Poesie und Prosa Das verarmie braune Kriegrs- feuilleion Es erscheint merkwürdig, ist aber so: in der Hitlerpresse fehlen die Kriegsgedichte. Die Ursachen dieses Phänomens sind ver­schiedener Art. Im Volke fehlt jede Kriegs- stimraung. Not, Mangel, Angst lasten auf einem Publikum, dessen Nerven seit Jah­ren von Kriegsgeschrei und Rüstungswahn­sinn überspannt sind. Da wird wie es Ministerialrat Berndt ausdrückte der Dichter viel eherfür den Frontdienst in der Heimat nötig". Dort soll er mit Vorle­sungen und Durchhaltegeschichten helfen, den Meckergeist niederzuhalten. Der Be­darf an Fahnenliedern und lyrischem Ge- trommel wurde seit 1933 so überreichlich gedeckt, dass es selbst dem Propagandami­nisterium hoch kam. Und Euringer gestand einige Wochen nach Kriegsausbruch, durch unser Weltkriegsschrifttum" sei so­viel vom neuen Kriegserleben vorweg ge­nommen worden,dass Nerven und Gemüt eigenartig präpariert sind..." So präpa­riert nämlich, dass diese Nerven etwaige Hurragedichte nicht ohne Rebellion hin­nehmen. Was jedoch drüben der politischen Li­teratur samt Lyrik deji Atem einigermassen verschlagen hat, das ist die Unsicherheit In der hohen Politik. Vor dem September schien alles relativ klar. In seinem Neu- iahrsaufruf vom 1. Januar 1939 hatte Hit­ ler für die nächsten 1000 Jahr proklamiert: Die Aufgaben der Zukunft sind folgende: Im grossen Weltraum ist unsere politische Einstellung bedingt durch den Antikomin­ternpakt". Im grossen Weltraum! Milch­strasse und Antikomintern. Unsere Ideale sind von kosmischer Ewigkeit. Die Kriegs­lyrik freute sich förmlich auf den Ernst­fall: Hüben dieAchsenkultur", drüben der Bolschewismus mit denBourgeoisstaaten". Diese als artvergessene Helfershelfer des Feindes aller Kultur". Deutschland rettet die Welt. Man hörte den Eichwald zornig rauschen. Der Pakt Moskau -Berlin gab der braunen Literatur einen Kinnhaken, von dem sie sich bis heute noch nicht erholt hat. Ein schon angekündigter Sammelband antibol­schewistischer Lyrik musste mitten in der Herstellung zurückgezogen werden. Man erlebte dafür einige Hassgesänge gegen Po­ len (darunter einen fulminanten von Peter Scher , ehemals antifaschistischer Asphalt individualist und Redakteur desSimplicis simus"). Dann brach dieKampflyrik" ab. Dem Kriegsbarden war die grosse, zugkräf­tige Parole zerschlagen worden. Das biss­chen Hassgesang gegen England wirkte rasch monoton, und der Rassismus legt da bei drauf. Und so stösst man in der deut­schen Presse nur hin und wieder auf ein Kriegsgedicht; es wendet sich fast immer an die Heimatsfront, wie etwa jenes im Schwarzen Korps" vom 2. Februar. Da billigte die Füllfeder der deutschen Mutter zu, dass sie weinen dürfe,wenn ich falle, Mutter", aber das Klagen habe zu unter­bleiben. Nicht einmal fragen darf sie: Aber niemals, Mutter, darfst du fragen: Warum wurde mir dies Los beschieden?" Wächst aus unsern Gräbern doch der Frieden! Weinen darfst du, aber nicht verzagen, Dennwir gehen stolz und ohne Zagen in den Kampf, den man ans aufgezwnn- qen"... Wo aber steht dieser Held? Am Westwall etwa? Ach nein, er kämpft an derinneren Front" und ist eine Frau, eine Irmgard Grosch. Und der Flüsterwitz fragt, wo Irmgard überall gefallen sein mag. Zweifellos, die braunen Kriegsdichter haben viel Pulver vorzeitig in der ewigen Trommellyrik verschossen, die Kriegsver­herrlichung tobt sich viel mehr in der Pro­sa aus, in angeblichen Soldatenbriefen, in Sentenzen, wie denen, die derVölkische Beobachter"(22. 2.) alsGedanken aus dem Felde" brachte. Da wird der Krieg in ge­schwollen-trivialer Art gefeiert alsder wahre Jungbrunnen des Volkes, der körper­liche und was wesentlicher ist der see­lische". Da ist der Kriegder Regen, der die Saat des Herzens befruchtet". Und jegliches Leben wirddem Führer zum Danke dargebracht" gleich einem men­schenfressenden Götzen. Der Tote aber hat den Kampf im Walhall weiterzuführen, wie im Amtlichen Mitteilungsblatt des braunen Parleigerichts(Der Parleirichter") zu le­sen war:

