Die letzte Chance lies Generals Nehleielier Eine Unterredung zwischen Oito Braun nnd General Schleicher Otto Braun , der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident von Preussen, hat im Kuropa-Verlag in Zü rich seine Memoiren veröffentlicht. Wir veröffentlichen ans dem Buche, das den Titel„Von Weimar zu Hitler " führt, den folgenden Abschnitt. Er ist ein interessanter Beitrag zur Geschichte der Hitlerschen Machtergreifung. „Von Hitler hatten sich nach seiner Wahlniederlage(November 1932) die In dustrie- und Bankkreise abgewendet; auch iie schwarzen Reichswehrmittel flössen durch Grenzschutzkanäle nicht mehr hinreichend, was ihn mit seiner Bewegung r* finanzielle Schwierigkeiten gebracht hatte. Da brachte Rapen ihn mit jenen zahlungsfähigen, der Schleicherschen Politik widerstrebenden Kreise wieder in Verbindung. Am 4. Januar 1933 fand in Köln bei dem Bankier v. Schröder, einem der Geldgeber Hitlers , zwischen diesem und v. Papen eine Unterredung statt, die geheim bleiben solfe, aber von den Agenten Schleichers erspäht worden war; sie hatten sogar die Anfahrt von Papen pho- tograjjhisch festgehalten. Er konnte sonach seine Zusammenkunft mit Hitler nicht abstreiten; auch die Presse hatte sensationell üher die Unterredung berichtet und geschrieben, es seien die Möglichkeiten erwogen worden, noch einmal den Versuch einer Kanzlerschaft Hitlers zu unternehmen. Papen versuchte jedoch, dieser Zusammenkunft folgende harmlose Deutung zu geben:„Anlässlich meiner Reise nach Düsseldorf zu meiner Mutter habe ich mit Herrn Hitler eine politische Aus- War einstens ein Kanzler, spräche in Köln gehabt. Wie mir mit- e'n harter Tyrann, geteilt wird, knüpft ein Teil der Berliner i�f'' Irbte so hären, Presse an die Meldung hierüber Kommen-""'e e,ner nur kann, tare, die frei erfunden sind, so insbeson- I�.'7f''7rl'er bis über die Ohren, dere die Darstellung, als ob die Unterre-! fürs Lesebuch just wie geboren. dung mit Herrn Hitler eine Spitze gegen Webst Rettich, in U'osser gesotten, den Reichskanzler oder die gegenwärtige, aSÄ er nur noch ein Bündel Karotten.) Regierung gehabt habe. Das Gegenteil ist der Fall." Diese Erklärung war eher das Gegenteil der Wahrheit, ebenso die nach dem Empfang Papens durch den Reichskanzler am 6. Januar 1933 herausgegebene halbamtliche Mitteilung, dass sich die völlige Haltlosigkeit der in der Presse aus der Begegnung Papens mit Hitler gefol gerten Behauptungen über Gegensätzlichkeiten zwischen dem Reichskanzler und Herrn von Papen ergeben hätten. Auf Grund meiner langjährigen Erfahrungen wnsste ich ja, wie derartige amtliche oder halbamtliche Communicrues zustande kommen und zu werfen sind, wie sie meist dazu dienen, den wahren Tatbestand zu verbergen oder zu verschleiern. hing in Deutschland eine andere Wendung zu geben;„Heben Sie die Verordnung über den Reichskommissar in Preussen auf. Ich will dann ohne Rücksicht auf meine Gesundheit die Führung der Staatsgeschäftc wieder fest in die Hand nehmen. Sie lösen den Reichstag auf, ich führe die Auflösung des Landtages herbei. Wir schieben die Wahlen bis weit in das Früjahr hinaus, regieren inzwischen mit Verordnungen und führen einen einheitlichen nachdrücklichen Kampf gegen die Machtansprüche der Nationalsozialisten. Diese haben bei der Novemberwahl bereits zwei Millionen Stimmen verloren, haben ihren Höhepunkt überschritten und befinden sich im Rückgange. Wir brauchen nur noch nachzustossen, um ihnen bei Frühjahrswahlen eine vernichtende Niederlage zu bereifen. Denn eine innerlich so hohle, durch Demagogie hochgetriebene, vornehmlich von Desperados und Stellenjägern aller Art geleitete und getragene, aus dunklen Finanzquellen gespeiste Bewegung stürzt ebenso lawinenartig ab, wie sie angeschwollen ist, wenn sie erst rückläufig wird und die Finanzquellen nicht mehr fliessen. Ist der