Theater im Kriege Brief aus Deulscbland ....Vom Deutschen   Theater kann ich dir nicht viel berichten. Wenn mal ein Gesellschaftsslück aufgeführt wird, ist es ein alter Schmarrn. Sudermann ist immer noch nicht vorbei. Politische Stoffe wer­den noch weniger gewagt als vor dem Pakt Moskau  -Berlin  . Du wirst gelesen ha­ben, dass der amerikanische   Romancier Richard Aldington  , der nach Europa   kam, nm unbeschwert von amerikanischer Hast an einem neuen Werk zu schreiben, wie­der nach Hause gereist ist und Europa   un­gefähr mit den Worten verfluchte:Hier soll der Teufel dichten..." Nun kannst du dir ungefähr vorstellen, wie es dem deut­schen Dichter zumute sein mag, der noch etwas zu sagen hat. Kurz, ich gehe seit langem nicht mehr ins Theater. Aber Jungst war auf den Brettern doch was los, das mich interessierte. Ehe ich weiter erzähle, lass uns ein Jahrzehnt zurückschweifen. Entsinnst du dich noch des Lustspiels von Molnar, das Wir um 1930 herum gemeinsam sahen? Es spielte in einem Schloss und der Clou be­stand wohl darin, dass der sympathische, gläubige Mensch des Stückes von seiner Braut und seinem Freunde betroeen wur­de, Alles renkte sich ein und der Betrogene merkte in der schönen Gläubigkeit seines Herzens nicht, was vorgegangen war. Das Publikum aller Schichten amüsierte sich köstlich, es belachteden Dummen". Wir waren beide einigermassen betroffen, denn ein Stück Tragikomödie war vom Autor schwankhaft abgehandelt worden. Ein al­ter Thealerhase sagte uns hintendrein, dass diese Art, den gläubigem Menschen zum Narren und Blödian zu stempeln, noch zehn Jahre vorher vom Publikum und von den Theaterdirektoren abgelehnt worden wäre. Da konnte solcher Stoff höchstens die bit­tere Form des Grotesken ä la Wedekind, Sternheim   usw. haben. Uns schien es damals, dass uns im Thea­ter, von Bühne und Parkett her. das ersten­mal die Korrumpierung der Begriffe ange­haucht hatte, wie wir diese Korrumpie­rung seit dem Weltkrieg in der Politik der gesinnungslosen Erfolgsparfeicn beobach­teten: Treu und Glauben ist für die Dum­men. Auch die' Kritik versagte, auch sie freute sich über den neuen Reisser, auch sie wusste schon nicht mehr recht, was heiter und was ernst war. Nur wenige taten ihre Pflicht, die Nazinresse tat mehr, sie fiel mit gemachter, aufgeblasener Ent­rüstung über denjüdischen Asphaltdich­ter" her, ohne das Wesentliche zu treffen. Erinnerst du dich noch? Ich musste an all das denken, als bei uns jüngst ein Lustspiel unaufgeführt wurde, Liebesbriefe" geheissen. Verfasser ein ge­wisser Felix Lütgendorf. Hat schon zwei banale Stücke auf dem Gewissen. Hier die Handlung seines neuesten: Ein Bankier feistet sich einen Seitensprung. Es geht nicht ohne Liebesbriefe ab. Als er zur Besinnung kommt, sucht er die Briefe, aus Angst vor seiner Frau, mit Scheckbuch nnd Heimtücke wieder zurückzubekom­men. Es gelingt. Aber der komödische Zufall lässt die Briefe unvermutet in die Hände seiner Frau gelangen. Sie weiss von nichts und ist dies der Höhepunkt höchlichst beglückt. Denn es sind die schamhaften, ersten Liebesbriefe, die ihr von ihrem Mann einst geschrieben wur­den und die ihr abhanden gekommen wa­ren. Der Edle hatte sie für die andere ko­piert. Das animierte. lachende Publikum findet mit dem Autor den grauhaarigen Bankier, der bereit ist, jede Liebe und je­den Liebesbrief zu verraten, als eine durchaus sympathische Figur und unser hiesiges Naziblatt nennt das Ganzeeine sympafbische Komödie mit reizvollen Ausblicken in menschliche Schwächen..." Hier hast du einen typischen Ausschnitt aus dem neudeutachen Theater der Kriegs- zeit. Damals, als wir über Molnar und sein Publikum den Kopf schüttelten, gabs im­merhin noch eine Kritik, und Molnars