-

Nr. 8 3. Jahrgang

Fretheil

Einzige unabhängige deutsche   Tageszeitung

Saarbrücken  , Donnerstag, 10. Januar 1935

Chefredakteur: M. Braun

Rom

ein Schlag gegen Hitler

Seite 2

Das Leid der Katholiken

Seite 3

Der Papst gegen die deutschen  

Bischöfe Seite 5

Wie an der Saar   abgestimmt und gezählt wird Seite: 6

Saargebiet im Fieber

Die ,, deutsche Front" gegen die Autorität der Abstimmungsbehörden und der Regierungskommission- ,, Spontane" Demonstrationen- Und die Saarpolizei!

,, Ab 13. Januar!"

Am Montag, dem 14. Januar, in den späten Abendstunden, soll das Ergebnis der Saarabstimmung amtlich befannt gegeben werden.

Die deutsche Front" rüstet sich, unmittelbar nach dem Ende der Stimmenzählung die schon jetzt nur mühsam aufgerich= teten Sicherungen gegen Disziplinbrüche ihrer Anhänger fallen zu lassen. Wie auch das Ergebnis sein möge, die ,, deutsche Front" ist gewillt, es als einen Sieg Hitlerdeutsch­lands zu feiern und es zum Anlaß von Massen- und Straßen­aktionen zu machen.

Schwer empfindet die deutsche Front" den Willen der Abstimmungsfommission, den geheimen Charakter der Ab­stimmung unter allen Umständen zu wahren. Die deutsche Front" wollte ursprünglich jeden ihrer Anhänger mit dem Gruße Heil Hitler  !" an die Urne treten lassen, um so noch im Abstimmungsraum ihren Gesinnungsterror aufzurichten. Da die Abstimmungsfommission jede derartig abgegebene Stimme als ungültig erklären wird, ist auf diese Demonstra­flon verzichtet worden. Führende Nationalsozialisten er wägen nun, die Mitglieder der deutschen Front", nachdem die Stimme in die Urne gelegt ist und nicht mehr ungültig gemacht werden kann, mit dem Gruße Heil Hitler  !" ab­treten zu lassen. Gegen solche Demonstrationen hat die Ab­timmungsfommission in einer Pressefonferenz am Diens­ag die Verhaftung angedroht.

Die aggressive Art, wie hitlerdeutsche Pressevertreter das Recht auf den Hitlergruß im Wahllokal forderten, zeigt aber, daß der Plan zu parteipolttischen Demonstrationen im Abstimmungsraum noch nicht aufgegeben worden ist. Selbstverständlich würden dann die Gegner Hitlerdeutsch­lands für sich das Recht beanspruchen, im Abstimmungs= raum Freiheit" und" Rotfront" zu rufen und mit er: hobener Faust zu grüßen. Die Folgen solchen Aufeinander­prallens der Gegner im Abstimmungsraum lassen sich leicht ausdenfen.

Die Führung der deutschen Front" und ihre Presse läßt feinen Zweifel darüber, daß sie die Stunde für gefommen hält, sich offen gegen die jetzige Regierungsautorität an der Saar   auszulehnen. Sie anerkennt praktisch Regierungsverordnungen, die ihr im Wege stehen, nicht mehr.

Eine Regierungsverordnung hat angeordnet, daß bei der Anfunft von Sonderzügen mit Abstimmungsberechtigten feine Empfangsfeierlichkeiten stattfinden dürfen. Ins­besondere sind geschlossene Umzüge und Abmärsche mit den Abstimmungsberechtigten, Ansprachen, Musik- und Gesangs­darbietungen und dergleichen nicht erlaubt.