Alctallsaiumlnu� NEBENGEDANKEN EINES VERSAMMLUNGSBESUCHERS Ich bin der Mann in der Reihe vier, Stuhl 2. Ich versuche zu lauschen. Ich bin sehr müde. Die hinter mir, die vor mir, die links und die rechts von mir sind ebenso müde. Wir glotzen stier, und man könnte uns alle vertauschen. Mir laufen heut die Gedanken fort. Er redet von kupfernen Töpfen. Was will er nur? Ich versteh kein Wort, Metallsammlung? Richtig, der neuste Sport. Man holt uns die Töpfe vom Küchenbort und versucht alle Schränke zu schröpfen. Wie war das? Erst blieb die Butter aus, dann blieben vom Fleisch nur die Knochen, dann fehlte die Wurst bei dem mageren Schmaus, dann nahmen selbst Eier und Brot Reissaus, ,,Es geht um das Vaterland, haltet haus und versucht, einen Eintopf zu kochen." Uns blieb ein Topf, und der Topf war leer. Jetzt holt man den Topf aus der Küche, das Hemd vom Leibe. Was will man mehr? Wir zahlen und geben das letzte her, für wen denn? Für was denn? Für Deutschlands Ehr? Lasst es gut sein, wie kennen die Sprüche. Die Führer zittern um ihren Kopf und wir zittern leider vor ihnen. Uns schreckt jeder blitzende Achselknopf, es zittert ein Tropf vor dem andern Tropf, drum führen wir Krieg mit den letzten Topf und baun Bunker anstatt Guillotinen. Ich bin der Mann in der Reihe vier und muss heute immerzu denken. Die neben, die vor und die hinter mir, die denken das gleiche. Wir hocken hier und grüssen den Führer und glotzen stier und möchten ihm gern etwas schenken.

bigen wonnige Houris mit Bauchtanz, Ge­sang und entsprechenden Orgien verheisst. Der ganze braune Kriegsfeuilletonismus erweist sich als ausgepumpt, ideenlos-mar­tialisch, klischeehaft und langweilig führer­fromm.Originell" wirkten höchstens ei­nige Soldatenbriefe aus Polen , in denen der Barbarismus seine Schandtaten naiv gestand. So imStürmer

musste eine werden..."

Begrenzung vorgenommen

Man las von Massnahmen, durch dieein stossweiser Einkauf" oderein Vorgriff" verhindert wird. Und das alles in der Deutschen Allgemeinen Zeitung", indes­sen dieFrankfurter Zeitung " zur selben . Zeit die Schuhversorgung sprachschöpfe- der eine erie behandelte. Da las man von der

den. 5 Leute, ein Mg.-Schütze und vier Po­lizisten mit Karabinern dringen, so schil­derte der Radioreporter, in eine bäuerli­che Hütte ein. Man ist des Opfers sehr sicher, das Unternehmen ist jateilweise ein Spass". Angehörige des Insurgenten, zuletzt die Mutter, werden verhört. Unter­dessen durchsucht die Polizei das Haus. Das Verhör, die Geräusche, Kolbenschläge gegen Schränke und Türfüllungen, Rasseln im Stroh, das alles kann gestellt sein, man hofft, dass es gestellt ist. Aber dann hört man, polnisch, die Schmerzensschreie der alten Mutter, Beteuerungen, hastige, angstvolle Lügen, und man wird mit Ent­setzen gewahr, was sich vor unseren Ohren abspielt, ist Wirklichkeit. In den kleinen Städten in Deutchland, in den sonntäglich geputzten Stuben hallt dieser Wehelaut der gequälten Kreatur wieder, in einer fremden unverständlichen Sprache, aber unverkennbar für jedes Ohr, so sehen die Sonntagsfreuden aus, das ist heute Deutschland .

