Als Austauschschüler in Frankreich  

Praktische Friedensarbeit unter der Jugend

Während der großen Ferien 1930 war ich zum dritten Male als Austauschschüler in Frankreich  . Ich traf meine Reise mit der Erwartung an, mir nach diesem Aufenthalt ein noch besseres Bild über Frankreich   und französische   Verhältniffe machen zu können, als mir das bei meinen früheren Aufenthalten als Austauschschüler möglich gewesen ist. Es ist ja eine Erfahrungstatsache, daß man nach jedem neuen Aufenthalt in einem fremden Lande immer wieder neue Feststellungen machen und Vergleiche anstellen fann.

In meinen Erwartungen bin ich nicht enttäuscht worden. Die elementaren und äußerlichen Unterschiede zwischen dem fremden und dem eigenen Lande bemerkt jeder natürlich beim ersten Aufenthalt. Biele für das Volk und Land charakteristischen Eigenschaften aber fallen

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deutschen   Großstädten haben, haben die Pariser   nicht. In der Schulen gibt es so gut wie gar feinen Turnunterricht.

Seltsam mutete es mich an, als mir, da ich bei meinem ersten Aufenthalt der großen Hize wegen ohne Jackett, also in Hemd und Hose gehen wollte, gesagt wurde, das fel in Frankreich   verpönt.

Dies alles find natürlich nur einzelne charakteristische Eindrüde, die ich während meines Aufenthalts aufgenommen habe. Hoffen wir, daß diese Art, die Jugend zweier Nationen einander näher zu bringen, ihre Früchte tragen möge. Ein Berliner   Austauschschüler.

erst später in die Augen. Ich konnte meine Beobachtungen der Analphabetentum der Sowjetjugend.

Borjahre in interessanter Weise auffrischen und ergänzen.

Daß ich zunächst in der gleichen liebenswürdigen und freundlichen Form aufgenommen wurde wie in den Vorjahren brauche ich taum zu erwähnen. Ich wurde behandelt wie ein Sohn der Familie und fann nur immer wieder betonen, daß ich weder in der Familie noch bei anderen Franzosen, mit denen ich zusammen gekommen bin, etwas von Deutschenhaß gemerkt habe. Allerdings muß ich hier einfügen, daß uns unsere Nationalsozialisten im Ausland und befonders in Frankreich   unendlich viel schaden, und daß im allgemeinen die Stimmung gegen Deutschland   gegenüber dem Borjahre weit ungünstiger war. Ich habe dies durch das Lesen der großen Informationsblätter, die in Frankreich   weit maßgebender für die öffentliche Meinung sind als in Deutschland  , festgestellt. Bei jeder Unterhaltung fühlte ich, daß die franzöfifchen Leute bedenklich sind, daß die Stimmung eine ganz andere war als z. B. im Jahre 1929. Als die Unruhen im Rheinland   nach dem Abzug der französischen  Truppen ausbrachen, war das natürlich besonders den chauvinistischen französischen   Blättern Wasser auf die Mühlen. In dieser Richtung wirkte aber besonders der Ausfall der letzten Reichstagswahlen.

Ich habe mich oft über die Frage der deutsch  französischen   Beziehungen unterhalten und erkannt, daß es noch unendliche Schwierigkeiten zu einer völligen Versöhnung dieser beiden großen Nationen gibt. Ich glaube aber, daß der primitive Bölkerhaß stark überwunden ist und wir auf dem Wege der An­näherung und friedlichen gemeinsamen Bearbeitung aller Probleme unaufhaltsam vorwärts schreiten. Ich habe mich keinen sogenannten ..pazifistischen Träumereien" hingegeben, aber ich habe alles dieses festgestellt und im besonderen auch, daß der Schüleraustausch, d. h. das gegenseitige Kennen und Verstehenlernen von Bertretern der Jugend beider Nationen eines der besten Mittel zur Erreichung des wirtlichen Friedens ist.

Paris  , wo ich die letzten beiden Jahre meine Ferien verbracht habe, war natürlich für mich in jeder Hinsicht äußerst intereffant. Man kann allerdings in Paris  , das ja schließlich eine internationale Großstadt ist, das typische französische   Leben nicht so gut fennenlernen wie in einer Kleinstadt, wo ich meine ersten Ferien in Frankreich  zugebracht habe.

Die Sehenswürdigkeiten von Paris   habe th mir gründlich be­guckt und dabei festgestellt, wie grundverschieden Paris   und Berlin  sind. Paris  , schon zur Zeit der Römer eine Metropole, und Verfin, vor ein paar hundert Jahren noch eine kleine Fischerstadt, sind schon im äußeren Anblick verschieden. Sieht man sich den Plan von Paris   an, so findet man, daß das Wachstum der Stadt ständig durch die Stadtmauer eingeschränkt war, und das wird durch das Straßen­bild auch bestätigt. Es gibt unendlich viele kleine enge winklige Straßen, die ganz willkürlich von den großen Boulevards durch brochen werden. Diese Boulevards sind erst viel später gebaut worden, als mit dem steigenden Berkehr die Notwendigkeit großer Durchbruchstraßen immer dringender wurde. Berlin  , das in seiner Ausdehnung nie irgendwie- beschränkt war, ist gegen Paris   eine weit ausgedehnte modernere Stadt.

