Jugend- Vorwärts

Nr. 7

Beilage zum Vorwärts

19. September 1925

Die Freizeit der Jugend.

Der Tagung find im wesentlichen zwei Aufgaben gestellt. Ein­mal wird sie den Nachweis der Notwendigkeit einer ausreichenden Freizeit der Jugend zu erbringen haben, und zum zweiten wirb der Beweis zu führen sein, daß die vom Ausschuß aufgestellten Forderungen wirtschaftlich tragbar sind, und daß auch die zweck­mäßige Verwendung der Freizeit gesichert werden kann, so daß eln Mugen für die förperliche und geistige Entwicklung der Jugend tat­fächlich erzielt wird.

Vor mehr als sechs Jahren, zu Anfang des Jahres 1919, richtete| und stehen nunmehr im Mittelpunkt einer großen öffentlichen bie damalige Zentralstelle für die arbeltende Jugend Deutschlands   Tagung, die der Ausschuß am 6. und 7. Oftober tn Rassel ver an die verfassunggebende Nationalversammlung eine ausführliche anstaltet. Die Tagung soll die Beschlüsse der weiteren Deffentlichtett Dentschrift, die die Schaffung eines Reichsjugendschußge unterbreiten und den Weg für ihre gefeßliche Festlegung freilegen. Jeges forderte und bis ins einzelne gehende Vorschläge für den An der Veranstaltung werden teilnehmen die Vertreter der Jugend­Inhalt eines derartigen Gesetzes unterbreitete. Die Regierungsverbände, der Arbeiterschaft, der Unternehmer in Handel, Handwerk stellen der deutschen Republik haben es bis heute noch nicht einmal und Industrie, der Behörden, sowie Erzieher, Mediziner und Sozial zu dem Entwurf eines derartigen Gesetzes oder anderer Borschläge, beamte, furzum alle die Kreise, die in irgendeiner Beziehung an die die Wünsche der arbeitenden Jugend berücksichtigen, gebracht. diesen Forderungen beteiligt sind. Auch die bürgerlichen Mehrheiten des Reichstags haben sich bisher nie dazu entschließen fönnen, den präzisen Forderungen der sozial demokratischen Fraktion auf diesem Gebiet ihre Zustimmung zu geben. Jezt endlich zieht die Bewegung für die Schaffung eines ge­nügenden gefeßlichen Schutzes der arbeitenden Jugend weitere Kreise. Den Anstoß gab vor allem die offensichtliche Verschlechterung der fozialen Lage der Jugend unter den Nachwirkungen der Inflations­zeit. Der Abbau des Achtstundentages traf besonders die jugend­lichen Arbeitnehmer, die auf Grund der jeßt geltenden Arbeitszeit verordnung zu einer täglichen Arbeitszeit bis zu zehn Stunden an gehalten werden fönnen. Auch die sonstigen Begleiterscheinungen der großen wirtschaftlichen Krise, die wir jetzt durchleben, wie Ar beltslosigkeit, schlechte Entlohnung und Wohnungsnot treffen die Jugend besonders hart, weil es sich um die Jahrgänge handelt, die in ihrer Kindheit bereits die Entbehrungen der Kriegsjahre durchführbartett zu prüfen sein, und hier sind die Auseinander­machen mußten und nun, unterernährt und förperlich geschwächt, ben großen Anforderungen der Erwerbsarbeit ausgesetzt sind.

Dieser bedrohliche Zustand für die körperliche und geistige Ent widlung der jungen Generation hat alle Kreise auf den Blan ge rufen, die im engen Kontakt mit der Jugend arbeiten oder sich um thre Erziehung bemühen. Besonders hart ist durch diese Zustände die Arbeit der Jugendverbände betroffen worden. Die Jugendlichen tommen heute übermüdet und abgespannt in die Veranstaltungen, sie haben nicht einmal die geringen Barmittel, um an den Wande. rungen und Ferienfahrten der Jugendverbände teilzunehmen, und die lange Arbeitszeit schränkt die an sich schon fnapp bemessene Belt, die den Berbänden für die Beeinflussung ihrer jugendlichen Mitglieder zur Verfügung steht, weiter ein, so daß eine geordnete, auf weite Sicht eingestellte Arbeit außerordentlich erschwert ist. 3wingt fo das eigene Intereffe alle Verbände dazu, sich mehr als bisher mit der sozialen Lage threr Mitglieder zu beschäftigen, so setzt sich auch mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß es höchste Beit ist, mit der Vorstellung zu brechen, die Jugend mit ihrer frischen Kraft brauche nicht geschont zu werden, sie set allen Anforderungen gewachsen. Mehr und mehr tritt die Hohlheit der Auffassung der älteren Jugendfreunde" zutage, die auf die eigene Jugendzeit hinweisen, In der es die Jugend noch viel schwerer gehabt habe als die gegen wärtige, ohne daß Schaden entstanden sei. Dagegen steht die Ein ficht, daß die Jahre zwischen 14 und 18 die entscheidenden Ent. wicklungsjahre jeden Menschens sind und daher eine über die Schuß­maßnahmen für die erwachsenen Arbeitnehmer hinausgehende Be­wahrung vor zu starter Anspannung der Kräfte des jugendlichen Körpers und Beistes bedürfen.

