Entit

Frethei

Einzige unabhängige deutsche   Tageszeitung

Nr. 13 3. Jahrgang

Saarbrücken  , Mittwoch, 16. Januar 1935

Chefredakteur: M. Braun

Freiheit!

Das Ergebnis der Abstimmung

Stimmberechtigte 539 341

WHERE

Freiheit!

Die Folgen des Terrors

Abgegebene Stimmen 528 005

Für Frankreich   2 124

Freie und Knechte

Für viele in der Welt wird dieses Ergebnis überraschend

kommen.

Infolge der Stoßkraft, die Führer und Massen der Volksfront in den letzten Monaten entwickelten, haben viele außerhalb des Saargebietes mit erheblich größeren Prozentsägen für den Status quo gerechnet. Unsere tapferen und treuen Funktionäre seit einigen Tagen nicht mehr.

Der Kampf für den Status quo hatte in jener gemal tigen Rundgebung am 6. Januar seinen Höhepunkt er­reicht. Wenige Tage später kam der Rückschlag, der für jeden von uns spürbar war.

Die deutsche Front" nutzte die Unkenntnis der Regie­rungskommission und der Abstimmungsbehörde über Wesen und Methodik des Nationalsozialismus, vielleicht auch die Folgen ungeklärter Kompetenzen zwischen den fremden Behörden, um vollzogene Tatsachen zu schaffen. Nicht etwa, daß sie formell die Befugnisse der hohen Böl­kerbundsbehörden angetastet oder gar Herrn Knox zum Rücktritt aufgefordert hätte. Nein, die deutsche Front" blieb für formalgläubige des Völkerrrechts beinahe kor rekt. Aber sie mußte im Bunde mit der völkerbundsfeind lichen und hitlertreuen Exekutive innerhalb weniger Tage hunderttausenden noch schwankenden Abstimmungsberech tigten zu suggerieren, daß Widerstand gegen die Flut der deutschen Front" nutzlos, die Regierungskommission praktisch erledigt, die ungeteilte Rückgliederung sicher sei. Auf diese moralische Erschütterung setzte sie dann einen

Für Deutschland   477 119

Diese Ringenden und bis zuletzt Unentschiedenen haben nicht für Hitler   gestimmt. Nicht einer davon. Die ,, deutsche Front" wußte sehr genau, meshalb sie den " Führer" sehr im Hintergrunde hielt. Er sprach nicht im In der Presse wurde das Heil Deutschland" oft, das Heil Rundfunk. Er richtete keine Botschaft an das Saarvolk. Hitler  " kaum noch gebraucht. Man wollte nicht abstoßen.

*

Denn froß allem drang die Welle der Enttäuschung aus dem Reich ins Saargebiet vor. Daß sie später und geringer kommen mußte als drüben ist klar. Das Saargebiet hörte nur das Klapern der Propagandamaschine und hatte nicht wie im Reiche die Möglichkeit Schein und Wirklichkeit zu konstatieren. Dennoch mickte allmählich die Aufklärung unserer Presse, so sehr sie durch den Terror in ihrer Ver breitung behindert wurde. Gab es doch außer den amt hitlerische Zeitung zu verkaufen wagt, und in keinem Gast­lichen Kiosken kaum einen Zeitungsstand, der eine anti­hause durfte eine solche Zeitung geduldet werden.

Dennoch: Mit den 95 und 97 v. H. für die deutsche Front", wie immmer wieder verkündet wurde, ist es nichts. Die Volksbewegung gegen die deutsche   Diktatur wächst. Wenn unter so unerhörtem Terror, gegen so unbegrenzte Oppositionellen mobilisiert werden konnte, obwohl für die Geldmittel in dem kleinen Saargebiet dieses Heer von allermeisten Wähler die Entscheidung eben Für oder gegen Deutschland  " ging, kann man sich leicht vorstellen, wie es heute schon bei einer freien Volksbefragung mit

Terror, dem nur noch heroische Naturen trogen konnten, Geni und die Abstimmung

und die sind auch an der Saar   in der Minderheit.

Ein Freund, dessen politische Erfahrung ebenso reich ist mie sein Kämpferleben bewegt, sagte uns in dieser Nacht: Ich mundere mich nicht, daß so viele abgesprungen sind, ich wundere mich nur, daß so viele standgehalten haben."

Jmmer werden wir stolz sein auf den Kampf an der Saar  . Jmmer stolz darauf, daß ihm auch die Deutsche Freiheit" dienen durfte.

