Jugend- Vorwärts
Nr. 2
Beilage zum Vorwärts
17. April 1925
Die soziale Not der Jugend.
Die sozialistische Jugendbewegung hat von jeher in Gemeinschaft mit der Sozialdemokratischen Partei und den freien Gewerkschaften ben Hauptteil ihrer Bemühungen auf die Arbeit tonzentriert, die ber arbeitenden Jugend durch eine umfassende Jugendschuhgefeßgebung eine durchgreifende Erleichterung ihrer sozialen Lage bringen foll. Das Wert wurde in der Borkriegszeit in Angriff genommen, fonnte freilich unter den damaligen politischen Verhält nissen nicht durchgeführt werden und mußte daher in der Nachkriegszeit mit erhöhtem Nachdruck gefördert werden. Der Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend hat bekanntlich als erste deutsche Jugendorganisation der Weimarer Nationalversammlung ein um faffendes Jugendschutzprogramm unterbreitet. Leider ist es den Bemühungen der Sozialdemokratie sowohl während der Amtszeit der Nationalversammlung als auch in allen späteren Reichstagen der deutschen Republit nicht gelungen, in einem großzügigen Gefeßes wert die Lebensforderungen der werktätigen Jugend zu verwirt lichen.
In dem Maße, wie sich die soziale Reattion in den Barfamenten burchfeyte, schwanden nicht nur die Aussichten auf eine baldige Erledigung dieser Vorschläge, sondern der Jugend wurden auch noch die wenigen Vorteile genommen, die ihr unmittelbar nach ber Revolution im Zusammenhang mit den Erfolgen der Arbeiterschaft zugefallen waren. Das gilt besonders hinsichtlich der Arbeitszeit. Die noch heute in Kraft befindliche Arbeitszeitverordnung vom Dezember 1923 läßt für die Jugend bis zu 16 Jahren eine neunstündige, für die Jugend von 16 bis 18 Jahren sogar eine zehnstündige Arbeitszeit pro Tag zu, und es braucht nicht besonders betont zu werden, daß diese Arbeitszeit für die Jugend im weitesten Umfang zur Norm geworden ist. Hinzu kommen die schlechte Entlohnung, die große Arbeitslosigkeit während der Stabilisierung und die unvermindert fortbestehenden Mißstände im Lehrlingswesen des Handwerks und der Industrie.
So hat sich die soziale Lage der arbeitenden Jugend im letzten Jahre ganz erheblich verschlechtert, die Verwirklichung Jahrzehntealter Forderungen scheint für lange Zeit geschwunden. Daß diese Zustände bei der gegenwärtigen Generation der Jugend, die durch Kriegs- und Nachkriegszeit förperlich und geistig schwer gelitten hat, besonders verheerend wirken, braucht nicht besonders erwähnt zu werden.
Die Sozialistische Arbeiterjugend hat es daher als ihre selbstverständliche Pflicht betrachtet, auf die hier brohenden großen Gefahren für die Jugend und damit für die Zukunft des ganzen Volkes immer wieder hinzuweisen und schnelle Abhilfe zu fordern. Der Sozialdemokratischen Reichstagsfraktion sind unmiltel bar nach den Dezemberwahlen die dringendsten Wünsche unterbreitel worden. Der Verbandsvorstand hat die Fraktion ersucht, alíes zu tun, um 1. die achtundvierzigstündige Arbeitswoche, einschließlich ber Beit für den Besuch des Fortbildungsunterrichts gesetzlich sicher. justellen, 2. die Reform des Berufsschulwesens in zeitgemäßer Art Schnellstens herbeizuführen und 3. einen ausreichenden Urlaub gefeßlich festzulegen.
Die Fraftion hat, wie an anderer Stelle berichtet werden kann, sofort die notwendigen Schritte eingeleitet. Wenn auch kein Zweifel darüber bestehen kann, daß bis zur Verwirklichung dieser Maß nahmen noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, so zeigt sich boch jetzt, daß in dieser Frage das öffentliche Gewissen erwacht. Die Schäden, die der Raubbau an der Jugend anrichtet, find so offen sichtlich, daß alle Stellen und Verbände, denen es ernstlich um das Wohl der Jugend zu tun ist, ihre Stimme erheben. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle alle Einzelheiten zu verzeichnen, mit Beispielen zu belegen, wie sich ber Sehn- und Zwölfflundentag aus wirken, aber einiges sei doch angeführt.
So erheben die Jugendperbände immer bringender die Forderung nach einem ausreichenden Arbeiterschutz für Jugendliche. Neben den fortschrittlichen Elementen in ber fogen. reinen Jugendbewegung, die ja schon seit längerer Zeit auf diesem Gebiet rührig geworden sind, treten jest auch die großen toufeffionellen Verbände mit beftimint formulierten Forderungen in bie Deffentlichkeit.
