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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Bei aller Bescheidenheit unseres Malers können diese Verse nicht als ein Bekenntnis genommen werden, sondern gehen auf die Nöte seiner ärmer begabten Kunstbrüder. Er war im Gegenteil von einer fabelhaften Fruchtbarkeit und hat wohl über tausend Bilder und Farbensfizzen hinterlassen, die auf der ganzen Welt in Galerien, Museen und im Privatbesitz zerstreut sind. Sie zeichnen sich alle durch einen Reichtum der Farbe aus, der in jener Zeit in Deutsch­ land   selten zu finden war, während sich eine gute Zeichnung sowie cine wohlabgewogene Komposition ganz von selbst verstanden. Die Landschaften, namentlich die Städtebilder, in die Spitzweg   feine Menschen stellt, sind sorgfältig komponiert und fast immer kulissen­artig aufgebaut, haben aber doch in ihrem überfluß an reizenden architektonischen Einzelheiten, wie Fassaden, Lauben, Treppen, Brunnen, Türmen und Erkern, eine einheitliche Perspektive von überzeugender Wirkung. Obwohl aus Einzelstudien in baherischen, fränkischen und Tyroler Landstädten hervorgegangen, sprechen fie uns wie liebe alte Bekannte an: wir meinen, schon einmal dort gewesen zu sein. Auch in der Verteilung des Lichtes muß unser Künstler noch zu den Alten gerechnet werden. Gewöhnlich sammelt er es in einem Strahlenbündel, das wie durch das Atelierfenster cinfällt, die handelnden Personen ins richtige Licht stellt oder bei den Städtebildern den Vordergrund hell beleuchtet und damit die Berspektive verstärkt. In den Jugendwerken des Meisters ist das Stompofitionelle und die Erzählung vorherrschend. Nach seiner Pariser Reise scheinen einige seiner Bilder namentlich von Dela­ croix  , aber auch von Diaz beeinflußt: Licht und Farbe bilden eine glückliche Harmonie, und die atmosphärische Behandlung wird eine feinere. Später ist das malerische Motiv als Kern des Bildes faft immer ausschlaggebend. Nein als Maler betrachtet ist der Künstler in den Landschaften bedeutender als im Figuren- und Städtebild. Aber nicht so sehr wie, sondern was er gemalt hat, macht Spitzwegs Bedeutung und Volkstümlichkeit aus. Er gehört zu den Malern, die uns etwas zu fagen haben, zu den verkezzerten Anek­dotenerzählern", obwohl er uns sehr häufig nur die Pointe seiner Geschichten, manchmal auch nur eine Stimmung daraus gibt. Er spricht zu uns nicht bloß als der tiefsinnige Humorist, der in stiller Beschaulichkeit die Eitelkeiten und Verkehrtheiten der Welt belächelt und da und dort wohl auch etwas Selbstspott einfließen lägt. Nein, er ist vor allem auch der bedeutende Siftenschilderer einer Übergangsepoche in der Entwicklung Deutschlands  , der, ohne moralisieren zu wollen, die Misere der Kleinstaaterei und die Strähwinkeleien der guten alten Zeit" in farbigen und lebendigen Bildern für kommende Geschlechter verewigt hat. Manche seiner Bild­chen gemahnen in ihrem sinnigen Humor an Novellen Gottfried Sellers, mit dem der Maler den kleinbürgerlichen Nährboden gemein hat.