nationalsozialistische Spuk zerstoben, dann bekommen wir arbeitsfähige Parlamente und können der schwierigen Probleme Herr werden, umsomehr als auch die Wirtschaftskrise offenbar ihren Höhepunkt überschritten hat und Aussicht auf Besserung der Wirtschaftslage besteht." Hätte er diesen Vorschlag akzeptiert, und sich in loyaler Zusammenarbeit mit mir für seine Durchführung eingesetzt, vielleicht sähe es heute in Deutschland und Europa anders, friedlicher aus. Aber Schleicher antwortete ausweichend und ich gewann den Eindruck, dass er nicht wollte, einmal, weil er noch immer an dem Gedanken festhielt, unter Heranziehung der von ihm bisher geförderten „wertvollen nationalen Kräfte" aus der nationalsozialistischen Bewegung zu regieren, sodann wohl auch fürchtete, durch die Wiederherstellung meiner vollen Regierungsgewalt in Preussen in zu starke Abhängigkeit von mir zu geraten. Ueber- dies war es ihm wohl auch inzwischen zur Gewissheit geworden, dass er durch seine Doppelzüngigkeit und Treulosigkeit, besonders gegen Groener, dem er so viel verdankte und mit dem sich Hindenburg noch immer kameradschaftlich verbunden fühlte, das Vertrauen des Reichspräsiden ten mehr und mehr eingebüsst hatte. Und so wandte er denn auch ein:„Der alte Herr hält an der Einheit Reich-Preussen durch den Reichskommissar fest, auch wird er mir die Auflösung des Reichstags abschlagen."„Die muss er Ihnen geben", erwiderte ich ihm,„ich bin bereif, mit Ihnen zum Reichspräsidenten zu gehen und es müsste mit dem Teufel zugehea, wenn es uns nicht gelänge, ihn von der Notwendigkeit dieser Massnahmen za überzeugen." Vergebens. Er wollte nicht, weil er aus den ersterwähnten Gründen meinem Plün innerlich widerstrebte. So musste ich ifan mit der bitteren Erkenntnis verlassan, dass die Mission des neuen Preussen, die Demokratie in Deutschland zu sichern«wd zu vertiefen, ihr Ende erreicht hatte, dass mein letzter Versuch, die verhängnisvoll« Entwicklung aufzuhalten, gescheitert war. Nicht der viel verkannte und geschmäbte Dualismus Reich-Preussen, sondern die durch verfassungswidrige Gewaltmassnah- men erzwungene Pseudo-Einheit Rei»h- Preussen Hess Deutschland ins Verderbe» abgleiten. Mögen die äusseren Erfolge, die die derzeitigen Beherrscher Deutschlands der durch brutale Gewaltandrohung in Euro pa erzeugten Angstpsychose verdanke«. das zeitweilig verbergen. Dem deutschen Volke, das sich aus der Verantwortliofa- keit der Demokratie in die Unverantwort- lichkeit der Diktatur treiben liess, mass. dieses nach innen wie nach aussen auf Gewalt gestützte Regime, das dem Reoht entsagt hat, mehr noch als der übersteigende Imperialismus der wilhelminischen Zeit letzten Endes zum Verderben gereichen." Oer liärone Kanzler Dass das auch hier so war, darüber konnte kaum ein Zweifel bei allen denen obwalten, die diese beiden„Freunde' kannten. Ich konnte mich noch am glei chen Tage, dem 6. Januar 1933, bei einer langen Unterredung mit Schleicher, der letzten, die ich mit diesem vielumstrilte- nen Manne hatte, von dem Gegenteil der öffentlichen Verlautbarungen übcTzeu- gen. Bei dieser Zusammenkunft trat der Kanzler längst nicht mehr mit der Selbstsicherheit auf, die er bei der ersten Aussprache bald nach siner Ernennung an den Tag gelegt hatte. Er hatte wohl inzwischen die Schwere des Kanzleramts er. kannt, auch waren ihm die Intrigen seines„Freundes" von Papen fühlbar geworden. Er äusserte sich darüber recht deutlich. In seinem grossen Arbeitszimmer sich umschauend, meinte er resigniert: „Ich fühle mich hier nicht mehr wohl, man ist ja hier nicht mehr sicher, na, ich bleibe nur noch bis zum Frühjahr, dann ziehe ich mich wieder in die Bendlerstrasse zurück."