Nicht soviel schweigen!
Zum Antifriegstag am 2. August.
Ein Fest der Roten Falken. Wieder marschiert ein neuer, großer Zug heran. Rmgsherum stehen die älteren Genossen, Frauen und Männer, lächelnd vor Freude und Stolz über diese Jungen und Mädel mit den frischen Gesichtern und leuchtenden Augen. Und es flingt so zuversichtlich, wenn sie singen: ,, Nie, nie woll'n wir Waffen tragen." Neben mir ein Genosse, der all den Wahnsinn des„ großen" Krieges miterleben mußte. Etwas skeptisch meint er: Ja, man möchte so gerne daran glauben, daß sie eines Tages alle einfach nicht mehr mitmachten. Dann wäre der Frieden für immer gesichert. Aber jetzt sind sie noch Kinder. Werden sie ihr Versprechen einmal halten fönnen?"
Wenn sie es nicht könnten, das wäre unser aller Schuld. Eure Generation, deren ganzes Leben so bis in den Grund zerstört und zerrissen wurde durch diese vier Jahre entsetzlichen Erlebens, muß Jetzt auch die Aufgabe tragen, euch selbst und alle anderen nicht vergessen zu lassen. Ihr dürft nicht so viel schweigen!
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Ein heißer Sommersonntag in Berlin . Unermüdlich bringt die Stadtbahn die Menschen heraus aus den glühenden Straßen der Etadt. Neben mir zwei Kinder, etwa acht und zehn Jahre, ziemlich aufgeregt. Mutti, warum sind wir denn nicht da vorn eingestiegen, da waren noch Sitzplätze!" Die Mutter, etwas ärgerlich:„ Aber da mar doch ein Schild dran Für Kriegsbeschädigte". Ja, Mutti, was ist denn das ,, Kriegsbeschädigte"?" Ach, laßt doch, wir stehen ja ganz gut hier."
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Ihr Mütter, warum schweigt ihr auf solche Fragen? Ihr dürft nicht so viel schweigen! Sagt euren Kindern, was ihr gelitten habt, sie müssen es wissen, wenn ihr sie den Willen zum Frieden lehren wollt. Zeigt ihnen all die Männer, die ein Granat splitter für immer zu Blinden machte, all die Unzähligen, die zu Krüppeln zerschossen heimkommen durften. Sprecht auch einmal von euch selbst, von all der Not und Angst, die ihr in jedem Augenblick ausstehen mußtet um eure Lieben im Felde. Und wie ihr trotz diesem Leid schaffen mußtet, schwere Männerarbeit, Tag und Nacht, um euer und eurer Kinder Leben. Ihr bewahrt die Menschheit vor einem neuen Krieg, wenn ihr sie vor dem Vergessen bewahrt!
Vor einigen Wochen mußte ich eine Frau sagen hören: Wir dürfen all die Bindungen durch den Schandvertrag von Versailles nicht länger tragen. Unsere Jugend muß wieder lernen, sich zu opfern, und wenn es not tut, auch ihr Leben für das Leben der Nation hinzugeben."
Ich konnte es faum glauben, daß eine Frau das, was vier Jahre lang grausamftes Schicksal deutscher Jugend war, so als ,, Opfer. tod für das Leben der Nation" pries. Ideen, um derentwillen Menschen andere töten müssen, sind niemals gut. Und nur die Nation, deren Jugend den tiefen Willen zum Leben hat, wird ihren Dienst und ihre Aufgabe an der Menschheit erfüllen fönnen.
Cl.-M. Schuch.
Jugend ausgeschaltet.
Die Jugend von 1914 hat der entfettete Kapitalismus, das entfeffelte Chaos, das sich den Namen einer Gesellschaftsordnung anmaßt, mit Minenwerfern, Maschinengewehren, Gasgranaten und Bajonetten zugrunde gerichtet; die Jugend von 1931 wird von der organisierten Katastrophe, die sich den Namen einer Wirtschaftsordnung anmaßt, in anderer Art, mit anderen Methoden zugrunde gerichtet. Damals hat man Millionen junger Menschen gesagt: Krepiert für das Vaterland! Heute sagt man ihnen: Krepiert auf eigene Faust! Damals lehrte man sie das Handwerk des Mordens, heute entzieht man ihnen jede Arbeit. Damals schenkte man ihnen den Krieg, heute bereitet man ihnen das Schicksal der Arbeitslosigkeit!
Oh, für den jungen Proletarier ist die Arbeit im fapitalistischen Betrieb wahrlich keine Freude; das Recht auf Freizeit mußte zu einer Parole des Sozialismus werden. Aber so toll, so
feit verurteilt? Begreift man, daß niemals ein schlimmeres Ver brechen an einer Jugend begangen wurde?
