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Für unsere Mütter und Hausfrauen
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Ich war zu jung, um zu begreifen, daß der Tag kommen würde, an dem ich ein Wort mit diesem Herrn sprechen müsse. Glauben Sie nicht auch, daß es der Name dessen war, der sie und mich verlassen hatte?"
Er legte die Hand auf die Schulter des Professors und sagte ruhig: ,, Manchmal habe ich mich danach gesehnt, ein besonnenes Wort zu sprechen mit diesem Fremden, der sie so viele Tränen gekostet all die Jahre hindurch. Ich wollte ihn sehen, Gunnels Sommerkönig, ich, der ich ihr Märchenprinz bin. Gott , was muß er für ein Mensch gewesen sein an jenem Sommertag, da er Gunnel hinnahm mit dem Rechte der Jugend und der Liebe. Ich wollte ihn hier vor mir haben und mit ihm sprechen, wie ich mit Ihnen spreche, still und eindringlich, und möchte ihn ganz von Herzen und ganz ruhig verfluchen."
,, Nein nein, veden Sie nicht so," sagte der Professor mit erstickter Stimme. Und nach einer Pause fragte er leise:„ War nicht das Auskommen schwer dort in der Wildnis? Hörte sie nie von jenem Fremdling?"-
„ Geld meinen Sie? Doch, sie bekam einen Geldbrief. Denken Sie, daß er ihr Geld schickte, war das nicht abscheulich? Wie?... pfui Teufel!... An jenem Tage sank sie auf der Treppe zusammen, und ihre runden Schultern erbebten. Damit war ihr Sommermärchen zu Ende. Erst ging sie umher und ordnete ihr Haus für den Winter. Es war damals ein Notjahr. Auf ihrem Grundstück war der Frost weiß aus dem Sumpfe emporgestiegen und hatte ihr Korn gebissen, daß es starb. Sie war rastlos einige Tage lang, aber wo sie ging, murmelte sie vor sich hin:, Wenn ich das begreifen könnte, wenn ich das begreifen könnte das geht über meine Vernunft, was soll jetzt aus mir werden? Später aber saß sie oftmals auf der Treppe, die bunte Schürze über den Kopf geworfen, und versuchte nur nicht daran zu denken... nur nicht daran zu denken.... In jenem Herbste sah das dürftige Grundstück am dunkel rinnenden Wasser ein ganz verzweifeltes Weib umherirren, starren und lauschen. Wenn der Nordwind lange geweht hatte und kleine weiße Wölkchen von Norden gen Süden eilten, dann wiesen ihr die den Weg der Wandervögel und sie grüßte ihren fernen Sommerkönig. Der Herbst war für sie gekommen und wich nie mehr von ihr obwohl sie mich, ihren Sohn, einige Monate später gebar. Da waren die Schmerzen ihrer Seele größer als die ihres Leibes. Ich bin doch glücklich, daß ich ihr Freude machen konnte, meiner herrlichen Mutter, und ich machte ihr Freude. Sie sagte es mir, bevor ihre Augen brachen. Damals war sie fünfunddreißig Jahre alt, und ihr Haar war filberweiß. Ganz spät im März kamen warme Winde vom Golfstrom her. Der Wald wurde schwarz, und es tropfte von den Kiefern. Da schnürte sie eines Tages ihre Sti an. Sie fühlte, daß heute ihre schwere Stunde kommen würde, und die konnte sie nicht in Ruhe erwarten. Ihr Leid ging über alle Vernunft. Gott kennt die Wege eines verirrten Gemütes, aber warum warum fuhr sie in die Berge hinauf in dieser Stunde? Was glauben Sie, daß fie vorhatte?... Wollte sie leben?... Der Schnee flebte, und es war spät am Tage, als sie den Rücken des Tjalaberges erklommen hatte. Wölfe verfolgten sie. Da mußte sie sich sehen, mußte sich begen, und da wurde ich geboren....
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Das ist Gunnels Geschichte....
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über den Tjalaberg geht vielleicht alle drei Wochen einmal ein Mensch. Wäre es damals nicht geschehen, was wäre dann ge= worden? Noch heute weiß ich nicht, ob der Lappländer, der des Weges kam, die Wolfsspuren oder die Skispuren verfolgte, aber er tam zur rechten Zeit. Er half ihr, badete mich im Schnee, nahm mich in seinen Mittel und rannte den Berg hinunter. Sie kam nach gegen Abend, still und matt und tränenlos.
Wie finden Sie diese Geschichte? Es waren dreiviertel Meilen ins Tal hinab.... Haben Sie etwas einzuwenden? Das ist die Geschichte von Märchen- Gunnel.... Sie haben Tränen in den Augen, mein Herr. Gott im Himmel, wenn Sie jetzt nicht Tränen in den Augen hätten!"" Sie befizen nicht die Spur von Mitleid," murmelte der andere.
Hm, hatte der Fremdling mehr Mitleid?"
Der junge Dichter, Gunnels schöner Knabe, hob seinen Blick und schaute den eleganten Herrn neben sich an.
" Ich möchte jemand ein Verdammungswort ins Gesicht schleudern," sagte er.
„ Sprach sie niemals von jenem Sommer, da der Fremde bei ihr gewesen?" Die Frage kam fast flüsternd.
„ Nein, aber die Leute erzählten davon."
,, Und was sagten die?"