Es war ein allzu ungleicher Kampf. Der mächtigsten Diktatur mitteleuropas   mit Millionen und Millionen Pro­pagandafonds und dem größten politischen Reklame­apparat der Welt stand eine Gruppe der Arbeiterbewe gung gegenüber, die zu den schwächsten Deutschlands   ge­hörte. Bon jeher. In diesem Saarland   wurde bis zum Jahre 1918 die Bevölkerung beinahe in Leibeigenschaft ge­halten. Vom preußischen Grubenfiskus und von einem patriarchalischen Kapitalismus, dessen Repräsentant Frei­ herr von Stumm   gewesen ist. Hier hat weder die sozia­listische noch die kommunistische noch die christliche Ar­beiterbewegung eine Tradition und Schulung von der Tiefe mie in anderen Landesteilen Deutschlands  . Erst nach dem Jahre 1918 hat sich im Saargebiet die Arbeiterbewe gung der verschiedenen Richtungen und Zweige ausge dehnt. Ihr Einfluß reichte aber nicht weit über die Zahl ihrer organisierten Mitglieder hinaus.

Dieser Volksteil sollte eine schwierige politische Ent­scheidung fassen, für die, soweit sie zugunsten des Status quo fiel, eine hohe Reife politischen Denkens Voraus setzung war. Die primitive und richtige Feststellung Wir sind deutsch  " sollte einen Inhalt bekommen, der aus ver­letztem Freiheits- und Rechtsgefühl sich gegen das der­zeitige deutsche Regierungssystem richtete. Es werden sich menige außerhalb des umstrittenen Gebietes hinreichend vorstellen können, zu welchen Gewissensqualen diese Ent­scheidung bei sehr vielen Abstimmungsberechtigten, ins­besondere Frauen, führte. In den Familien zwischen Vä­tern und Töchtern, zwischen Müttern und Söhnen wurden tragische Kämpfe über das Für und Wider ausgetragen. Die teufliche Diffamierung idealistischer deutscher Kämpfer als Landesverräter und Separatisten ließ es vielen als eine Schande erscheinen, mit unserer Bewegung zu geben; sich zu informieren wagten gegenüber dem Terror allzu menige

Genf  , 15. Januar

überrascht. Allerdings hörte man nur eine einzige Stimme Das Ergebnis der Voltsabstimmung an der Saar   hat hiec darüber, daß der schwere psychologische Druck unter dem die Bevölkerung an der Saar   am Abstimmungstage und dem Tage vorher gestanden hat ungeheuer viel zu dem über: raschenden Ergebnis beigetragen hat. Hier hat man die Tats sache, daß die verantwortlichen Behörden in den letzten Ta gen die Zügel am Boden schleifen ließen, indem sie dem braunen Ordnungsdienst Polizeibefugnisse einräumten oder wenigstens deren Ausübung duldeten, nicht verstanden. Man versteht, daß in Hitlerdeutschland so etwas möglich ist und daß die SA. und SS. neben der offiziellen Polizei in Funt: tion tritt und die Straße beherrscht,

Jm Saargebiet regiert aber noch der Völkerbund und es waren nach Ansicht weitester Genfer   Kreise unverantwortlich, daß man diese Gewaltaumaßung durch die Anhänger der braunen Front duldete. Ueberall wurde dadurch nach unserer Meinung der Eindruck erweckt, als habe Hitler   bereits von der Saar Besitz ergriffen und die Abstimmung fönne an dem Ergebnis nichts mehr ändern. Unter diesem niederschmettern= den Eindruck find ungezählte Anhänger der Status- quo Bewegung abgeschwenkt und haben gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Das ist, wie hervorgehoben werden muß, die Ansicht weitester Streise.

Ueberall wird jetzt die Frage diskutiert, was werden soll. Man erwartet von den Völferbundsorganen an der Saar  , insbesondere von den Inhabern der Polizeigewalt und den fommandierenden Truppen, daß sie sich nach der Abstim: mung die Regierungsgewalt nicht entreißen lassen, sondern notfalls unter Einsatz aller Sträfte in fester Entschloffenheit di Zügel führen und für Ruhe und Ordnung sorgen. Sollte das enttäuscht werden, so würde der Eindruck des Sieges der deutschen Front" hier in Genf   außerordentlich herabgemin= dert werden und man würde gegen den deutschen Geist ins: besondere nene Anklagen erheben, die den Sieg, inter= national gesehen, parallelisieren müßten.

Wie wir erfahren, soll der Völkerbundsrat die dringende Aufforderung an die maßgebenden Behörden nach Saar  : brücken gerichtet haben, die Ruhe und Ordnung unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. Im übrigen erwartet man, daß die Größe des Erfolges dazu beitragen würde, die an sich bestehenden Reigungen zur Auseinandersegung herab­zuminderu

Davon für Status quo 46 513 Ungültige 2249

dem Thema Für oder gegen Hitlerdiktatur" in dem großen Deutschland   aussehen würde.