Dia- log hatte immerhin liebenswürdige Gra­zie. Die obige Liebesbrief-Tragikomödie fedoch wird in banalster Schwankmanier Zum Besten gegeben. Ich weiss, es gibt schlimmere Dinge in Deutschland  , ich wollte dir ja auch nur ein Beispiel der moralischen Erneuerung des deutschen Theafers beibringen, von dem kürzlich ein brauner Oberbonze behauptete, es habe sich vom französischen   Ehebruchsschwank befreit. Dafür ist das deutsche Lustspiel ih den Sumpf des plumpsten Spiesscrtums entsunken,mit reizvollen Ausblicken auf menschliche Schwächen" und moralischen Belehrungen, die obigem Bankier erteilt werden vonseinem respektlosen Töch­terchen", wie Görings Blatt animiert ver­merkt. Allerdings gibt es im deutschen Theater auch ab und zu scharfe Aeusserungen des Missfallens. In einem Stück, erzählt der Flüsterwitz, stand kürzlich das Parkeft auf, Der Kamiif um die Kn�atznahrnng� Um einen halben Uifer lla�ermileh In Deutschland   zählt nur noch, wer für das Regime an der inneren oder äusseren Front kämpfen oder Waffen für seine Rü­stung schmieden kann. Den nationalsozialistischen Grundsätzen entsprechend, hat die Rücksichtslosigkeit gegen die Alten und Kranken oder sonst besonderer Pflege Bedürftigen auf der gan­zen Linie eingesetzt. Bisher genügte es, ein ärztliches Attest vorzuzeigen, wenn man eines Zusatzes zu der dürftigen normalen Fett- und Milchration teilhaftig werden wollte. Neuerdings sind die Bestimmun­gen über diese Art von Zuschüssen zur Er­nährung aufs äusserste verschärft und die attestierenden Acrzte einer scharfen Kon­trolle unterworfen worden. Wer auch jetzt ein solches Attest verlangt, der Arzt, der es ausschreibt, muss fürchten, sich verdäch­tig zu machen und als Saboteur an der Ernährungsfront betrachtet und behandelt zu werden. Das Attest des Arztes genügt nicht mehr. Es muss der Aerztekammer des Bezirks zur Begutachtung eingereicht werden. Aber auch wenn diese zustimmt, ist der Nahrungsmittelzusatz noch nicht bewilligt. Erst das Ernährungsamt fällt die letzte Entscheidung und von ihm erfahren Arzt und Patient das Schicksal ihres Gesu­ches. Die Kompliziertheit des Verfahrens.] die Vielfalt der Instanzen muss jeden Arzt abschrecken, einen Antrag auf zusätzliche Nahrungsmittel zu unterstützen, wenn er nicht der Bewilligung absolut sicher ist. um so mehr, als ein einfaches Attest nicht genügt, in dem das Leiden des Patienten genannt ist. Es muss vielmehr in dem At­test genau die Entwicklung des Leidens und sein Stand zu erkennen sein. Bei Lungentuberkulose, ob sie offen oder ge­schlossen ist, das Ergebnis der Harn- und Blutuntersuchung usw. Ohnehin gibt es Vollmilch nur für Kin­der und werdende und stillende Mütter, für alle anderen Erwachsenen nur Mager­milch, aber auch diese nur in Wochenra­tionen, die allenfalls für die normalen Be­dürfnisse des Haushalts ausreichen. Auch für einen Zusatz von Magermilch braucht man jetzt ein begründetes ärztliches Attest. Altersschwachen ohne besondere Krank­heit darf keine Vollmilch, sondern allen­falls Magermilch zusätzlich abgegeben wer­den, aber auch nur wenn es der Arzt ver­ordnet und Aerztekammer und Ernährungs- amt bewilligen. Die Nazis, die sich rüh­men, dass ihnen die Verbesserung der Rasse höchstes Gebot sei, sorgen sich zur Zeit nur um die Generation, die bereits an der Front steht, und nicht um die kommende Generation, der dieses Schicksal erst in zwanzig Jahren bevorsteht, wenn die Nazis wider Erwarten dann noch an der Macht sein sollten. Es ist den Aerzlen befohlen worden, dass, ausser dem allgemein zuge­standenen halben Liter Vollmilch und den 150 Gramm Nährmitteln, schwangere Frauen, Wöchnerinnen und stillende Müt­ter Zusätze zur amtlichen Ration nur auf ärztliches Attest