Die deutsche Front" hat am Dienstag diese Verordnung mit vollem Erfolg zunichte gemacht. Sie hat viele Tausende Demonstranten zur Begrüßung von abstimmungs­berechtigten Amerikanern vor den Hauptbahnhof komman= diert und dort die Verordnung der Regierungskommission durch entsprechende Kundgebungen offen verhöhnen lassen. Die Polizei schritt zunächst gegen die Demonstranten nicht ein. Als später ein Ueberfallkommando fam, fonnte es fich nicht mehr durchsetzen, wollte es vielleicht auch nicht mehr. Die gleichgeschaltete" Saarbrücker Zeitung  " beschimpft die wenigen Polizeibeamten, die pflichtgemäß gegen die Kund­gebung einzuschreiten versuchten und seiert die alten Polizeibeamten, die schon seit Jahren in Saarbrücken   Dienst tun", weil sie sich korrekt" benommen, das heißt tatenlos zugesehen haben, wie die Regierungsautorität an der Saar  lächerlich gemacht wurde. Und das unmittelbar vor den entscheidenden Tagen des Saarfampjes.

Dieselbe Saarbrüder Zeitung" proklamiert gegenüber den Polizeibeamten, die ihre Pflicht erfüllten und gegen= über der Regierungskommission und ihren Verordnungen Das hört am 13. Januar auf"

Es wird allerhöchste Zeit, daß die Regierungsfommission diese Tatsache der Saarbevölkerung klar macht, denn die ,, deutsche Front" verbreitet systematisch den Eindruck, daß die Nacht zum 15. Januar das Ende der landfremden" Re­gierung an der Saar   bedeute, und sie kann das mit um so größerem Erfolg, als sie ihre Anhänger in den Glauben versetzt, Deutschlands  " Sieg sei sicher, wie auch die Ab­ſtimmung ausfallen möge.

Der Wille, vollzogene Tatsachen zu schaffen und insbeson dere mit den Landesverrätern" blutig abzurechnen, be: steht nach wie vor.

Wer das nicht sieht, kennt die Hinterhältigkeit des National­sozialismus nicht und auch nicht die Kunst, mit der er spon­tane" Ausbrüche der Volksseele zu organisieren versteht. Die Vorgänge am Hauptbahnhof zu Saarbrücken   sollten da eigentlich aufklärend gewirkt haben.

Sie haben noch einmal bewiesen, daß die deutsche   Front" zur gegebenen Zeit über jedes Gesetz der landfremden" Regierung hinweggehen und bei der einheimischen Polizei aus sehr naheliegenden Gründen nicht auf Widerstand stoßen wird.

Nun hat aber der vergangene Sonntag gezeigt, daß nicht nur die deutsche Front", sondern mindestens ebensogut die Volksfront die Straße zu beherrschen versieht. Man kann der Volksfront unmöglich zumuten, bei den aus der Ferne ankommenden Abstimmungsberechtigten den Ein­druck hervorzurufen, als gebe es an der Saar   nur National­fozialisten, als werde im Saargebiet nur mit Heil Hitler" gegrüßt und das Zuhälterlied gesungen.

Wenn die Regierungskommission ihren Verordnungen nicht Geltung zu schaffen versteht, wird man den Massen der Volksfront unmöglich das Recht auf spontane Gegen= demonstrationen verweigern fönnen.

Entweder wird im Saargebiet die Straße wirklich von allen nicht genehmigten Demonstrationen frei gehalten, oder sie steht allen Organisationen für unangemeldete Aufmärsche zur Verfügung. Ohne Rücksicht auf die Folgen, die durch das Zusammentreffen von vielen tausend Demon­stranten politischer Gegner auf engen Räumen entstehen müssen.

Am vergangenen Sonntag hat die Welt gesehen, wie rasch auch die Volksfront viele Zehntausende mobilisieren kann, und diese Männer und diese Jugend werden marschieren, wenn sie aufgerufen werden. Ja, sie werden, davon ind wir überzeugt, ungerufen auf die Straße gehen, wenn nicht die Gewißheit besteht, daß die deutsche Front" gestern zum letzten Male die Möglichkeit hatte, unter der Duldung von Polizeiorganen der Regierungsfommission nicht genehmigte politische Straßendemonstrationen zu veranstalten.