,, Vieles, mehr als wahr war. Schließlich wollte ich nichts mehr hören. Sie hütete selbst ihr Vieh in jenem Sommer. Die Alm war weit entfernt vom Dorfe. Und das, was dann geschah, kam
Nr. 2
wohl zum großen Teil daher, daß sie so einsam wohnte. Es war ja, keine Alm, wo man allein leben durfte, denn da gab es lächeln Sie nur, da gab es kleine Waldgeister und unsichtbare Zauberwesen und noch anderes, was schlimmer war als Waldgeister, denn die schaden ja niemand, wenn nicht in guter Absicht. Da vaschelten nachts die Unsichtbaren in der Küche, und sonderbare Wesen huschten um die Ecke und durch den Wald, wenn Menschen, zumal bei Sonnenuntergang, über die kurze samtweiche Grasmatte nach der Käsestube hin und wieder zurüdgingen, Gesang und Märchen kamen abends mit den Kühen, wenn die Sonne zwischen den dunklen Tannen glühte und die Luft gelb war. Die Amsel sang und die Eulen riefen: Hu! Hu! Für ein Gemüt wie das ihre be= deutete das eine ganze Welt. Eines Tages geschah etwas mitten im Sonnenschein. Gunnel saß, den Kopf in die Hand gestützt und schlief. Da erwachte sie auf einmal, und ein Gefolge von Waldgeistern stand um sie herum und bot sie zur Hochzeit auf. Ein junger Mann aus der Schar der Waldgeister sollte sie heiraten. Sie war wie gefangen von dem Abenteuer. Man schmückte sie mit einem Brautstaat von Waldgeistsilber und sonderbar gearbeitetem Gold: Ringe an die Hände, Schleier auf die Brust und um das Mieder eine gewundene Schlange. Ja, sie durften sie schmücken. Der Schäferhund bellte vor Angst. Die Sonne glänzte und gliberte. Die Kraniche riefen vom See, der Wald duftete, die Luft erbebte. Es war ein schimmerndes Hochzeitswetter. Der schneebedeckte Gipfel des Jadmos strahlte weiß wie eine Frühlingswolle weit in der Ferne, und jetzt geschah es er kam, der Fremde...."
" Ja," sagte der Professor, langsam und ohne zu wissen, daß er sprach. " Ja, wunderlich sah es aus, aber Waldgeister habe ich keine gesehen, als ich mich in den Bergen verirrte und über die Alm zu ihrer Hütte kam."
„ Nur Sonntagskinder bekommen so etwas zu sehen, und als Sie famen...?"" Als ich kam, lief sie mir entgegen, bebend und schön. Sie trug weder Silber noch Gold, aber in ihren Wimpern hingen Tränen, und die Sonne glänzte auf ihrem schweren Zopfe. Ich vergeffe es nie: der Blick war wundersam nach innen gerichtet... schimmernd und feucht... nie in meinem Leben habe ich so etwas Schönes gesehen., Du bist mein Retter, sagte sie und lächelte mit ihrem hellen Gesicht... und dann kam das, was... ich nicht erwartet..." " Ich weiß, was Sie nicht erwartet ich weiß, was es war. Sie fiel Ihnen um den Hals und verbarg sich.... Sie wußten nicht, daß ein Abenteuer wie das ihre einen Menschen so ergreift, daß er nicht mehr weiß, was er tut, und daß Menschen, die gerade in dem Augenblick kommen, die Waldgeister verjagen. Dann geschieht es immer, daß der Verzauberte sich an den festklammert, der des Weges kommt, ganz wirr, glückselig und willenlos."
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" Ja," sagte der Alte,„ ich verlor alle Besinnung, als ich das warme Menschenkindlein in den Armen hielt...."
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Der Jüngling fuhr fort:" Sie war die schönste Pflanze im ganzen Lande. Wer hätte die Besinnung in ihren Armen nicht verloven.... Und so geschah es, daß sie..." Der Professor seufzte. „ Diese Tage kehren nie zurück, und sie kommt niemals wieder. Ich bin hierher gereist, sie zu suchen... aber es ist zu spät. Ich folge dir in deine Wildnis, und du gehst nachher mit mir. Du bist ja mein und Gunnels Sohn."" Nein, das will ich nicht. Ihre Tränen die vielen Jahre hindurch sollen immer zwischen uns liegen. Ich werde nie den Augenblick vergessen, da sie mich mordete, wie fie glaubte, und Ihren Namen in der Verzweiflung ausschrie. Ich sagte, ich hätte den Namen vergessen.... Nein, das ist nicht wahr, niemand kann vergessen, was er in einem solchen Augenblick gehört. Ich wußte, wie er hieß, er, den ich so gehaßt. Kehren Sie um, wir wollen uns trennen. Ich habe mich nicht deshalb bisher allein durchgekämpft, um heute, da ich meine eigene Kraft fühle, Vatersohn zu werden. Mein Weg geht zu den Bergen und zu meiner Dichtung. Was Gunnel empfunden, als sie friedlos in der Heimat herumirrte, davon will ich fingen. Ich habe Märchen im Blute.... Ich bin ja Gunnels Knabe.„ Unecht" nennen mich die Leute, ich aber sage: echt. Nun geh' ich in die Berge und auf Abenteuer." Er warf den Rucksack über die Schultern und reichte dem Frem. den die Hand.
,, Sie brauchen mir nichts zu erklären. Ich will nichts wissen. Ich bin zufrieden, daß ich Sie gesehen.... Ich verstehe jett, wie Gunnel alles vergessen konnte, als sie Sie fand... und nun leben Sie wohl. Sie werden von mir hören."
Als er den Weg hinaufschritt, voll Erregung und mit zitternden Lippen, hell und start, sah er aus wie ein junger Wikinger.. Der Alte schaute ihm nach, mit dem Blicke eines Bettlers.
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