Pentjake

Freihei

Nr. 7 3. Jahrgang

Einzige unabhängige deutsche   Tageszeitung

Saarbrücken  , Mittwoch, 9. Januar 1935

Chefredakteur: M. Braun

Verelendung der Arbeiter

Seite 3

Sehnsucht deutscher Jugend

Seite 5

Die Wandlungen der

Wirtschaftsdiktatur

Seite 6

Der Papst und die Saar  

Seite 7

Dic ,, Säuberungsaktion"

Die verbotene Zeitschrift

Ein Schurkenstreich der Gestapo  ,, Wir Kriegsfreiwilligen von 1914" ein Spitzelstück

Berlin  , den 8. Januar 1985. Einige Zeit lang erschien eine Zeitschrift Wir Rriegsfreiwilligen von 1914". Der Erfolg war ungeheuer. Sie ging von Hand zu Hand und ihre Auflage stieg von Nummer zu Nummer sprunghaft. Auch die aus­ländische Presse wurde aufmerksam und zitierte lange Ab­schnitte aus der verblüffend kritischen Zeitschrift, die in derben oder ironischen Aufsätzen gegen gewisse Auswüchse des Regimes und der nationalsozialistischen Organisationen Stellung nahm, so gegen das Soldatenspielen und die An­maßung der Saalkämpfer" gegen die wirklichen alten Frontfämpfer des Weltkrieges.

Ein Aufsatz des Majors Förtsch vom Reichswehr­ministerium schien darauf hinzudeuten, daß Reichswehr­freise hinter der Zeitschrift ständen oder sie doch wenigstens schützten. So faßte auch die ausländische Presse die sehr auf­fallende Erscheinung in mitten der Feigheit und Langeweile des deutschen   Pressewesens auf.

Plößlich aber wurde die Zeitschrift verboten. War sie in der Kritik zu scharf gewesen? War Dr. Goebbles, der die Zeitschrift eine Reihe von Wochen ruhig geduldet hatte, nervös geworden oder anderer Meinung? Lag bier einer

der Konflikte zwischen den Nationalsozialisten und der Reichswehr   vor?( Konflikte, die übrigens nur zwischen der Reichswehr   und gewissen Formationen und Führern der Nationalsozialisten bestehen, nicht zwischen Hitler   und der Reichswehr  , die mit dem Vorspann für ihre Aufrüstung einstweilen sehr zufrieden ist, solange sie ihn noch braucht). Nein, Gründung, furze Blüte und das Verbot der Zeit­schrift Wir Kreigsireiwilligen von 1914" finden jetzt eine Erklärung, die selbst die vorsichtigsten und mißtrauischsten Kenner des in Deutschland   herrschenden Systeme überrascht. Es handelte sich einfach um ein raffiniertes und höchst er­folgreiches Manöver zur Ermittlung von Kri­tifern am nationalsozialistischen System.

In jeder Nummer der Zeitschrift wurde zu freimütigen Zuschristen aufgefordert. Die Folge war eine Flut von Briefen an die Redaktion. Es liefen mehrere tausend Briefe mit vollen Adressen ein. Da die Zeitschrift mit Bil­ligung der Regierung oder doch unter stillschweigender Fuldung der Machthaber te auszukommen schien und die vielen mit Sorgen und Kritik beladenen Menschen glücklich waren, endlich das Ventil einer öffentlichen Aussprache zu finden, ließen sie sich zu entsprechenden Beiträgen an die Zeitschrift verleiten. Die Versuchung war umso größer, als das Blatt in militärisch- patriotischen Formen geleitet wurde, und so, gerade ehemalige Offiziere der Reserve und überhaupt konservative Kreise glaubten, sich hier ruhig zur Kritif ,, im vaterländischen Geiste" melden zu dürfen.

Das Erwachen aus dem schönen nationalen Traume war furchtbar. Als die Redaktion, das heißt das Reichspropa­

gandaministerium plus Gestapo   mehrere tausend Adressen von Nörglern. Miesmachern, Kritifastern, Gerüchtemachern und ähnlichen Staatsfeinden" zusammen hatten, machten sie den Laden zu und die Welle der Massenverhaftungen ſetzte ein.

Dr. Goebbels   ist genau so verfahren, wie er wiederholt öffentlich angekündigt hat: man hat die Wühlmäuse" aus ibren Löchern herausgelassen, hat sie eine kurze Frist in Sicherheit gewiegt, um dann um so fräftiger und wirksamer zuzuschlagen. Wieviele Wühlmäuse" in die Falle gingen, wird nicht festzustellen sein.

