Freihei

Einzige unabhängige deutsche   Tageszeitung

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Nr. 14 3. Jahrgang

Saarbrücken  , Donnerstag, 17. Januar 1935

Chefredakteur: M. Braun

In Genf   liegt die Entscheidung!

Zusammentritt des Internationalen Untersuchungsausschusses

Land im Taumel

Das ganze Saargebiet ist seit den Morgenstunden des 15. Januar in einem Taumel. Auch solche nüchternen Be­urteiler, die Massenparoxismen in Krieg und Revolution vielfach erlebt haben, erklären, daß sie soetwas nie gesehen und nie für möglich gehalten hätten. Es scheint, als jei alle Vernunft in einem Meer von Fahnen, in einer tosenden Brandung von Rufen und Gesängen untergegangen. Die sonst etwas steifen Saarländer   sind in einer Raserei, die wirklich aller Beschreibung spottet.

In dieser Flut stehen die Funktionäre der Volksfront in eherner Ruhe. Bewundernswert, wie sie der Massen­psychose trotzen, die auch die des 30. Januar 1933 in Berlin  weit übertrifft. Mitten in dem Trubel ihrer Gegner ver­sammelten sich im Saale der Arbeiterwohlfahrt die Ge­treuen der Volksfront. In diesem Raum, der so manche begeisterte Rundgebung gesehen hat, sprach May Braun zu den Männern und Frauen, die aus übermenschlichen Anstrengungen von Monaten abgekämpft sind wie er, die aber an Ueberzeugungstreue und Tapferkeit wetteifern mit ihrem Führer. Von diesen Kämpfern weiß jeder, daß er sein Letztes hergegeben hat für Deutschland   und gegen Hitler  , und jeder bleibt unerschüttert in dem letzten Willen, so oder so den Kampf fortzusetzen.

Jeder der Beteiligten geht auf seinen Posten zurück. Ueberläufer gibt es in diesen Kreisen nicht. Die Deserteure find längst zur deutschen   Front", wie sie in dieser all­gemeinen Charakterlosigkeit nicht weiter auffallen.

Man hatte zu einem Familienfest am Tage der Ver­

kündigung des Wahlergebnisses aufgerufen. Binnen we niger Stunden war es zu einer Kirmes geworden, die Anklänge an den rheinischen Karneval bot. Es liefen Leute mit kompletten Hakenkreuzfahnen im Knopfloch herum. Humoristische" Transparente tauchten auf. Die Schau­fenster der Volksstimmen"-Buchhandlung wurden mit zahlreichen Inschriften verschmiert. Andern Stellen erging es nicht besser. Es wurden an einzelen Orten feierliche Beerdigungen des Status quo veranstaltet. Die Trauer­versammlung ging in 3ylmder und mit Choralmusik. Man wunderte sich nur, daß nicht Priester beider Konfessionen sich mit Kreuz und Gebetbuch beteiligten.

Ernster war die offen betriebene Mordhezze. An vielen Stellen des Saargebietes wurden Galgen für Max Braun  errichtet, an denen Strohpuppen baumelten. Manchmal genügte auch ein Laternenpfahl. Daß die Polizei gegen diesen gefährli hen Unfug eingeschritten wäre, wird von nirgendher gemeldet. Jm Saargebiet regiert bekanntlich immer noch der Völkerbund  .

Uebrigens war der bestgehaßte Mann des Saarlandes auch an diesen kritischen Tagen bei seiner Arbeit in Saar­ brücken  , und sein Stab von Mitarbeitern mit ihm.

Bei Eintritt der Dunkelheit flammten Millionen Lichter zu einer Jllumination zusammen, wie sie nur wenige Städte je gesehen haben dürften. Scheinwerfer zuckten über die Häuser und die Höhen. Die Türme der Kirchen, die öffentlichen Gebäude waren in festlicher Beleuchtung. Der Trubel in den Straßen nahm mit jeder Stunde zu, und schon Stunden vor dem bei Beginn der Dunkelheit angesetzten Fackelzug sammelten sich Teilnehmer und Zu­schauer im Innern der Stadt. Der Zug dauerte stunden­lang. Wir haben keinen Grund ihn zu verkleinern. Die ganze Stadt mit ihrer schulpflichtigen Jugend war auf­geboten, und vom Lande gab es großen Zuzug.

Schon kamen auch die ersten Terrormeldungen aus dem Lande, gehemmt noch durch die Sorge um den in Perma­nenz tagenden Völkerbundsrat. Es ist anzunehmen, daß Diese Rücksicht die aufgepeitschten Massen bändigt, ist aber alles andere als sicher

Die Führer der deutschen Front" sind schon in Genf  eingetroffen. Mag Braun und Frizz Pfordt machten sich etwas später auf den Weg. Noch einmal werden sie dem Völkerbundsrat vortragen, was im Saargebiet geschehen

iſt.