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In seiner dreifachen Eigenschaft als Romantiker, Humorist und Gittenschilderer ist sein Stoffgebiet außerordentlich reich und fast unbegrenzt. Elfen und Nymphen, Guomen und Berggeister, Alchi­misten, Herenmeister, Drachen und sonstige halbe und ganze Fabel­wesen leben und weben in seinen Märchenbildern, zahlreiche ro­mantische Serenaden in mondbeschienenen Stadtbildern mit reichen architektonischen Silhouetten leiten über in die gemeine Alltagswelt mit ihren prosaischen Menschen, die er aus allen Schichten des Boltes nimmt und als llarumrissene Typen in den verschiedensten Lebenslagen vor uns stellt. Er zeigt uns den ewigen Hochzeiter" im zeisiggrünen Frack, das Haar gekräuselt und pomadisiert und cinen riesigen Blumenstrauß in der Hand, oder den armen Poeten, der in seiner kalten Mansarde Verse standierend im Bette liegt, über sich den aufgespannten Regenschirm, um seine Begeisterung vor der Nässe zu schützen, die durch das schabhafte Dach eindringt. Gutgefinnte, geordnete Bürger schildert Spiswegs Pinsel in allen Lebenslagen, namentlich den Philister im Sonntagsröckchen auf Familienausflügen oder bei verschiedenen anderen ernsten und heiteren Anlässen: einen Spießer, der beim Feuerlärm entsetzt den Kopf in der Nachtmüße zum Fenster herausstredt, einen anderen, der auf dem Dachfirst reitet und im Mondschein seine Zeitung liest, oder den trostbedürftigen Witwer, der zwei vorübergehenden gepußten Frauen wehmütig nachsieht. Die gelehrten Philister bil­den eine besondere zahlreiche Gruppe: in den verschiedensten Baria­tionen treffen wir den Naturforscher, der mit gieriger Hand nach Schäßen gräbt, daneben den Bibliothekar, der, auf der Leiter stehend, schwere Folianten unterm Arm und zwischen den Knien weltentrückt in einem Buche liest, den Antiquar in seiner modrigen Welt und den Pfarrer, der auf einem Spaziergang durch die Felder die Sonntagspredigt studiert. Fahrendes Volf, Zigeuner, Handwerksburschen, Schauspieler und Musikanten beschäftigen nicht selten unseren Maler; als beruhigendes Gegengewicht fehlen aber auch nicht die Organe des Gesetzes und der Ordnung: der auf­geblasene Gendarm, der Flurschüß sowie der Nachtwächter und

Nr. 23 sonstige Stüßen der Gesellschaft in ihren starken und schwachen Stunden, endlich Serenissimus in der Staatskutsche vor dem Stadt­tor, wo er von den Schulkindern, Ehrenjungfrauen und einem kazz­buckelnden Bürgermeister feierlich empfangen wird.

