Frethei

Einzige unabhängige deutsche   Tageszeitung

Nr. 123. Jahrgang

Saarbrücken  , Dienstag, 15. Januar 1935

Chefredakteur: M. Braun

Die unfreie Abstimmung

Seite 2

Terror im Saargebiet

Seite 7

Das Geheimnis des Dr. Schacht

Seite 8

Das Saarvolk hat gewählt

Die Abstimmung verlief korrekt- Die Agitation - Die Agitation der Volksfront durch Terror und Versagen der Exekutive behindert- Mobilmachung der deutschen Front für Dienstag Allgemeine Arbeitsruhe und Straßenkundgebungen

Der Völkerbundsrat hat an die Regierungskom miffion folgendes Telegramm gerichtet:

Am Vorabend der Volksabstimmung wünscht der Rat einen feierlichen Aufruf an die Bevölkerung des Saarge­bietes zu richten. Er bittet sie, durch ihre Ruhe und Würde dem Bewußtsein Ausdruck zu geben, daß sie von der Bedeutung der Stimmabgabe durchdrungen ist, zu der fie berufen ist.

Er rechnet damit, daß sie daraufhin die gleiche Haltung weiter einhält und vertrauensvoll abwartet, bis der Rat in kürzestmöglicher Frist die der Stimmabgabe folgenden Beschlüsse gefaßt hat.

*

gez. A veno I."

Dieses Telegramm wurde so spät befannt gegeben, daß es von den Zeitungen des Saargebietes, ein Blatt ansgenoms men, erst nach der Abstimmung veröffentlicht werden kann. Vielleicht sind die Herren des Völkerbundsrats wirklich der Auffaffung, daß die Abstimmung in Ruhe und Würde statts gefunden habe, weil noch niemand totgeschlagen worden ist und es Ruinen von Arbeiterhäusern im Saargebiet noch nicht gibt. Man scheint in den Kreisen des Völkerbundes und seiner Organe vertrauensvoll abzuwarten". So hat man das auch in den letzten Tagen gehalten.

Mie auch das Ergebnis der Abstimmung fein möge; das eine muß heute schon festgestellt werden, daß sett dem großen Aufmarsch der Volksfront am 6. Jannar   in Saarbrücken  von einer freien Abstimmungsbewegung keine Rede mehr war. An diesem Sonntag erkannte die deutsche Front" und hinter ihr die deutsche Reichsregierung dte volle Größe der Gefahr. Seitdem ist eine Agitation der Boltsfront nur noch in eng begrenztem Maßstab, in vielen Orten überhaupt nicht mehr möglich gewesen.

Von den Behörden des Saargebietes kann nur gesagt wer den, daß fie in diesen Tagen stärksten über das ganze Gebiet fich ausbreitenden Terrors der deutschen Front", wie es in dem obigen Telegramm so schön heißt, vertrauensvoll ab­gewartet" haben.

Die Bertreter der Presse aus fast allen Ländern der Erbe Blut der Märtyrer

waren Zeuge der Vorgänge dieser Tage: die Straße frei für unerlaubte Demonstrationen der deutschen Front", Ber: nichtung des Werbematertals der Volksfront oder die Un: möglichkeit es zu verteilen, Zerstörung fast aller Plakattafeln der Volksfront. Das alles, ohne daß die Polizei durchgriff. Schließlich Angliederung der getarnten SA.- und SS.- Trupa pen als Hilfspolizei an die Erefutive. So wurde bei Massen der Bevölkerung der Eindruck erweckt, daß die Regierungs­kommission nur noch der Form nach amtiere und in Wirk­lichkeit schon die deutsche Front" im Auftrage des dritten Reiches" das Geblet beherrsche.

Trotzdem wird das Ergebnis ganz anders sein, als die ,, deutsche Front" erwartet. Die Voltsfront steht, aber sie muß der Welt erklären, daß ihr in der letzten Woche unmöglich gemacht worden ist, in dem Ringen um die Voltaseele die gewaltige Kraft zu entfalten, die sie am 6. Jannar   öffentlich gezeigt hat. Exekutive und deutsche Front" haben gemeinsam alles getan, um den Rückgliederungsfreunden einen gewal­

tigen Vorsprung in der Agitation zu sichern.

