In diesen Tagen findet in Friedrichshafen eine Reichstagung des Jungzentrums statt, die sich im wesentlichen mit denselben Problemen beschäftigen wird, die in der Zentrumspartei seit geraumer Zeit im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen. Es handelt sich um die Stellung der Zentrumsjugend zur Republik und zur Ausgestaltung dieser Republik im Geist sozialer Gerechtigkeit.
In der Sonntagsausgabe der„ Germania " vom 12. Juli nimmt eine maßgebende Vertreterin des Jungzentrums in längeren Ausführungen zu diesem Problem Stellung. Sie weist einleitend darauf hin, daß durch die Entwicklung die Richtigkeit der Beschlüsse der legten Reichstagung bewiesen sei, die ein unumwundenes Bekenntnis zur Weimarer Berfassung enthielten. Die republikanische Staatsform habe sich inzwischen weiter gefestigt, aber das junge Zentrum dürfe damit seine Aufgabe nicht als erfüllt betrachten:
Es scheint fast, als ob die Staatsform des Deutschen Reiches, die Republit, nicht mehr so gefährdet ist, wie in den vergangenen Jahren und Monaten. Wesentliche Unterschiede bestehen aber darin, wie die einzelnen Kreise die deutsche Republik ausbauen wollen, ob unter dem groß deutschen föderalistischen Gedanken oder im fleindeutschen preußischen Geiſt. Hier werden sich die Geister entscheiden müssen. Wir haben uns in Glatz zum föderalistischen großdeutschen Gedanken unter dem Banner Schwarz Rot Gold bekannt. Friedrichshafen muß dem großdeutschen Gedanken in einem starten Befenntnis noch weiter zum Durchbruch verhelfen. Deutschland und Desterreich müssen zusammenkommen. Das Großdeutschland aller Deutschen , die durch ihre Kultur miteinander verbunden find, wollen wir in Friedrichshafen , an der Grenze zwischen Deutschland und Desterreich), mit aller Begeisterung fordern...
Die Berfafferin seht sich dann mit dem in Zentrumstreifen eifrig propagierten Gedanken der Volksgemeinschaft auseinander und weist dabel darauf hin, welche Bedeutung für die politische Gesamtentwid Lung Deutschlands die Frage hat, wie fich die Sozialdemokratie in Sufunft zum republikanischen Staat stellen wird. Dabei fommt sie auch zu einer Würdigung des Lebenswertes Friedrich Eberts, indem sie ausführt:
Bet dieser Frage müssen wir, aus dem Gefühl der Dank. barkeit und Gerechtigteit heraus, der Arbeit Friedrich Eberts gedenten. Friedrich Ebert hat durch seine Bindung der fozialdemokratischen Massen an die deutsche Republik, die in feinen eigenen Reihen oft eine Berkennung und Bekämpfung erfahren hat, dem deutschen Staate das größte Opfer seiner Persönlichkeit gebracht. Heute, nachdem wir Friedrich Ebert allzu früh verloren haben, erkennen wir die Verpflichtung, die Kreise, deren Führer er war, weiterhin dem Staat näher zu bringen durch unsere Arbeit in ihnen Vertrauen zu weden, burch unseren Willen zu zeigen, daß wir sie als gleichberechtigte Staatsbürger anerkennen. Wir dürfen nicht in einer späteren Zeit erkennen müssen, daß die fozialistischen Maffen am Todestage Eberts Abschied vom Staate genommen haben."
