Kunde ans forden Kiruna -Sage Es ist lange her, dass eine Sippe der Skolt-Lappen an einen Ort kam, da das helle Metall auf der Erde glänzte. Man wusste, wie sehr die Menschen danach verlangten, schwere Kämpfe hatten sie um das schimmernde Metall ausgefoch- ten. Wenn die es erführen, würden sie in Scharen vom Süden heraufkommen und das Weidegebiet der Renntiere würde kleiner werden. Und immer mehr Volk würde von Süden herbei eilen. Der Streit um das Metall aber müsste auch die Lappen mit ihren Renntieren treffen. Drum beschloss die Sippe, niemandem etwas zusagen und das Geheimnis zu hüten, denn der Mensch wird nicht besser, wenn er der Erde ihre Schätze entreisst. Doch das Geheimnis rollte, es rollte mit der Schneeschmelze von der Spitze des Berges herab, Menschen fanden an seinem Fusse die erzglitzernden Klumpen. Und nun stieg der Süden herauf, man grub die Erde um, man veränderte ihr Antlitz, und ein Schamane der Lappen weissagte schweres Unglück. Ein grosser Ort entstand, fremdes Leben frass sich in die Tundra hinein, weiter und weiter schob sich die Renntierweide gen Norden hinauf. So erzählt die Lappen-Sage. Kiruna hiess der Ort. Das Dampfross kam herauf. Sein eiserner Weg ging nach Süden hinunter und gen Westen hinüber ans grosse Meer. Immer weiter gen Norden mussten die Renntierherden. Eine neue Zeit brach an, die Lappen sahen das Unheil kommen, viele von ihnen wurden sesshaft. Die Labyrinthe und Terrassen von Kiruna aber frassen sich in den Berg. Liegt die Sonne auf den Wänden der Gänge, so funkelt das Gestein ins Weite. Nachts leuchten die Fenster der Hütten von Kiruna in das schlafende nordische Land. Immer mehr Züge rollten tagaus, tagein zum Meer hinunter und zum grossen Meer gen Westen: ein ungeheurer Strom von Erz und Eisen. Die Bahn gen Westen führte über Berge und Klüfte, an blinkenden Firnen und Gletschern vorüber, eine wilde Strecke von 170 Kilometern. Donnernd polterten die Erzmassen unten in Narwik durch lange Rinnen in den Schiffsbauch. Und eines Tages marschierte das Unheil am grossen Meer von Süden herauf. Fremde Soldaten mit Kanonen, mit raschen Kampfwagen und fliegenden Maschinen, Tod und Zerstörung über das friedliche Land breitend. Alte Lappen dachten an die Sage. Das ganze grausige Unheil hatte die Legende prophezeit, Tod und Zerstörung, nur eins konnte damals selbst der Schamane nicht ahnen: dass der Zerstörer sagen würde, er komme, weil man nach ihm verlange, er komme, um das Land zu schützen und vor Unheil zu bewahren. Die Sage wusste viel von Grausamkeit und Falschheit der Maschinenmenschen, aber auf soviel kalte Lüge konnte sie nicht kommen, die Sage nicht und nicht die Menschen in den Städten, denn damals gab es noch kein deutsches Propagandaministerium. Verbotene Kunde Draussen sangen die Vögel und der Frühling wiegte sich im ersten Grün dft- Bäume, als die Nachricht auf die Mutter niederfuhr. Sie hatte am Rundfunk gestanden, die Nachrichten sprangen ins Weite, es war immer das gleiche: deutsche Erfolge. Da hatte sie weiter gedreht, wieder Nachrichten, wieder in deutscher Sprache, sie wusste nicht einmal woher, erkannte plötzlich die verbotene Welle, wollte abdrehen, da hörte sie Namen, deutsche Namen, tot an fremder Küste angeschwenmt und das war sein Name... war ihr Name- dabei gewesen. Sie griff mit der Hand nach dem Herzen—— nein, das konnte ja wohl nicht sein, sie musste falsch gehört haben, vor einigen Tagen noch hatte der