Die Abstimmungsfommission hat am Dienstag in der von etwa 150 Journalisten besuchten Pressekonferenz er= lebt, mit welcher Unverfrorenheit, um nicht zu sagen u verschämtheit, fie von Vertretern und Vertreterinnen der ,, deutschen Front" attadiert wurde.

Schließlich hat der Präsident der Abstimmungskommission in einer unwilligen Bemerkung die Terroristen zurück­gewiesen, und die gesamte fremde Presse hat ihm demon­strativ applaudiert. Mit wachsendem Erstaunen hatten die ausländischen Pressevertreter das Auftreten ihrer deutschen Sollegen" beobachtet.

Und hier handelte es sich um eine internationale Presse­konferenz, die den Vertretern der deutschen Front" natür­

lich größte zurückhaltung auferlegte. Was aber ihre An­fragen und Angriffe, insbesondere Forderung auf den so= genannten deutschen Gruß" im Abstimmungsraum offen­barten,

war der Wille, alles und jedes im Saargebiet, auch die Organe des Bölkerbundes, unter den terroristischen Willen der deutschen Front" zu zwingen.

Das ist doch wohl deutlich genug: man erklärt der Regie­rungskommission, daß sie und ihre Geseze ab 13. Januar" im Saargebiet feine Autorität mehr beanspruchen können. Dabei ändert sich im Saargebiet, die Abstimmung falle ans wie immer, ab 13. Januar" völkerrechtlich zunächst überhaupt nichts. Erst der Völkerbund schafft auf Grund fehlen Hitlerdeutschlands an der Saar   nicht zu fügen. der Saarabstimmung nenes Recht. Er und er allein hat über die völkerrechtliche Auswirkung der Abstimmung am 13, Januar zu entscheiden,

Die Herren der Abstimmungskommission und der fremden Presse mögen sich vorstellen, mit welcher Flegelhaftigkeit diese deutsche Front" gegen eigene Volksgenossen" auftritt, wenn diese tapfer und einsichtig genug sind, sich den Be­

.

Es muß sich nun zeigen, ob die Regierungskommission sofort, und auch ab. 13. Januar" den Willen zur Aufrecht­erhaltung ihrer Autorität, die starke Entschlossenheit ent­

141 Hinrichtungen!

Sechs Scharfrichter in Arbeit

Berlin  , 9. Januar. Die Zahl der Hinrichtungen in Deutschland   hat im zweiten Jahre der nacionaljezias listischen Herrschaft eine feltene Söhe erreicht, Zus sammen mit den amtlich als erschossen gemeldeten Junis rebellen beträgt die Zahl der Exekutierten im vergangenen Jahre 141. Im Jahre 1983 betrug die Zahl der Singerich

teten 59, während sie im Jahre vor der Machtergreifung

durch die Nationalsozialisten lediglich 4 ausmachte. Els im

3abre 1934 zum Tode Berurteilte sind ihrer Exekution

durch Selbstmord" in ihrer Gefängniszelle zuvors gekommen.

Zur Zeit befinden sich noch 32 Personen im Gefängn's, die bereits zum Tode verurteilt worden sind und an denen das Urteil in nächster Zukunft vollstreckt werden wird. Zur Vollstreckung der Todesurteile sind gegenwärtig in Deutschland   sechs Scharfrichter angestellt, je einer in Berlin  , Magdeburg  , Breslau  , Köln  , Königsberg   und in Süddeutschland  .

Schacht geht betteln

Berlin  , 8. Januar.