„Wenn Sie weiter so lavieren, alle Hunde auf einmal auf sich hetzen, wird das wohl nicht so lange dauern", warf ich ein und setzte ihm dann meine Auffassung über die Reichspolitik auseinander, was zu einem längeren Gedankenaustausch führte, bei dem ich erkennen musste,.mit welcher Oberflächlichkeit der Mann die schwierigen wirtschaftlichen Probleme beurteilte, die im Reiche zu lösen waren. In der Preussen- frage wollte er seinen Plan mit Strasser noch nicht aufgeben, hatte auch einen Empfang Strassers Jiei Hindenburg herbeigeführt. Schliesslich meinte er:„Nun soll am 24. Januar der Reichstag zusammentreten; mit dem Parlament kann man doch nicht arbeiten." Darin musste ich ihm beipflichten und entschloss mich, nunmehr unter Hintansetzung mancher Bedenken persönlicher und politischer Natur, zu folgendem Vorschlag, als letzten Versuch, der verhängnisvollen Entwick- Ein Savonerola, der Wein liess ihn kalt, er liebte kein Mädchen, er nafim kein Gehalt, er beschränkte sich nur auf die Spesen, nnd die sind bescheiden gewesen, (Denn nebst Rettich, in Wasser gesotten, ass er nur noch ein Bündel Karotten.) Ein Schloss in den Bergen, ein Schloss in der Stadt, Paläste und Güter, wie jeder sie hat, und der Berg führt in Kupfermontage einen Aufzug zur Eremitage. (Doch— nebst Rettich, in Wasser gesotten,— ass der Herr nur ein Bündel Karotten.) Im Schloss hockt das Mönchlein und rings um ihn her rund tausend Mctpn Wache in schimmernder Wehr, ein Privatflugzeug harrt' des Asketen und trug ihn zu schimmernden Feten. (Doch— nebst Rettich, in IVosser gesotten, ass er dort nur ein Bündel Karotten.) So lebt er, ein Vorbild, gemessen und streng, der Lebensraum wurde zu klein ihm und eng, denn die Spesen die hatten indessen den Reichtum des Landes gefressen, (und nebst Rettich, in Wasser gesotten, ass das Volk nur ein Bündel Karotten.) Und dann kam der Henker und dann kam der Krieg, Europa erkrankte, die Fieberglut stieg und wollt Länder und Menschen zerstören— doch der Kanzler lebt weiter von Möhren. (von zartesten hingen Karotten, im Blute der Völker gesotten.) D�r Kaionivaffon zu erregen. Der menschlichen Vernunft mag es so bedünken, aber was ist an diesem Regime noch menschlich? Es probiert doch an seinen Untertanen ganz andere Dinge aus als einen Wagen, der Hitler gegen die Unberechenbarkeit der Vorsehung schiRzen soll. Seit 1933 dient ein gefesseltes Volk den braunen Dynamikern als Versuchskaninchen. Seit Jahren wird die ganze Ersatzmittel-Chemie auf 80 Millionen Menschen losgelassen: Künstliches Fett aus Holz, Brot mit Kleie und Holzmehl, Kaffee aus Eicheln, Tabak mit Kraufmi- schungen, Kosmetik mit Kartoffelschalen- Essenz und ohne Seife. Der„Völkische Beobachter" berichtet, gegenwärtig würden in Deutschland „achtzig verschiedene Produkte aus Knochen gewonnen." Im „Oberbadischen Volksblatt" konnte man Ende Dezember lesen, dass in der Mann heimer Gegend eine grosse Anzahl Katzen und Hunde eingingen, die Wurstpelle gefressen halfen; es waren Cellophanhäute. Seit Jahren wird am Deutschen erprobt: Was verträgt der menschliche Magen, die deutsche Lunge, das deutsche Herz, die deutsche Haut, das deutsche Gemüt? Wie lange können deutsche Kinderbeine mit soundsoviel Gepäck marschieren, wann kommt der Plattfuss für Lebenszeit durch, die Folge welchen Ersatzmittels ist die massenweise aufkommende Farbenblindheit. und wieviel Verblödung erträgt ein Mensch mit Schulbildung? Wieviel Verlogenheit und Verkommenheit eines absolutistischen Systems muss ein Volk schlucken, ehe es sehend wird? Wieviel Untertanen kann man wegen Lappalien wie Betrug, Meckerei und allzu menschliche Schwächen erschiessen, ehe das Volk rebelliert? Wie lange lebt der unterernährte Durch- schnitfsdeutsche mit Maulkorb und Kandare? Wir sprechen nicht davon, was an den Kriegsfronten drausen versucht wird, wir-sprechen von der deutschen Heimat. Seit Jahren wird an einem ganzen Volke grauenhafter experimentiert als in Laboratorien an diesem oder jenem Frosch. Warum also