14 Für unsere Mütter und Äausfrauen Nr. 4 dünkten, als ein Teil der freiheitlich gesinnten Studenten Fühlung mit revolutionären Handwerksgesellen gewonnen hatten, denen die Gewitterwinde über die französische   Grenze her sozialistische Ideen zuwehten. Den Vorwand zum gewalttätigsten Einschreiten gegen sie bot der Sturm auf die Konstablerwache zu Frankfurt   a. M. Er sollte am 3. April 1833 am Sitze des mehr verachteten als gefürchteten Bundestags die Revolution einleiten; seine nächste praktische Wir kung war jedoch die eines Signals zu einer neuen Demagogen hetze größten und schändlichsten Stils. Zu den ebenso romantisch tollkühnen wie politisch kindlichen Verschworenen des Frankfurter  Putsches hatten auch Studenten gehört; die Burschenschaften be kamen daS zu spüren. Wohl die meisten der nicht weniger als 1367 .Hochverräter", die in den nächsten fünf Jahren im Gebiet des deutschen Bundes unter Anklage gestellt wurden, waren Studenten. Fritz Reuter   war nicht aus dem Erze, aus dem des Lebens ge waltiger Hammer politische Kämpfer und Helden schmiedet, nichts destoweniger fiel er als eines der bedauernswürdigsten Opfer, die sich die Reaktion erkor. Durch polizeiliche Verfügung ward er von der Universität Jena vertrieben, obgleich er an den studentischen Unruhen in dieser Stadt nicht beteiligt gewesen war und die Untersuchung ihn auch sonst keiner politischen Missetat überführen konnte. Die Tore der Leipziger   Hochschule blieben demDema gogen" verschlossen, und auf der Durchreise durch Berlin   wurde derHochverräter" im Herbst 1833 verhastet. Nun begann ein un sagbares Martyrium von vollen sieben Jahren, während denen der Unglücklich« von Verhör zu Verhör, von Kerker zu Kerker geschleift wurde. Nach der Stadtvogtei in Berlin   lernte er die berüchtigten Dunkelzellen der dortigen Hausvogtei kennen, die feuchten, eisigen Kasematten der Festung Silberberg, die Pesthöhlen der Festung Magdeburg. Nur die beiden letzten Jahre seiner Haft, die er in der Festung Graudenz   und imfesten Hause" Dömitz   in Mecklen burg verbüßte, war er weniger die wehrlose Beute der schlimm sten Unmenschlichkeiten. Die leiblichen und seelischen Torturen seiner Absperrung von dem Leben wurden fast vier Jahre lang durch die Pein völliger Ungewißheit über sein Schicksal verschärft. Erst im Januar 1337 erfuhr Reuter  , daß die milden Richter gegen ihnnur auf die einfache Todesstrafe, die Strafe des Beiles" und me Konfiskation seines Vermögens erkannt hatten, weil er hin reichend verdächtig war, den gewaltsamen Umsturz der preußischen Staatsverfassung gewollt und Seine Majestät den König beleidigt zu haben. Der wortbrüchige Friedrich Wilhelm IIH, der in Zeiten der Not seinem Volke den friedlichenUmsturz" Preußens durch eine Konstitution feierlich gelobt, hatte sich nicht gescheut, durch Gnadenakt" den Verurteilten lebendig begraben zu lassen, indem er die Todesstrafe in dreißigjährige Festungshaft umwandelte. Und das alles, mit einer endlosen Häufung entsetzlicher Einzelheiten, rechtswidrig und gesetzlos! Ein lebensfroher Jüngling, in dem der Wein noch unvergorener Kräfte überschäumte, war in den Kerker gegangen, ein gebroche ner Mann kehrte daraus zurück. Reuter   war zwar nicht wie viele seiner Schicksalsgenossen der Schwindsucht oder dem Wahn sinn verfallen, aber nicht einmal seine robuste