Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 4

Beilage zur Gleichheit O O O O O O O O

Inhaltsverzeichnis: In der Zelle. Von Jan Kasprowicz.  - Fritz Reuter  . Von Klara Zetkin  . Von guten und schlechten Büchern für unsere Kinder. I. Von Roland. Feuilleton: Kampf und Not. Von Fritz Reuter  . Der Apachenüberfall. Von Owen Wister.  ( Fortsetzung.)

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In der Zelle.

Don Jan kalprowicz.

Die trüb, was heute meine Augen fahen! Es fiel ein Reif, verkündend Dinters nahen. Die Bäume im Gefängnishof erbleichten, Die geltern mir noch grüne kronen reichten. Die Sonne, mag fie feurig jetzt noch leuchten, Legt früh die kühlen Hände auf den feuchten Und düftern Rafen, der, von Todesfchauer Erfaßt, die melken Halme fenkt in Trauer.

So hab' ich meinen Gang bald eingeftellt Und kehr' in meine Zelle trüb zurück

Und finn': Die fieht wohl aus mein Heimatsfeld?

Sind dort im Froft die Körner gar erftarrt, Die meine Brüder einft gefät im Glück? Harrt ihrer drum ein Schickfal, fchwer und hart? 000

Frizz Reuter.

Am 7. November hat sich zum hundertstenmal der Geburtstag Fritz Reuters gejährt. Es ist uns unmöglich, heute hier der Be deutung des Dichters gerecht zu werden, der volkstümlich geworden wie wenige, Hunderttausenden die frostige, graue Alltäglichkeit mit Wärme und bunten Lichtern erfüllt hat. Jedoch wenigstens ein flüchtiger Umriß seines Lebens sei an dieser Stelle gegeben, der die Genossinnen anregen möge, zum mindesten das Folgende über Reuter   nachzulesen: den Artikel von Franz Mehring   im Feuilleton der Neuen Zeit" Nr. 5; die Festschrift der Buchhandlung Vor­wärts; die Artikel Die deutsche Festungszeit und Der Hochver räter" im Feuilleton der Leipziger Volkszeitung" Nr. 255, 256 und 257.

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Fritz Reuter   wurde am 7. November 1810 als Sohn des Bürger­meisters von Stavenhagen in Mecklenburg   geboren. Seinen Kind­heitsjahren hat zum Teil der Sonnenschein gefehlt, in dem die Gaben des Geistes und Charakters sich voll Duft und Farbe saugen können. Der Vater war ein wohlmeinender, aufrechter Mann, aber ein trockener, zünftig- juristischer Beamter, ohne Ver­ständnis für das weiche, hingebungsbedürftige Wesen des Knaben, in dem eine eigene Welt träumte. Die liebevolle, geistig beweg­liche Mutter, der Frih wahrscheinlich die Lust zu fabulieren" als Erbstück verdankte, starb vor den Jahren, wo dieser der festen, doch linden führenden Hand am nötigsten bedurft hätte. Der Unterricht zuerst durch Privatstunden, dann an verschiedenen kleinstädtischen Gymnasien ließ das Herz leer und löste nicht die Schwingen des jugendlichen Geistes, aber er erfüllte seinen Zweck: für das Examen zu drillen. Dem Vater galt es nämlich für ausgemacht, daß seine eigene Laufbahn auch die des Sohnes sein müsse. So bezog der Jüngling die Universität, zuerst zu Rostock  , dann zu Jena  , um Jus, Rechtswissenschaften zu studieren. Ohne irgendwelche Neigung für diese Wissenschaft und den in Aussicht genommenen Beruf, in voller Unklarheit über sich selbst, ungefestigt gegen die Lockungen eines ungebundenen studentischen Lebens. Es begleiteten ihn die mißtrauischen Ängste des Vaters, mit dem es wiederholt zu scharfen Zusammenstößen gekommen war, weil ihm das Ver­stehen und Verzeihen dafür so fern lag, daß der Hang des Sohnes nach fröhlicher Geselligkeit und über die Stränge schlagender Lebens­freude die trockene Schul- und Bücherweisheit allzuoft beiseite schob. In Jena   lenkte Frizz Reuters   Schifflein steuerlos in den Strom der damaligen Studentenherrlichkeit" ein. Die stand in jenen Tagen zu Jena   ganz im Zeichen der Burschenschaften. Die un flare studentische Bewegung mit einem Gemisch von fortschritt lichen und reaktionären Jdealen als Inhalt, die sich seinerzeit an den Befreiungsfriegen gegen Napoleon   entzündet hatte, war

