aft, als den Willensentschluß des Einzelnen, zu ber- starre steigt jäh ein Furchtgefühl in ihm auf, das noch be- werfen. Noch heute ist diese Bestattungsform im Volfskult brauchen, was ihm gefällt, ihm gefällt, und sich diesen Genuß das deutsam durch Erlebnisse des Traumes gemehrt wird. In Indiens die gewöhnliche. Ja, sogar die unheilbaren Kranken Toften zu lassen, was ihm beliebt, sofern er nur das der Gestalt wirklichen Lebens erscheint der Tote dem und siechen Alten trägt man an die Ufer des Ganges und nötige Kleingeld Kleingeld hatte? Der Verbrauch war ein wirt Schlafenden: sprechend, flagend, handelnd, fordernd, drohend, setzt sie," wie Eduard Hildebrand erzählt, so nahe an den schaftlicher, fein rechtlicher Vorgang. Heute regeln diese Frage und es ist durchaus einleuchtend, daß gerade die aus solchen Rand des Wassers, daß die nächste lebhafte Welle sie hinabLegionen von Gesetzen und Verordnungen. Wer mehr fordert, als törperlichen Eindrücken und seelischen Erregungen geborenen spülen muß". Aehnlich werden in Ditgrönland Leute, die der Staat für angemessen erachtet, aber auch wer mehr zahlt, ist Träume besonders lebhaft und quälend sind, sich fortspinnen, lange frank sind, von ihren Angehörigen gezwungen, sich ins dem Strafrichter verfallen. ins Wachen hinüberziehen und gleichsam Fleisch und Blut Meer zu stürzen. Unserem Empfinden nach wesentlich verDie Wucherparagraphen find auf Tatbestände aus- gewinnen. Der Tote ist gar nicht tot, er ist nur anders, ein edelt, tritt uns solch Bestattungsbrauch in der gleichfalls weit gedeunt worden, die bisher als das dem staatlichen Eingriff ver- Geist" geworden, der besondere Berehrung heischt, etwas verbreiteten( heut namentlich von den malaiischen Völkern geschlossene Heiligtum des berechtigten Profites galten. Die Arbeit Fremdes, Kaltes, Unheimliches, gegen das man sich schützen übten) Sitte ertgegen, den Toten auf einem Floß oder in wird zu einer gesellschaftlichen Angelegenheit, ein Prinzip, das muß, etwas Feindliches, dessen man sich erwehren muß. einem Boote dem Wasser anzuvertrauen, wobei die germanidie materielle Grundlage der heutigen Rechtsordnung von Grund Solche Empfindungen und Gedankengänge, die überall und schen Seevölker das Totenboot überdies noch anzündeten. aus zu verändern geeignet ist. Man denke z. B. an die am 1. Juni zu allen Zeiten im naiven Menschen entstanden sind und täg- Schließlich klingt der Brauch solcher Wasserbestattung in der d. J. in Kraft getretene Verordnung des Oberbefehlshabers in den lich aufs neue entstehen, die auch uns Kindern einer höheren Gewöhnung aus, den Toten in einem Boote oder bootähnlichen Marken, die die tarifvertragswidrige 2ohnzahlung Kultur gewiß nicht fremd sind, schufen die mannigfachen Be- Troge in der Erde beizusetzen. Nicht ohne guten Grund verdurch den Unternehmer mit Kriminalstrafe und ferner mit gräbnis- und Trauerbräuche, die sich, Ehrfurcht und Furcht mutet Schurk, daß unser Sarg die Fortbilciner an das Bekleidungsamt zu entrichtenden Buße be- seltsam verquickend, im letzten Grunde sämtlich als Ab- dung des in einem ausgehöhlten Baumstamme bedroht, die den Unternehmer selbst dann trifft, wenn nicht er, wehr- und Schutzmaßregeln gegen den stehenden Totenbootes sei. Derartige Einbaumfärge, sondern der Unterlieferant oder der Zwischenmeister den Verstoß geisternden Toten erweisen. die nicht selten schon mit einem Deckel, der anderen Hälfte begangen haben. Vielleicht hat die erste solche Schuh- und Abwehrhandlung des