■ M■ PkM M i A Bkl| u inri I* n l ff— Journal social-democrate destin4JOClHNnLi AnTSnlTLERIErl aux r6fugi6s de langue allemandeNOUVEL"EN AVANT!" Hebdomadaire en langue allemandeRedaktion und Verlag: 30, Rue des Ecoles, Paris-5. Telephone: Odeon 42-58Nr. 344. SONNTAG, 21. Januar 1940Aus dem Inhalt:Der deutsche Handel stirbtGrossrazzia in StettinFrauen im Lagerl*rl»: irr. I,&0Vor einer neuen PhaseIVocIl eine« Friedcnsoffeiisive» Hitlers IManche Anzeichen sprechen dafür,dass wir vor einer neuen Phase des Krieges stehen. Holland und Belgien verstärken ihre Verteidi�ungsmassnahmenund aus der Schweiz kommen besorgteMeldungen über eine Gefährdung ihrerNeutralität. Nach Finnland wirft Sta-li« neue Truppenmassen zum Ersatzder aufgeriebenen Divisionen und lässtseine Flugwaffe neue Heldentaten gegenoffene Städte und ihre wehrlose Bevölkerung vollbringen. Ob deutscheOffiziere an der Leitung der Operationteilnehmen, lässt sich mit Sicherheitnicht feststellen, hat aber mancheWahrscheinlichkeit für sich. Stalinmuss eine rasche Entscheidung auchum hohen Preis an Menschen- und Materialopfer herbeiführen, um seine undHitlers Hände freizubekommen für dieanderen Aufgaben, für die die EroberungFinnlands nur die Vorausetzung bildensollte. Er muss sich beeilen, um dieVerzögerung, die FinnJands staunenswerter Widerstand gegen die Sowjet-Uebermacht in seinen und Hitlers Plänen bewirkt hat, nicht fatal werden zulassen, und er muss ein Ende machen,bevor die Hilfe" anderer Länder vollwirksam werden kann.Indem aber Finnland die russischenKräfte bindet, indem dadurch zugleichein deutsches Vorgehen auf anderenKriegsschauplätzen zunächst erschwertwird, da dies vom Zeilpunkt und Artdes Ausgangs des Kampfes um Finnland mitbestimmt wird, wird der finn-ländische Kriegsschauplatz von grosserWichtigkeit nicht nur für die skandinavischen Länder, sondern für die Alliierten selbst. Für sie ergeben sich damit schwerwiegende Entscheidungen sowohl für das Ausmass der Hilfe, die sieFinnland gewähren,— und Finnlandbraucht nicht nur Material, vor allemJagdflugzeuge, sondern auch Menschen—, als auch für ihr Verhältnis in Russland selbst. Und dieses Verhältnismüsste sich ausserordentlich verschärfen, wenn Russland nach Besiegung desfinnischen Widerstandes auf Norwegen"nd Schweden übergreifen würde.Wenn das aber zu erwarten ist, warumdann nicht schon die Entscheidung inFinnland suchen, statt erst seine Ueber-windung zuzulassen? Der weitere Verlauf der Kämpfe in Finnland kann fürden Entschluss der Westmächte bestimmend werden und über das Verhältniszu Russland entscheiden.Hitler als Stalins Verbündeter, ungeduldig den Zeitpunkt erwartend, wo eran dessen Seite selbst in Schweden erscheinen könnte, sucht unterdessen dieHilfeleistung für Finnland möglichst zuhemmen. Er steigert den Druck aufSchweden und Norwegen, die den Transit der Waffentransporte durch ihr Gebiet gestatten; er droht ihnen mit kriegerischen Eingriffen, wTe,nn sie englische Stützpunkte auf ihrem Gebiet zulassen sollten oder den Transportalliierter Hilfskräfte nach Finnland gestatteten; Hitler will selbst im Bundemit Stalin über Schweden verfügen, erfürchtet, die Alliierten könnten ihm zu-lleutsielilancl heuteUnter dem PolizefolieTel der GestapoCirossrazxia in SiedlnDass in den Parkanlagen deutscher Städte die Polizei zu nächtlicher Stunde Razzienveranstaltet, um Jagd auf„lichtscheue Elemente" zu machen, das wäre an sich nichtsNeues und Bemerkenswertes. DerartigeMassnahmen hat man auch früher gekannt.Ein bestimmtes Gebiet wurde zu bestimmter Stunde von der Polizei abgesperrt undkontrolliert. Stiess man dabei auf Personen, die sich nicht hinreichend ausweisenkonnten oder die sonst irgendwie verdächtig erschienen, so nahm