Fretheil

Einzige unabhängige deutsche   Tageszeitung

-

Nr. 10 3. Jahrgang

Saarbrücken  , Samstag, 12. Januar 1935

Chefredakteur: M. Braun

Originaldokument

aus dem Konzentrationslager

Lauenburg  

Seite 7

Sturmtage an der Saar  !

Auflehnung gegen die Autorität des Völkerbundes

Einseitiges Vorgehen der Polizei

Die ,, deutsche Front" auf den blutigen Spuren des März 1933

Höchste Alarmstufe

Im Saargebiet versucht die deutsche   Front" mit allen Mitteln einer riesenhaften aus Reichsmitteln gespeisten Propaganda und mit öffentlich geübtem Terror eine Stims rung zu erzeugen, die der in Deutschland   Anfang März 1983 gleicht.

Hunderte, vielleicht tausende ausgesuchte, als Radaumacher und Schläger gedrillte SS.  - Leute sind illegal in das Saar­gebiet eingerückt. Ihre Gestalten und Visagen sind überall fichtbar, Nur die gutwilligen, gegenüber dem deutschen   Na­tionalsozialismus noch immer ahnungslosen ausländischen Sicherheitsorgane vermögen sie nicht zu erkennen. Seit Tagen veranstalten erfahrene Spezialisten des Putschismus, deren fachmännische Eignung für Umsturz" noch jüngst der Reichsminister Dr. Goebbels   in mehreren Reden gerühmt hat, spontane" Ausbrüche der Volksfeele. Am Hauptbahnhof und an den belebtesten Ecken der Hauptstadt Saarbrücken  bilden sich Demonstrationen und Umzüge. Der stille Be: obachter sieht, wie immer dieselben berufsmäßigen Schreier in Hoch- und Niederrufe ausbrechen, das durch diese Gesellen entweihte Deutschlandlied und den Horst- Weffel- Zuhältersang anstimmen. Junge Burschen und Mädels, die sich beschäfti: gungslos und nengierig auf den Straßen herumtreiben, cilen herzu. Die Hände fliegen zum Hitlergruß hoch, die meisten Passanten fügen sich dem Terror und schreien und fingen mit. Die Geschäftsleute und ihr Verional eilen vor die Ladentüren, um nicht in den Verdacht zu kommen, sie seien dentschfeindlich". Der Zug, pardon SA. marschiert" unter Siegheil auf Hitler   und den 13. Januar und mit Niederrufe auf die politischen Gegner. Man Braun vor allem, nnd Radaulustige schließen sich zu hunderten und tausenden an.

,, Die Straße frei...."

Aber Demonstrationen find doch verboten? So meinen ahnungslose Gemüter ans irgendwelchen Rechtsstaaten mit starter Regierungsautorität.

Ah, schon zeigen sich die brannen Uniformen unseres prächtigen und pflichttreuen jaarländischen Landjägerkorps. Soch zu Roß trabt es heran und wird der Verordnung der Regierungsfommiffion Geltung verfchaffen, Sticht nun die Menge vor Rok und Reiter auseinander? Werden die Straße und die Bürgersteige gefäubert werden für den fried­lichen Verkehr? Was geschicht?

Die Begeisterung und die Gefänge verdoppeln sich. Die Demonstranten jubeln ihrer Polizei zu, und diese nimmt hoch zu Roßz die Huldigung mit strahlenden Gesichtern ent­gegen. Nicht, als ob wir den braven Beamten Unrecht tun wollten. Sie sorgen für Ordnung. Korrekt, wie sie es auf­faffen, reiten sie neben den Demonstranten her, damit keinem was geschieht und nicht etwa durch Gegenfundgebungen ge= stört werde. Auch wird so verhütet, daß jemand unter ein Auto gerät. So spielt sich denn alles unter polizeilicher Be­wachung tadellos ab. Nur daß eben die Demonstrationen ver boten find. Aber wer kann alle Gesetze immer im Gedächtnis

hoben?

Wie einst im März

Sieht die Regierungsfommiffion nicht, was hier vorgeht? Sat sie keine Berater, die sie über die Methoden des dent­Ichen Nationalsozialismus aufklären können? Weiß niemand in dieser hohen internationalen Behörde, wie im Reiche die

..Machtergreifung" und die sogenannte Revolution" vor: bereitet, wie die letzten Wahlen zum Deutschen Reichstag im März 1933 gemacht worden sind?

fich dem Unvermeidlichen. Die Truppen Bleiben in ihren Die Verhandlungen mit den

Kasernen. Noch zwei Tage, und auf allen Straßen wehen unsere Siegesfahnen. Wehe dem, der nicht mit uns ist! Das und das allein ist der Zweck dieser öffentlich und unter vollem Versagen der Erefutive angepeitschten Stim: mungswoge!