Sohn aus seiner Garnison geschrieben, vor vier Tagen noch, sie musste sich verhört haben— da sagte die unheimliche Radiostimme:„Wir wiederholen die Namen der Toten--" Die Mutter stützte sich gegen die Tischkante, in ihren Ohren summte es, das Zimmer schaukelte— wieder war der Name, sein Name dabei gewesen, er rauschte noch in ihren Ohren, rauschte im Zimmer, dröhnte zwischen den Wänden... Sie musste sich aufs Sofa niederlassen, den Kopf an die Wand gelehnt, sie vergass das Radio abzustellen, den feindlichen Sender... Als die Tochter aus der Fabrik nachhaus kam, schien ihr, als sässe ein starrer Zug im Gesicht der Mutter. Die Tochter fragte, aber die Mutter zuckte nur die Schultern, die gebogener schienen denn sonst. Wenn sie mit der Tochter sprach, klangen die Worte abgehackt und müde. Was sollte sie der Tochter sagen? Die Nachrichten des englischen Senders? Der Tod stand darauf. Wenn nun die Tochter nicht schweigen konnte? Wenn ihr der Zorn und die Trauer mit der verbotenen Kunde durchging? Und vielleicht war alles nicht wahr, vielleicht spielte ein Irrtum mit? Niemand da, mit dem man reden konnte. Der Mann stand in Polen . Nichts konnte man ihm schreiben___ Tage vergingen, weitere Schiffe wurden versenkt, die Verlustliste kam nicht. Nun ging die Mutter schon wie in Trauer. Bekannte und Freunde bemerkten den harten, steinernen Zug in ihrem Gesicht. Der Bruder ihres Mannes sah sie mit einem langen Blick an und drückte ihr die Hand, wie nach einem Begräbnis. Sie erschrack. Wusste der... hafte der es etwa auch gehört? Die Lust fiel sie an, jemandem ins Gesicht zu schreien:„Seit Tagen weiss ich, dass mein Sohn tot ist, ;seit Tagen schleppe ich es mit mir um- ! her und darf nicht einmal fragen 1" Aber dann griff ihr wieder eine kalte Hand nach dem Halse: da war die Tochter, da war der Mann im Osten, hinter der Kunde standen Tod und Untergang. So geht sie umher und wartet auf die amtliche Nachricht. Die i ahnungslose Gleichmässigkeit der Tochter, die alltägliche Gelassenheit und gelegentliche Fröhlichkeit der anderen, während sie trauert und schweigen muss— es liegt ihr wie ein Stein auf der Brust. Sie möchte den anderen eine Andeutung machen, aber sie fürchtet sich davor, dass dann alles, alles hervorbrechem könnte, was sie weiss. Wenn ihre Tochter Musik einstellt, dreht sie wortlos ab oder verkriecht sich in ihre Kammer und starrt durchs Fenster in die schamlose, unbeschwerte Pracht des Frühlings. Max Baldauf. Maler nnd Apotheker Der bestohlene llodler Ein Schweizer Blatt deckte kürzlich ein schäbiges Plagiat auf; es bedeckt die Wand einer deutschen Kaserne und npnnt sich„Aufbruch der Jäger". Eine •plumpe Nachahmung von Hodlers„Aufbruch der Jenenser Studenten", welches Gemälde Freiwillige von 1813 darstellt, die sich aufs Ross schwingen, während im Hintergrund eine geschlossene Kolonne dahin marschiert. Der neudeutsche Nachahmer hat die bei Kodier glänzende Komposition ein wenig verschoben und damit ihrem Rhythmus zerstört, hat aus den Studenten martialische Musketiere gemacht, hat die Uniformen gewechselt— und die Signierung. In der deutschen Presse wurde der plumpe Diebstahl als „neue Kunst" besungen; Kenner durften die Wahrheit nicht aufdecken, sie musste sich wiedermal ins Ausland flüchten. Einige Tage später konnte man in Auslandsblättern einige Bilder von der Wey- gand-Armee sehen, darunter das„Foyer des Soldat" der Fremdenlegion in Baal beck (Syrien ). Die