Der Verband der katholischen Jugend- und Jungmännervercine hat auf seiner vorjährigen Tagung bereits seine Forderungen an die Easialgesetzgebung dargelegt und verlangi:
samten Boltes erfordert. Er tann jedoch die Gefahren, ble cine rücksichtslose Steigerung der Produktion für Leben und Gesundheit der Jugend mit sich bringt, nicht übersehen. Er stent daher für die Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahre folgende Forderungen:
Ausnahmebehandlungen bei der Bemessung der Arbeitszeit; Verbot der Beschäftigung in gesundheitsschädlichen Betrieben; Berbot der Nacht und Sonntagsarbeit;
Gewährung eines angemessenen Urlaubs;
Schuß der Lehrlinge vor Beanspruchung für anderweitige Arbeiten."
Auch der Verband der evangelischen Jungmännervereine, der noch bis vor kurzer Zeit allen sozialen Fragen aus dem Wege ging, hat fich fürzlich veranlaßt gesehen, in einer Eingabe an den Reichstag feine Stimme für Jugendschuß zu erheben. In der Eina gabe heißt es:
Mit ernster Besorgnis sieht der Reichsverband Evangelischer Jungmännerbünde Deutschlands , wie die Arbeitszeit der Jugendlichen immer mehr erhöht wird, besonders in kleineren und kleinsten Betrieben, wo eine Kontrolle schwer möglich ist. Nicht selten müssen Jugendliche jetzt wieder 9 bis 10 Stunden und mehr arbeiten. Die jetzt allgemein geltende durchgehende Arbeitszeit mit einer turz bemessenen Bause bedeutet geradezu Raubbauan jungen Menschen. Für die förperliche und geistige Entwicklung der Jugend ist eine solche Ueberspannung der Kräfte höchst gefährlich, zumal bei dem jetzt so traurigen Gesundheitszustand unserer Jugend. Die geistige Ausbildung und Vertiefung der Jugend leidet naturgemäß start darunter. Da die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit für Jugendliche noch nicht er. folgt ist, bitten wir dringend um schärfste Beachtung dieser Frage.
Wir sind uns bewußt, daß eine schematische Regelung der Arbeitszeit nicht angängig und wünschenswert ist. Dazu sind die Arbeitsverhältnisse, die örtlichen Bedingungen zu verschieden. Uns ist weiterhin klar, daß die Arbeitskraft des Volkes start in Anspruch genommen werden muß, um wieder normale wirtschaft. liche Verhältnisse zu erkämpfen. Es muß für einige Beit ein großes Opfer an Arbeitskraft gebracht werden. Aber es darf diese Last nicht auf junge Schultern gelegt wer den. Gerade der Blick in die Zukunft unseres Boltes erfordert stärksten Schuh der Jugend. Darum fordern wir:
1. Verbot der Nacht- und Sonntagesarbeit für Jugend. liche, 2. gefeßlich e Regelung der Arbeitszeit durch Fachgruppen ( in Verbindung mit Janungen, Gewerkschaften) mit der Höchstarbeitszeitgrenze von acht Stunden für den Tag.
Eine baldige Regelung ber Arbeitszeit ist besonders für bas Handwerk sehr notwendig, well hier leiber am stärksten dagegen gefündigt wird. Die Schulstunden sind als Arbeitsstunden zu rechnen."
Zum Schluß sei noch der Beschluß des Ausschusses bec beutschen Jugendverbände erwähnt, der von der Reichsregierung bringend die Einbringung eines Gefehentwurfs fordert, der für jugendliche Arbeiter und Lehrlinge von 14 bis 16 Jahren einen Urfaub von drei Wochen, für die Jahresklassen von 16 bis 18 einen zweiwöchigen Urlaub festlegen soll. Dieser Beschluß wurde von dem Ausschuß, dem alle wichtigen deutschen Jugendver bände mit Ausnahme der Kommunisten angehören, einstimmig gefaßt. Eine Entscheidung dieses Ausschusses über die Arbeitszeit frage steht bevor, und es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß angesichts der Lage der arbeitenden Jugend ebenfalls eine einmütige Willensäußerung zustande fommt.
Die Dringlichkeit, mit der diese Forderungen von den Gruppen der verschiedensten Weltanschauung jetzt erhoben werden, lassen erfennen, wie ernst es um die deutsche arbeitende Jugend steht. Wenn irgendwo der sozialen Reaktion Einhalt geboten und die Hand ange legt werden muß zu einer umfassenden gesetzlichen Maßnahme, dann ist es auf diesem Gebiet des Schutzes der jugendlichen Arbeitskraft. Hier fann es zwischen Männern und Frauen, die es ernst meinen mit ihrer Sorge um den Bestand und die Zukunft unseres Voikes, die für ihre Handlungen nicht das egoistische Interesse bestimmter Gruppen unseres Bolles ausschlaggebend sein lassen, kein Feilschen und Bögern mehr geben, hier heißt es jetzt nur noch: Handeln und E. Ollenhauer