und auf dem gewohnten Wege des Bewilligungsverfahrens bekom­men können. Bei Schwangeren dürfen Anträge auf zusätzliche Ernährung nur ge­stellt werden, wenn eine Erkrankung hin­zutritt. Den Aerzten ist befohlen worden, in der Ausstellung von Attesten äusserste Zurückhaltung zu üben, weil die Nahrungs­mittelreserven nicht so reichlich sind, dass auch nur die noch Gesunden längere Zeit damit durchgehalten werden könnten. Nicht dass die Gesundheit ihrer Patienten, sondern dass die Rohstoff, und Nahrungs­mittelreserve intakt bleibt, hat jetzt die Hauptsorge der deutschen Aerzte zu sein. Sie sind nur noch ausführende Organe des Reichsunterernährungsministers. Eine Anordnung, die vor einiger Zeil uu deutschen Aerzteblatt   veröffentlicht wor­den ist, hat unter den Aerzten grosse Be­stürzung hervorgerufen. Die Aerzte werden darinzur sparsamen Rezeptverschreibuag von kriegswirtschaftlich wichtigen Fett- und Alkoholstoffen, von Arznei- und Heil­mitteln" aufgefordert. Fettstoffe dürfen nur in sparsamsten Mengen verschrieben werden. Kein Medikament darf mehr als 50 Gramm Oel enthalten, das gilt auch für Salben. Aetherische Oele dürfen überhaupt nicht verwendet werden. Für gewisse fett­haltige Aerzneimittel sind geringe Höchst­mengen vorgeschrieben. Insulin, das be­kannte Heilmittel für Diabetes, darf nur noch in begrenzten Mengen verschrieben werden. Mittel gegen Husten, die Zucker enthalten, dürfen nur verschrieben werden, wenn die Notwendigkeit genau geprüft ist. Sparsamste Verwendung ist anbefohlen für Chinin, Koffein, Glyzerin, Jod, Perubalsam usw. und vor allem für Verbandstoffe. Da die Kassenärzte ohnehin angewiesen sind, haushälterisch mit Rezepten umzugehen, läuft dieser Befehl an die Aerzte unter Um­ständen auf eine schwere Gefährdung der Gesundheit der Patienten hinaus. um zu gehen und die Galerie tobte, pfiff und johlte. Warum? Auf der Bühne oben wu�rde gegessen, es gehörte zum Stück. Das Bratenessen wurde jedoch so echt und mit solch boshaftem Appetit markiert, dass die Zuschauer es nicht mehr aushielten. Nur ein paar Nazibonzen hielten durch. Kunststück. Siehst du, das sind so unsere Theater­ereignisse, und seit diesem Skandal soll es amtlich untersagt worden sein, auf deut­schen Bühnen zu essen, da solches geeig­net sei, den Verfeidigungswillen des deut­schen Volkes zu schwächen... Dld grläultie:«1' KOohin Das Stärkste an Franz Werfeis neuem RomanDer veruntreute Himmel"(Ber- mann-Fischer Verlag) sind die Fabel und die zwei Hauptgesfaltcn: die böhmische Köchin Teta und ihr Neffe, für den sie spart, darbt und opfert, damit er das theo­logische Studium absolvieren und katholi­scher Geistlicher werden kann. Denn Teta ist fromme Katholikin und glaubt sich im Jenseits einen guten Platz zu sichern, wenn sie hinieden einen besonderen Fürsprech hat. So opfert sie dem Neffen, würd dar­über alt und erfährt nach dreissig Jahren erst die Wahrheit. Der Neffe nämlich hat nicht studiert, sondern das Geld der Tante durchgebracht. Als sie ihm nach 30 Jahren endlich Auge in Auge gegenüber tritt, steht ein mit allen Wassern gewaschener Win- kclagent und Klcinstapler vor ihr. Er hat ihr den Himmel veruntreut. Was drum herum gruppiert ist die hochherschaft- liche Familie, bei der Teta dient und in deren Hause schliesslich Werfel   die Bio­graphie der Köchin erfährt, der junge frem­de Kaplan, in dem sich Tetas   Wunsch- traum erfüllt und der ihr Absolution er­teilt das alles ist blass, nebensächlich, störend, eine überflüssige Einkleidung. Die jenseitige, aufs Ewige gerichtete Kö­chin fand zwar ihren Biographen, dieser aber nicht die knappe, geballte Form, nach der diese Tragikomödie verlangte. Das erstaunlichste Wunder dieses Bu­ches: die Köchin lebt und