Durchaus richtig erkennt die Berfafferin, daß die Frage Sozialdemokratie und Staat entschieden wird durch die Art der Lösung der sozialen Frage:
Unsere Reichstagung in Friedrichshafen wird unter dem Zeichen der Bolfsgemeinschaft und feiner tieferen[ ozialpoliti. fchen Fragen stehen... Wir Jungen fennen noch nicht in der ganzen Schwere die harte Bitterfeit und das große Mißverstehen, bas in weitesten Kreisen unseres Volkes den Weg zum gegen feitigen Bertrauen verschüttet hat. Wir fühlen aber sehr wohl, daß im Bestehenden viel Unnatur ist, viel unwahres zwischen den Menschen steht, daß die Arbeit nicht mehr als menschliche Leistung eingeschäßt wird, sondern eine Mechanisierung fich breit gemacht hat, in der der Mensch den Dingen dient und fich nicht mehr feine innere Aufgeschlossenheit und Freiheit bewahrt hat. Unter der sozialen Not und Berelendung sehen wir piele unserer Mitschwestern und Brüder zusammenbrechen... Unsere politische Arbeit wird der Sozialpolitik zum großen Teile gewidmet sein. Wir stehen besonders auch aus dieser unserer fozialpolitischen Einstellung heraus zur deutschen Republif, weil wir der Ueberzeugung sind, daß nur auf ihrem freien Boden jene staatliche Sozialpolitit geübt wird, die den Stempel der sozialen Ueberzeugung und die Tiefe der sozialen Liebe in sich trägt.
Die Zentrumspartei muß sich mit all ihren Kräften der fozialen Frage zuwenden, sonst hat die Partei ihre Aufgabe nicht erkannt. Zwei Bewegungen versuchen die Lösung der sozialen Frage herbeizuführen: der Sozialismus und das Christentum. Erkennen wir die große Stunde, die für uns geschlagen hat. Wenn wir als Chriften es nicht fertig bringen, die soziale Frage zu lösen, dann wird die Lösung in einem anderen Geiste als dem des Chriftentums erfolgen."
Wir werden nach Beendigung der Tagung zu prüfen haben, Inwieweit die hier geäußerten Ansichten als Ausdruck der Auffassungen in der Gesamtbewegung gelten fönnen und welche Aussicht besteht, daß sich diese Auffassungen auch in der praktischen politischen Arbeit des Zentrums durchsetzen.
Das Friedrich- Ebert- Heim" auf Tännich.
Wenn man frühmorgens mit dem Zug in Rudolstadt ankommt, steht das Bostauto bereit, um alle Fahrgäste, die nach Remda wollen, aufzunehmen und in halbstündiger Fahrt nach Remda zu bringen. Von hier läuft man airfa 20 Minuten auf der durch Wiesen und Felder führenden Landstraße entlang, biegt dann rechts ab und gelangt nach weiterer viertelstündiger Banderung durch den Wald im Friedrich- Ebert- Hein, Schloß Lännich an.
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Das Schloß liegt umgeben von einigen Wirtschaftsgebäudenund Bauernhäusern auf einer freien Höhe. Bom Dache grüßt die schwarzroigoldene Reichsflagge, oder auch wenn Arbeiter jugendmitglieder und Jungfozialisten dort oben den Ton angebendie rote Fahne des Proletariats. Lichte Farben geben dem Ge. bäude ein festliches Gepräge und Girlanden schmüden den Eingang. Der Vorhof ist zur Hälfte ein fauber gehaltener Grasgarten. An Park, durch deffen Baumalleen die Gäste einzeln und gruppenweise die Hinterfront des Hauses schließt sich ein schöner großer Schattiger promenieren. Andere lagern sich im Gras oder fuchen draußen im Walde Erdbeeren. Gefunde Thüringer Waldluft fräftigt die Nerven des großstädtischen Besuchers, während die sehr gute und reichliche Kost der Heimverwaltung den Leib in Ordnung hält. Kommen neue Gäfte, werden sie vom Hausverwalter mit fräfti gem Händedrud willkommen geheißen. Er führt hier des Regiment mit Umsicht und Taft. Mädel müffen bei lebertretung der Hausordnung durch Geschirrspülen ihren Strafdienst ableisten, Jungens durch Holzhacken. Schwachen Gedächtnissen wird angelegentlich die Hausordnung zum Studium empfohlen.