Das Jahr 1934 hat mit einem Passiv- Saldo des Außen­handels geendet. Trotz aller Drosselungsversuche der Ein­fuhr, trotz des berüchtigten neuen Planes" und trotzdem die werktätigen Massen Deutschlands  , wie Schacht zuge­geben hat, den Riemen enger schnallen müssen, hat das ,, dritte Reich" bei dem katastrophalen Rückgang der Aus­fuhr für etwa 600 Millionen Mark mehr eingeführt als ausgeführt. Die Passivität des Außenhandels bedeutet, auch wenn Schacht zu dem Betrug der Sonderkonten der ausländischen Rotenbanken bei der Reichsbank gegriffen hat, eine weitere Gefährdung des Gold- und Devisen bestandes des Reichs. Um diesen Bestand nicht endgültig zu verschleudern, wird Dr. Schacht im neuen Jahr nichts weiter übrig bleiben, als die Einfuhr noch mehr zu drosseln, da die Ausfuhr nicht forciert werden kann.

Eine neue Einschränkung der Einfuhr würde aber eine Verschärfung der Lebensmittel und insbesondere der Rohstoffnot hierbeiführen. In hiesigen, über die wirt­schaftlichen Verhältnisse gut unterrichteten Kreisen ver tritt man den Standpunkt, daß diese Verschärfung der Krise etwa im April zu erwarten ist. Das Frühjahr würde, so meint man hier, eine neue schwere Erschütterung des wirtschaftlichen Lebens mit sich bringen. Es würde mit der Einschränkung der Lebensmitteleinfuhr eine Lebensmittel verknappung eintreten und die Industrie würde mit der weiteren Drosselung der Rohstoffeinfuhr ihre Produktion einschränken müssen. Dr. Schacht ist sich der katastrophalen Folgen dieser Entwicklung durchaus bewußt. Er ist sich darüber im klaren, daß der einzige Ausweg in Rohstoff­und Lebensmittelkrediten durch das Ausland bestehen würde. Aber Schacht ist sich gleichzeitig auch dessen be­wußt, daß im Auslande kein Vertrauen mehr gegenüber dem dritten Reich" besteht, das die Schuldenzahlungen gänzlich eingestellt hat. Die ausländischen Banken wollen keine Kredite mehr geben, nachdem ihr Geld in Deutsch­ land   eingefroren" ist. Außerdem ist durch den kalten, jüdischen Pogrom in den Kreisen der ausländischen Hoch­finanz eine regelrechte Boykottbewegung gegenüber dem ,, dritten Reich" entstanden.

Aber noch ein anderer Umstand erschwert die Aufnahme der Kreditverhandlungen: die Aufrüstung des britten Reichs". Wie wir hören, soll Schacht bei­spielsweise in England angefragt haben, ob England bereit sei, Deutschland   neue Kredite zur Behebung der drohenden Katastrophe in der Lebensmittel- und Rohstoff­versorgung zu bewilligen. Von London   hat man zu ver­stehen gegeben, daß man zwar grundsätzlich bereit sei, derartige Kredite zu geben, aber vorher müßte man sich über die Rüstungsfragen einig sein. In London   will man nach dem Abkommen von Rom   die Ver­handlungen mit Flandin und Laval   ab warten, um eine Basis für die Abrüstungs­verhandlungen mit Deutschland   zu schaf­fen. Man will anscheinend in London   die Bewilligung der Kredite davon abhängig machen, daß das dritte Reich" sich bereit erklärt, von weiteren Rüstungen Ab­stand zu nehmen. Insbesondere will man Bes bingungen in bezug auf den Flugzeugbau

wickelt, die notwendig ist, wenn allgemein im Saargebiet begriffen werden soll,

daß icht und ab 13. Januar" an der Saar   der Völker: bund regiert und nicht die hitlerdeutsche Terrorgarde. Dem Völkerbund die Grundlage zu verschaffen für die Entscheidung zugunsten eines demokratischen zivilisierten Regimes an der Saar  , das ist die politische Aufgabe aller freien Deutschen   an der Saar  . Wir wollen es, und wir werden es erreichen,