Daß Herr Major Förtsch und seine Kameraden vom Reichswehrministerium sich ahnungslos zu diesem wider­

..Uebergriffe"

Sorgen eines deutschen   Unterrichtsministers

Der thüringische Minister für Volfsbildung, Wächtler, wendet sich in einem Runderlaß gegen Eingriffe in den inneren Schulbetrieb. In der letzten Zeit sei es wiederholt Genehmigung Eingriffe in den inneren Schulbetrieb erlaubt hätten.

lichen Spitzel- und Agent- Provokateur- Werf hergegeben haben, zeigt nur, mit welcher Halunkenkunst die ganze Sache vorbereitet und durchgeführt worden ist. Genialität im Ver­brechertum wird man den Herren, die von der Reichstags= brandstiftung an bis zu diesem einstweilen letzten Gauner­stückchen immer wieder ihre Fantasie erfolgreich spielen ließen, nicht absprechen können.

Man mag aber aus dem schurkischen Raffinement des Systems und seiner Kreaturen erfennen, mit welcher Klug­heit, Vorsicht und Sorgfalt die illegale Arbeit im Reiche ge= leistet werden muß, und wie sehr insbesondere die sozial­demokratischen Funktionäre recht haben, wenn sie ihre Mit­arbeiter nur nach sehr genauer Kenntnis der Personen aus= wählen, um Massenverhaftungen möglichst zu vermeiden. Es ist besser und zweckmäßiger, Heroismus im illegalen Kampfe zu zeigen als hinter Kerfermauern. Auch bei den Massenverhaftungen der letzten Wochen sind nur ganz ver­einzelt tätige illegale Sozialdemokraten hochgegangen". Man sperrte wahllos Leute ein, die von früher her noch aus parteipolitischer oder amtlicher Tätigkeit als Vertrauens­leute der Sozialdemokrate bekannt waren.

Bücherladen als Lockspitzel

Ein bezeichnender Borfall, der auf der gleichen Ebene liegt, wird uns aus einer mestdeutschen Großstadt berichtet. Hier bestand vor der Machtergreifung in der Nähe des Bahnhofs eine Bücherstube", die hauptsächlich links­radikale Literatur vertrieb. Das war natürlich im März 1933 schnell zu Ende. Einige Monate später, als sich der Bücherladen unter neuer Leitung befand, erschienen im Schaufenster plötzlich wieder Werfe verfehmter und ver brannter Autoren. Große Ueberraschung! Interessenten famen, bestellten Bücher und gaben den Verkäufern auf deren Bitten ahnungslos ihre Adresse, wenn angeblich eins der gewünschten Bücher nicht auf Lager" war. Es dauerte nicht lange, und es erschien in der Wohnung statt des Buch handlungsboten die Gestapo  , die bei den Verdächtigen peinliche Haussuchungen vornahm und sofortige Verhaftun= gen anordnete, wenn sie irgend etwas sand.

Später wurde das gleiche in den Vororten der Groß­stadt versucht. Hier stellte man in äußerlich unscheinbaren Buch- und Papierläden plötzlich illegale Literatur aus. Käufer wurden beobachtet und festgenommen.

Das ist das Land und das System, das Deutschland   wieder Ansehen in der Welt verschaffen will!

Die Zeitschrift Widerstand"( Herausgeber Ernst Niefisch) ist bis auf weiteres verboten worden. Nickisch ist völkischer Sozialist und ein politischer Eingänger.

Katholikenverhaftungen Wegen der ,, Deutschen Freiheit"

Aus dem Ruhrgebiet   wird uns geschrieben:

Vor kurzem sind in mehreren Städten des Industrie-, gebietes Mitglieder katholischer Jugend­organisationen verhaftet worden; sie werden be­schuldigt, mit illegalen Sozialdemokraten in Verbindung ge= standen und sich an der Verbreitung der Deutschen Frei­heit" beteiligt zu haben. Einigen der Verhafteten wird vorgeworfen, sie hätten Aufsätze aus der Deutschen Frei­heit" vervielfältigt und in katholischen Kreisen verteilt.

nehmigung der Schulaufsichtsbehörde für alle Klassen und Lehrer verbindliche Schulwanderungstage anordnen. Sollten sich, so erklärt Minister Wächtler, die in der lezten Zeit wahrgenommenen Uebergriffe wiederholen, so werde er mit schärfsten Maßnahmen eingreifen.

vorgekommen, daß sich Barteidienststellen ohne behördlide Goldrausch" verboten!

Der Minister weist mit größtem Nachdruck darauf hin, dan außen kommende Anordnungenbe nicht über die daß es den Schulleitungen auf das strengste untersagt ist, betrieb betreffen, zu befolgen, sie Schulaufsichtsbehörde gehen. Insbesondere sei es unzulässig, wenn politische Amtswalter oder Jungbannführer ohne Ge­

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Goebbels   kann Chaplin nicht leiden...

Die im Jahre 1926 ausgesprochene Zulassung des Chaplin- Films Goldrausch" ist auf Grund einer vom

Reichsminiſter für Volksaufklärung und Propaganda an­geordneten Nachprüfuna van der Kilmoberprüfstelle wider­rufen worden,

Das Abkommen von Rom  

Eine neue Niederlage Hitlers Rom  

, 8. Januar. Ueber den Inhalt der Dokumente, die von Mussolini   und Laval unterzeichnet wurden, wird amtlich folgendes mit­geteilt:

1. Gin amtliches Kommunique über die Ueber­einstimmung der Ansichten der beiden Regierungen in den afrikanischen Fragen und die wichtigsten Probleme der allgemeinen Politif.