Der Militarismus der Kleinstaaterei fordert natürlich den gut­mütigen Spott des Künstlers heraus. Biedermeier in Uniform, der Widerspruch des Philistertums mit dem blutigen Handwerk ist an und für sich komisch. Wie sonnig und friedlich ist die Wache am Stadttor in dem Bilde geschildert: Er kommt!" Der Oberst näm­lich. Der Posten präsentiert das Gewehr, und der Hauptmann, der behaglich auf einer gepolsterten Bank sitzt, nimmt die lange Pfeife aus dem Mund und blickt über seine Zeitung hinweg nach dem Kommenden, einem kurzen, rundlichen Mann in Uniform mit einem mächtigen Nebelspalter auf dem Kopf und großen Brillen­gläsern im dicken, gutmütigen Gesicht. An seinem Arme schreitet seine stattliche, aufgedonnerte Gemahlin, die in majestätischer Hal­tung die ganze Größe des Augenblicks mit sichtlicher Wonne aus­foftet. In einem anderen Bilde zeigt uns der Künstler einen Major, der den militärischen Rapport im Schlafrock vor seiner Haustüre abnimmt; gähnende, strickende und flickende Schild­wachen gehören zu Spitzwegs beliebtesten Vorwürfen. Auch im ,, Lueg ins Land", einem prächtigen Landschaftsbild, zeigt er uns einen Spießer in Uniform, der auf der Stadtmauer ein beschau­liches Dasein führt. Er hat den schweren Zweispitz abgelegt, das Gewehr an das Schilderhaus gelehnt und nimmt behaglich, über das Städtchen hinweg weit ins friedliche Land schauend, eine Prise. Das milde Lächeln des Philosophen, der leise Spott des Humo­risten über die Schwächen und Torheiten der Menschen geht durch alle Bilder Spistvegs. Heftigere Erregungen sind seinem Wesen fremd. Den Schattenseiten des realen Lebens, den ungerechtig­keiten und Härten der politischen und sozialen Zustände geht er wie Schwind und Richter gerne aus dem Wege. Wo er doch mit ihnen zusammentrifft, machen sie ihm nur einen oberflächlichen Eindruck. Die Netzhaut seines Auges nimmt ein farbiges Bild auf, feine Seele gerät aber nicht in Schwingung: er hat keine Galle und nur ein sehr schwach entwickeltes soziales Empfinden. Der Hypo­chonder", eines von Spitzwegs bekanntesten Bildern, liefert dafür einen schlagenden Beweis. Es ist wieder ein Stadtbild. Über die Türme, Schornsteine und Häusergiebel flutet die Morgensonne cines glänzenden Sommertages. Hoch über den Dächern der Nach­barhäuser gudt ein Hagestolz aus seinem Giebelfenster und genießt in vollen Zügen die sonnige Morgenluft. Dabei gewahrt er, augen­scheinlich mit einem gewissen Behagen, unter sich in der engen Straße, die noch von feuchter grauer Morgendämmerung erfüllt ist, am Fenster einer Mansarde eine junge Näherin an der Arbeit, die bei einem Lämpchen die Nacht hindurch bis in den Morgen hin­ein gearbeitet hat. Der traurige Gegenstand hat in dem Künstler nicht den geringsten Eindruck hinterlassen. Sein Bild wirkt nicht ergreifend, es erhebt noch weniger eine Anklage, es ist im Gegen­teil von einer durchweg heiteren Stimmung. Nicht das arme ge­quälte Menschenfind, das mit brennenden Augen und müden Fingern für einen elenden Lohn die Nacht durcharbeitet, ist dem Maler die Hauptsache, sondern der farbige Gegensatz des warmen strahlenden Tages über den Dächern und den kalten Schatten der Straße, wohl auch der Kontrast der goldenen Sonne und des trüben rötlichen Lichtes der Lampe  .

Unsere Betrachtung ist frei von Bitterkeit. Zeigt uns doch gerade dieses Bild, welch gewaltige Fortschritte wir seit einem Menschen­alter gemacht haben. Die Zeiten sind vorbei, wo man an den Schrecken der Heimarbeit gedankenlos oder in rührseliger An­erkennung des Fleißes der Heimarbeiterin vorbeiging. Die frohe Botschaft von der Befreiung der Menschheit aus Elend und Not ist in die dunkelsten Hütten der Armen gedrungen, die sich immer zahlreicher um das Banner eines höheren Menschentums scharen. Das öffentliche Gewissen ist aufgepeitscht. Schriftgelehrte und Pharifäer, hohe und höchste Herrschaften sind in Vereinen und auf Kongressen geschäftig bemüht, das harte Los der Heimarbeiter zu lindern. Sowenig wir auch von ihrem geräuschvollen Tun er­hoffen: es ist ein Symptom des öffentlichen Geistes, eine unfrei­willige Anerkennung der Arbeiterbewegung, die immer weitere Kreise zicht und nach und nach unserem ganzen Zeitalter den Stempel aufdrückt. Voll Zuversicht blicken wir in die Zukunft. Wir wissen, daß unsere Bewegung so unaufhaltsam ist wie der Aufstieg der Sonne, daß fie Glück und Freude in die dunkelsten Gassen, in die tiefsten Niederungen der Menschheit bringen wird. Unter den Armen und Enterbten gilt vor allen der Heimarbeiterin die Ver­heißung des Dichters:

Über ein Stündlein

Ist deine Kammer voll Sonne."

H. S.