Hitler und die Sterndeuter Gin Symptom der Unruhe und der Furcht Aus Deutschland kommt uns ein neues Zeichen wachsender Unruhe, ein Zeichen, das von vielen belächelt und von wenigen erkannt wird. Das Wahrsagen ist verbo­ten, den Propheten aller Spielarten ist un­tersagt worden, in Zungen zu reden. Eine gewöhnliche, nebensächliche, leicht komi­sche Polizeimassnahme? Gewiss. Aber die Zustände, auf die diese Massnahme zurück zuführen ist, haben offenbar die Nerven der Machthaber angerührt und nicht ihre Lachmuskeln. Ueber das Land ergoss sich plötzlich eine Welle vieldeutiger Orakelsprüche, die gerade ihrer Vieldeutigkeit und Unkon tfoIUerbarkeit wegen von Ohr zu Ohr wei tergeflüstert wurden. Dass der englische Rundfunk soeben aufs neue einen deut­ schen Schiffsverlust gemeldet hat, wagt man dem Nachbarn nicht zu sagen, dass Hitlers Stern jedoch in das zehnte Haus getreten sei und dass sein Horoskop damit dem Wallenstein'schen immer ähnlicher Werde, lässt sich in eine ohnehin geheim­nisvolle Unterhaltung zwangslos einflech- ten. Eingeweihten genügt ein Datum und die Andeutung einerKonstellation", um ihre Phantasie in Aufregung zu versetzen. Was Wunder, dass die Horoskopsteller und mit ihnen die Kartenleger, Kaffeesatzleser, Kristallseher immer lebhafteren Zuspruch gefunden haben. Die Gegenmassnahmen des Regimes sind nach bewährten Regeln und in bewährter Reihenfolge durchgeführt worden: Presse­kampagne, Warnungsurteile der Strafju­stiz, Verbot. Schon dieser Aufwand be­weist, welch dunkle Empfindungen die Hellseherei der Untertanen bei den Macht- habern hervorgerufen haben muss. Das Schwarze Korps" vom 4. April fordert, dassder ganze Unsinn mit Stumpf und Stiel ausgerottet" und denrassischen und moralischen Verderbern der Volks- seele" das Handwerk gelegt werde. Dass Menschen des zwanzigsten Jahr­hunderts und des aufgeklärtesten Vol­kes der Erde ihr ganzes Leben dunklen, geheimnisvollen Lehren, verkündet von armen Irren und Schwindlern, überant- - worten, das ist eine Tatsache, der gegen­über man eigentlich nichts anderes tun kann als einfach anerkennen: so ist es." Der Leser glaubt, eine Polemik gegen den Nationalsozialismus und seine rassi­sche Heilslehre vor Augen zu haben. Aber die SS -Zeitschrift behauptet im Gegenteil, man wolle vermittels der Wahrsagerei von ganz bestimmter Seite Unsicherheit, Verwirrung, Zweifel an der Richtigkeit des nationalen Weges und endlich tödlichen Fatalismus in das Volk hineintragen", ja es gehe darum,jene Ueberzeugung von der Bedingtheit des Menschen durch seine rassische Erbanlage zu sabotieren." Nachdem die Presse einige Zeit lang in solcher und ähnlicher Weise gegen die Wahrsagerei gewütet hatte, taten Richter und Polizeistellen in den verschiedenen Städten ihre Schuldigkeit. Wir zitieren von vielen Beispielen einen Bericht der Krimi- nalpoizleistelle München vom 12. April: Die in München in der Böcklinstrasse wohnende Margarete Luft betreibt die Wahrsagerei gewerbsmässig... Da Mar­garete Luft sich in der letzten Zeit auch mit Zukunftsdeutungen unter Bezug­nahme auf die Kriegsereignisse befasste, wurde sie zu sechs Wochen Haft verur­teilt und zur Strafverbüssung sofort fest­genommen. Nach Verbüssung dieser Strafe wird sie einem Frauenlager zu­geführt. Die Kriminalpolizeileitstelle nimmt diesen Fall zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass Wahrsager aller Schat­tierungen schärfste polizeiliche Mass­nahmen zu erwarten haben. Für Gauner und Scharlatane ist in unserer Volksge­meinschaft kein Platz." Nicht in der Volksgemeinschaft, nur an ihrer Spitze werden Gaunereien und Scharlatanerien geduldet. Die Wahrsagerei scheint so alt zu sein wie die menschliche Erkenntnis vom Tode, und die Geschichte verzeichnet in allen umsturzreifen Zeiten ein Anschwel­len der Wundersucht, ein Umsichgreifen der Zeichendeuterei. Deutschland hat die letzte