Für unsere Mütter und Hausfrauen
Nr. 1 oooooooo Beilage zur Gleichheit oooooooo
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Inhaltsverzeichnis: Nacht. Von Ludwig Pfau . Werkunterricht. Feuilleton: Von Eugenie Jacobi. Nahrungshygiene. I Von c. b. Feuilleton: Schluß des entfesselten Prometheus. Von Percy Bysshe Shelley . Als ich das erstemal auf dem Dampfwagen faß. Von Peter Rosegger .
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Nächlicher Himmel! du gleichst der stillen unendlichen Heide, Drauf, in Scharen gedrängt, goldener Ginster erblüht. Silbernes Strahlengeweb', wie Sommerfäden, entspinnt sich, Die von Blüte zu Blüt' über das Heideland wehen.
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Wertunterricht.*
Bon Eugenie Jacobi.
Das ist's ja, was den Menschen zieret, Und dazu ward ihm der Verstand, Daß er im innern Herzen spüret, Was er erschafft mit seiner Hand. ( Schiller.)
In Charlottenburgs 21. Gemeindeschule- einer für Knabenwird neuerdings Werkunterricht erteilt, und zwar in allen Klassen, von der Unter- bis zur Oberstufe. Werkunterricht ist kein eigenes, im Stundenplan ausdrücklich angefehtes Lehrfach, sondern ein Be standteil der einzelnen Unterrichtszweige. Die diesen eingegliederte Betätigung der Hand deckt sich mit der Bezeichnung„ Werkunterricht". Seine auch für andere Gemeindeschulen Charlottenburgs geplante Einführung ist inzwischen wohl schon zum Teil erfolgt.
Hauptsächlich und in erster Linie pflegt die Schule die geistigen Anlagen und Fähigkeiten zu entwickeln. Das Organ, das in vielen Dingen diese sicht- und greifbar zu machen und das Wissen zum Können zu gestalten vermag, die Hand, wird nicht berücksichtigt. Offenbar soll deren Heranbildung durch den Schreib- und Zeichenunterricht als besorgt und aufgehoben gelten. Handfertigkeitsunterricht steht mit der Schule, wenigstens mit der für normale Kinder, nur in loser oder meist in gar keiner Verbindung. Zu den vereinzelten Ausnahmen gehört es, daß er zum Beispiel in Worms für sieben städtische Knabenklassen als ordentlicher Lehrgegenstand eingestellt ist. Anders steht es um sein Gegenstück, den Handarbeitsunterricht in Mädchenschulen. Er gehört wohl überall zu den ordentlichen Lehrfächern.
An der Ausbildung zur Handgeschicklichkeit an sich mangelt es aber nicht allein. Es fehlt auch die gemeinsame Schulung des Kopfes und der Hand. Der sogenannte wissenschaftliche Unterricht auf der einen Seite und der technische auf der anderen verlaufen, fein säuberlich getrennt, im Nebeneinander. Durch das Schreiben hat die Hand bei jenem zwar viel, im allgemeinen wohl zu viel, zu tun. Das geschieht jedoch in bestimmt vorgezeichneter Erledigung eines vom Kopfe gegebenen Auftrags" und nicht in selbständiger Mitarbeit. Gewissermaßen nur Abschriften oder Diktate und keine Aufsätze kommen damit in Frage.
Andere Beziehungen zeitigt der Werkunterricht. Er verbindet Kopf und Hand zu gemeinsamer Arbeit in eigenem Schaffen von beiden Seiten. Was der Kopf gleichsam innerlich schaut, läßt er die Hand äußerlich sichtbar gestalten. Er gesellt die„ Rede der Hand" der des Mundes bei. Allerdings tönnen nicht alle Dinge sichtbarer Natur, die im Unterricht zur Sprache kommen, dargestellt werden; das verbietet schon der Hinblick auf die Zeit.
Für die Beschränkung des Werkunterrichtes sind vier Gesichtspuntte maßgebend. Der erste gebietet einfache Arbeitsmittel. Die Kinder verbleiben auf ihren Plätzen in der Klasse. Arbeiten, an denen ihre Hand hier schafft, dürfen also nicht vieler Zutaten bes nötigen. Was sich ohne solche nicht ausführen läßt, ist vom Werkunterricht mithin ausgeschlossen und fällt dem Handfertigkeitsunterricht anheim, der einen als Werkstatt eingerichteten Raum er heischt. Aus dieser Sachlage ergeben sich zwei weitere Forderungen sast von selbst: die Kosten der Herstellung müssen billig und die
* Nachdruck nur mit Genehmigung des Verfassers.
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betreffenden Gegenstände leicht zu übersehen sein. Eine einfache Zurüstung verursacht wohl keine beträchtlichen Aufwendungen, und sie kann nicht ein vielartig zusammengesetztes Gebilde entstehen lassen, dessen einzelne Teile und Teilchen die Kinder nur mühsam zu bemeistern vermögen.
