Nr. 4
Für unsere Mütter und Hausfrauen
Hauptgestalten Odem und Handlung gegeben, daß sie über die räumlichen und zeitlichen Grenzen dieser kleinen Welt hinaus leben, wo immer die Schlichtheit schluchzt und lacht. Abgesehen davon, daß kleinbürgerlich demokratische Oppositionsluft in seinen Werken weht, gibt darum Reuter auch dem kämpfenden Proletariat unserer Tage mit vollen Händen, obschon ihm das Verständnis für dessen geschichtliche Eristenz verschlossen geblieben ist. Voll zornbebenden Mitgefühls mit dem tausendfältigen Leid der geknechteten ländlichen Tagelöhner konnte er in Kein Hüsung" den Sklaven zeichnen, der die Kette bricht und im heißen Grimm seines beschimpften Menschentums den Peiniger erschlägt; es ging aber über sein Vermögen, den bewußten, fühn- trotzigen Rebellen, der für sein Recht tämpft, auch nur in Jehanns Sohn ahnen zu lassen. Darin war er außerstande, dem Gebundensein durch Zeit und Umwelt zu entrinnen, wie ihm auch ein anderes versagt geblieben ist. Reuters reiche humoristische Begabung überschüttete wohl die Alltäglichkeit mit heiteren Blüten und sonnigen Scheinen, allein sie wuchs nicht zu jenem großzügigen, erlösenden Humor empor, der in der Er tenntnis, daß viele Geschlechter sich dauernd an ihres Daseins unendliche Kette reihen", sehnsüchtig und jauchzend immer wieder nach den Sternen greifen läßt, wenngleich er weiß, daß schließlich bie zitternden Finger nur ein bescheidenes Blümchen halten werden. Das empfunden zu haben war sicherlich die tiefste Tragit in Reuters Leben, das wie wenige reich an dunklen Schatten und strahlendem Licht gewesen ist. Klara Zetkin .
Von guten und schlechten Büchern für unsere Kinder.
I.
Weihnachten naht wieder heran, das alte, schöne Fest, da man fedem, den man lieb hat, eine Gabe unter den ferzengeschmückten Baum legt. Weise muß die Gabe gewählt sein. Denn sie soll erfreuen und nüßen zugleich. Unserer Jugend, vor allem dem Kinde, das die Schule besucht, schenken Vater und Mutter gern ein Buch. Ob sie recht daran tun? Es gibt viele Erzieher, die diese Frage verneinen. Sie fordern, daß man das Kind möglichst lange von der Bücherweisheit fern halte; man solle nicht dulden, daß es zum Stubenhocker werde. Sein Blick sei durch Beobachtung der Umgebung und der Natur zu schärfen, sein Körper durch Wandern und Turnen zu kräftigen, seine Phantasie müsse sich in freiem, ungebundenem Spiel betätigen. Es ist nun aber einmal der Brauch, Bücher zu schenken. Und da heißt's aufpassen! Es gibt so viele schlechte Bücher in der Welt. Die findliche Seele ist noch weich wie Wachs, jeder Eindruck prägt sich tief und für lange Zeit darin ein. Und ein Buch wird das Kind viele Stunden beschäftigen, das vielleicht sein Geschenk wie ein Heiligtum hütet. Darum muß das Buch, das man dem Kinde schenkt, besonders sorgfältig ausgewählt sein. Es darf nicht spekulieren auf Triebe und Negungen in dem werdenden Menschen, die möglichst eingedämmt und zurückgedrängt werden müssen, da sie eine Gefahr für den Lebenstampf bedeuten. Es muß ein treuer Freund, ein guter Kamerad sein. Die Arbeiterschaft sieht in ihren Kindern das kommende Geschlecht, das einst das erringen soll, wofür wir heute mit heißer Sehnsucht kämpfen. Sie muß vor allem darauf achten, daß ihrem Nachwuchs kein Schaden durch schlechte Bücher zugefügt werde. Ein Buch hat oft auf eine ganze Lebenszeit einen Men fchen gebildet oder verdorben."( Herder.) Von diesem gewaltigen Einfluß eines Buches wissen uns bedeutende Männer aus ihren Jugendtagen zu erzählen. Ein schlechtes Buch kann alles das untergraben, was durch Erziehung und Lehre in der jungen Menschenfeele aufgebaut ward.