Welle astrologischer Schwärmerei in den Jahren vor 1933 erlebt. Damals stan­den die Sterndeuter teils nur im Bann, teils auch im Solde der immer grössere Massen an sich reissenden nationalsoziali­stischen Partei. Wnndermänner wie der später von seinem Hakenkreuzfreunden ermordete Hanussen haben die Mär von Hitlers aufsteigendem Stern in Deutsch­ lands Strassen ausposaunt, die astrologi­schen Blätter, die dem Hakenkreuz freund­lich gesinnt waren und dafür warben, schössen wie Pilze aus der Erde, gleich­zeitig propagierten die Sterndeuter in ih­ren engeren Anhängerkreisen die Anbe lung derstarken Hand", die Hoffnung auf den Retter. Wenn die Wahrsager sich 1940 noch ebenso willig in den Dienst des Haken­kreuzes gestellt hätten wie 1932, so könnte ihre Zunft im Dritten Reich in hohen Eh­ren stehen. Was mag sie veranlasst haben, sich mit den Machthabern und ihrer Ge­ stapo aufzulegen? Möglich, dass mit An­deutungen über Hitlers Untergang heute mehr zu verdienen ist als mit Orakelsprü­chen, die seinen unaufhaltsamen Aufstieg künden. Aber das ist es nicht allein. Unter uns Menschen laufen Exemplare herum, die mit besonders feinen Emp­fangswerkzeugen ausgerüstet sind und deren seelische Membran durch heran­nahende historische Erdbeben, durch das unterirdische Grollen kommender Revolu­tionen, durch die Spannung, die umstürz­lerischen Entladungen aller Art vorauszu­gehen pflegt, in besonders lebhafte Schwin­gungen versetzt wird. Genies gehören zu dieser Gattung Mensch, aber auch Hyste­riker, Spekulanten, Wahnsinnige und Hellseher. Die meisten dieser Wundermän­ner nehmen sich und ihre Kunst bitter ernst, glauben ebenso fest an ihre Sendung wie der ihnen seelenverwandte Füh­rer Adolf Hitler an die seine. Wenn sie dem Dritten Reich trotz der damit verbun­denen Gefahr schwarzes Unheil prophe­zeien, so tun sie es, weil sie nicht anders können. Was sie in Wahrheit deuten, ist allerdings nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart, ist jene tiefe Unruhe im Volke, die durch die ersten ernstlich fühlbaren Niederlagen an die Oberfläche gehoben werden muss. Man sagt, Hitler habe sich bis vor we­nigen Monaten einen Leibastrologen gehal­ten, einen eignen Seni mit Namen Martin Huber. Man sagt weiter, dieser Mann sei eines Tages im Konzentrationslager ver­schwunden, als er anfing schwarz- an­statt hellzusehen. Eines ist jedenfalls ge­wiss: Hitler wär der Sterndeulerei freund­lich gesinnt, solange die Astrologen seinen Aufstieg prophezeiten, er lässt mit Kano­nen auf die Spatzen der Milchstrasse schiessen, seitdem ihre dunklen und kaum verständlichen Sprüche eine Ahnung sei­nes Abstieg durchblicken lassen. Selbst ein Hysteriker, mag er fühlen, dass die Weis­sager aus Passion beide Male im Recht wa­ren: 1932 und 1940, dass sie beide Male etwas erfühlt haben, das im Anmarsch war und näher und näher rückte. * Gegenwärtig ist offenbar der Befehl er­gangen, die Sterne vollkommen zu ent­thronen, jeden Zusammenhang zwischen Sternhimmel und Erdbewohnern zu leug­nen.Obgleich die Wissenschaft eindeu­tig erwiesen hat, dass keinerlei Schicksals­zusammenhang zwischen den Sternen und den Menschen besteht, erlebt die Astrolo­gie gerade in unseren Tagen wieder eine Auferstehung", so heisst es in dem be- wussten Artikel desSchwarzen Korps". Weiter hinten im Annoncenteil des Blattes findet man dafür keine Geburtsanzeige ohne ein zauberdunkles Runenzeichen, so wie sich ja auch die SS selbst die Siegrune als Talisman erwählt hat. Die angebliche Aufgeklärtheit der nationalsozialistischen Spätperiode vermengt sich also mit dem abergläubischen Odinszauber der Frühzeit zu einem wirren und erheiternden Ge­misch. Der naturwissenschaftliche Hoch­mut, der jetzt zum Durchbruch kommt und kein Geheimnis zwischen Himmel und Erde mehr dulden will, ist dabei genau so wenig fundiert wie der Schäferglauben von ehedem. Aber