Leibesgesundheit hatte den mörderischen Einflüssen verschiedener Kerker standzu halte» vermocht. Sein Augenlicht insbesondere war durch den längeren Ausenthalt in dunklen Zellen schwer geschädigt worden. Jedoch ein bei weitem unheilvolleres vbel noch hatte vondem Sträfling" Besitz ergriffen. Die lichtlose Verzweiflung langer Jahre, die kein starkes Gegengewicht an einer reifen persönlichen Entwick lung fand, hatte ihm einen furchtbaren Kumpan zugesellt: den Trunk. Der düstere Schatten ist ihm sein Lebtag gefolgt, so mann haft sich der Dichter später gegen ihn gewehrt hat. Als 1340 nach dem Tode Friedrich Wilhelm? UI. Reuter wieder die Lust der preu ßischen Freiheit atmete, geriet er zunächst in die erbarmungslose Knechtschaft des Dämons, der ihm in der Zelle tückisch Vergessen vorgegaukelt hatte. Sein Versuch, in Heidelberg   das juristische Studium fortzusetzen, endete mit körperlichem und moralischein Bankrott im Säuferwahnsinn. Jedoch eine unverwüstliche und un bezwingbare Lebenskraft wollte sich nicht im Schmutz zertreten lassen. Aus dem tiefsten Verfall erwuchs der Wille zur männ lichen Selbstzucht. Nach den Lehr- und Leidensjahren begannen nun die Wanderjahre, die Reuters   Charakter kräftigten und sein Talent der Blüte entgegensprossen ließen. Nicht draußen im Kreuz und Quer durch die weite-�Welt, nein in der engen Heimat mit ihrem sozialpolitischen Urväter-Hausrat. AlsStrom", als Volontär auf mehreren mecklenburgischen Gutshöfen lernte er die stützende, emportragende Macht der Arbeit kennen, die der herbe, keimschwere Duft der frischumbrochenen Scholle umwittert, saugte sich seine Seele voll mit Bildern, Stimmungen und Eindrücken von Land und Leuten, wie sie später in seinen Werken dichterisch zu neuem Leben erstanden. Während der acht Jahre seiner landwirtschaft lichen Tätigkeit kam ihm die Kraft und Freiheit, das eigene Er leben in das Meer der Leiden und Freuden der mittleren und ärmeren bäuerlichen Bevölkerung zu versenken, die dem Mecklen burg seiner Zeit das charakteristische Gepräge gab. So trug er schwer, doch nicht erdrückend an der Unsicherheit und Schiefheit seiner Position und, von anderen Schmerzen abgesehen, nicht zum wenigsten an dem tiefgewurzelten Mißtrauen des Vaters, der nicht an die Umkehr desverlorenen Sohnes" glauben konnte und ihn» durch die Fassung seines Testaments die Möglichkeit zu einer selb ständigen Existenz als Landwirt verlegte. Mit der Selbsterhebung durch die Arbeit kam Schritt für Schritt auch das Glück. Die Liebe, die ihn mit der Pfarrerstochter Luise Kuntze vereinigte, überdauerte einen siebenjährigen Brautstand, den oft genug die Wolken innerer und äußerer Nöte überschatteten. Uin Reuters   Weib zu werden, bedurfte es nach der Meinung der Welt eines Mutes, welcher nur aus jenem Glauben geboren werden kann, der Berge versetzt. Es war Luise Kuntzens große, ja höchs!