hat Farbe, ob­wohl sich der Dichter mit papiernen Fi­gurinen ungebührlich in den Vordergrund drängt. Sie wird schliesslich durch den Tode erlöst, während ihr Dichter sich zum Schluss das Stück Sozialphilosophie vom Halse redet, das er auf 414 Seifen zu ge­stalten vergass. Zweifelsohne ringt er ehr­lich mit den psvchologischen Problemen unserer Zeit, und wir möchten an seinem RnVpnntnis schon deshalb nicht vorbei­sehen, weil es unabhängig von der Par­teien Hass und Gunst ist und Feind jenes peinlichen pseudoroten Konformismus. dem sich eine gewisse Liferatengilde mit Pauken vi"'! Trompeten verschrieben hat­te. Die Köchin Teta soll den Menschen unserer Zeit eine Mahnung sein, den Glau- h»n ans Ew'se zu erneuern.Ich habe schon sehr früh erkannt, dass der Auf­stand gegen die Metaphysik die Ursache unserers ganzen Elendes ist", sagt Werfel  . E'nmal, wenn uns Technik, Sport und Realgesinnung zum Halse heraushängen werden, dann wird die Sehnsucht nach diesem Feuer, die Sehnsucht nach einem neuen metaphysischen Bewusstsein, dio fortgeschrittenste Empfindung einer ver­wegenen Avantgarde sein..." Er wünscht die Aussöhnung desrichtigen Sozialis­mus mit der Metaphysik." Das klingt al­les sehr diskutabel, doch schliesslich hat auch derAufstand gegen die Metaphy­sik' seine tieferen Ursachen. Das weiss Werfel  , aber er geht daran ebenso vorbei wie an der Tatsache, dass religiöse Welt­auffassung durchaus nicht vor faschisti­scher Verlockung schützt. Sowohl die Dik- titur der Schwarzhemden wie die der Braunhemden konnte sich als Schützer der Religion aufspielen und damit be­trächtlichen religiösen Anhang ködern. Wenn die verwirrte Menschheit einen neuen Mythus nötig hat, so den der per­sönlichen Freiheit und der Aufwertung des durch Rationalismus. Technik, Fliess­band, W irtschaftschaos und Krieg entwer­teten. entseelten Menschenlebens. Falls der Dichter das nicht nur hätte sagen. sondern auch gestalten wollen, so genügte die ausladende Figur der jungfräulichen alten Köchin nicht. Er hat mit ihr ein zu grosses Thema verkuppelt; das macht diese Geschichte der unverdorbenen Ein­falt so widerspruchsvoll, unbefriedigend und formlos. R. G. Inflation«mar«cli Tausend Jahre Drittes Reich  , tausend Jahre und was dann? Kauft, Kinder, kauft, was ihr kauft, ist ganz gleich, kaufe jeder immerhin soviel er kann. Tausend Jahre, tausend Jahre und was dann? Kauft ein alles Karussel, tausend Jahre hält es aus, denn die Zeit hentzutag, die vergeht ja so schnell, kauf drei Radewannen für dein Weekend-Haus, und dann bade tausend Jahre in Saus und Braus. Brot und Kleider für dein Geld gibt dir keiner also was? Kiess und ein Gnu und ein Araberzelt, eine Röntgenröhre und ein altes Fass, wenn die Steuer steigt, dann bleibt dir nicht mal das. Freilich. an die Inflation glaubt kein Mensch in Himmlers   Land, aber unsre Oma braucht durchaus ein Xylophon, und dem Säugling fehlt zum Zulpen ein Brillant, grad wie damals, als der Dollar tausend stand. Tausend Jahre Drittes Reich  , tausend Jahre und was dann? Kauft, Kinder, kauft, was ihr kauft, ist ganz gleich, kaufe jeder immerhin, soviel er kann. Tausend Jahre tausend Jahre und was dann? Prüeiolknabcn Unlängst hat Hitler   seinen Astrologen ins Konzentrationslager sperren lassen, weil er ihm ein ungünstiges Geschick geweissagt hatte. Stalin   ist weit aufgeklärter, er ver­lacht jeden Aberglauben und hat es vorge­zogen, den Chef des russischen meteorolo­gischen Dienstes zu entlassen. Offenbar hat der Unglückliche vergessen, seinen Führer darauf hinzuweisen, dass es in Finnland  während des Winters kalt zu sein pflegt. DEZ U G SBEDIN G UN GEN Der NEUE VORWAERTS kostet Imp. Union, 13, nie Mdchain, Paris  . Le Girant: Albert MARION.