Der Völkerbund hat verstanden, den Abstimmungsakt selbst so geheim und sicher zu gestalten, wie es nur denkbar war. Jedoch haben er und seine Organe vollkommen versagt gegenüber der Forderung, deren Erfüllung erst die Vorbe dingung zu einem wirklich flaren Plebiszit hätte schaffen

müssen: gleiche Agitationsfreiheit für beide kämpfenden Fronten. Das ist bei der politischen Aus­wertung des Wahlergebnisses zu berücksichtigen. Das wird

mit allem Nachdruck auch dem Völkerbund flar zu machen sein.

Nicht nur wir, sondern auch die ganze übrige Welt, die im Saargebiet mit zirfa vierhundert Journalisten vertreten war, hat festgestellt, daß die im Friedensvertrag von Vers sailles und in den Beschlüssen des Bölferbundsrates als unerläßlich bezeichneten Bedingungen der Abstimmung auch nicht annähernd erfüllt waren. Es war weder eine freie, noch eine unbeeinflußte noch eine restlos geheime Abstim mung.

Wer regiert im Saargebict?

Im Völkerbundslande am Tage der Volksabstimmung

,, Ruhe"

Das äußere Bild des großen Abstimmungstages im Saar­gebiet war ruhig. Allerdings waren auch für diesen Tag feinerlei Sensationen zu erwarten. Beide Fronten kongen­trierten ihre Kräfte auf die Durchführung des Wahlaftes. Ein Interesse an der Störung von Wahlhandlungen hat die deutsche   Front" nicht. Ihre Pläne liegen hinter diesem Tage.

Saarbrücken   in Schlamm

in vielen Straßen Saarbrückens   dürftig. Die Stimmung war so fühl wie das naßfalte Wetter. Ungeheuer war das organisatorische Aufgebot der deutschen Front", die an ihren reichen Finanzmitteln nicht sparte. Ueberall, in Stadt und Land, sah man die ungezählten Autos ihres Motor­dienstes. Zwischendurch gab es viele Sanitätswagen und Personenautos mit dem Roten Kreuz. Man schaffte auch Schwerkranke, vorausgesetzt, daß sie sichere Gegner des Sta­tus quo sind, in die Wahllokale. Troz dem Verbot der Re­gierungskommission, deren Autorität schon seit Tagen durch die eigene Schuld der Behörde selbst von der deutschen Front" kaum mehr als vorhanden betrachtet wird, wurden massenhaft Druckschriften der deutschen Front" verteilt. Auch eine Sonderausgabe der Saarbrücker Zeitung  " mit den tollsten Lügenmeldungen über die Volksfront hing an zahlreichen Stellen in Stadt und Land, ungehindert aus.

Die Straßen Saarbrückens   boten sich den Zehntausenden Abstimmungsberechtigten aus dem Reiche und vielen Län dern aus aller Welt in einem entsetzlichen Zustande. Es hatte einen Tag und eine halbe Nacht in einem für dieses Gebiet seltenen Ausmaße geschneit. Tauwetter und die ge­waltigen Menschenmassen, die auf und ab wogten, verwan­delten Straßen und Bürgersteige in einen Morast. Meter- Vom frühen Morgen bis zum späten Abend schrie der deutsche weit spritte der Schlamm von den zahllosen Autos in die Menge. Die von ein unfähigen Oberbürgermeister gelei­tete Stadtverwaltun hatte nicht einmal die Straße vor dem Hauptbahnhof und den belebtesten Geschäftsteil Saar­brückens, die Bahnhofstraße, von den Schneemassen befreien

können.

Girlanden

-

Gebete

-

Schwindel

Rundfunk seine Schwindelnachrichten durch die Lautsprecher. So gab er am Vormittag als Einlage zwischen frommen Gesängen, Gebeten und Predigten unverfroren die Mel dung durch, der Volksstimmen- Verlag, zu dem auch die Dei." He Freiheit" gehört, befinde sich bereits auf der Flucht, Möbelwagen hielten vor dem Gebäude und die Ma­schinen seien schon abmontiert. Kein Wort davon ist wahr. Die Saar- Volksstimme" und die Deutsche Freiheit" er= scheinen auch heute in ihrem Verlagsgebäude und werden

Der Girlandenschmuck und das Feraussteden von Teeren Bahnenstangen als Proteit gegen das laagenverbot blieben auf ihren Rotationsmaidhien gedrudt, Den Giniel erreichte

Namentliche Liste

der im Jahre 1934 hingerichteten Antifaschisten Name

Bieser, Arbeiter. Lindau  , Arbeiter Retslag, Arbeiter Kaptur, Arbeiter

Tag der Hinrichtung

Parteis zugehörigkeit

SPD  .