2. Ein Protokoll, in dem Italien   und Frankreich  sich verpflichten, im Falle einer neuen Bedrohung der öster­reichischen Unabhängigkeit sich zu konsultieren, allen öster­reichischen Nachbar- oder Nachfolgestaaten zu empfehlen, sich ihrer Initiative anzuschließen und untereinander einen Paft abzuschließen, durch den sie sich verpflichten, gegen­seitig ihre Grenzen zu respektieren und sich nicht in die inneren Angelegenheiten einzumischen.

3. Dret Entwürfe von Kolonialfonventionen, wovon eines das Statut der Italiener in Tunesien   regelt, deren Privilegien nach 1965 aufhören, während die beiden anderen die Gebietsabtretungen festlegen, welche Frankreich   Italien   in Libyen   und im Somaliland  zugesteht.

4. Ein Protokoll, durch das die französische   und italienische Regierung in Auslegung der Erklärung der fünf Großmächte vom 11. Dezember 1932 über die Gleich­berechtigung Deutschlands   so lange gesetzwidrig ist, ls fein Sonderabkommen diesbezüglich zwischen dem Reich und den Großmächten abgeschlossen ist.

Der Wortlaut der Abkommen bleibt vorläufig ge= heim. Mussolini   und Laval haben vereinbart, daß die Abkommen sobald wie möglich den interessierten Ländern zur Prüfung unterbreitet werden.

*

Bisher hatte bekanntlich Jtalien stets eine der deutschen  Aufrüstung gegenüber wohlwollende Politik betrieben. Mussolini   hatte wiederholt teils selbst in seinen Reden, teils durch seine Beauftragten im Lölkerbund das Recht Deutschlands   auf Rüstungsgleichberechtigung, d. h. auf Aufrüstung anerkannt. Mit dieser These stand Mussolini   in schroffstem Gegensatz zu Frankreich  . Es war für die deutsche   Außenpolitik in den früheren Jahren stets eine Erleichterung, daß das Italien   Mussolinis in der Rüstungsfrage die deutschen  Belange unterstützt hatte.

Es mußte erst das Reich Adolf Hitlers  kommen, damit nun auch der italienische Freund, neben Sowjetrußland, dem deut schen Volk den Rücken gekehrt hat. Die Proto­kolle von Rom   zeigen mit aller Deutlichkeit, daß das deutsche   Volk nicht nur innenpolitisch, sondern ganz be­sonders außenpolitisch dafür büßen muß, daß es im Januar 1933 an Hitlers Mission" geglaubt hatte.

Durch das Abkommen in Rom   hat die französische   Diplo matie in den Fragen der allgemeinen europäischen   Politik und speziell in der deutschen   Rüstungsfrage ein Zusammens gehen mit Jtalien erreicht. In dem ersten Protokoll wird ausdrücklich betont, daß beide Regierungen über die wichtigsten Probleme der allgemeinen Politik" in Ueber­einstimmung handeln werden. Das bedeutet, wie wir schon mehrmals an dieser Stelle hervorgehoben haben, daß die französische   Diplomatie in ihrer Politik Deutschland   gegen­über durch Jtalien nicht mehr gehemmt wird. Damit keine Zweifel mehr über die Abkehr der italienischen   Politik vom dritten Reich" bestehen, haben die beiden Staats­männer in Rom   ein Protokoll unterzeichnet, in welchem sie die Aufrüstung Deutschlands ausdrück lich als vertragswidrig bezeichneten.

Damit hat sich Jtalien offen dem französischen   Stand. punkt angeschlossen. Jetzt wird es auch verständlich, warum vor einiger Zeit der Quai d'Orsay die Wilhelm­straße wissen ließ, daß die geplante Reise von Rudolf Hez nach Paris   vorläufig unerwünscht sei. Laval wollte eben vorher auch in der Rüstungsfrage eine Ver­ständigung mit Italien   erreichen, um bei den kommenden Verhandlungen viel entschiedener dem dritten Reich" gegenüber auftreten zu können. Alle Versuche Hitlers  , durch die sogenannten Frontkämpfer, eine direkte Ver ständigung mit Frankreich   zu erreichen, haben schon des wegen zu keinem Ergebnis geführt, weil das dauernde Säbelrasseln im dritten Reich", das Marschieren der Jugend, die fieberhafte Beschäftigung der deutschen  Rüstungsindustrie, insbesondere der chemischen und Flugzeugindustrie, sowie überhaupt die ganze moralische Aufrüstung des deutschen   Volkes unter dem Hitlerregime im französischen   Volk ein so gewaltiges Mißtrauen erregen mußten, daß die plumpen Anbiederungsversuche der Hitlerregierung auf dem Umwege über die Frontkämpfer, des Sektreifenden Herrn von Ribbentrop und Rudolf Seß. nicht den geringsten Eindruck machen konnten. Gerade au