Die Deutsche Freiheit" erschien zur großen Ueber­caschung aller Gegner. Den Drohungen zum Trotz noch von Saarbrücken   aus, und wenn hier der Terror es un­möglich machen sollte, wird sie von anderswo in der gleichen Schärfe wie bisher mit Hitlerdeutschland ab

rechnen.

Ueber das Ergebnis der Abstimmung triumphiert natür­lich die deutsche Presse. Ein Blick in die Frankfurter 3eitung" genügt, um alle Pressestellungnahmen der Gleich­geschalteten zu erkennen. In der Frankfurter Zeitung  " ist also zu lesen:

" Impreß" meldet aus London  : Auf Grund zahlreicher Dressestimmen Berichte und Mitteilungen über die Behinderung der Wahl­freiheit, Verlegung des Wahlgeheimnisses und Verübung von Terroraften in zahlreichen Fällen durch Mitglieder der ,, deutschen Front" an der Saar  , hat Lord Marlen, der Vor: sitzende der Internationalen Untersuchungskommission über den Hitlerterror an der Saar  , die Initiative zur Einbern= fung einer Sigung dieser Untersuchungskommission nach Genf   ergriffen. Die Sigung soll am Dienstag, spätestens am Mittwoch stattfinden.

Die Kommiffion wird das ihr eingereichte Material über= prüfen und es dann dem Völkerbundsrat unterbreiten, Meh­tere Mitglieder der Untersuchungskommission befinden sich bereits auf dem Wege nach Genf  .

Die Tätigkeit der Untersuchungskommission soll dazu bei­tragen, eine der wirklichen Stimmung und Meinung der Saarbevölkerung gerecht werdende Entscheidung des Völker= bundes zu erreichen.

Auf Initiative des Internationalen Untersuchungsaus: schusses finden in zahlreichen Städten, besonders in England und den Vereinigten Staaten  , am 15., 16. und an den fol­genden Tagen große Maffenfundgebungen statt, die für die Forderung der Beachtung der Meinung der Status: quo= Anhänger demonstrieren.

Die Saar  - Abstimmungskommission in Geni

Saarbrüden, den 16. Januar 1984. Die vier Mitglieder der Abstimmungskommission ver­ließen Saarbrücken   am Dienstagabend 7.10 Uhr mit dem fahrplanmäßigen Zuge nach Straßburg  . Sie erlebten also noch den grandiosen Aufmarsch der Bevölkerung. Rings um den Bahnhof standen dicht gedrängt die Kolonnen mit den brennenden Fackeln und die Kapellen spielten vaterländische Weisen. Dies war der letzte Eindruck, den die vier von ihrer Tätigkeit im Saargebiet mitnahmen.

Rum Abschied hatten sich auf dem Bahnsteig der Präsident der Regierungsfommission, einige Minister sowie zahlreiche Beamte der Abstimmungskommission und der Regierung eingefunden. Von einer tiefer gehenden Herzlichkeit fonnte man nichts merfen. Die Herren unterhielten sich bis zuletzt sehr angeregt, schüttelten sich die Hände und schwenkten die Hüte.

Die Abstimmungskommission hat ihre Pflicht erfüllt und ohne Verweilen legt sie ihre Aufgabe in die Hände des Völ­ferbundes zurück.

Nach der Entscheidung

Der Fackelzug der Sieger brachte im Saargebiet eine ganze Reihe von Zwischenfällen. In Saarbrücken   wurde das Gerücht verbreitet, daß die Maschinen des Betriebes der Volksstimme" gesprengt werden sollten. Das Ueberfall kommando besetzte darauf den Betrieb. Draußen sammelte sich eine große Menschenmasse, die drohende Rufe ausstieß. Doch verzog sich später die Menge.

Die Stunde läßt feinen Ranm mehr für Bitterfeit. Dies ser Augenblick, wo über den Flaggen ganz Deutschlands   die Glocken aller Kirchen einander zulänten, wo über den Gea sichtern der Glanz eines Festes liegt, steht im Zeichen der Frende und Danfbarkeit, Doch sind die wenigen Minuten, in denen hente vormittag die gesamte Welt die Verkün digung des Abstimmungsresultates vernahm, historisch ge= wesen, denn in diesen wenigen Minuten veränderte sich das Bild Europas  , Eine der schmerzlichsten Verzerrungen in dem Bild war entschwunden. Man sollte solche Augenblicke wägen können, um aus ihnen zu lernen. Die Gerüchte über die mutmaßlichen Prozentiäge, die bis gestern noch auch in der ernsthaftesten Presse Europas   Glauben fanden, zeugen von der erschreckenden Unkenntnis, die im Ausland dem deutschen   Schicksal gegenüber waltet. Es wirfte dabei wohl anch, daß man nicht verstehen wollte, doch das faftische Nicht­wissen gab den Ausschlag. Es wiederholte sich bei jenen fantastischen Schätzungen im Grunde der gleiche Vorgang, der einst Versailles   zu einem so bösen Ende führte..."

