Liebe Zreunöin! Dich hat also auch der Mißmut gepackt. Du willst- nicht mehr wählen, um ls�litik Dich überhaupt nicht mehr kümmern, weil alles beimalten" geblieben ist. Du kleine Törin! Von der Seit« habe ich Dich noch gar nicht kennen gelernt. Du warst doch immer so tapfer, so zukunftsfroh. Wenn in trüben Stunden bittere Enttäuschungen mich dem Zweifel und der Verzagtheit in die Zlrme treiben wollten, warft Du es doch mit Deinem sonnigen Lächeln, die mich immer wieder aufgerichtet hat. Und nun willst D u den Kopf in den Sand stecken und alles.so hinnehmen, wie es gerade kommt? Das kannst Du im Ernst nicht wollen! Glaube mir, mit Sorgen hat heut jeder zu kämpfen, sofern er nicht zu den kapitalkräftigen Leuten gehört oder als Schieber und Wucherer das Volk aussaugt. Aber wohin sollt« eS führen, wenn die große Zahl der Habe- nichtse, die unentbehrlichen Arbeitsbienen keinen Mut mehr auf- zubringen vermöchte zum Kampf gegen ihre Verelendung? Was uns die Achtung der ganzen Welt bisher gesichert hat, das ist. der immer wieder aufflammende Kampfesmut der deutschen Arbeiter- klaff«, ihr eiserner Wille, aus den Kriegstrümmern ein neues Deutschland   wieder aufzubauen. Trotz der drückenden Lasten den Kopf hoch, liebe Freundin! Denn: Mut verloren, alles verloren! Ilnd nun zu Deiner recht oberflächlichen, ja leichtfertigen Aeußerung:EL ist alles, wie es war, und es wird auch so bleiben." Du hast das Buch des verehrten Vorkämpfers für Frauen-- rechte, unseres August Bebel  :Die Frau und der Sozialismus" gelesen und darin die Schilderung von der jahrhundertelangen Unterdrückung der Frau kennen gelernt, die uns zu unfreien Men- schen gemacht hat. Auf dem Einigungskongreß zu Gotha   1875 war es wiederum Bebel  , der die Gleichberechtigung von Mann und Frau fordert«. Fünfzig Jahre und länger haben die Frauen den Kampf geführt gegen geistige, wirtschaftliche und politische Un- sreiheit. In den sechziger, siebziger und achtziger Jahren deS vorigen Jahrhunderts sind viel« Gründungen von Frauenvereinen der polizeilichen Auflösung verfallen, weil fürFrauen- zimmcr" Bildungsvereine nicht geduldet wurden. Mit dem Erstarken der Gewerkschaftsbewegung bekamen die Frauen erst Grund unter den Füßen. Seit 1889 sehen wir denn- mich unsere Vorkämpferinnen in de« gewerkschaftlichen und politi- schen Organisationen Seite an Seit« mit den Männern kämpfen für die Befreiung des Proletariats. Dieser Kampf ist ihnen wahr- sich nicht leicht gemacht worden. Erst 1908 fielen die Schranken deS Vereins- und Versammlungsrechts, und der 9. Stovember 191t> brachte unS Frauen dann endlich das heiß ersehnte u»d erstrebte MUbeslimnurngsrecht an der Gesetzgebung. Ohne Kampf wären uns diese Rechte sicher nicht geworden, wie auch die Gesetze tote Buchstaben bleiben würden, wenn wir ihnen nicht lebendige Kraft zu geben verstünden. Es ist schon anders getvordcn, siebe Freundin! In diesen Wochen hast Du viel von dem verstorbenen Organi- saivr Karl Lcgien gehört, der wie so diele andere sein großes Können ganz in den Dienst der Arbeiterbewegung gestellt hat. Sein Lebenswerk sollen wir zu schätzen und zu hüten wissen. Denn: Das ist das Große, daS Herrliche der Welt, daß das Banner steht, wenn der Mann auch fällt." Dieses Große konnte aber nur durch «inen harten und langwierigen Kampf entstehen, denn viel Unkraut mußte ausgerodet und große Schutthaufen beseitigt werden. Nur fein Beharren im Kampfe brachte den Verstorbenen seinem Ziele näher, und so wollen wir versuchen, ihm nachzustreben. Und Du wirst bis zum 99. Februar Deine politische Müdigkeit abschütteln und Dein Wahlrecht zu den preußischen Landtags- Wahlen ausüben. Für heute wünscht Dir Sonn« und Freude Deine Hanna Reitze. Partei! Aus einem Gewerkschaftsfest lernen sich zwei Frauen kennen. Ich lasse fie Fran E. und Frau H. heißen. Frau E. tst eine ent- zückende Danu; ihr freundlicher Blick beweist, daß fie eS so von Herzen gut meint mit ihrer Umgebung. Frau H. lebt nur für ihre Partei und für ihre Kinder, ihr Leben ist so reichlich belastet. daß ihr gesellschaftliche Umgangsformen fast abhanden gekommen find. ES find schon ernige Jahre her. seitdem fie ein Ber- gnügen besucht hat. Als Letzte war fie in Begleitung ihreS Mannes und ihrer Kinder in den Saal getreten; alle Gäste saßen bereits an der Kaffeetafel. ES waren ihr alles fremde Frauen, obgleich sie fast sämtliche Männer durch die Partei kennen gelernt hatte. Die Frauen trugen, mit Ausnahme einer einzigen, moderne Haarflisuren und Kleidung nach der neuesten Mode. Diese eine war die Frau E.; fie trug ihr Haar gescheitelt, im Racken waren 'die beiden schwarzen Zöpfe