Baumstammes eben, geschlossen sind, fennen wir bereits Wie dieser Gedante der Sozialisierung des Privatdarin bestanden, daß man den Toten einfach floh, die Leiche aus der Bronzezeit( etwa 1800 bis 1000 v. Chr.) und zumal rechts, diese Erkenntnis der Abhängigkeit aller Rechtsbeziehungen also gleichsam ihrem Schicksal überließ, indem man den Wohn- aus Nordeuropa. vom Gemeinwillen, dies Herabfallen der Maske, die die privaten plak aufgab und weiterzog. Noch heute verlegen z.. B. die Noch schneller und gründlicher als das Wasser vernichtet Rechtsverhältnisse tragen, umgestaltend auf die überlieferten Rechts- Schwarzfuß- Indianer in Stanada bei Todesfällen ihren Lager- das Feuer den Toten, und die Feuerbestattung ist desanschauungen wirken, insbesondere das ganze Zarifvertragsrecht play. In Weiterentwicklung führt diese Form, sich des ge- halb auch uralt und weltweit verbreitet. Sie begann höchst fundamental verändern muß, hat unser Parteigenosse Rechtsanwalt fürchteten Toten zu entledigen, dann zum Brauche der wahrscheinlich damit, daß man die Hütte über dem Toten anSinzheimer in Frankfurt a. M. in einem vor einigen Wochen Reichenausfegung, der noch heute auch unter höher- zündete und ihn so mitsamt seiner Habe aus der Welt schaffte. erschienenen Buche: Ein Arbeitstarifgeset" in großzügiger Weise stehenden Völkern weit verbreitet ist. So berichtet Filchner Sehr bezeichnend heißt es in Homers Jlias" von den Vorbargelegt. von den buddhistischen Tibetern:„ Die gebräuchlichste Art der fehrungen zur Verbrennung der Leiche des Patroklos, man Selbstverständlich können wir nicht annehmen, daß die Logik der Bestattung ist die unter freiem Himmel. Man bringt den möge Holz aus dem Walde holen, daß uns jenen nunmehr Tatsachen dazu führen wird, gradlinig und ohne Hemmungen die Toten zu diesem Zwede auf die weiten Ebenen, auf die verbrenn' unermüdetes Feuer schnell aus den Augen Folgerungen aus den angeführten Tatsachen zu ziehen. Schon jetzt Gipfel der Berge oder in einsame Schluchten oder an eigens hinweg". Damit die Seele schnell ins Geiſterreich gehören wir den Einwand, daß der Ausnahmezustand des Krieges es hierzu ausgewählte, meistens ummauerte Plätze, wo man sie lange", verbrannten die standinavisch- russischen Baräger noch leider mit sich bringe, privatrechtliche Verabredungen durch öffent- aussett und den wilden Tieren preisgibt. Als ein gutes im Mittelalter ihre Toten. des Verstorbenen gilt es, Uralter Bestattungsbrauch ist nun auch die Beerdiliche Strafandrohungen schüßen zu müssen, daß damit aber der An- Zeichen für den Charakter fang auf einer recht schiefen Ebene gemacht sei. Diese Widerstände menn seine Leiche rasch aufgefressen wird." Ganz das gung, und zu dem Grabe gehört von allem Anfang an werden nach dem Kriege wachsen. Aber eins wird man nicht ber- gleiche berichtet Merker von den Masai in Deutsch - Dstafrika. Der Grabstein. Alte Erfahrungen der vergleichenden hindern können: die Erfahrungen des Krieges werden der Arbeiter- Unter dem Klagegeschrei der im Stral( Dorf) berbleibenden Völkerkunde lehren uns, daß Grab und Grabstein ursprünglich bewegung Waffen im Stampfe um die Sozialisierung des Privat- Weiber tragen die Söhne den Toten hinaus und legen ihn lediglich den Zweck haben, eine Wiederkunft, ein rechts liefern, die sie zu gebrauchen wissen wird! nach einigen hundert Schritten in Schlafstellung auf der bloßen Auferstehen der Toten möglichst gründlich
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Die Diebin.