Ermüdet vom Weg tann man sich in der Halle im Korbseffel ausruhen. Links ist der einfache, aber geschmackvoll ausgestattete Aufenthaltsraum. Ein Klavier ladet zum Spielen ein. Rechts befindet sich das Hanf- Zimmer, der Speiferaum. Die Wände find mit Hanfchen Gemälden geschmidt Menschen in Nacht und Finsternis ftreben zum Licht, die Jugend auf dem Wege zum After. Musif ist darinnen, Rhythmus und belebende Farben. Jede Fenster. nische und Türöffnung ist eingepaßt. Alles ein gut ineinander. gefügter Vortrag. Im ersten Stodmert ladet das helle und freundliche Lefezimmer zum Verweilen ein. Eine fleine, aber gute Bücherei liefert genügenden Stoff zur Unterhaltung. liegen die für zwei bis fechs Berfonen eingerichteten Schlaf. zimmer. Ganz oben befindet sich der geräumige Kurfussaal und noch einige Schlafsäle. Die Sauberkeit ist peinlich, nur find die Betten obgleich weiß überzogen
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etwas hart.
Rundum
Arbeiterbewegung ihre Ferien. Der billige Preis- 3,50 m. täglich Hier oben verleben Jugendgenossen und Funktionäre der für Berdiener und 2,50 m für Lehrlinge für volle Verpflegung und Uebernachtung ermöglicht jedem ein längeres Verweilen. Früh morgens gibt es Kaffee, Brot, Honig, Butter und Wurst, so viel als jeder effen will. Mittags wird meist in zwei Gängen serviert. Am Nachmittag tommen Kaffee oder Milch, Butter und Marmeladebrot oder auch Brötchen auf den Tisch. Des Abends wird wieder reichlich aufgetragen. Begetarier erhalten befondere Beföftigung.
Hier oben treffen sich auch die Funktionäre der Arbeiterbewegung zu ernſter Arbeit. So fand im Juni der Verbandstag des Arbeitnehmerverbandes des Friseur- und Haargewerbes hier statt. Im Laufe des Sommers werden noch einige von der Volkshochschule Reuß veranstaltete Kurfe hier abgehalten.
Leicht war es uns nicht ums Herz, als wir gingen; denn an dieser Stätte, wo Gemeinschaftsgeist und fameradschaftlicher Sinn das Feld beherrschen, da entfaltet sich die Seele zu freiem Flug über die Welt der fleinen Dinge". Man lebt nach Goethelchem Motto: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's fein." Mar Bizel.
Das Abzeichen.
Ich size in der Gleftrischen. Der Stadtteil, den meine" Trambahn tagtäglich durchfährt, bietet teine Neuigkeiten. Nur daß viel. leicht dort, an jener Straßenede, wo bis jetzt noch niemand feinen " Laden aufgemacht" hatte, ein Bananenonfel oder eine Zeitungstante ihre mehr oder minder wohlschmeckenden Artikel feilhalten.
Da betrachte ich mir die Infassen des Wagens. Mein Blick fällt auch auf einen mir unbefannten jungen Menschen, der eifrig in einem Buch lieft. Sein blondes Haar, das meder von einer Kopfbedeckung eingeengt, noch von duftender" Bomade verpappt iſt, rect sich üppig in die Höhe. An der Windjacke bemerke ich ein rotes trapezförmiges Metallplättchen, das nur drei Buchstaben aufweist." SAJ" steht darauf. Jeht weiß ich: das ist einer der Zehntausende, die sich um unser rotes Banner scharen! Da fällt ein Strahl der Abendsonne auf ihn. Er blidt einmal auf, fchlägt aber gleich wieder die Augenlider nieder und ist im nächsten Augenblick wieder in feine Leftüre ver tieft. Seine Haare glänzen wie Goldfäden. Das Abzeichen schillert in vielen Farben. Ich betrachte es genau, obwohl ich es selbst trage. Denn dieses ist auch mein Abzeichen! Mir ist faft, als schlüge mein Herz schneller.
Nun sieht er von seinem Buche auf. Ich nice ihm zu. Er er. blidt mein Abzeichen und erwidert meinen ftummen Gruß auf die selbe Weise. Unter all den fremden Menfchen, haben wir uns als Rameraden erkannt.