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Für unsere Kinder

Klingen bekundet, daß dort die Lüftung in Tätigkeit ist. Wie aber, wenn das Läuten ver­stummte? Es wäre das Zeichen, daß dem Bergmann tief unten im Erdenschoß Gefahr droht. Doch keine düsteren Gedanken heute! Fort, weiter fort, hinaus in die schöne Welt! Schon hat der Zug Tharandt   mit seinem herr­lichen großen Forst erreicht. Aber nicht lange, daß dieser hinter uns liegt, und das Bild ändert sich. Grau und trübe erscheint der Himmel, dunkle Felsenwände ragen auf, matt ist das Grün der Wälder, und graugrüne Felder breiten sich traurig vor den Blicken aus. über einen hohen Viadukt rattert und feucht der Zug. Tief unten im Tale brodelt Rauch wie aus einem Herenkessel. Er entquillt in gelben, grauen, braunen und schwarzen Schwaden den himmel­hochragenden Schornsteinen der Metall- und Farbenschmelzwerke, der Metallwäschereien und Gießereien von Muldenhütten bei Freiberg  . Ganz in Rauchwolfen gehüllt liegt der Ort da, unfreundlich, ja grauenhaft. Die Freiberger Mulde   wälzt trübe, schlammige Wasser vor wärts. Grauer noch, trostloser als vorher ist die Gegend. Mit dem Rauche zugleich ent­steigen den Schornsteinen der Hüttenwerke Arsenikdämpfe, die alles Pflanzengrün in der Nähe ertöten und auf weite Strecken hin den Wuchs der Felder und Wälder schädigen. Ein Tal des Todes ist von den Menschen geschaffen worden. Und hier, zwischen Hüttenwerken und grauen Schuttmassen, in qualmerfüllter, gifti­ger Luft müssen Hunderte von Arbeitern mit den Ihrigen ihr Leben verbringen.

Wie im Fluge gelangen wir an Freiberg  , Öderan   und anderen Orten vorüber nach Flöha  . Nun geht die Fahrt durch das Zschopautal, einem der schönsten, romantischsten Teile des Erzgebirges. Sogar im Eisenbahnwagen spürt man, daß die Luft kühl und würzig weht. Näher und näher schieben sich die bewaldeten Berge an die Ufer der Zschopau   heran, die in raschem Fluß, Wirbel und Strudel bildend, über Steinblöcke und Wehre vorwärts stürmt. Oft ist neben ihr nur noch gerade Raum für die eingleisige Bahn, und selbst für sie mußten an manchen Stellen die Felsen gesprengt wer­den. Hoch oben auf den Bergen thronen alte Schlösser und Burgen und tünden von den Zeiten der Raubritter. Hier und da stört das Kreischen eines Sägwerfs oder das Räder­furren einer Spinnerei die Ruhe des Tales. Keuchend und stampfend fährt der Zug tal­aufwärts. Plötzlich weitet sich das Tal. Ein Kirchturm ragt hoch in die Lüfte, und hinter

ihm taucht ein Berg auf. Der Pöhlberg ist's, an dessen Fuße Annaberg   liegt, die größte Industriestadt des oberen Erzgebirges. Das Ende der Bahnfahrt ist erreicht, eilig steige ich aus.

Welch ein Gegensatz zu der Gegend, die ich heute früh verlassen! Um mindestens vier bis sechs Wochen ist hier noch der Pflanzenwuchs zurück. Kaum daß der Flieder blüht. Wie lange mag's her sein, daß es zum letztenmal geschneit hat? Bleibt doch im oberen Erzgebirge der Schnee nicht selten bis Anfang Mai liegen. Frühlingsluft ist es, frisch und voll Waldes­duft, die mich umweht. Voll Wonne atme ich in tiefen Zügen. Der Sonntag hat das Surren der Räder in den Posamenten- und Schnuren­fabriken der Stadt zum Schweigen gebracht. Kirchglockengeläute tönt mir entgegen. Von den Häusern hallen eintönig die Tritte der Kirchgänger wider. Mich treibt es hinaus zur Stadt, den Pöhlberg hinan. Von seinem Gipfel genieße ich eine prächtige Rundschau. Vor mir liegen die Schwesternstädte Annaberg   und Buchholz, weiter nach links folgt der Scheiben­ berg  . Ganz im Hintergrund erheben sich die beiden Riesen des Erzgebirges, der Keilberg  und der Fichtelberg, die beide 1200 Meter übersteigen. Südwärts von mir, hart an der Landesgrenze schaut finster drohend der Bären­ stein   nach Böhmen   hinein. Ich drehe mich um, und die Höhen von Jöhstadt   bis Marien berg grüßen zu mir herüber. Hinter Anhöhen mit ausgedehnten Feldern und Wäldern er­blicke ich die Greifensteine bei Thum  .

Ungern nur reiße ich mich von dem herr­lichen Bilde los. Heute noch muß ich gen Lauter bei Schwarzenberg  , wo die eigentliche Wanderung nach dem Fichtelberg beginnt, fernab von der Straße der Vergnügungs­reisenden. Von der langen Bahnfahrt und dem Steigen bergauf und bergab ermüdet komme ich abends in Lauter an. Das ist der Ort des Erzgebirges, wo wohl die mannig­fachsten Gewerbe getrieben werden. Hier wer den Bürsten und Besen gebunden, Küchen­geräte und Spielsachen aus Holz geschnitzt, Strohhüte und Strohteller usw. geflochten, Woll- wie Blechwaren hergestellt. Vieles da­von in engen, armseligen Stübchen. Waren aus Lauter gehen weit durch das Deutsche Reich  , oder richtiger: werden weit durch das Deutsche Reich getragen. Wer kennt sie nicht, die Männer mit den langen viereckigen Kästen auf dem Rücken, die von Ort zu Ort, von Haus zu Haus ziehen, um die vielerlei Sachen