Alle diese Erwägungen haben dazu beigetragen, die deutschen Jugendverbände aller Richtungen auf bestimmte gemeinsame Forde rungen der arbeitenden Jugend zu vereinigen. Der Ausschuß der deutschen Jugendverbände, das Parlament der deutschen Jugend, hat, wie hier bereits berichtet wurde, tm Früh Jahr dieses Jahres einstimmige Beschlüsse gefaßt, die von der Ge­febgebung die Festlegung der 48stündigen Arbeitswoche einschließlich der Zeit für den Besuch der Berufsschule, das Verbot der Nacht arbeit für die Jugend unter 18 Jahren, den freien Sonnabend nachmittag sowie einen bezahlten Urlaub von drei bzw. zwei Wochen jährlich fordern.

Diese bedeutsamen Beschlüsse sind bereits in einer Zusammen­funft den Barlamentariern aller Frattionen unterbreitet worden

Die Notwendigkeit der ausreichenden Freizeit wird be gründet werden mit bedeutsamem Material über den Gesundheitszu­stand der Jugend in der Nachfriegszeit und mit dem Nachweis der Bedeutung einer vernünftigen Begrenzung der Arbeitszeit für ble berufliche und allgemeine Erziehung der Jugendlichen. Am zweiten Tag wird zunächst bie Frage der wirtschaftlichen Durch

fegungen mit den Kreisen der Arbeitgeber zu erwarten, die jeder Ausdehnung der Sozialgefeßgebung mit dem Hinweis entgegen treten, daß sie für die Wirtschaft nicht tragbar fei. Bon dem Aus gang dieser Beratungen wird die Entscheidung des Ausschusses über die Frage, in welcher Weise die Bemühungen um die Verwirklichung dieser Forderungen fortzusehen sind, im wesentlichen abhängen. Nicht minder wichtig ist die Beantwortung der anderen Fragen nach der med mäßigen Verwendung der Freizeit der Jugend. Es gibt heute noch zahlreiche Vertreter der Auffassung, baß eine Erweiterung der Freizeit der Jugend zwecklos, ja schädlich sei, da die Jugend ihre Freizeit doch nur verwende, um Umfug zu trelben, so daß es auch im Interesse der Jugend besser ist, wenn sie möglichst lange unter der Obhut ihres Arbeitgebers steht.

Mit dieser oberflächlichen und unsachlichen Argumentation wirb In Raffel gründlich abgerechnet werden müssen. Die Bertreter ber Jugendverbände werden bort flarzulegen haben, welche Einrichtungen und Veranstaltungen sie schon getroffen haben und noch treffen werden, um die gute Ausnutzung der Freizeit sicherzustellen. Da aber nur ein Bruchteil der Jugend, wenn auch ein erheblicher,- Im Ausschuß der deutschen Jugendverbände sind 3% Millionen Jugend­liche vereinigt erst durch die Jugendverbände erfaßt wird, so wird doch gerade die Betreuung der Nichtorganisierten eine besondere Rolle spielen, und hier werden die Vertreter der privaten und öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen vorzutragen haben, was Reich, Länder und vor allem Kommunen sowie private Wohlfahrtsver­bände schaffen können oder bereits geschaffen haben, um der ge famten Jugend genügende Boraussetzungen für die zweckmäßige Bes wendung ihrer Freizeit zu geben.

Es ist das erstemal, daß vor einem derartigen Kreis die Frage der Jugend nach Freizeit und die damit verbundene Probleme ihrer Berwendung öffentlich behandelt werden. Die sozialistische Jugend begrüßt diese Konferenz von ganzem Herzen, benn sie sieht in ihr eine starte Förderung der Bestrebungen, die sie bereits jeit Jahrzehnten vertritt, für die sie bisher aber lediglich bet den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter­schaft Verständnis gefunden hat. In Kassel   wird es sich zeigen, welche Aussichten für die Verwirklichung der vom Ausschuß erhobenen Forderungen bestehen und es wird welter darüber Klarheit ge­schaffen werden, auf welche Kreise die Jugend sich ftüßen kann, wenn sie nach Kaffel den Kampf um die Verwirklichung three berechtigten und notwendigen Forderungen aufnimmt.