Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 23

Beilage zur Gleichheit ο ο ο ο ο ο ο ο

Inhaltsverzeichnis: Starl Spitzweg. Von H. S.- Frauenkrank heiten. Von Frau Dr. med. Stoboy- Dstersetzer.- Feuilleton: Die ersten Flugversuche des Schneiders von Ulm  . Von May Eyth. ( Fortsetzung.)

Karl Spitzweg  .

Es wird schwer halten, in der Geschichte eine Zeit zu finden, in der die breiten Massen des Volkes durch eine so große Kluft von der bildenden Kunst getrennt waren wie heute. Die Spaltung der Menschheit in Arme und Reiche, in Ausgebeutete und Ausbeuter ist bei weitem nicht so scharf durchgeführt wie die Trennung des Volkes in eine verschwindende Minderheit von Künstlern und Kunstkennern und eine überwältigende Mehrheit aus den verschie= densten Ständen, der jedwedes Verständnis für die Kunst von heute fehlt und die schon deswegen von ihrem Genuß vollständig aus­geschlossen ist. Es gibt keine Berührungspunkte zwischen den Snobs", den Feinschmeckern und Spekulanten, die in der Kunst nichts suchen als einen Sinnestikel für ihre erschlafften Nerven oder eine günstige Gelegenheit, auf leichte Weise ihren Beutel zu füllen, und den" Banausen", der gesamten übrigen Mensch­heit, die der Kunst höhere Aufgaben stellt und in ihr die Trägerin und Vermittlerin alles Schönen sieht: zwischen der Kunst für die Kunst" und für die Künstler, die sich in formalen Schön­heitswerten erschöpft, und einer sozialen Kunst, die ein Spiegel der Zeit ist, aus dem Leben schöpft und zum Volke spricht und dem Streben der Menschheit nach einem höheren Sein dauern­den und verklärten Ausdruck gibt. Mit den offenen Klaffengegen­fäßen unserer Zeit wird diese Erscheinung auch dann nicht voll­ständig erklärt, wenn man nachdrücklich darauf hinweist, daß das Leben der Armen mit seinen Leiden und Entbehrungen, seiner freudlosen und mühevollen Arbeit in meist ungesunder, häßlicher Umgebung die Menschen abstumpft und zermürbt und troß ihrer Sehnsucht nach Glück und Schönheit genußunfähig macht. Die tapi­talistische Produktionstechnik mit ihrer immer weiter durchgeführ= ten Arbeitsteilung, die dem einzelnen nur noch Teilfunktionen bei der Herstellung eines Gegenstandes überläßt, macht die Fähig­teit bildnerischen Schaffens verkümmern, trennt Künstler und Ar­beiter, die einst eine Person waren. Erweitert wird die Kluft zwi­schen Kunst und Volt aber auch durch Kräfte, die im Entwicklungs­gang der Kunst selbst liegen. Nicht die geringste Rolle unter diesen spielt das Aufkommen der Lichtmalerei in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, die Herrschaft des Impressionismus. Der Impressionismus hat uns die Augen für Licht und Farbe geöffnet, die Mittel und die Grenzen der Malerei erweitert und mit der akademischen Konvention gründlich aufgeräumt, dafür freilich in fanatischer Ginseitigkeit eine Jahrhunderte alte Malkultur ver­schüttet. Der Impressionismus läßt nichts als Licht und Farbe gelten, verachtet die Komposition, vernachlässigt die Zeichnung und berwirft als literarisch" oder als Anekdotenmalerei", was einen Gedanken zum Ausdruck bringt oder ein Ereignis darstellt. Gerade dadurch zerschneidet er aber das Band, das die meisten Werktätigen und Laien mit dem Kunstwerk in erster Linie verbindet und sie durch das Interesse am Gegenstand nach und nach auch für die for­malen Schönheiten des Werkes empfänglich macht. Nun sind zweifellos die wichtigsten Elemente der Malerei Farbe und Licht, als deren Träger der Gegenstand des Bildes in zweite Linie tritt, aber das Kind wird mit dem Bade verschüttet, wenn man das Gei­stige, wie es im Gegenstand Gestalt annimmt, als ein fremdes, störendes Element betrachtet. Die Malerei erträgt sehr viel davon, ja es bedingt sehr häufig ihre Steigerung, sofern es nur die Schön­heitswerte nicht überwiegt, sondern in ihnen völlig aufgeht. Was uns durch diese Einseitigkeit, die schließlich die Mittel der Malerei zu ihrem Selbstzwed erhob hoffentlich nur vorüber­gehend, verloren gegangen ist, das zeigt ein Rückblick auf Frank­ reich  , das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in seinen Dela­croig, Daumier  , Courbet  , Millet und anderen be deutende Anläufe zu einer sozialen Kunst nimmt, in der sich die politischen und gesellschaftlichen Zustände des Landes spiegeln und die deshalb auch von jedermann verstanden wird. Auch in Deutsch­ land   haben wir um dieselbe Zeit eine Kunst, die insofern eine Volkskunst genannt werden kann, als sie aus der Boltsseele schöpft

