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Für unsere Mütter und Hausfrauen
Der alte Cecco versteht nicht zu lesen, auch ist die Inschrift in einer fremden Sprache verfaßt. Aber er errät den Inhalt, jedes Wort scheint ihm bekannt und klingt laut tönend in seinen Ohren. Diese blaue Karte hat dem Alten viel Unruhe und Sorge bereitet. Er erhielt sie vor etwa zwei Monaten und erriet sofort instinktiv, daß etwas nicht in Ordnung war. Werden doch die Bilder der Armen nur dann veröffentlicht, wenn sie gegen die Gesetze verstoßen.
Cecco steckte die Karte in die Tasche, sie lastete aber wie ein Stein auf seiner Seele und bedrückte ihn mit jedem Tage immer mehr. Schon mehrmals wollte er die Karte dem Priester zeigen, aber die Erfahrung seines langen Lebens hatte ihn von der Richtigkeit des Spruches überzeugt:" Möglich, daß der Priester Gott die Wahrheit über die Menschen berichtet, den Menschen jedocht sagt er sie nie." Der erste, den er nach dem rätselhaften Sinne der Karte befragte, war ein blonder Künstler, ein langer, Hagerer Ausländer, der oft zu Ceccos Häuschen kam, seine Staffelei aufstellte und sich zum Schlafen niederlegte, den Kopf in dem viereckigen Schatten des begonnenen Bildes versteckend.
„ Herr," fragte er den Künstler, was haben diese Menschen bes gangen?"
Der Künstler betrachtete die lustigen Gesichter der Burschen und sagte:
" Wahrscheinlich irgendeinen lustigen Streich...."
„ Was steht denn darüber aufgedruckt?"
" Das ist englisch . Außer dem Engländer kennt diese Sprache nur Gott und meine Frau, wenn sie in diesem Falle die Wahrheit spricht. In allen anderen Fällen tut sie es nicht...."
Der Künstler war schwazhaft wie ein Zeisig und konnte offenbar über nichts ernst sprechen. Der Alte ging finster von ihm fort und erschien am folgenden Tage bei der Frau des Künstlers, einer dicken Dame, die in ein weites, durchsichtiges, weißes Gewand gehüllt im Garten in der Hängematte lag, vor Hize zerschmolz und mit ihren blauen Augen wütend zum Himmel emporsah.
" Diese Leute sind ins Gefängnis gesperrt," erklärte sie ihm in gebrochenem Jtalienisch.
Dem Alten zitterten die Beine, als bebe die ganze Insel unter cinem plötzlichen Erdstoß. Dennoch fand er die Kraft zu einer zweiten Frage:
..Haben sie einen Diebstahl oder einen Mord begangen?"
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„ D, weder das eine, noch das andere. Sie sind einfach Sozialisten." ,, Was ist das Sozialisten?" " Das gehört schon zur Politik," sagte die Dame mit ersterbender Stimme und schloß die Augen.
Cecco wußte, daß die Ausländer ein einfältiges Volk sind, noch dümmer als die Kalabrier , er wollte aber die Wahrheit über seine Kinder erfahren und wartete deshalb geduldig, bis die Signora wieder ihre großen, schläfrigen Augen öffnete. In diesem Augenblick wies er mit dem Finger auf die Karte und fragte:
" Ist das ehrlich?"
" Ich weiß nicht," entgegnete sie ägerlich. Ich sagte dir schon, das ist Politik, verstehst du nun?"
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Nein, er verstand nichts. Die Politik machten die Minister und Sie reichen Leute in Rom , um die Steuerlast der Armen zu erhöhen. Seine Jungen aber waren Arbeiter, prächtige Burschen, die in Amerika lebten mas hatten sie mit der Politik zu tun? Die ganze Nacht saß er bei Mondenschein und mit dem Bildnis seiner Kinder in den Händen, das ihm nun schwarz erschien und noch finsterere Gedanken einflößte. Am folgenden Morgen entschloß er sich, den Geistlichen zu befragen. Der schwarze Mann im Priestergewand entgegnete ihm kurz und streng:
" Die Sozialisten sind Menschen, die Gottes Willen leugnen. Das genügt dir zu wissen."
Und noch strengeren Tones rief er dem sich entfernenden Alten nach:
"
,, Du solltest dich in deinen Jahren schämen, dich um solche Dinge zu kümmern...."
"
, Gut, daß ich ihm nicht das Bild gezeigt habe," dachte Cecco. Nach drei Tagen begab er sich zu dem Barbier, einem Stuber und Windbeutel. Von diesem Burschen, der kräftig war wie ein Esel, hieß es, er verkaufe seine Liebe für Geld an alte Amerifanerinnen, die angeblich hierher kamen, um die Schönheiten des Meeres zu genießen, die es aber in Wirklichkeit auf Abenteuer mit armen Burschen abgesehen hatten. ,, Gott
Allmächtiger!" rief dieser verdorbene Mensch aus, als er die Karte fah, und seine Wangen färbten sich rot. Das sind Arturo und Enrico, meine Kameraden! O, ich beglückwünsche Guch von ganzem Herzen, Vater Ettore, Euch und mich! Nun habe ich noch zwei berühmte Landsleute, soll ich nicht stolz sein davauf?"