Zeichnen und Formen sind die Hauptsprachen" des Werkunterrichtes. Mit ihnen sett er auf der Unterstufe ein, und in ihnen, vielleicht zum größten Teil, redet die Hand auch auf der Mittelund der Oberstufe und beim Fortbildungsunterricht. Papp- und Papierarbeiten und das„ Basteln", ein Zusammen von Kork -, Gummis und leichten Holzarbeitenden sogenannten Frenkels schen kommen nach und nach hinzu. Das Zeichnen beim Werk unterricht soll nicht etwa den Zeichenunterricht als besonderes technisches Fach ersetzen oder verdrängen. Es sind dabei Stizzenhefte im Gebrauch, und solche aus billigem Papier, von den Schülern selbst zusammengestellt, genügen. Da sie, gleich den Diarien, in den Büchertaschen zum täglichen Bestand gehören, sind sie stets zur Hand. Es wird auch, hauptsächlich in den unteren Klassen, auf ,, Blizztafeln" gezeichnet, Papptafeln mit einer weißen und einer schwarzen Seite. Beim Formen oder Modellieren kommt teils Plastilin, teils Ton zur Verwendung, anfangs jedoch, als leichter fnetbare Masse, nur das erstere. Aus Ton lassen sich Gegenstände von geringem Umfang mit schmal auslaufenden Ansätzen überhaupt nicht formen. An jeder Bank- es handelt sich um Tische und Bänke für je zwei Kinder ist ein ausziehbarer Modelliertasten" angebracht. Für beide Jungen birgt er in der einen Abteilung Knetmasse und in der anderen Linoleumunterlage, Bliztafel, Griffel, Kohle und zur Vervollständigung oder Ausstattung von Plastilingebilden abgebrannte Streichhölzchen und etwas Bindfaden. Die besten Arbeiten werden, mit dem Namen des„ Künstlers" versehen, in der Klasse aufgehoben und die anderen meist als entformte Knetmasse zur Seelenwanderung in den Modellierkasten gelegt. Schnell, wie das Stizzenheft, ist auch der Kasten vorgenommen, schnell weggeschoben, schnell die Hand an dem groben Sacktuch ab gewischt, das an jeder Bank hängt. Beim Formen aus Ton, der in einer Tonfiste" aufbewahrt wird, die innen mit Zink verkleidet ist und sich natürlich in der Klasse befindet, ist die Betätigung wohl an sich etwas umständlicher. Es sind jedoch auch Jungen von größerer Reife und Behändigkeit, die sich damit beschäftigen.
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Welcher Gegenstand ist aber genügend wichtig, um durch den Werkunterricht zur Darstellung herausgegriffen zu werden? Dieser für dessen Beschränkung maßgebende vierte Puntt fällt mit der Frage zusammen, wann der Werkunterricht einzugreifen hat. Das kann in jeder oder doch fast in jeder Stunde geschehen. Es gibt keine allgemein gültigen Regeln darüber, in welcher Stunde ein Gegenstand im besonderen das Dargestelltwerden in der einen oder anderen Weise bedingen oder rechtfertigen würde. Gewissermaßen aus der Eingebung des Einzelfalles heraus entscheidet der Lehrer die Frage. Ohne eine solche Bewegungsfreiheit wäre dem Werk unterricht die Lebensader unterbunden.
In den unteren Klassen ist beim Lesen, beim Aussagen eines Gedichtes, beim sogenannten Anschauungsunterricht die Gelegenheit günstig. Sie regt an, daß aus Plastilin, wie auf der Blitztafel Ge räte, Früchte, Tiere usw. erstehen. In den oberen Klassen erfolgt die Verknüpfung des Werkunterrichtes mit der Erdkunde, den Naturwissenschaften, der Raumlehre usw. Es gelangen zum Beis spiel eine Provinz nach ihren Grenzlinien und ihrer Bodengestal tung, die Insel Helgoland , Kiautschou , ein Joch, eine Moräne, eine Pyramide oder, je nach dem Bedarf", verschiedenartige sonstige Dinge zur Darstellung. Beim Zeichnen, wie beim Formen wer den die Jungen darin geübt, Dinge nach Größe, Stellung oder sonstigen Bedingungen verändert darzustellen. Man läßt sie auch nicht bloß auf der Blitztafel oder im Stizzenheft, sondern früh schon an der Wandtafel zeichnen, und so wachsen sie allmählich in die Fähigkeit hinein, auf dieser mit einigen Strichen in selbstverständlicher Sicherheit etwas entwerfen zu können. Gelegenheit, sich mit Papier und Papparbeiten und mit dem Basteln zu befassen, gibt ihnen unter anderem der Physikunterricht.
Besser als eine mündliche Erklärung bekundet das Gebilde der Hand, daß oder wie weit die Schüler das Wesen einer Sache erfaßten, und das Bestreben, dies zu zeigen, verhilft ihnen auf der einen Seite ebenso zu innerer Klarheit, wie es sie auf der anderen schon in der Schule stählt, mit dem Stoffe zu ringen und ihn zu