Mag der tosende Lärm der hitlerdeutschen Propaganda­maschine diese einfache Tatsache auch hinwegzuräumen versuchen. Sie bleibt und sie wird wirken.

Die Entscheidung liegt nun beim Völkerbundsrat. Es find Garantien für die Abstimmungsberechtigten und alle Saareinwohner geschaffen worden, die länger als drei Jahre ansässig sind. Garantien? Der Völkerbund   wird sie aus papierenen Texten nun in die Wirklichkeit umsehen müssen, wenn er sich zu einer ungeteilten Rückgliederung entscheiden sollte. Ehe er zu seinen Beschlüssen kommt, sollte er studieren, nicht nur, was sich in Deutschland   wäh­rend der letzten Monate, sondern auch was sich im Saar­gebiet während der letzten Wochen ereignet hat, und wir segen mit Besorgnis hinzu: mas sich in den nächsten Tagen

noch ereignen kann.

Einstweilen ist nach allen Erfahrungen das Vertrauen in Garantien gering. Der Völkerbund und seine Organe müssen sich zu einer wirklichen Erkenntnis der Hitler­barbarei durchringen. Hier soll die Bevölkerung eines Völkerbundslandes, des einzigen in der Welt, ausgelie­fert werden. Der Völkerbund   spielt mit seiner Autorität und seinem Prestige. Er hat ohnehin im Saargebiet und bei vielen ausländischen Beurteilern durch sein Schleifen­lassen der Dinge verloren. Die Tatsache bleibt, daß unter seiner Verantwortung ein Blebiszit statt zu einer freien Entwicklung aller um das Schicksal des Landes wirkenden Kräfte zu einer Entfaltung aller antidemokratischen und kulturmidrigen Terrormächte wurden. Unter den Augen des Völkerbundes. Mit Duldung seiner Organe.

Die Saarfrage darf in dieser Stunde nicht erledigt fin. Hunderte Pressevertreter haben ben heroischen Kampf der Bolksfront beobachtet und auch der oppositionellen Katho­liken, die von ihren Bischöfen und schließlich fast der ganzen offiziellen Kirche verlassen wurden. Jetzt gilt es, die Aufmerksamkeit den Folgerungen zuzuwenden, die in Genf   aus dem Abstimmungsergebnis gezogen werden müssen.

Vertreter der Volksfront eilen in die Völkerbundsstadi um für Recht und Freiheit und bescheidenen Besitzstant der im Saargebiet Bedrohten einzutreten. Wir fordern der Völkerbund darf diejenigen nicht ausliefern, die in Vertrauen auf ihr verbrieftes Recht im Plebiszit gegen Hitler   entschieden haben.

Diese Entscheidung fällt in Genf  . Jm Saargebiet abe: wird der Kampf gegen Diktatur und Barbarei für ein freies Deutschland   gegen Hitler   fortgesetzt. Der Wille des freien echten deutschen Sozialismus ist nicht zu brechen. Es bleibt dabei: Nieder mit Hitler! Vorwärts für Deutschland  !

Ein Riesenkampf ist zu Ende. Nichts kann und wird uns erschüttern. Greifen wir von neuem an!

Fackelzug"!

Obwohl die Regierungsfommission noch in den Vormit tagsstunden feine Erlaubnis für die Veranstaltung irgend welcher Demonstrationszüge gewährt hat, hat sich die Rei tung der deutschen Front" über die Regierungskommission hinweggesetzt und in den frühen Morgenstunden des 15. Ja nuar folgenden Aufruf erlassen:

" An das deutsche Saarvolf!

Am heutigen Dienstag, dem 15, Januar, Punkt 6 1 abends, werden wir einfach und schlicht, in altbewähr wundervoller Disziplin der Welt zeigen, was wir f Wir haben wie immer nur den einen Wunsch, in diszi nierter Wucht unser Bekenntnis abzulegen. Wir wer deshalb wie bisher, nicht in Einzelaktionen, sondern in ballter Kraft eindeutig für unseren Kampf zeugen. finden uns zusammen zu einem zuchtvollen Ausmarsch allen Gebieten an der Saar  , und zwar in einem Fackel der in aufleuchtender Begeisterung Ausdruck unseres lens ist: Deutsch   ist, deutsch   war und bleibt die Saar  ! Nähere Anweisungen ergehen durch die Organisation. Landesleitung der Deutschen   Front:( gez.) Nietmann,