- wahrscheinlich die endgültig rettende Tat andem verbummelten Studenten", daß sie diesen Glauben besaß und»oie ein Heiligtum mit starken, treuen Händen durch alle Fährniffe und Bitternisse trug, die ihr an des Mannes Seite nicht erspart bleiben konnten. Ihr unerschütterlicher Glaube an die Güte und Reinheit seines WesenS, an den Ernst und die Kraft seines Wollens gaben Reuter  Selbstvertrauen und Selbstachtung zurück, und an ihrer Stärle richtete er sich stets bald wieder auf, wenn der alte böse Feind Sieger über ihn geblieben»var. Aus dem unversiegbaren Born ihrer Liebe gab ihm das Leben mit Zins und Zinseszinsen, was er als Kind und Jüngling an alles tragender und alles duldender Mütterlichkeit entbehrt hatte. Das große Glück dieses Erlebniffes half das ziveite Glück zivingen und fesseln: die Kunst dichterischen Gestaltens. Lauter und lauter erllangen in Reuters   Brust die Stimmen, die zum Singen und Sagen drängten. In seinem Bekanntenkreis ging manches frische Gedicht, mehr als eine heitere Schnurre von ihm herum. Nach einer kurzen Tätigkeit als Privatlehrer in Trep tow an der Tollens« für 23 Pf. die Stunde! hatte er sich als Mitarbeiter eines Nnterhaltungsblattes der Gchriftstellerei zugewandt. Bald darauf grüßte ihn mit der Herausgabe seiner plattdeutschenLänschen un Rimels" 1853 ein unbestrittener litera rischer Erfolg, der seinen Ruf als Dialektdichter begründete. Endlich hatte Reuter das Feld gesunden, auf dein seines Geistes Ernten reiste,», auf dem er schaffend ein Ganzer sein konnte. Das gesellschaftliche Odium derverkommenen Existenz", der schwer empfundene Druck,nichts Rechtes" geworden zu sein, sie warei» von ihm genommen. Nun regte eS sich blütenfroh in seiner Seele. Von kleineren Veröffentlichungen in Prosa und Versen abgesehen, schuf Reuter   verhältnisinäßig rasch hintereinander die Werke, die ihn zu einem Liebling Ungezählter machten und seinen Ruhm als Dichter über den Erdball trugen:Kein Hüsung", die düster- gefühlsschwere Dichtung in Versen;Hanne Nüte",Ut de Fran- zosentid",Ut mine Festungstid",Ut mine Stromtid  ",Dörch- läuchting" usw. Reuter   starb 1874 in seiner Villa zu Eisenach  . Seine Dichtungen sind einer bunten Fülle schöner Wiesenblumen gleich aus der heimatlichen Scholle hervorgebrochen und fest in ihr verwurzelt. Aus ihr haben sie das gesunde Lebensmark gezogen, und die Sonne Mecklenburgs hat ihnen leuchtende Farben und den würzigen Hauch blühender Wiesen und wogender Getreide felder verliehen. So ganz sind sie die Geschöpfe ihrer Heimat, daß sie plattdeutsch geschrieben werden mußten. Für sie war der Dialekt kein Kleid wie für Hauptmanns Weber, vielmehr zwingende Notwendigkeit, die äußere Erscheinungsform ihres inneren Seins. Dieses eigenartig« seelische Leben und Weben konnte sich nur in der Muttersprach«, in der Mundart restlos ausströmen. Inden» das geschah, wurde aber die künstlerische Gestaltungskraft dieser Mundart erwiesen. Reuter   vollendete für das Plattdeutsche, was der größere Künstler Klaus Groth   vor ihm begonnen hatte, was das Alemannische dem kleineren Dichter Hebel verdankt: die Rehabili tierung als eines vollwertigen Instruments der Kunst. Schon diese Tat allein würde hinreichen, Reuter   in der deutschen Literatur geschichte unsterblich zu machen. Er hat aber dem einen Ruhmes titel noch viele andere hinzugefügt. Was eines Dichters Seele Erleben wurde, das hat eines Dichters Hand gestaltet: auf dem Hintergrund einer tief empfundenen Natur und eng gebundener sozialer Verhältnisse lebenswarme Menschen, die bei aller Eigenart Typen einer Welt sind,»velche von der steigenden Flut der kapitalistischen   Entwicklung über lang oder kurz verschlungen wird. Aus den Tiefen seines eigenen Wesens hat er aber so viel reine Menschlichkeit emporgehoben und zumal in seinen