der Runenzauber des Beginns stand dem Nationalsozialismus besser an als die verlogene Aufklärerei von heute. Die Pari­ser Bouquinisten am Seinequai folgen ei­nem sicheren Instinkt, wenn sie Hitlers Mein Kampf " fast ausnahmslos neben astrologischen und pornographischen Schriften zur Schau stellen. Sie wissen, dass sie es hier mit den unkontrollierbaren Bezirken des menschlichen Geistes zu tun haben, die so leicht keine wissenschaft­liche Blendlaterne erhellen wird. Aintllctae Wabrsasungr Am Tage des deutschen Ueberfalls auf Dänemark und Norwegen , am 9. April, gab Ribbentrop vor den Vertretern der Aus­landspresse in Berlin eine Erklärung ab, die folgende Prophezeiung enthält: Die deutsche Wehrmacht wird dafür sorgen, dass sich nunmehr, während die­ses Krieges in Norwegen und Dänemark kein Engländer oder Franzose mehr blik- ken lässt. Deutschland hat damit die Länder und Völker Skandinaviens vor der Vernichtung bewahrt und wird nun­mehr bis zum Kriegsende für die wahre Neutralität im Norden einstehen." Ein paar Wochen zuvor hat derVöl­kische Beobachter" in kindlicher Zuver­sicht prophezeit:Wir werden den Terror dieser kleinen Plutokralenklüngel(gemeint sind England und Frankreich ) brechen, darüber hat der Führer keinen Zweifel ge­lassen." Gehren der Diklafnr «lalln ein nis*ver*län4lnl8 Der Pakt Berlin -Moskau nötigt die An­hänger der bolschewistischen Diktatur zu sonderbaren Kapriolen. Wir haben das Charakterbild jener Linientreuen, die prompt und korrupt das von Moskau aus­gegebene, blödsinnige Stichwort vom Kampf gegen die Plutokratien", von den Bedrohungen der Sowjetunion durch den englisch -französischen Kriegsblock" nach­beten, bereits tiefer gehängt. Aber es gibt da noch eine andere Spezies Verteidiger oder Erklärer des blamablen Paktes. Das Stichwort von den gemeinsamen Interessen des Hitlerismus und desSowjetvolkes" erscheint ihnen zu kompromittierlich; sie geben unter der Hand ein anderes, wider­lich-familiäres weiter:Josef legt den Adolf rein..." Für sie ist das deutsch -rus­sische Zusammengehen lediglich ein Ma­növer Stalins, mit dem erHitler erledi­gen" will. Sie argumentieren; Stalin hat es Hitler erleichtert in den grossen Krieg zu gehen, er wird ihn im Stich lassen und damit sein Ende beschleunigen. Wir sehen ab von der greifbaren Dummheit und dem skrupellosen Durcheinander dieser Vor­stellung nach dem Ueberfall auf Finn­ land , den Massakers in Polen und der Ver­längerung des Krieges durch östliche Rük- laVir&ans' IOIO Als Deutschland in Hitlers Hände fiel, da zählten sie knapp vierzehn Jahre, und es geschah, was sie immer geträumt: das Räuber-, Indianer-, Soldatenspiel galt als das Rechte und Wahre, die Schule, die wurde beiseitegeräumt. Sie schössen sich munter durch die Zeit, sie halfen die Juden zu plündern. Mit Lesen waren sie nicht sehr vertraut, doch wussten sie alle genau Descheid, wie man demokratischen Sündern des Nachts eins über den Schädel haut. Die Eltern und Lehrer taten so, als seien sie voller Verehrung, und rutschte dem Vater der Mund einmal aus, genügte ein Wink an die Gestapo . Geriet er in deren Belehrung, dann kam er wochenlang nicht nachhaus. Als Deutschland in Hitlers . Hände fiel, da zählten sie knapp vierzehn Jahre. Jetzt hat sich das, was ihr Herr sie gelehrt, das forsche, das muntre Soldatenspiel der sieben gefahrlosen Jahre ganz plötzlich in eine Art Schule verkehrt. Und bleibt ihnen auch die Wissenschaft mit sieben Siegeln verschlossen, empfangen sie doch eine Instruktion: wer die Kraft missbraucht, den vernichtet die Kraft und wer schiesst, auf den wird auch geschossen. Das ist ihre erste und letzte Lektion. kendeckung. Was diese Art Beschöniger des Moskau -Berliner Paktes so peinlich er­scheinen lässt, ist die naive Art, mit der sie Krieg und Politik als Manöver betrach­ten, bei dem jeder Betrug, jeder Falscheid, jede Lüge, jeder