Wandbilder stammen von Künstlern der Legion. Da sieht man im Hintergrund einen Wandfries, beschwingt über die Mitte hinweg gewölbt, bewaffnete Fremdenlegionäre in verschiedenartiger Bewegung, federnd das Ganze, ohne plumpes Pathos. Bescheiden tritt der Künstler mit seinem Namen zurük— und nirgends in der Presse ein Geschrei über „neue heroische Kunst", über„neue Einheit von Volk und Kunst". Wie drüben„neue Kunst" entsteht, das erzählt die Nazipresse sonder Scham und Scheu. Man liest da, der Reichsapolheken- führer habe mit dem„Reichsbeauftragten für künstlerische Formgebung" eine Vereinbarung getroffen, um die deutschen Künstler für Apothekenbilder zu begeistern: „Bedeutende Bildhauer und Maler werden Apothekerbildnisse und Motive aus dem Arbeitsgebiet des Apothekers schaffen und Kunsthandwerker werden Arbeitsgeräte für die Apotheke gestalten. Die Werke, die aus dieser Zusammenarbeit zwischen Künstler und Apotheker entstehen, sollen jm Herbst dieses Jahres in einer grossen Ausstellung im Haus der Kunst in Berlin gezeigt werden." Dass das Antlitz des neudeutschen Pillendrehers heroisch und germanisch zu sein hat, versteht sich am Rande. Auch der Diebstahl ist. nicht schwierig, es gibt genug alte Apothekenbilder. Das Ganze nennt sich dann„neue Volkskunst". Das Blokiuiftent Als nn.sre Soldaten in Wien einzogen, gedachten sie garnicht in Oesterreich zu bleiben. Sie kamen nur hin—.und das ist nicht gelogen—, um von Wien aus an ihre Familien zu schreiben. Doch fanden sie leider im Parlament ein schrecklich belastendes Dokument, das ihnen die Haare zu Berge trieb. Die Truppe blieb, Denn wäre sie nicht in Wien geblieben, so hält uns der Papst aus Berlin vertrieben. Als unsre Soldaten den Uradschin besetzten, da wollten sie Prag nur ganz flüchtig besuchen. Sie achteten drauf, dass sie niemand verletzten und schenkten den Kinderchen Kaffee und Kuchen. Doch fanden sie leider im Parlament ein schrecklich belastendes Dokument, das ihnen die Haare zu Berge trieb. Die Truppe blieb. Denn wäre sie nicht in Prag geblieben, so hält uns Stalin aus Berlin vertrieben. Als unsre Soldaten in Polen einfielen, da kamen sie nicht, um auf Menschen zu schiessen. Sie kamen ganz einfach, um Karten zu spielen und die Freundschaft mit Polen aufs neu zu begiessen. Doch fanden sie leider im Parlament ein schrecklich belastendes Dokument, das ihnen die Haare zu Berge trieb. Die Truppe blieb. Denn wäre sie nicht in Polen geblieben, hält Butler uns aus Berlin vertrieben. Dasselbe geschah in Kopenhagen , dasselbe in Oslo . Die Welt ist im Bilde. Wir möchten uns gern mit den Leuten vertragen, doch jeder Neutrale führt Böses im Schilde, und immer entdeckt man im Parlament ein schrecklich belastendes Dokument, das einem die Haare zu Berge treibt. Doch Deutschland bleibt so klar und so wahr wie seine Seen, drum kann uns die tückische Welt nicht verstehen. Und sollten wir morgen auf Bukarest schiessen, so tun wir es nur mit den reinsten Gefühlen, und sollte uns Belgrad die Tore verschliessen, so müssen wir still im Verborgenen wühlen, denn— leider— es gibt dort im Parlament ein schrecklich belastendes Dokument, das einem die Haare zu Berge treibt. Herr Goebbels schreibt seit mehreren Monden an dem Werke. Deutsch sein heisst wahr sein. Das ist unsre Stärke. Senkung des Relcbsbank- diskonls Die deutsche Reichsbank hat ihren Diskont- und Lombardsatz, der seit 1932 keine Veränderung erfahren hatte, um 0,5 