Die Terroroffensive

Dazu kommt eine Terroroffensive gegen die Voltsfront and die oppofitionellen Katholiken, Ebenfalls genau nach der Art des Februar und des März 1933. Die Werbearbeit der Freunde des Status quo soll mit Gewalt lahmgelegt werden. Die Ausstellung der durch eine Anordnung der Regierungs: fommission zugelassenen Plakattafeln wird an vielen Stellen entweder durch Schikanen lokaler Behörden oder durch gewalttätige Drohungen verhindert. Wo sie dennoch erfolgt, find die Tafeln der Vernichtung durch Terrortolonnen aus: gelegt. Man reißt die Plakattafeln nieder. Es ist vorgefom men, daß Laftwagen der dentisen Front" von Ort zu Ort fuhren, die Balfen der Plakattafeln durchlägten und mit dem Werbematerial davonfuhren. Wir kennen Dörfer, in denen die Anhänger der Volksfront oder oppositionelle Katholiken, die sich öffentlich bekennen, nach Eintritt der Dunkelheit ihre Wohnung nicht mehr verlassen können. Nicht als ob die Mehrheit der Bevölkerung diese tapkeren und un­eigennützigen Kämpfer ablehnte. Aber in jedem Orte ist eine einheimische oder fremde Schlägertruppe mobil, Gruppen unserer Flugblatts und Zeitungsverteiler müssen unter Sicherungen, wie Truppen in feindlichem Land, in die Dörfer und kleinen Städte einrücken. Es ist in zahlreichen Orten nicht möglich, das Aufflärungsmaterial an die Ab­stimmungsberechtigten heranzubringen. Haben Verteiler der Volksfront in einem Sause Flugschriften und Zeitungen abgegeben, so betritt gleich darauf ein Trupp.SA. und SS. das Haus, um die Bewohner zur Auslieferung der Druck: fachen aufzufordern, und man fügt sich, weil man die Ter

Saarbeamten gescheiter!!

In Wiesbaden   wurden zwischen den Vertretern der faarländischen Beamtenschaft mit Minister Koßmann an der Spizze Verhandlungen mit Vertretern der Reichs: regierung geführt. 3wed der Verhandlung war, eine Einis gung über die Reglung der Rechte der saarländischen Be amten im Falle der Rückgliederung herbeizuführen. Sur arößten Ueberraschung der Vertreter der saarländischen Beamtenschaft haben die Vertreter der Reichsregierung die Forderungen der saarländischen Beamten nicht afzeptiert und die Verhandlungen sind somit ergebnislos abgebrochen worden.

Die Beamten des Saargebiets haben die größten Ers wartungen auf die Rückgliederung nach Deutschland   gesezt. Man mußle annehmen, daß die Reichsregierung gerne, wenigstens vorübergehend, ihnen Vorteile angeschanzt hätte, um ihre Stimmen zu fanfen. Die trostlose Finanzlage des Reichs und die Furcht vor einer Rebellion der benach= teiligten reichsdeutschen Beamten mache das unmöglich, So mußte sie kurz vor Toresschluß die Saarbeamten ent tänschen.

Es fommt nun darauf an, jeder Beamtenfamilie das Er. gebnis von Wiesbaden   zu sagen: Wer für die Rüda gliederung stimmt, beraubt sich aller Rechte, unterwirst sich einem hochbezahlten Parteiflüngel und Ges haltstürzungen sind ihm sicher.

roriften und ihre mächtige Regierung in Berlin   fürchtet. Warum Status quo?

Die Regierungsfommission in Saarbrücken  ? Wir untersuchen hier nicht und flagen sie nicht an, aber die Tatsache besteht, daß sich die Bevölkerung durch die Regie: rungsfommission und deren Polizeiorgane nicht geschütt fühlt. Wenn Beauftragte der Regie rungsfommiffion anf dem Lande sich umhören, werden fie zahllose Leute finden, die eine Erhöhung der öffentlichen Sicherheit in der Entwaffnung der Polizei und der Landjäger erbliden würden. Traurig und beschämend für Deutsche  , es sagen zu müssen: bei weitem nicht nur Anhänger der Volksfront fragen sich, warum nichtendlich der öffentliche Sicherheitsdienst in Stadt und Land den fremden Truppen übertragen und die gleichgeschalteten Poli: zeifräfte zurückgezogen werden, die um ihre Stellung und um ihre Zukunft zittern, je näher die Ent­scheidung heranfommt.