Der junge Deutsche, der das erstemal in Frankreich   ist, sich mit seinen französischen Kameraden unterhält und eifrig umsieht, lernt fehr viel ganz Neuartiges kennen. Ich erfuhr 3. B., daß in Frank­ reich   die höheren Schüler fast ausschließlich in Internaten leben und unterrichtet werden, daß sie vor- und nachmittags Unterricht haben, daß fie ungefähr zweieinhalb Monate große Ferien haben, dafür aber so gut wie gar keine kleineren Ferien.

Der Sport wird in den Schulen sehr vernachlässigt. Wenn man in Berlin   durch die Straßen geht, findet man an allen Ecken und Enden Sport- und Turnplätze. Die wird man in Paris   vergeblich suchen. Ein Stadion, wie wir es in Berlin   und in vielen anderen

Sowjetrußland hat erst vor kurzem. die Schulpflicht eingeführt und befizt infolgedessen eine große Anzahl von Analphabeten. Da die Befeltigung des Analphabetentums die Vorausseßung für jede Kulturarbeit ist, bemühte sich die Sowjetregierung feit langem, die Bahl der Analphabeten zu reduzieren. Es galt die Parole: Reine Analphabeten im Lande der Sowjets zum 10. Jahrestage der Ottoberrevolution. Daß es nur bei der Parole blieb, zeigt die Tat­sache, daß noch jetzt allein im Alter von 11 bis 15 Jahren rund 2,5 Millionen Analphabeten vorhanden sind.

Jetzt wird zum zweiten Male versucht, das Analphabetentum zu beseitigen. Am 1. Oftober 1930 wurde die vierjährige Schulpflicht( Grundschule) eingeführt Ein großzügig angelegter Blan sieht die Ausbildung der 2 407 000 Analphabeten im Alter von 11 bis 15 Jahren vor. In ein- und zweijährigen Kursen soll ihnen Schreiben und Lesen beigebracht werden. Da genügend verfügbare Lehrkräfte nicht vorhanden sind, sollen neben den Lehrern der Grund­schulen auch Funktionäre der Kulturorganisationen und besonders aftive Mitglieder des kommunistischen   Jugendverbandes herange 30gen werden.

Da im vorigen Jahr nur 93 000 jugendliche Analphabeten der betreffenden Altersstufen erfaßt werden konnten, würde die vor gefchene Sahl eine gewaltige Steigerung der Auszubildenden be deuten. Dieser phantastische Plan des Bolkskommiffariats für Volks. bildung stieß auf den Widerspruch der einzelnen Bezirksinstanzen dieses Bolkskommissariats, die mit der traurigen Wirklichkeit näher in Berührung fommen. Sie machten einen Kompromißvorschlag, der auf die Verringerung der Zahl der auszubildenden jungen Analphabeten um rund ein Biertel hinauslief. Mit Entrüstung stellt die Prawda" fest, daß weder die Gewerkschaften, noch der kommu nistische Jugendverband oder die Kollettivwirtschaften diesem Plan widersprochen haben. Dieser Fehler wurde wieder gutgemacht, indem von oben dle ungeschmälerte Durchführung des vorgesehenen Planes diftiert wurde. Wie dieser Plan ausgeführt wird, zeigt die Tatsache, daß am 10. November 1930 kaum 30 Broz. der in Frage kommenden jungen Analphabeten erfaßt waren. In einigen Bezirken lag der Brozentja noch niedriger.

Die unzureichende Durchführung der Schul­pflicht und die Schwierigkeiten bei der Ausbildung der jungen Analphabeten schien der Witwe Lenins  , Krupitaja, ein ge­nügend wichtiger Grund zu sein, um in den Spalten der Prawda" dazu Stellung zu nehmen. Nach allgemeinen Ausführungen über die Notwendigkeit einer allgemeinen Schulpflicht und darüber hinaus der Fortbildungsschulpflicht, und nach der Feststellung, daß das ,, Bater land aller Werktätigen" davon noch recht entfernt ist, fommt der interessante Hinweis auf das demokratische Deutschland  , wo die allge meine Schulpflicht restlos durchgeführt ist. Dagegen sei in Sowjet rußland 13 Jahre nach der bolfchewiftischen Revolution die Frage der allgemeinen Schulpflicht zum ersten Male ernsthaft erörtert worden.

Krupitaja weist auf die Schwierigkeiten hin, auf die man bei der Durchführung der allgemeinen Schulpflicht gestoßen sei. Noch größere Schwierigkeiten seien bei der Erfaffung der jungen Analpha­beten zu überwinden: die Elf- bis Fünfzehnjährigen stehen vielfach im Produktionsprozeß Man könne in Fabriken Elf- und 3 wölfjährigeantreffen. Darüber hinaus feien die Jugend­lichen diefer Altersstufen durch die Hausarbeit stort heleftet, auf dem flachen Land kommt die Landarbeit hinzu. Die gefeßliche Regelung auf diefem Gebiet fei unzureichend und müßte start ausgedehnt werden.

Die Ausführungen Krupstajas stehen m der Sowjetpresse nicht vereinzelt: überall findet man Klagen über die mangelhafte Durch­führung der Schulpflicht, über das Fehlen von Schulräumen, Leh mitteln und Lehrkräften.