falsche Bruderkuss als er­laubt gilt, wenn sie nur irgend einen Er­folg zeitigen. Nicht in einem Atem mit ihnen zu nen­nen ist eine dritte Art Verteidiger der Sowjetdiktalur: die Antistalinisten, die kommunistische Opposition. Ihr politisches Bewusstsein ist nicht ohne sittliche Skru­pel. Ihnen gilt Stalin als ein Verräter und der Berlin -Moskauer Pakt als Ergebnis dieses Verrätertums. Die Entmachtung der Sowjets, die Verknöcherung des Apparats, die konformistische Schablone, des linien­treuen Hurrapatriotismus, die byzantini­sche Verherrlichung des Diktators, die Ab­würgung der alten Garde, die militari­stisch-imperialistische Denkart des ganzen Systems das alles kommt für sie nicht auf das Konto der Diktatur, sondern auf das persönliche desVerräters Stalin". Wenn an seiner Stelle ein Würdigerer ge­standen hätte, wenn die Sowjets nicht ent­machtet und die alten Revolutionäre nicht abgewürgt worden wären dann gäbe es keinen Berlin -Moskauer Pakt. Episoden wie die Radek-Reventlowsche sind für sie ebenso vergessen, wie die merkwürdige Unterwürfigkeit der alten Garde. Stalin ist für sie ein historisches Missverständnis, ein Irrtum der bolschewistischen Entwick­lung, und ihre Argumentation setzt sich answenn" undhätte" zusammen. Sic schrecken vor dem Eingeständnis zurück, dass sich in Stalins Brutalität, in seiner Tücke und Menschenverachfung, in seinen Schwenkungen und seiner ganzen unsozia­listischen Politik das bolschewistische Sgstem manifestiert. Gäben sie das zu, so stürzten ihre politischen Träume, stürzte ihre ganze Vergangenheit ins Bodenlose; ihnen schwindelt vor dem Abgrund, den sie mit geschaffen. Sie wollen nicht er­kennen, dass es ein gleich ungeheuerliches Versagen derproletarischen Diktatur" wä­re, wenn man den Stalinismus als einen Irrtum der Entwicklung gelten lassen wollte. Was aber soll man mit dieser kommuni­ stischen Opposition rechten, wenn es so­genannte revolutionäre Sozialisten gibt, die vor den gleichen Wahrheiten zurück schrecken! Da liest man in einem linksra­dikalen Emigrationsblatt einen interessan­ten Artikel über Stalins Sieg in Finnland , über die materiellen und politisch-morali­schen Verwüstungen dieses Ueberfalls. Da klingt es wie ein Refrain immer wieder: Versteht man jetzt unsern Hass gegen Sta­ lin ?" Da kommt schliesslich der Satz:Die Erfüllung grosser Träume wäre unfassbar näher gerückt, wenn Stalin ... ein Sozialist wäre und danach gehandelt hätte..." Wer hat von dieser 22jährigen, auf Terror und Minderheitsherrschaft gegründeten Dikta­tur noch hoffen können, dass der Diktator ein Sozialist ist? Welcher Sozialist hat erst den Ueberfall auf ein kleines demokrati­sches Volk, den Pakt Stalin-Hitler und da» jähe Einschwenken des ganzen bolschewi­stischen Apparats auf die Hitlerlinie erle­ben müssen, um das Schaurige dieser Dik­tatur zu erkennen, die sich über zwei Jahr­zehnte hindurch das Feigenblatt des inter­nationalen Sozialismus vorhing? Schlimm für Sozialisten, wenn sie zu dieser Er­kenntnis noch länger brauchten als die kommunistische Opposition, die welch marxistische Denkart! eine beklem­mende sowjetistische Entwicklung mit der Entartung eines Einzelnen, sozusagen mit der Nase Kleopatras erklärt. Der Stalinismus ist nicht der Amoralitäl eines Mannes oder einer Klique zu danken, sondern ist das natürliche Ergebnis einer auf Terror, Geistesknechtung und Men- schcnverachtung gegründeten Diktatur. Sic gilt es zu hassen! Sie erst hat Stalins Cäsa­rismus hervorgebracht und möglich ge­macht. Die Leiden unserer Epoche sind umsonst gewesen, wenn diese Diktaturen der Masse Mensch nicht zum abschrecken­den Beispiel werden. rg. BEZUGSBEDINGUNGEN Der\EUE VORWAERTS kostet Einul- mirnmcr In Vte»- 3.60 24. 12 96. 2.64 48. 18. "i 13.2# sc 3.60 6 60 18. 4.20 0.210 24. 120. 4.2# 8.6« 4.30 1. Imp. Union, 13, nie Michail, Paris . Le Girant: Albert MARIO�'