Entweder Oder!

Die Volksfront hat gestern der ausländischen Bresse einen Zeitungsverteiler, der am hellen Tage auf offener Straße in Saarbrücken   niedergeschlagen worden ist, vorgestellt. Die Weltpresse sah eines der vielen Opfer des Hitlerdeutschen Nationalsozialismus vor sich, die ganze Bestialität dieser Barbarci. Ein anderer der Mißhandelten hat einstweilen infolge des Nervenschocks unter den Schlägen und Fußtritten die Sprache verloren. Solche Roheitsakte werden sich binnen wenigen Tagen zu hunderten ereignen, wenn nicht endlich eine starke und wirklich unparteiische Erefutive auftritt und

Genan so, wie die Abstimmung im Saargebiet in der Presse sich durchsetzt. und auf den Straßen betrieben wird. Durch Massenaufzüge und Maßsenterror einer einzigen Richtung soll die Psychose hervorgerufen werden, daß es zu Ende" und jeder Wider:

ftand nuklos ist:

" Die Straße frei den brannen Bataillonen..." Seht doch, Bürger und Arbeiter: alles ist für uns! Die Polizei mar: schiert mit. Sie geht nur noch neaen enmmune. vor! Hütet euch, noch gegen uns aufzutreten oder gar gegen uns zu stimmen. Morgen sind wir die alleinigen Herren und üben die Rache, die Ihr von drüben her genügend kennt. Das dritte Reich" ist da. Auch im Saargebiet! Die Abstim: mung ist ja nur eine Farce. Die Regierungsfommission fügt

Die Volksfront hat gestern aller Welt sagen lassen, daß sie sich an die Verordnung der Regierungskommission, die öffentliche Umzüge und den feierlichen Empfang der aus der Fremde kommenden Abstimmungsberechtigten verbietet, nicht mehr gebunden fühlt, wenn gegen die Straßen= fundgebungen der deutschen Front" nicht eingeschritten wird. Zugleich müssen die Mitglieder der Volksfront zur Notwehr gegen die Terroristen über: nehen, wenn die Polizei nicht für ausreichenden Schutz forgen fann, ( Fortsetzuna fiehe nächste Sette!)

Weil die Saar   deutsch   bleiben soll!

Weil Recht und Wahrheit, Anstand und Ehre von der sich deutsch  " nennenden, in Wahrheit asiatischen Dik­tatur, täglich verleugnet und mit Füßen getreten werden, wie alle Welt weiß.

Weil wir die Freiheit der Meinungsäuße rung in gefeßlichen Grenzen, das kostbarste Gut eines Volkes und einzige Gewähr gegen Berbonzung und Ver­lumpung des öffentlichen Wesens, wenigstens hier be wahren wollen, zu Nutzen des ganzen Deutschland  .

Weil wir keinen Zuchthaus staat wollen, keine Konzentrationslager, Erichießungen ohne Rechtsverfah ren, noch dazu von bisherigen politischen Freunden" Verfolgung aller Andersdenkenden, Vernichtung der Ge­werkschaften zugunsten eines mittelalterlichen Gefolg­schafts" systems in unsrer ganz anders gearteten Zeit.

Weil wir nicht Steuern zahlen wollen einer Regierung, deren Kasse nur eine einzige große Parteikasse ist, in erster Linie für ihre Anhänger.

Weil wir nicht Stimmvieh sind für einen Reichstag ohne Rechte, dessen Mitglieder gegenüber den herrschenden Diktatoren auch nichts anderes sind, nicht zusammen­kommen, nichts tun, den wachsenden Rotschrei des Volkes nicht hören, noch hören dürfen, dafür aber ein Monats­gehalt von 600,- RM. erhalten!

Weil wir nicht Kanonenfutter sein wollen, das eine verantwortungslose, fieberhaft die Aufrüstung Deutsch  lands betreibende Regierung womöglich morgen in einen neuen Weltkrieg steckt.

Weil wir freie Mäner sind und bleiben wollen und in Frieden mit den Angehörigen andrer Nationen leben Weil wir auch in unsern Frauen mehr sehen als Gebär maschinen für Soldaten oder Brutapparate für eine toge nannte arische" Rasse.

Weil wir unsere Töchter nicht den bekannten Fähe nissen der Hitlerjugend und Arbeitslager aussetzen wollen. weil uns ihre Ehre und Gesundheit heilig sind.

Weil wir in unsre Jungen höhere Jdeale pflanzen wollen als die Lausbubenideale des Indianers auf dem