Tragödie des Proletariats: In den Zeiten des Zwölfftundentages, da auf das Kindesalter unmittelbar das Mannesalter folgte, hatte die proletarische Jugend feine Zeit, jung zu sein: heute hat die Arbeiterschaft ihrer Jugend das Jungsein erkämpft, aber dieser Jugend wird der Eintritt in die Welt der Arbeit, in die Welt der mannhaften Leistung verboten. Und so hört man von Arbeitern, die damals jung waren, mitten in der ungehemmten und schonungslosen Ausbeutung, immer wieder das Wort: Trotzdem - uns ist es besser gegangen!
Die Jugend wartet...
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Ja, die Proletarierjungen, in denen Temperament und Wagemut par, hatten damals eine große Lebenschance: die Land.
aberwizig ist diese Welt, in der wir leben, das heute das Rechtstraße. Offen waren die Straßen. Von Stadt zu Stadt, von auf Arbeit zur großen, zur unerfüllten, kaum zu erfüllenden Forderung geworden ist. Millionen junge Menschen leben in erzwungenem Nichtstun, in unfreiwilliger Freizeit", möchten um jeden Preis ihre Arbeitskraft, die ungenutzte Leistungsfähigkeit ihrer Nerven und Muskeln verkaufen, müssen aber schaudernd erfennen, daß ihnen selbst das, dieser billigste Wunsch, von der kapi talistischen Welt verwehrt wird. Spätere Zeiten werden die Ausstoßung von Millionen Menschen aus jeder Arbeit, jedem Beruf, für den bizarrsten Fiebertraum der Menschheit halten dieser Fiebertraum ist aber unsere Wirklichkeit.
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Das schlimmste Verbrechen an der Jugend. Begreift man überhaupt, was das heißt: Jung sein, gespannt in allen Fasern, bereit zuzupaden, sich selbst und der Welt zu zeigen, daß man ein Kerl ist, mit dem Schwersten und Kompliziertesten fertig zu werden und gerade das nicht dürfen, immer wieder zu hören: Man braucht euch nicht, es ist kein Platz für euch, keine Aufgabe, feine Bewährungsmöglichkeit?! Euer Leben ist völlig finnlos, man hat euren Müttern zwar befohlen, euch zu gebären, hun aber, da ihr einmal da seid, kann man euch nur den Rat geben: Verschwindet, aber unauffällig und ohne Lärm! Begreift man, was das heißt, in sich die Kraft, das Verlangen zu spüren, ein produk tiver, ein zukunftsgestaltender Mensch zu sein, auf eigenen Füßen zu stehen, mit eigenen Händen sein Brot zu verdienen und von dieser Chance durch einen Abgrund der Hoffnungslosigkeit getrennt zu sein? Zwanzig Jahre alt und bereits von Schatten der Resignation das Antlig überschwemmt? 3manzig Jahre alt und bereits an der Zukunft verzweifelnd, zu greifenhafter Illusionslojig
Land zu Land führte der Weg, Freiheit des Tipplers, Freizügigkeit des Proleten. Paßte ihm hier die Arbeit nicht, nun, so gab es dort eine andere, wurde man hier auf das Pflaster geworfen, nun, so suchte man dort die neue Beschäftigung. Pah, man schüttelte alles ab, war jung und ungestüm, zog ins Blaue hinein, zukunftshell war der Horizont. Von der Gnade des Unternehmers war man nicht abhängig, solange man nicht für eine Familie zu sorgen hatte, das steifte den Nacken, das stärkte den Trozz. Und wenn du juſt feine Arbeit hast, nun, die Pause des Lebens zwischen Betrieb und Betrieb ist nicht das Schlechteste. Laß dir den Wind um die Ohren wehen! Lauf flügelrauschenden Jdealen nach! Glaub' an den eigenen Aufstieg, an den Aufstieg der Arbeiterklasse! Arbeit findest du wieder, dessen sei gewiß! Das war damals, galt nicht für alle, aber zweifellos für eine Avantgarde der Arbeiterjugend.
Heute, da Eisenbahn , Automobil, Flugzeug, Radio alle Entfer nungen überwinden, da Kontinent dem Kontinent nahegerückt ist wie nie zuvor, heute gibt's feine freie, weithinschwingende Landftraße mehr, heute ist der junge Prolet eingemauert und eingesperrt wie nie zuvor. Arbeitslosigkeit überall, Elend und Hunger überall, durch kein Gesez, durch keine Verordnung, aber durch die Macht der Wirtschaft, der Mißwirtschaft, ist er in einen engen Kreis gebannt; hinausgehen in die Welt damit verschüttet man sich die letzte Möglichkeit, irgendwo Arbeit zu finden. So wartet diese Jugend, in unsichtbare, aber fürchterlich fühlbare Kerkermauern gebannt, auf das Unglaubwürdige, auf den bescheidenen Haupttreffer: auf den freiwerdenden Arbeitsplay. Und wer ihn erobert hat, diesen Arbeitsplatz, darf ihn um feinen Preis aufs Spiel segen; durch fein Gesetz, durch keine Verordnung, aber durch
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