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1914

und zum ganzen Volke verständlich spricht. Aber sie ist unserem Wesen entsprechend viel gesitteter und respektabler als die unserer unruhigen Nachbarn, und infolge der Zurückgebliebenheit der so­zialen Verhältnisse ist in ihr die kleinbürgerliche Note besonders start. Diese Kunst läßt die politische und soziale Korruption, die das öffentliche Leben vergiftet, links liegen, hütet sich, uns die Re­volution, die in ehernen Sandalen einherschreitet, zu schildern oder das harte Los der Armen so wahr und ergreifend darzustellen, daß es zu einer vernichtenden Anklage gegen die Gesellschaft wird: sie übersteigt keine Schranken und bricht keine neuen Bahnen, hält sich vielmehr vorsichtig auf den obrigkeitlich erlaubten Wegen. Aus der Stickluft des Polizeistaates und der Langeweile des Philister­tums flüchtet sich der sinnige Märchenerzähler Moriz v. Schwind in das von keiner Zensur bedrückte Reich der Romantik, und der gute, naive Ludwig Richter   versetzt uns mit seinem liebens­würdigen Griffel in ein Kinderparadies, in dem es keine Fabrik­finder gibt und selbst das Los des ärmsten Gänsebuben vom Schimmer der Poesie umflossen ist. Ein politisch Lied, ein garstig Lied" ist mit einer kleinen Unterbrechung im Revolutionsjahr 1848 die Losung in der Kunst. Eine Ausnahmestellung nimmt Al­ fred Rethel   ein, dessen wuchtiger, Totentanz" in Form und In­halt echte Volkskunst ist. Aber diese größte gestaltende Kraft Deutschlands   im neunzehnten Jahrhundert zerbricht im Wahnsinn. Neben Schwind und Richter, dem Österreicher und Sachsen  , im Bunde der Dritte ist der Münchner   Maler Karl Spitzweg  . Er ist den beiden ebenbürtig, ja ihnen in der Malkunst überlegen. Nicht bloß Richter, der sich fast völlig im Holzschnitt erschöpft, son­dern auch Schwind, in dessen Werken auch die Zeichnung das über­gewicht hat und der zudem in seinen Gemälden nicht so sehr auf eine rein malerische als auf eine dekorative Wirkung ausgeht.

Spitzweg   ist einer der lezten Romantiker, dabei Philosoph und Humorist von sonnigem Behagen, der den Drang zum Fabulieren mit einer ungewöhnlichen Gestaltungskraft und einer bedeutenden Malkunst verbindet. Im Jahre 1808 in gut bürgerlichen Verhält nissen geboren, wurde er von seinem Vater zum Apotheker be­stimmt. Bis zu seinem dreißigsten Jahre stand er auch als Pro­visor hinter dem Ladentisch, mischte Tränklein und drehte Pillen, als er eines schönen Tages während einer Krankheit und längeren Rekonvaleszenz seine künstlerischen Anlagen entdeckte und nun um­sattelte. Ein urwüchsiger Münchner  , ist er in seinem langen ereig nis- und sorglosen Leben nicht viel aus seiner Vaterstadt heraus­gekommen. Auf einer kurzen Studienreise nach Paris  , Antwerpen  und London   in den Jahren 1850 und 1851 hat er den Geist der Zeit verspürt und die freiere Malweise mit nach Hause gebracht, die ihn vor den anderen Münchner   Malern von damals auszeichnet.

Persönlich muß er, besonders in seinen späteren Tagen, ein etwas wunderlicher Kauz und in keinem Falle eine gewinnende Erscheinung gewesen sein. Von unscheinbarer Gestalt, die ihm den Spißnamen Der Schneider" einbrachte, zeichnete er sich vor allem durch eine mächtige farbenfrohe Nase aus, auf der große funkelnde Brillengläser thronten. Ein struppiger Bart und eine umfangreiche Glaze vervollständigten das Bild des alten Junggesellen, der in einem vierten Stock des Münchner   Heumarktes über Dächern, Gie­beln und Zinnen der Häuser, abgesondert von der Welt und in­mitten eines Durcheinanders von malerischer Unordnung und spießerlicher Gemütlichkeit ein arbeitsreiches und zugleich beschau­liches Leben führte. Eduard Grüßner hat ihn 1884, ein Jahr vor seinem Tode, im Schlafrock vor der Staffelei fizend gezeichnet, und der greise Maler hat mit unverwüstlichem Humor darunter geschrieben: Da bin ich, wie ich leib und leb, Doch leider sehr geschmeichelt, Was hier viel an Apoll   gemahnt, Ist offenbar geheuchelt."

Spikweg war nämlich auch Poet, und wenn seine Gedichte auch teinen hohen Flug nehmen, sind sie doch meist wie seine Bilder voll Humor und Lebensweisheit. Neben elegischen, biedermeie­rischen Betrachtungen finden wir drastische Ausbrüche seines Münchnertums wie in den Maler- Schnadahüpfln":

A Leinwand han i aufg'spannt,

So glatt und so fein,

Ja, tomponieren tunnt i schon, woast,

Aber' s fallt ma nig ein!"