Die Auslandspresse bleibt fritisch. So schreibt die Bas­Ter National 3eitung":

Es sind nicht die 99 Prozent des Herrn Kommerzienrat Röchling, aber es ist eine flare und stattliche Mehrheit von Saareinwohnern, die sich für die sofortige Rückkehr ins Reich ausgesprochen haben. Das Ergebnis ist so deutlich, daß der Völkerbundsrat für seine Entscheidung eine sichere Grund: Tage hat. Zu einer Teilung des Saargebiets, die sicher ein Unglück gewesen wäre, wird er auf Grund dieses Ergeba nisses nicht fommen fönnen.

Das Plebiszit ist ein Sieg Deutschlands  , ein Sieg, ber bekanntlich lange vor Einbruch des Dritten Reichs schon gesichert schien, und durch die Machtergreifung Sitlers erst wieder ungewiß geworden war. Sicher wird der National: fozialismus das Verdienst an dem Erfolg in Anspruch neha men, aber in Wirklichkeit hat das Ergebnis ihn blok vor einer schweren Einbuke an nationalem Prestige bewahrt. Daher auch die gewaltige Spannung in Deutschland  , daher das ungeheure Aufgebot au Propagandamitteln."

Ueber die Wahlvorgänge selbst schreibt z. B. Nik. Blä del, einer der bekanntesten und ältesten Journalisten Dänemarks   in seinem Bericht an die konservative Ber lingske Tidende":

Selbstverständlich ist es Aufgabe der Polizei, zu verhin­dern, daß die Anweisungen der Abstimmungsfommission nicht verletzt werden, aber die Polizei war vollkommen machtlos. Nein, dieser Ausdruck ist nicht forrekt Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die Polizei die Demonstra tionen nicht nur tolerierte, sondern auch unterstüßte."

An anderer Stelle des Blattes war bereits über den Empfang der deutschen   Züge in Saarbrücken   gesagt: Die Ordnung wurde nicht nur von Polizei und Militär, font­dern auch von Mitgliedern der deutschen Front" mit Parteiarmbinden aufrecht erhalten. Ein neutraler Beob­achter muß sich wundern: Ist das Unparteilichkeit seitens

Das Haus der Arbeiterwohlfahrt wurde Dienstagabend der Behörden? Ist es unparteiisch, wenn man bei den Ab­polizeilich geräumt.

Im Bezirk fam es ebenfalls zu Zwischenfällen, doch be­mühte sich die deutsche Front", vorerst die Menge von Ge­waltaften zurückzuhalten.

Die ganze Lage im Saargebiet ist gespannt. Jeden Augen­blick können sich Zwischenfälle ernstester Natur ereignen.

Wir werden eine Position räumen müssen. Das steht fest. Das ist schmerzlich genug, aber Europa   hat noch Stellen genug, von denen aus die Deutsche Freiheit" ihre für Hitlerdeutschland so unbequeme Tätigkeit fort­setzen kann, und sie wird es zu ermöglichen missen.

Wir orakeln nicht lange. 3u Untersuchungen wird in ruhigeren Stunden Zeit fem. Es läßt sich viel zum Saar­kampf sagen und aus ihm lernen.

Jetzt gilt es nur, sich in neuen Positionen festzusetzen und fortzuführen, was uns Aufgabe und Ziel bleibt: bas und fortzuführen, was uns Aufgabe und Ziel bleibt: das Ringen um Deutschlands   Freiheit

stimmungsberechtigten schon bei ihrem Eintreffen den Ein­druck erweckt, daß die Deutsche   Front zu dem offiziellen Saarbrücken   gehört? Jit es unparteiisch, schon jetzt der einen der Parteien polizeiliche Gewalt zu verleihen?"

Die Basler National 3eitung" schreibt u. a.: Ihrem Korrespondenten liegen ferner echte Dokumente der Deutschen   Front vor, welche eine schwerwiegende Wahl­beeinflussung bedeuten und die Bevölkerung unter den denk­bar schwersten Druck seßen." Das Blatt teilt weiter mit, daß ein Mitglied der Abstimmungskommission drei Tage lang für die Suspendierung des Plebiszits eingetreten sei, da er die Voraussetzungen einer freien und unbeeinflußten Ab­stimmung als nicht gegeben betrachte.

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Der Pariser Temps" bezeichnet das Auftreten des Ordnungsdienstes" als offizielle Organe als wahrhaft stan­

Jalös,