Wurst oder Stiefel In der deutschenLandpost" ist ein Streit ausgebrochen zwischen dem Nazide­zernenten für Ernährung und dem für die Lederwirtschaft Verantwortlichen. Streit­objekt: Die Haut der deutschen Schweine. Macht man Leder daraus, wie es neuer­dings propagiert wird, so muss bei der Ent- häutung ein Teil des kostbaren Schweine­fettes geopfert werden, und vor allem fehlt dann die Schweineschwarte als Bindemit­tel für die Wurst. Einen autarken Schwar- lenersatz haben die deutschen Chemiker noch nicht konstruiert also gibt es kei­ne Wurst. Siegt aber der Ernährungsdezer­nent, dann gibt es zwar Wurst, wenn na­türlich auch in zeitgemässen Portiönchen, und die Kanonenrohre können fetter ge­schmiert werden, aber die deutschen Sol­daten müssen auf synthetischen Lederersatz­sohlen in den nächsten Winterfeldzug zie­hen. Schweinehaut vor die innere oder vor die äussere Front, das ist die Frage.

Drei unserer Mitarbeiter haben vor dem Feind ihr Leben für Führer und Grossdeutschland hingeben dürfen. Sie sind in Walhall eingekehrt, um dort zu neuem Kampf zu rüsten für ihr Volk..." Im Leben wie im Tode: ein ewiges Rü­sten; nicht mal im Jenseits hat man davor Buhe, auch dort sind Kanonen wichtiger als Butter. Entsetzliche Perspektiven. Wie musisch, lebensfreudig und gelockert er­scheint daneben die mohammedanische Kriegerreligion, die dem gefallenen Gläu-

solcher Briefe veröffentlichte. Man konnte! Drin lichkeitsskala vom>tVerstärkten da lesen welchen Spass junge Hitlergar- rinsatz von Holzschuhen in der Landwirt- disten auf der Judenjagd hatten. Neben die- schaft., vom)>Einsat2 von neuen Werkstof- ser Prosa mutet die alte braune Fahnen- f und zwar teils auf der Grundlage Von Itt r* i lr r» I I i 7-i rfe« rrav*«! H a rrn K t a H Ar»r»-» AI at»i t? a h'

lyrik allerdings geradezu' biedermeierisch an und das will viel heissen. Br. Brandg.

Buna, teils auf Lederfaserbasis... Ein solches Fünfjahresplan-Deutsch lei­sten sich Blätter, die gelegentlich in ihrer Umgebungden Brei des Sonderbaren' !»- entdecken. Wie sehr dieser Brei auch ihre i�l«l»*? Spalten verschleimt, das merken sie schon DieFrankfurter Zeitung " beschwert nicht mehr. DerEinsatz" irgendwelcher sich über die zunehmende sprachliche Un- Stoffeauf Lederfaserbasis" und dienor klarheit. Bemerkenswert sei,wie gern die! male Streuung" der Kleiderkarte erscheint Bilder heule widersprechende Züge häufen ihnen schon als das Normale. Denn das und koppeln". Das Blatt bringt Beispiele, Verrückte ist drüben längst normaler All-

wie:...sah ihn an mit einem so sonder­baren Blick, erschrocken, drohend, erbar­mend, alles im Zugleich..." Willkürlich werde so mit den Grenzen der Begriffe ver­fahren, klagt das Blatt und schliesst: ... hell und dunkel, Wohl und Wehe, ja und nein, etwas und nichts wird zum Brei des Sonderbaren vermengt. Ist die Schwelle zwischen Sein und Nichtsein uns so flach geworden, hat es so wenig auf sich mit der Scheidung unserer Sin­neseindrücke?" Weshalb das umständliche Gefrage? Die Frankfurter Zeitung " kennt doch die tie­feren Gründe der neudeutschen Sprachver- hunzung recht gut, zumal sich in ihren eignen Spalten allerhand Dunkelheit breit macht. Jüngst erst, in einer elegischen Be­trachtung über dieMelancholie des Eisen­bahnpfiffs", war nicht ein Satz wirklich klar, am ehesten noch der Schluss; Der schwankende Pfiff... der den Punkt bezeichnet, an dem Fahrt und Stillstand einander schneiden, an dem die Formen des Daseins, die vorwärts­

tag geworden und verrückt erscheinen ih rer Umgebung lediglich die normal Ge­bliebenen.