Prozent, auf 3,5 bez. 4,5 Prozent herabgesetzt. Der„Völkische Beobachter" vom 9. April bemerkt dazu, die Diskontsenkung habe bisher als ein sehr günstiges Zeichen für die allgemeine Wirtschaftslage gegolten. Richtig ist eher das Gegenteil. Die Verbilligung des Umlaufkredits ist im allgemeinen ein Zeichen der Stockung des Warenumlaufs. Der Bedarf der Unternehmer nach Umlaufkredit ist dann reduziert, weil der Warenumlauf reduziert ist. Geld ist im Ueberfluss vorhanden, weil die Beschäftigung dafür beschränkt ist. Die Geldfülle im Dritten Reich hat eine ähnliche Ursache. Eine wachsende Flut von Zahlungsmitteln wird in die Wirtschaft geschleust, aber die Möglichkeit, sie zur Auffüllung der Läger zu verwenden, wird immer geringer. Anstatt der Rohstoffe in den Speichern häufen sich in den Geldschränken Hitlers faule Papiere, weil es kaum andere Möglichkeiten der Anlage sonst be- schäfligungslosen Geldes gibt. Es steigen daher die Kurse der Staatsrente und ihre Realverzinsung sinkt. Das Hitlerregime be- nutzt diese Lage des Geldmarktes, die die Folge fieberhaftester Kriegsproduktion bei schwindenden Materialvorräteu ist, nach dem„Völkischen Beobachter" zu einer „weiteren Erleichterung für die finanzielle Durchführung der Kriegsaufgaben". Mit der Herabsetzung des Reichsbankdiskonts soll nicht der private Umlaufskredit, der ja im Dritten Reich nur geringe Bedeutung hat, erleichtert, sondern eine neue grosse Pumpaktion des Reiches vorbereitet werden. Erreicht wird mit der Diskontsenkung„letzten Endes eine gewisse Verbilligung der Finanzierung des Krieges". Es handelt sich, schreibt die„Frankfurter Zeitung " vom 10. 4.„auf längere Sicht auch um die künftigen Anleihetypen". Man plant also die Auflegung grosser Anleihen mit einer niedrigeren Verzinsung als die der bisherigen 4,5prozentigen Anleihen, und man wird dann gleichzeitig auch den Zinsfuss diese herabsetzen. Das wäre dann eine neue Steuer. Sie wird von den Kreditinstituten bezahlt, und von ihnen auf die Sparer abgewälzt werden, denen man die Verzinsung ihrer Einlagen kürzen wird. IVoudeiilüiclim Oemüt Auch das deutsche Kasperle, einst unpolitisch-herzhaft mit Tod und Teufel kämpfend, wird im Dritten Reich für das „neue Preusscntum" eingespannt und gegen die Meckerer losgelassen. Die„Münchner Neuesten Nachrichten" berichten über ein solches Spiel, „in dem man den Kasperle als pfliffi- gen, aber treuen und biederen preussi- schen Staatsbürger sah; dem Ergötzen der Zuschauer geschah dadurch kein Abbruch. Dann löste Kasperle auf seine Weise die Judenfrage und schliesslich folgte ein entzückendes Puppenballett." Herrlich, diese Fröhlichkeit der Kinder, als Kasperle mit seinem Knüppel die Juden erledigte! Und gleich darauf das„entzückende Puppenballett", harmlos-heiter; es geht nichts über das deutsche Gemüt des Dritten Reiches . Kinnlg;, inlnnlg; Die nationalsozialistischen Frauenscha ten in Berlin haben sich etwas besondei Tiefempfundenes zu Hitlers Geburstag au gedacht. Sie haben geputzte Kinder vor d Fabriktore im Berliner Norden gestellt ur den herausströmenden Arbeitern— Frül lingsblumenführergeburtstagssfräusschen überreichen lassen. Glück und Rührung a lerseits kann man sich vorstellen. BEZ UGSBEDIN G UN GEN Der NEUE VORWÄERTS kostet Imp. Union, 13, rue Mdcha.'n, Paris . Le Girant: Albert MARION.
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8 (5.5.1940) 357
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