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neuerlich hoch aufgeflammt. Mit anderen Zeiten hatte sich ihr Wesen abermals gewandelt. Unklar waren die Burschenschaften geblieben, aber die mittelalterlich- mystischen Stimmungen der Ro­mantik begannen dem Gären und Brausen von Tendenzen zu weichen, wie sie später in dem Jungen Deutschland" ihren literarischen, in den Forderungen des honetten" liberalen Bürgertums ihren poli­tischen Ausdruck fanden. Die Schwärmerei für die schwarz- rot­goldene Freiheit der einen deutschen Republik glühte in den jungen Köpfen, und der Haß gegen die büttelnden kirchlichen und poli­tischen Gewalten tobte sich in heftigen Worten und Gebärden aus. Das alles mit einem großen Aufwand jungburschenhafter Senti­mentalität und lärmender, zechfreudiger Geselligkeit, die dank der Einschnürung des geistigen und politischen Lebens, und des beschränkten Obrigkeitsverstandes aller Behörden auch die Manieren der Ver­schwörung erlernte; furz behaftet mit Schwächen und getragen von Stärken, wie sie damals der studierenden Jugend von bürgerlichen Bevölkerungsschichten eigentümlich sein mußten, die noch nicht durch die weitere kapitalistische Entwicklung scharf differenziert worden und die vorläufig in der Opposition gegen die vormärzliche Reaktion eins waren. Der junge Reuter   fühlte sich von dem Kern und der Schale der Burschenschaftsbewegung unwiderstehlich angezogen. Wohl fehlte ihm der politische Sinn, das tiefere Verständnis für die säuselnden und webenden geschichtlichen Kräfte, jedoch sein Herz schlug heiß und ehrlich für ein verworrenes freiheitliches Jdeal. So sang er begeistert die Lieder mit, die den Fürsten   und anderen Gewalt­habern Tod und Verderben drohten, aber freilich er war auch einer der Eifrigsten, wenn dem Bächlein von Tyrannenblut, das man in der Phantasie rauschen hörte, Ströme von Bier voraus­geschickt wurden. Das Studium und der Geldbeutel des Vaters kamen dabei viel übler weg als das vormärzliche Deutschland  . Und dennoch geschah das Ungeheuerliche. Der harmlose Jenenser Student wurde zum Hochverräter" erhöht, an dem das Regiment der, feigen Westfalmücken", des preußischen Absolutismus   alle Bru­talität, jede Niedertracht erprobte, deren er fähig war.

Man schrieb 1833; drei Jahre zuvor war in Frankreich   wieder die Revolution durch die Geschichte geschritten und hatte einen König absetzend und eine Krone verschenkend die Herrscher in Deutschland   daran gemahnt, daß letzten Endes Gottes Gnade nicht länger währt als der Völker Geduld. Jm Deutschen Reich, der frommen Kinderstube, regten sich geistig und politisch die sozialen Mächte, die mit dem fortschreitenden Kapitalismus danach trachten mußten, die Bande der feudalen Ordnung zu sprengen und der bürgerlichen Gesellschaft die Bahn freizugeben. Ein neues Deutschland  " wollte erstehen. Dumpfe, fressende Unzufriedenheit braute unter den Bauern, die noch durch zu starke Reste der Leib­eigenschaft und Erbuntertänigkeit gefesselt waren, um sich nicht durch die gnädigst verwilligten Reformen" genarrt zu fühlen; unter den Handwerkern und Krämern, denen der sich reckende Kapitalismus den goldenen Boden unter den Füßen zertrümmerte, und die vom Ende der politischen Büttelei das Heil erwarteten; unter der jungen Großbourgeoisie, die politischer Macht bedurfte, um ungehindert durch die Bureaukratie und Polizei einer selbst­herrlichen Monarchie die engen Schranken der zünftigen Ordnung in Wirtschaft und Staat niederzulegen und das Reich der zügel­losen, gewissenlosen Ausbeutungs- und Handelsfreiheit aufzurichten; unter den Trägern der geistigen Kultur, der liberalen Berufe, denen geistliche und weltliche Zensur die Flügel beschnitt, sobald sie sich über den trüben vaterländischen Entenpfuhl erheben wollten; unter dem modernen Industrieproletariat, das mehr und mehr als Klasse abgesondert wurde, und dem zugleich die patriarchalischen Ruten des städtischen Zunstwesens und absolutistischen Polizeistaats wie die neumodischen Storpione der Kapitalsmacht auf dem Rücken tanzten. Das überkommene System der gottgewollten Abhängig­feiten" brach noch nicht, aber es frachte bereits bedenklich bald hier, bald dort. Die Obrigkeiten in den Schreib- und Wachtstuben wie in den Sakristeien hatten daher alle Hände voll zu tun, denen zu wehren, die an dem morschen Gebäude rüttelten. Und in keinem deutschen   Bundesstaat geschah das mit so infamen Nücken und Tücken als in Preußen, wo die neuzeitliche Entwicklung am stärk­ften eingesetzt hatte, sich aber auch an den festesten Bollwerken der Junkerherrschaft und des persönlichen Regiments stieß.

Die Reaktion kehrte bald ihre volle Wucht wie früher schon einmal gegen die Burschenschaften, die ihr jetzt um so gefährlicher