man sie zum nächsten Polizeirevier mit, zwecks Feststellungder Personalien.Nein, mit dieser alten„ehrlichen" Formder Razzia sind die Menschenjagden nichtidentisch, die— wie uns berichtet wird—seit einiger Zeit in unregelmässigen Abständen in deutschen Städten von der Polizei veranstaltet werden. Es ist denn aucheine besondere Sorte von Polizei, die dieseJagden durchführt. Nämlich die Gestapo.Und die uniformierten Hilfskräfte, derensie sich dabei bedient, werden nicht vonder Schupo, sondern von den schwarzenInnenkriegs-Knechten der SS gestellt.Vor uns liegt ein Bericht über eine derartige Razzia, die im Dezember 1939 inStettin durchgeführt wurde.Nicht zur Nachtzeit, sondern in denAbendstunden, etwa gegen 20 Uhr, beganndas grosse Kesseltreiben. Ein ganzer grosser Stadtteil, mitten im Kern Stettins gelegen, sowie die sogenannten Grabower Anlagen wurden plötzlich von einem starkenAufgebot der Hitlermiliz hermetisch abgeschlossen.„Stehen bleiben! Razzia!"... SämtlichePersonen, die zwischen Grabower Strasse,Dohrnstrasse und Birken-Allee angetroffenwurden, wurden zum Polizeipräsidiumtransportiert. Wohlgemerkt: auch diejenigen, die sich durch Pass oder„Kennkarte"sofort einwandfrei ausweisen konnten, wurden mitgeschleppt und stundenlang festgehalten. Unter ihnen befanden sich auchAngehörige des Heeres, die auf dem Heimweg zur Kaserne waren. Die festgenommenen„Volksgenossen" mussten teilweiseden Herren von der Gestapo sehr detaillierte Auskünfte über das Woher, Wohinund Warum ihres abendlichen Weges geben. Die Betroffenen nahmen sich meistnicht die— übrigens höchst riskable—Mühe, gegen all diese tollen Schikanenauch nur im mindesten zu protestieren.Resigniert standen sie Rede und Antwort.Dass der Bürger des Dritten Reiches nurein willenloses Objekt der Obrigkeit ist undin jedem Augenblick auf jede Willkür ge-fasst sein muss,— diese Erkenntnis ist seitsieben Jahren totaler Volksvergewaltigungjedem Naziunfertanen zum Axiom geworden.Waren auch Nazibonzen unter den Opfern der Stettiner Menschen jagd? Nein.Ihnen hatte man jede Unannehmlichkeiterspart, indem man ihnen vorher das geheime Wörfchen„Paula" mitgeteilt halle.Das war das Losungswort. Wer es nennen konnte, durfte sofort unbehelligt seines Weges ziehen. An diesem Abendgrüssten die braunen Söldner einandernicht mit„Heil Hitler", sondern mit demdeutschen Gruss„Paula"...Ja, aber-- wozu das alles? Erscheintes nicht schwer, in derartigen Razzien irgend einen Sinn— es sei denn offenenWahnsinn— zu entdecken? Gewiss. Aberdiesem Wahnsinn gebricht es keinesfalls anBerechnung und Methode. Die Menschenjagden der Gestapo und SS können offensichtlich nur ein Ziel verfolgen: die totaleEinschüchterung der Bevölkerung. Demdeutschen Volksgenossen, dem die Nöteund Leiden des Krieges schon jetzt erheblich auf die Nerven gehen— obwohl derKrieg noch gar nicht richtig angefangenhat— dem deutschen Volksgenossen sollsystematisch die Uebcrzeugung eingetrichtert werden, dass die Gestapo und die SSschlechthin allgegenwärtig seien. In jedemMoment soll er zitternd darauf gefasst sein,dass die Obrigkeit plötzlich auf ihn zutrittund Auskunft über sein privatestes Tun und1 Lassen— das Ziel seines Weges, die Na-iinen seiner Freunde, das Thema seiner Gespräche— verlangt. Und wehe dem, dersich dabei in Widersprüche verwickelt!...Am Tage nach der oben geschildertenRazzia schrieb— auf Befehl der Nazis—der„Stettiner Generalanzeiger":„Möge man in der Stctliner Bevölkerung aus diesen Erlebnissen in den Grabower Anlagen am Sonnabend Abendlernen; die Massnahme, die h'er durchgeführt wurde, wird nicht die einzigebleiben, die unsere Polizei zum Schutzder Bevölkerung... durchführt und durchführen muss."Wie gesagt: derartig Razzien finden