Leider gehen noch viele Eltern mit zu großer Sorglosigkeit an den Einkauf von Büchern für ihre Kinder. Leider trifft auch auf viele Arbeitereltern das bekannte Wort des Hamburger Vorkämpfers für gute Jugendschriften, Heinrich Wolgast , zu:„ Ein Stück Zeug, den Hosenboden des Jungen auszubessern, wird mit mehr übers legung und Sachkenntnis gekauft als die Nahrung für Geist und Charakter." Proletarier faufen häufig im nächfien Warenhaus auch ihre Bücher. Das sind jene Bücher mit dem aufgeklebten bunten Bilde, mit dem Papier so dick fast wie Pappe, mit dem minderwertigen Druck, Bücher, die schon durch ihr Außeres geschmackverderbend sind. Diese sogenannten Grossobücher werden von gewiffenlosen Kapitalisten unter die Menge geworfen, und sie bringen den schönsten Profit. Eine Gruppe solcher Bücher erzählt von Krieg und Mord; jede Seite trieft von Blut; vor feiner Graufam feit und Roheit schrecken die handelnden Personen zurück. Das sind vor allem die Indianerbücher. Andere Grossobücher sind viel
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friedlicher. Sie berichten von artigen und unartigen Kindern, von edlen Grafen und Prinzen; knüppeldick ist die Moral aufgetragen. Zu dieser Art von Büchern voller Verlogenheit gehören auch die sogenannten„ Backfischgeschichten", die unsere großen Mädchen vielfach heißhungrig verschlingen. Sie schildern Mädchen der höheren Kreise, ihre Gouvernanten, ihren Anstandsunterricht, ihr Pensionsleben, plaudern von Ballerlebnissen und Eisbahnabenteuern und all jenem nichtigen Plunder, der das Leben einer höheren Tochter ausfüllt. Was sollen Arbeiterkinder mit solchen Büchern? Diese Erzählungen sind von einer ganz verlogenen Lebensauffassung durchtränkt. Das Kind, das sie in Menge liest, tritt mit ganz falschen Erwartungen ins Leben ein. Wir wollen aber doch unsere Mädchen nicht zu Zierpuppen erziehen, die Romane lesen, auf dem Klavier flimpern und auf den reichen Mann warten. Unsere Mädchen, die einst die Mütter und Erzieher einer geistig gesunden Jugend sein sollen, müssen denkende Kämpferinnen, starte Charaktere, aufrechte Persönlichkeiten werden. Dann dürfen wir ihnen nicht die seichte und gefälschte Kost der Backfischliteratur bieten.
Weiter gibt es unter jenen Büchern eine Reihe Märchenbücher, Ausgaben von Till Eulenspiegel , Reinecke Fuchs, Rübezahl sowie Robinson und anderen klassischen Werken der Jugendliteratur. Aber ihr Text weicht vielfach so weit von der schlichten Schönheit des Originals ab, ist so verstümmelt und„ bearbeitet", daß man sie nicht in die Hand von Kindern geben soll, deren Geschmack man bilden möchte.
Alles in allem: Diese Grossobücher dürfen auf keinen Fall ge fauft werden. Laßt die Kapitalisten, die Herren Weichert, Bartels, Kühn, Bardtenschlager, Düms, die diese Machwerke fabrizieren, figen mit ihrem Schunde!
Für dasselbe Geld können wir ebenso umfangreiche und billige, dabei aber schöne und gute Bücher erwerben. Heute gilt nicht mehr die Entschuldigung, daß gute Bücher teuer seien. Die letzten Jahre haben uns eine Hochflut guter und zugleich wohlfeiler Bücher ges bracht. Es ist das vor allem dem Wirken der Vereinigten deutschen Prüfungsausschüsse für Jugendschriften zu verdanken. Diese sichten scharf unter den Neuerscheinungen und geben jedes Jahr ihr Verzeichnis guter Jugendschriften heraus. Die Bewegung gegen das Elend in der Jugendliteratur hat ihren Ausgang genommen von der freiheitlich gesonnenen Hamburger Lehrerschaft. Bei ihrer Arbeit leitet sie der Grundsatz:„ Jedes Buch für die Jugend muß ein Kunstwerk sein." Auf Grund dieses Satzes mußten sie sich vor allem gegen die Unzahl jener Werke wenden, die zum Patriotismus und zur Frömmigkeit erziehen wollten, deren Tendenz breit und widerlich in den Vordergrund trat. Die Prüfungsausschüsse haben sich durch ihr Vorgehen natürlich die Feindschaft aller Chauvinisten und Mucker zugezogen. In den letzten Jahren hat auch der Bil dungsausschuß der sozialdemokratischen Partei ein Verzeichnis guter Jugendschriften herausgegeben, das sich im allgemeinen mit dem Hamburger Verzeichnis deckt, im besonderen aber eine Reihe von Büchern hervorhebt, die für Arbeiterkinder von Bedeutung sind.
Feuilleton
Kampf und not.
Von frizz Reuter.
Roland.
Sag an mir, mein Tapfrer, was wohl dir gefällt, Sag an mir, was ist deine Luft?
Mir leuchtet so schön des Dorfes Brand, Mir scheint so schön der Feinde Land Und das Feld und die Welt und kein Geld.
Sag an mir, mein Tapfrer, was ist dir so wert, Sag an mir, was ist deine Braut?
Als Braut umarm' ich den Ruhm und die Ehr', Als Liebchen umarm' ich das blanke Gewehr Und ein Pferd und ein Schwert und kein Herd.
Sag an mir, mein Tapfrer, was färbst du so rot Den schneeigen Boden mit Blut?
Jch färb' mit dem Blute den leuchtenden Schnee Und fand auf der Erde nur Jammer und Weh Und die Not und den Tod und kein Brot...
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