Von W. Perzynski
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es ältere Reute, schwarzgekleidete Frauen mit weißem Scheitel, die den besseren Gesellschaftskreisen angehörten. Nach einiger Zeit fannte ich den kleinen Kirchhof, als wäre ich selber der Wächter. Ich wußte, welche Gräber befucht wurden und welche ganz der Vergessenheit anheimgefallen waren.
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frühen Morgen an. Ich mußte nun, während mein Zimmer aufgeräumt wurde, eine andere Zufluchtsstätte suchen und ging in ein Café. Da regte sich in mir plöglich der Wunsch, zu erfahren, wie mein altes Mütterchen an einem solchen Ich wohnte eine Zeitlang in der Nähe eines kleinen falten, regnerischen Tage, an dem man das Haus schwerlich verlassen konnte, ihre Zeit verbrachte. Nach dem Kirchhof Kirchhofes, einer jener Kirchhöfe, wie man sie zuweilen in Unter den seltenen Grabbesuchern fiel mir bald eine konnte sie doch schwerlich gehen. Oder vielleicht doch? Ich großen Städten, zwischen geräuschvollen und verkehrsreichen Straßen versteckt, von Lebenden und Toten vergessen, findet. ältere Frau mit äußerst sympathischen Gesichtszügen auf. Sch gab der Neugier nach und wanderte langsam nach dem Gerade diese Verlassenheit verlieh ihm einen melancho- begegnete ihr jeden Tag, fie fam ebenso regelmäßig wie ich, Kirchhof. Es war scheinbar kein Mensch dort. Selbst der Wächter lischen Reiz; er gemahnte mich an eine alte, herrschaftliche aber während ich in meinem Buche las oder in den mit einem Wohnstätte, voller Erinnerungen an den Glanz vergangener Teppich welfer Blätter ausgelegten Alleen schlenderte, ver- hatte seinen Platz in seinem Häuschen vor dem Tore verZeiten. Ringsumher türmten sich Riesenhäuser, bis über die brachte sie die ganze Zeit in andächtigem Gebet an einem lassen. Aber vor dem mir wohlbekannten Grabe fniete unter Dächer mit goldenen Reklamelettern verpugt; von den Grabe knieend, das, wie ich aus der Inschrift erfuhr, die einem Schirm auf einem über die schmutzige Erde ausgebreiteten Zeitungsbogen die traurige Mutter. Ich empfand Mauern schillerten die Farben der marktschreierischen irdischen Ueberreste eines jungen Mädchens bedeckte. Ich beobachtete sie oft aus der Ferne und war von dem in jenem Augenblick eine jener Regungen, deren die Menschen Annoncen, von den Nachbarstraßen drang das Großstadtgeräusch herüber das Rascheln der Droschken, das Geflingel Schmerz, der nach so vielen Jahren noch ungeftillt und frisch sich schämen, anstatt sich dessen zu schämen, daß sie ihnen nicht der elektrischen Bahn, die gellenden Automobilsignale. Troß war, tief gerührt. Sie hatte auch die äußeren Anzeichen des folgen ich wollte mich der alten Dame nähern und ihr die dieser aufdringlichen Lebenssymptome wehte von dem Kirch- Schmerzes beibehalten, denn sie trug Trauerkleider und einen Hand füssen. An diesem Tage war ich zum letztenmal auf dem Kirchhof stets ein wohltuender Friede. Besonders friedlich schien langen, schwarzen Schleier, der vom Alter ganz braun gehof. Am nächsten Morgen siedelte ich nach einem anderen er zu jener Zeit, als ich ihn besuchte im Herbst, Anfang brannt worden war. Ich erriet, daß diese alte Dame die Mutter des ver- Stadtviertel über, und meine Lebensgewohnheiten änderten Oktober. Goldene und rote Blätter fielen fanft von den Bäumen storbenen Mädchens war; aus der dürftigen, altmodischen sich. Uebrigens herrschte kaltes, regnerisches Herbstwetter, und wiegten sich lange in der Luft über den weißen Gräber- Kleidung entnahm ich, daß sie in schlechten Verhältnissen