anfgesteckt. Sie hatten einander«d> gesehen, aber ihre Blicke sagten ihnen, daß sie gleiche Ideale habe» müßten. Die Kaffeetafel ist inzwischen beendet. Frau E. tritt zu Fr«m H. mit den Worten:.Ach, wie freue ich mich, Sie kennen yt lernen, mein Mann hat mir schon öfter von Ihnen erzählt." Frau H.:Ich Hab' nichts von Ihnen gehört und doch Haft' ich manchmal an Sie gedacht." Frau E.:Wie nett von Ihnen; ich Hab immer gern gelese» was Sie in der Zeitung mitteilten." Frau H.:Ich Hab einen großen Kummer, und zwar, daß iift nicht mit Worten sagen kann, wie ich eS schriftlich fertigbring«, daß ich kein Redetalent besitze. Wenn ich Ihren Mann in de» Versammlungen sprechen höre. Hab ich immer gedacht: ob wohl di« Frau de« Genossen E. rednerisch für unsere Partei wirken könntet Frau E.:Ach, wissen Sie. liebe Frau H., ich gehöre zu keiner. Frau H.:.Nun, weshalb denn nicht?" Frau E.:Ja. wissen Sie, jede Partei hat ihr Gutes und ihr Schlechtes. Ich möchte so gern allen helfen, nicht nur denen, Hr in der einen Partei find. Nickt etwa, daß ich religiös wäre." Frau H.:Wer sich zur Sozialdemokratischen Partei bekenn� braucht noch lange nicht alle übrigen Menschen hasten. Wenn wir unsere Partei nicht hätten, würde eS unS Frauen am allerschlech» testen ergehen." Frau E.:Ich bedauere oft, daß ich kein Mann bin, dann kau»' man doch ganz anders wirken." Frau H.:.Dazu braucht man heute gar kein Mann zu sei», aber wer leiner Partei angehört, kann für die Allgemeinheit»«cht wenig tun." Frau E.:.Wenn eS zur Wahl geht, weiß ich doch, wa» ich wählen muß. Dann wähl« ich die, denen ich am meisten G»t«« tun möchte, und daS ist Ihre Partei." Etwas getröstet bringt Frau H. das Gespräch in eine and«» Richtung. Frau H.:»Wenn Sie so gern helfen wollen, dann find St» doch gewiß reckt gern im Jugendamt mit tätig? Da Si« ket»» Kinder haben, fehlt eS Ihnen doch nicht an Zeit." Frcrn E.:Später vielleicht, wenn Ich eine andere Wohn»»»»» habe, daß ich eine Hilf« halten kann. Jetzt haben wir«in« tkot» Wohnung, da mag ich mir keine Hilfe nehmen, und so mach« itft jetzt alles allein. Wäsche waschen. Plätten und Stopfen, alles mach? ich'selber. Wissen Si«, mit Strümpfen war ich so versorgt, daß teft in den acht Jahren, wo ich verheiratet bin, noch keine gekaust haftsz jetzt fange ich dabei an zu stopfen." Enttäuscht schweigt Frau H. Sie hatte gemerkt, daß fit ein« Dame aus einer Well anderer Anflchten vor sich hatte. Run wüßt» sie, weshalb diese nicht zu einer.Partei" gehören konnte. d«r«» Urbegründer jener.EhristuS" war, dessen erstes Lager im Et»! t» der Krippe war._ Chinefistbe Mauern. Von Clara ZilS. Immer noch sagen vergeßliche Menschen, eS hätte fich nicht» gp» ändert. Stehende Redensart tst eS bei den Radikalen geworde», So oft mir Liese dreiste Behauptung in die Ohren gellt, lächl« ich heimlich. Wie sehr daS Alte vergangen und NeneS geworden ist,«mpfazch ich kürzlich an einem schönen Abend besonders klar. Während des Krieges arbeitete ich bei einer Behörde. Hft» einem kaltgrauen Vormittag wurden all die wichtigen Beamt«»« und Asfistentengefichter noch würdiger, feierlicher, man schlich auf den Zehenspitzen und flüsterte, eine hochbedeutsame Kund« ging durch da» ganz vom konservativ heiligen Geiste erfüllte Hau»» Frau Edle von Soundso, geb. Soundso, die Ministertochter t? sei fast hätw ich gesagt im Anmarsch sei zu erwarte». Eine Ministertochter, man denke, ein Wesen aus jener Welt, M» dem gewöhnlichen Sterblichen ewig verschlossen, von der er durch eherne Schranken geschieden war. Di« Ministertochter erledigt» ein paar unbedeutende Sachen, und al» fie ging, lag stille knecht» selige Verklärung auf den Bureaukratengesichtern. Diese Minute» unter den Augen einer so erhabenen Persönlichkeit, da« gnädig» Kopsnicken war den Neinen Untertanmenschen Labsal und Höh«« Punkt gewesen. E» ist nicht lange her, seit ich wieder eine Ministertochter sah, Sie saß unter Alters- oder richtiger Jugendgenosfinnen und£«« Nossen   im Arbeiterjugendheim, ein schlichtes blondes Mädelchen, Ät den übrigen harmlos froh. Ich dachte an die streng abgeschlossene, hochmütige Offiziers« und Beamtenkaste im alten ObrigkeitSstaat. dem wir vor zwei Jahren unsanft ein Ende machten. Die anscheinend undurchdring» sich chinesische Mauer, von einer dünkelhaften, anmaßenden.Herr««"« schicht in wahnwitziger Berbohrtheit um sich aufgerichtet, fiel bot dem Sturm deS starken Wollen? von unten, von wo gowaltl» frische Sräft« drängen. Da» blondhaarige Kind de« Minister-ArbeiterS wurde ml» lebendiges Zeugnis dafür, daß die Verwirklichung unsere» großsK Ziels, die Klassengegensätze aufzuheben, möglich ist.