staunen und weshalb Fragezeichen, wenn man liest, dass die Stabilität des mit Menschen befrachteten Hitlerschen Salonwagens durch einen bewusst herbeigeführten Eisenbahnzusammcnstoss ausbaldowert wurde? Stalin lässt jetzt in Finnland die Fall- schirmabteilungen ausprobieren, und siehe es zeigte sich, dass die meisten der Teilnehmer schon in der Luft abgeschossen worden. Hitler erprobt die Magneto-Minen an neutralen Fischdampfern, andere mus und das„immer in Gefahr leben" z« predigen. Es gibt schreibende Zeitgenossen verschiedener Schaltierungen, die das alles genial und„nicht ohne Grösse" finden, was in Wirklichkeit nur wahnsinnig oder verbrecherisch ist. Kinder und IVarron In einer englischen Schule wurde ge- fragl: Was ist ein neutrales Land? Worauf eines der Kinder antwortete:„Ein neutrales Land ist ein Land, das sich in Gefahr befindet." Wir können dazu berichten, dass in einer Schule des Dritten Reiches gefragt wurde, was unter deutschen Lebensraum zu verstehen sei. Ein Kind antwortete; „Die Schweiz , Holland , Belgien , Skandi navien , Balkan ..." mincliliaiiften 19fO In den Blättern wurde dieser Tage berichtet, das Sondergericht in Königsberg habe einen Mann zum Tode verurteilt, der sich in Danzig als Flüchtling aus Polen ausgegeben habe und in Gastwirtschaften tolle Erlebnisse zum Besten gab. Die dankbare Zuhörerschaft belohnte ihn dafür mit Spenden. Die Nazis griffen den Mann und Hes sen ihn als„Schwindler und Volksfeind" richten. Er scheint also nicht gerade von deutscher Glorie und deutschen Heldentaten berichtet zu haben, sonst wäre er nicht aufs Schaffott, sondern in die Abteilung für braune Propaganda geraten. Bleibt nur ein Schluss: Er machte die Nazis lächerlich, er sagte Wahrheiten, denn die gutgesinnte Lüge hätte ihm im Lande der offiziösen Verlogenheit nicht schaden können. Das Gravierendste aber: die Nazipres.se gesteht, dass die Zuhörer dem Manne spendierten; sie belohnten einen„Münchhausen", weil er in Form ungewöhnlicher Berichte oppositionelle Wahrheiten sagte. So konnte er durch die Gastwirtschaften ziehen, und so manifestiert sich in dieser sozusagen Mfinchhauseniade die wirkliche Volksstimmung. Dahinter steht der Galgen. Wie lautete doch der Poststempel vom ?8, Oktober 1939 aus Berlin ?„Reist im fröhlichen Deutschland "... In ausländischen Blättern wurde berichtet, Hitler habe sich, gewarnt durch die vielen deutschen - Eisenbahnunglücke der neue- 1„geheime Waffen", Gifte und Gase sollen ren Zeit, einen unzerstörbaren Salonwagen folgen. Was die despotischen Systeme al- bauen lassen. Er soll völlig aus Stahl be- 1er Zeiten von den humaneren unterschied, stehen, und sei entsprechend ausprobiert j war vor allem, dass die Despoten mit ganworden. Besetzt von einigen menschlichen zen Völkern experimentierten. Wir erle-j Versuchskaninchen, wurde er mit achtzig Kilometer- Stundengeschwindigkeit gegen einen Güterzug losgelassen. Etliche Güterwagen zerstoben wie Zunder, Hitlers Salonwagen blieb unversehrt, die Insassen kamen mit einem Chock davon. Ein ausländisches Blatt machte ein Fragezeichen hinter die Meldung; es schien ihm wohl unwahrscheinlich, dass man Menschen so frivol einem derartigen Risiko aussetzen, ohne allgemeinen Unwillen ben es heute„im Weltmasstab", um uns zeitgemäss auszudrücken. Was soll und da das Dutzend im Salonwagen schrecken? Für den modernen Diktator ist das Leben j der Abermillionen dazu da, um die modernsten Massenvernichtungsmittel zu erproben und den Sinn des Lebens ins Gegenteil zu verkehren. Sich selbst lassen sie Stahlwaggons und unerklimmbare 1 Schlösser bauen, um von dort aus neuen Lebensraum, Lebensverachtung, Herois- BEZ U GSBEDIN G UN GEN Der\EÜE VOR WAE«TS kostet Imp. Union, 13, rue Möchain, Pari». Le Girant: Albert MARION.
Ausgabe
8 (28.1.1940) 345
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