Nr. 7
„ Sprich feinen Unsinn," warnte der Alte. Aber jener schrie, mit den Händen durch die Luft fuchtelnd: „ Das ist ausgezeichnet!"
" Was steht auf der Karte aufgedruckt?"
" Ich kann es nicht lesen, ich bin aber überzeugt, daß es die Wahrheit ist. Arme Kerle müssen große Helden sein, damit man endlich die Wahrheit über sie sagt!"
„ Schweig still, ich bitte dich!" rief Cecco und entfernte sich, wütend mit den Holzpantinen über das Pflaster klappernd.
Er ging zu einem russischen Signor, von dem es hieß, er sei ein guter, ehrlicher Mensch. Er trat ein, setzte sich an das Lager, auf dem das Leben des Russen langsam erlosch, und fragte: ,, Was ist hier über diese Leute aufgedruckt?"
Der Russe kniff die vor Krankheit farblos gewordenen, traurigen Augen zusammen, las mit schwacher Stimme die Inschrift auf der Karte und wandte sich mit gütigem Lächeln an den Alten, der- nun bat:
„ Signor, Sie sehen, ich bin sehr alt und werde schon bald zu meinem Gotte abgerufen werden. Wenn die Madonna mich fragt, was ich mit meinen Kindern getan, werde ich ihr alles wahrheitsgemäß und ausführlich erzählen müssen. Das sind meine Söhne, die hier auf der Karte abgebildet sind, ich begreife aber nicht, was sie getan und weshalb sie ins Gefängnis gesperrt sind." Der Russe sprach darauf ernst und einfach:
„ Sagt der Madonna, Eure Kinder hätten das Hauptgebot ihres Sohnes erfüllt: sie lieben ihre Nächsten in werftätiger Liebe...." Eine Lüge kann nicht einfach ausgesprochen werden: sie erfordert Phrasen und Ausschmückungen. Der Alte schenkte deshalb dem Russen Glauben und drückte kräftig dessen kleine Hand, die die Arbeit nicht kannte.
,, Es ist also keine Schande für sie, daß sie im Gefängnis sind?" „ Nein," sprach der Russe,„ Sie wissen ja, die Reichen kommen nur dann ins Gefängnis, wenn sie zu viel Böses getan und es nicht zu verbergen verstanden haben. Die Armen jedoch kommen in den Kerker, wenn sie auch nur ein wenig Gutes haben tun wollen. Sie sind ein glücklicher Vater, das sage ich Ihnen."
Und noch lange sprach er mit seiner schwachen Stimme zu Cecco; er erzählte ihm, wie die ehrlichen Menschen kämpfen, die die Armut, die Dummheit und all das Furchtbare, Böse besiegen wollen, das von Dummheit und Armut in die Welt gebracht wird. Die Sonne brennt am Himmel wie eine feurige Blume und stveut den Goldstaub ihrer Strahlen auf die grauen Felsen, aus deren Spalten smaragdene Gräser und himmelblaue Blumen sich der Sonne entgegenstrecken. Die goldenen Lichtfunken flammen auf und erlöschen in den vollen Tropfen des kristallenen Taus.
Der Alte verfolgt aufmerksam, wie alles ringsum die lebendige Kraft des Lichtes einsaugt, wie die Vögel arbeitsam umherschwirren, ihre Nester bauen und fingen. Er denkt an seine Söhne, die jenseits des Ozeans im Gefängnis der großen Stadt siben. Das ist schlecht für ihre Gesundheit, sehr schlecht....
Sie sind aber im Gefängnis, weil sie ehrliche Burschen sind, genau so wie ihr Vater sein lebenlang. Das ist gut für sie und für ihn.
Und das braune Antlitz des Alten zerschmilzt in stolzem Lächeln. „ Die Erde ist reich, der Mensch arm, die Sonne gut, der Mensch böse. Mein lebenlang dachte ich daran, sprach es aber nicht aus, und sie errieten die Gedanken des Vaters. Sechs Dollar in der Woche, das sind vierzig Lire oho! Sie aber fanden, daß das zu wenig ist, und fünfundzwanzigtausend ebensolcher Burschen wie sie stimmten ihnen bei: dies ist zu wenig für einen Menschen, der gut leben will...."
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Der Alte ist überzeugt, daß die verborgenen Gedanken seines Herzens in seinen Söhnen groß geworden sind. Er ist stolz darauf, da er aber weiß, wie wenig die Menschen den von ihnen selbst täglich geschaffenen Märchen Glauben schenken, spricht er darüber nicht.
Nur bisweilen, wenn sein altes Herz übervoll ist von den Gedanken an die Zukunft seiner Kinder, erhebt sich der alte Cecco, biegt den arbeitsmüden Rücken gerade, sammelt die letzten Kräfte und schreit heiser in die Ferne hinaus, an seine Kinder weit übers Meer:
„ Valio ― o!"
Die Sonne lächelt, sich immer höher über das dichte, weiche Wasser des Meeres erhebend, und die Leute in den Weinbergen antworten dem Alten:
„ Di- i!"