Ktinimen Was singt der Zwangsarbeiter in Deutschland ? Wir hörten einen Männer­chor: Arbeit, Arbeit, das ist unser Leben, Arbeit, Arbeit muss es für uns geben, Arbeit früh und Arbeit spät Bis der Tag zuende geht. Solche Verse würden sich in einem sa­tirischen Zeitstück nicht übel ausnehmen. Sie werden aber in Deutschland ohne Iro­nie verbreitet(das Heftchen für 40 Pfen­nige, in jeder Buchhandlung zu kaufen). Aber dadrüben knallt es aus dem Wald raus, da von links"___ im Tone des Sport­berichts gesprochen, empfindsam:die­ser Marsch wurde vom Bunde heimat- treuer Schlesier der oberschlesischen Po-

......, i, üzei gewidmet"(sie lieben also ihre treibende und die verharrende, einander p-,;..; SHilesierl die knarrende kT-0.7n f.-.hrt«/rnioinh Rot>iv,' ouzei, niese scniesierj, tue Knarrende Stimme eines Offiziers älterer Schule; ich freue mich, der Ueberbringer dieser Auszeichnung..." forsch gedichtet: Wenn alles dies ein Ende hat,

Goldene Zeiten sind über das Dritte Reich hereingebrochen. Jeder bekommt auf seine Kleiderkarte für zwanzig Pfen­nig Nähmaterial. Wer nur Nähseide kauft, darf sogar für vierzeig Pfennig erstehen. Aber die Transportschwierigkeiten sind für Nähmaterial so gross, dass der Bedarf nicht auf einmal gedeckt werden kann. Streng werden die Untertanen in den Na­ziblättern aufgefordert, Disziplin zu üben. Es wird erwartet, dass bis zum Eintritt normaler Transportverhältnisse vom Ver­braucher nur in dringenden Fällen Näh­mittel bezogen werden." Die benzinfreie Trauung. Ein Ehestands­darlehen können junge Leute in Deutsch­ land zur Not bekommen, wenn auch nicht mehr in der früheren Höhe. Anders aber ist es mit dem Benzin für das traditio­nelle Hochzeitsauto. Das übersteigt die Mittel des Driften Reiches. Aus diesem Dilemma hat die Stadt Essen einen Aus­weg gefunden. Sie hat einen allen Strassen- bahnwagen mit ein paar Hochzeitsblüm­chen ausputzen lassen und nun vermietet sie ihn für Fahrten zum Standesamt. Churchill der Judenstämmling. Endlich ist es heraus, warum die englische Flotte wenigstens nach den Angaben der deutschen Presse angstzitternd von allen Meeren verschwunden ist. An ihrer Spitze steht ein Judenstämmling. Winston Chur­ chill , der erste Lord der Admiralität, hat zwar keine jüdische Grossmutler, aber doch wenigstens eine jüdische Urgross- mutter. DerVölkische Beobachter" hat Churchills dunklen Punkt allerdings nicht selbst entdeckt, dafür aber zitiert er aus­führlich ein ameoikanisches Blatt, dass dieser Wurzel alles Uebels auf die Spur gekommen ist.

kreuzen, führt sogleich in einen Bereich ohne Zwang. Genau dort, wo der Zug hält. Auf freier Strecke. Der Pfiff, er klingt wie einst, wie irgendwo..."

Soweit hieraus irgend ein Sinn zu klau­ben sein soll, ist es die Sehnsucht nach demBereich ohne Zwang", nach dem Klangvon einst". Warum also mit Steinen nach anderen Verneblern werfen? Wenn die Blätter, die sprachlich noch nicht im Morast der Nazipresse angekommen sind, schlechte Beispiele hochnehmen wollen, sollten sie sich vor allem um das halbamt­liche Deutsch kümmern. Da las man kürz­lich über dieReichskleiderkarte" von der Gesamtspinnstoffmenge", von Artikeln, die mit weniger Punkten versehen wur­den". Lustig ging es weiter; Für gewisse Warengruppen ist ein Punktanreiz gegeben worden... Die Be­darfsdeckungsmöglichkeit durch die Kleiderkarle geht von dem Gedanken aus, dass eine gesunde, normale Streu­ung stattfindet. Bei Damenstrümpfen

Dann bleiben auf den Trümmern stehn, Dann werden sich ins Auge sehn Der ewige Gott und der Soldat." So die entstellten Stimmen der Heimat. Jeder kennt sie. Niemand von uns hört gern Rundfunk aus Deutschland . Eine Re­portage aber über die Konsolidierung des Regimes in Polen , sie wurde Sonntags, an einem Vormittag gegeben, soll festgehal­ten werden. Es handelte sich um die Festnahme von verzweifelten Einzelgängern, die in kleinen Gruppen oder schon völlig isoliert noch den letzten Widerstand leisteten. Man hatte ungefähr 20 Mitglieder einer solchen Kampfgemeinschaft festnehmen können. Ein letzter umstellter, gehetzter Bursche war für die Reportage aufgehoben wor-

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Le Girant: Albert MARION.