inzahlreichen deutschen Städten statt. Aufdem Kriegsschauplatz Innerdeulschland gehen die braunen Streitkräfte zur Offensivegegen den Feind Nr. 1, den deutschen'„Volksgenossen" vor.vorkommen und drängt schon deshalbStalin zur raschen Entscheidung.Aber unter den Mächten, die Finnland unterstützen, befindet sich der andere Partner der stählernen Achse:—Italien. Hitler hat den italienischenWaffentrnnsport auf Drängen Stalinszuerst in Sassnitz aufgehalten, auf denProtest des italienischen Botschafterssodann die Waffensendungen zumRückfransport freigegeben. Italien wirddie Waffen auf dem Seeweg nachSchweden und dann weiter nach Finnland dirigieren. Mehr; i glaubwürdigeMeldungen gehen dahin, dass Italienauch die in Spanien zurückgebliebenenBestände nach Finnland schicken will.Und noch mehr: Italien will auch Freiwillige, die bereits in Spanien gekämpfthaben, nach Finnland senden.„Nicht-interventionspolitik" in Finnland gegenHitlers Bundesgenossen Stalin!Warum unterstützt Italien das ferneFinnland, zugunsten der Westmächte,zum Schaden des Achsenpartners unddessen Bundesgenossen? Sicher nichtaus„ideologischen" Gründen. Italienverteidigt in Finnland machtnolitischseine-— Balkaninteressen. Finnlandüberwunden, Skandinavien in einedeutsch- russische Herrschaftssphäreverwandelt, und Russland und Deutschland haben die Hände frei auf dem Balkan. Russland steht dank dem Achsenpartner, an der Karpathengrenze. Wirdes sie überschreiten? Wird es Ungarnaus einer italienischen Einflussphäre zueiner russischen machen? Wird es inBessarabien einmarschieren und Rumänien aufteilen? Und wo wird es haltmachen? Und der deutsche Bundesgenosse, welchen Anteil an den Südostländern wird er beanspruchen?Gegen diese Gefahr der deutsch-russischen Hegemonie setzt sich zunächstdie Diplomatie Italiens zur Wehr. IhrSpiel ist um so schwieriger, da Ungarnund Bulgarien die Situation zur Erfüllung ihres„Revisionismus" ausnutzenmöchten. Ungarn erhebt territorialeAnsprüche, vor allem gegen Rumänienund möchte Siebenbürgen wiedererlangen. Bulgarien fordert von Rumänieneinen Teil der Dobrudscha und vonGriechenland einen freien Zugang zumAegäischen Meer. Italien ist in schwieriger Lage, denn Russland und Deutschland stellen Ungarn und Bulgarien dieErfüllung ihrer Wünsche in Aussicht,um sie als Stosstrupps gegen Rumänien, Jugoslawien und Griechenland zugewinnen, und Italien selbst hat denRevisionismus bisher unterstützt. Jetztmuss es diese drohenden Konflikte auszuschalten trachten. In der Zusammenkunft in Venedig hat der Graf Cianodem ungarischen Aussenminister dieUnterstützung Italiens gegen einen russischen Angriff zugesagt, aber verlangt,dass Ungarn seine territorialen Forderungen zunächst vertagt, und Ungarnscheint sich diesem Verlangen zu fügen. Anfang Februar tritt der Balkanbund zusammen, der Rumänien, Jugoslawien, Griechenland und die Türkeiumfasst; Jugoslawien, mit dem Italienbessere Beziehungen hergestellt hat, sollauf Rumänien, die Türkei auf Bulgarien einwirken, um die Konfliktstoffezu beseitigen. Italien, das noch vor kurzem zu verstehen gegeben halte, dasses an einer Balkanentente kein Interesse nähme, sucht jetzt angesichts derrussischen Gefahr die Einigung zu fördern. Um seiner Diplomatie die Zeitzu sichern, um auf jeden Fall die Gefahr zu mindern, unterstützt Italien denFreiheitskampf des demokratischenFinnlands. Sicher nicht um der Demokratie willen, aber sein Machtinteressezwingt es— an diesem Ort und in dieser Zeit— in deren Dienst. Wieder einBeweis, wie der objektive Sinn des Krieges sich gegen die subjektiven Absichten der Kriegführenden durchsetzenkann.Das Schicksal des Balkans aber unddamit die weitere Gestaltung und Ausbreitung'des Krieges ist von zwei Be-