17. 1. 1934

KPD  .

12. 1.1934

KPD  .

2. 3. 1984

KPD  .

2. 3. 1984

Fick, Arbeiter

SPD  .

8. 8. 1984

Siedelmann, Arbeiter

parteilos

20. 8. 1934

Lange, Arbeiter Lufat, Arbeiter

parteilos

20. 8. 1984

KPD  .

27. 8.1934

Schmidt, Arbeiter

KPD  .

27. 8.1934

Suppers, Arbeiter

KPD  .

27. 8. 1934

Dettmer, Arbeiter

KPD  .

19. 5. 1984

Fischer, Arbeiter Schmidt, Arbeiter

KPD  .

19. 5. 1934

AVD.

19. 5. 1934

Wehrenberg, Arbeiter

APD.

19. 5.1934

Nochow, Arbeiter

APD.

14. 6.1984

Weithe, Arbeiter

KPD  .

14. 6.1934

Süttig, Arbeiter Minnich, Arbeiter Rapier, Arbeiter Bolt, Arbeiter

APD.

14. 6. 1934

parteilos

26. 7. 1934

APD.

10. 9, 1934

KPD  .

10. 9, 1934

Schidzif, Arbeiter

KPD  .

14. 9. 1934

Meißner, Jungarbeiter

fatholisch

18. 9. 1934

Jasper, Arbeiter

KPD  .

29. 9. 1994

Ottmar, Arbeiter

KVD.

15.10. 1934

Reitinger, Jungarbeiter

KPD  .

10. 11. 1984

die Verleumdungswut der deutschen Front" durch folgen­des Flugblatt:

Die Einheit8front anfgelöst! Mar Brann, Frizz Pfordt, Johannes Hoffs mann geflüchtet."

Genossen, was wir erwartet haben ist eingetreten Die Volksverhezer find in letzter Stunde geflüchtet und haben uns im Stich gelassen.

Der Oberhalunke Mar Brann ist bereits ges stern abend in Nancy   eingetroffen, Frit Pfordi hat gestern nachmittag, den Straßburger Schnellzug benutt und wird in Sicherheit fein. Johannes Hoffmann  hat um 4 Uhr nachmittaga am Saarbrüder Hauptbahnhof eine erfarte 2. Klasse nach Basel   gelöst und ist seither verschwunden.

Fritz Pfordt soll sich gegenüber einem Mitglied der Freiheitsfront" geäußert haben, daß er bis zum letzten Augenblid gekämpft habe, aber nun einsehe, daß doch alles zwedlos sei und er die Schlacht verloren gebe.

Nachdem diese sauberen Herrn das sinkende Schiff verz Tassen haben, erklären wir hiermit die Freiheitss front für aufgelöst.

Unseren Mitgliedern empfehlen wir: Enthaltet Euch der Stimme oder Stimmt für Deutsch  : land! Für die Sozialdemokratische Partei  : Paul Vaders, Güdingen  . Für die Kommunistische Partei  : Hey, Dudweiler  ,

Für den Chriftl- Soz, Volksbund: Dr. Tünnes, Labach, Kr. Saarlouis.

Kein Wort des Flugblattes ist wahr. Die Unterschriften sind gefälscht. May Braun und Frizz Pfordt setzten sich in ein offenes Auto und zeigten sich in vielen Ortschaften des Saargebietes dem Volfe, um so den Schwin del der deutschen Front" öffentlich aufzuzeigen.

Braune Hilfspolizei des Verbundes Eine Fahrt durch das Saargebiet zeigte, daß fast überall Polizei und Ordnungsdienst der deutschen Front" gemein­sam Dienſt taten, insbesondere den Verkehr regelten. In­folgedessen ist der Eindruck in der Bevölkerung: Der Völ­ferbund hat durch sein Organ, die Regierungsfommission, vor dem Nationalsozialismus kapituliert." Die Bevölke rung sieht in dem Ordnungsdienst eine Art Göringsche Hilfspolizei, wie wir sie aus dem Februar und März 1933 fennen. Der Zerror ist im Saaraebiet foaufaaen legalisiert.