das zu Spaziergängen nicht anregte. Erst nach einigen Wochen denkmälern, gleich großen, phantastischen Schmetterlingen. lebte; es rührte mich darum um so mehr, daß sie tagaus, tag- erwachte in mir der sentimentale Wunsch, meine alte Gegend An stillen, sonnigen Vormittagen gewann der altmodische ein einen Kranz oder ein paar Blumen auf dem teuren Grabe wieder aufzusuchen. Eigentlich lag mir mehr daran, das alte Kirchhof einen unsagbaren Reiz; selbst die steinernen Engel niederlegte, und an manchen Tagen, die vielleicht lebhaftere Mütterchen wiederzusehen, zu dem mich eine zarte Sympathie schienen unter der Berührung der Sonnenstrahlen zu schillern, Erinnerungen in ihr wachriefen, große Blumensträuße mit- hinzog. An einem trodenen, sonnigen Tage begab ich mich alles wurde von einem süßen Traumgespinst umwoben. Ich brachte. Dadurch zeichnete sich dieses Grab, das an und für nach dem Kirchhof. Aber das Mütterchen war nicht dort und fam täglich hin, am häufigsten mit einem Buch in der Hand; sich bescheidener als die anderen aussah, auf dem Kirchhof keine Blume schmückte das verlassene Grab. Dafür bewachte so in meine Lektüre versunken, verbrachte ich manchmal den durch seltsame Anmut aus: es war von dem schmerzerfüllten der Wächter mit dem hölzernen Fuß die Stelle. Das fiel mir ganzen Vormittag auf einer steinernen Bank unter Gräbern. Gedenken eines Herzens umgeben, das den prächtigeren, auf, weil er seinen Posten vor dem Tore sonst niemals verließ. Er erkannte mich und begrüßte mich wie früher mit Der Kirchhofswächter, ein alter Veteran mit hölzernem Fuß, besser gepflegten Gräbern fehlte. Ich stellte mir in der Phantasie das Leben dieser altern- freundlichem Lächeln. Ich näherte mich ihm. fannte mich bald und grüßte mich schon von weitem mit einem liebenswürdigen Lächeln. den Frau vor, für die seit dem Tode der Tochter Jahrzehnte ,, Nun, ist das alte Mütterchen gestorben?" fragte ich mit Ich kam nicht hierher, um Stimmungen zu suchen. Daß hindurch die Grabbesuche und das Niederlegen von Blumen einem melancholischen Lächeln und zeigte mit den Augen auf ich den Kirchhof täglich aufsuchte, hatte seinen Grund in sehr auf dem Grabe der zu früh Entschlafenen den einzigen In- das Grab. Statt zu antworten, maß er mich mit einem unalltäglichen und prosaischen Dingen: ich mußte nämlich von halt der trostlos traurigen Tage bildete. Wenn ich sie ansah, willigen Blid. Erst nach einer Weile brummte er, indem er Hause fortgehen, während mein Zimmer aufgeräumt wurde; dann begriff ich, daß es für wahre Liebe keinen Tod gibt. mich verdächtig ansah: Kannten Sie fie?" in dem bevölkerten, mit Kasernen vollgedrängten Stadtteil Wenn fie feinen Kranz zum Kirchhof trug, so ging fie einfach war dieser Kirchhof die einzige Stelle, wo einige Bäume mit Blumen zur Tochter. Und die steinerne Platte des Grabwuchsen und man ein wenig freieren Raum finden konnte. denkmals nahm diese Blumen entgegen, als wären es lebenDer Kirchhof wurde wohl nicht mehr erweitert, ich war dige, dankbare Hände.
niemals einem Zeichenzug begegnet. Auch famen nur ganzi Nach einigen Wochen wunderbaren Herbstvetters über bereinzelte Personen, die Gräber zu schmüden; meist waren zog sich der Himmel plößlich mit Wolfen. Es regnete vom
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Nein," entgegnete ich, über seinen Unwillen bestürzt. " Ihr Mütterchen war... eine Spitbübin!" stieß er plößlich hervor und wurde ganz rot vor Zorn.„ Wissen Sie, bas Sie tat?... Sie stahl die Kränze und Blumen von den anderen Gräbern und schmückte mit ihnen ihr Grab..."