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Es folgte eine ruhige herbstlich schöne Mondnacht, und früh schon lachte am Festtage die Sonne durch die langsam sich senkenden Nebelgestalten.

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stand ein bildhübsches, schlankes Mädchen und hing einige Wäsche In dem geräumigen Hofe des düstern Kreisgerichtsgebäudes auf die ausgespannte Leine, blickte zum Himmel und erwartete sehnsüchtig die hervorbrechenden Sonnenstrahlen, welche die Wäsche trocknen sollten. Man bemerkte unter derselben ein weißes Tüll­kleid, welches jedenfalls auf dem Turnerball, der des Abends in den Räumen des Schüßenhauses stattfand, glänzen sollte.

Das Mädchen bot einen allerliebsten Anblick dar, wie es so dastand und mit den dunkelblauen Augen zum weißbläulichen Himmel blickte; gegen die dunkelblauen Augen stach das schwarz braune Haar so eigenthümlich ab, so fremd und doch so anziehend, daß man es dem jungen Manne, der unter das Eingangsthor getreten war, wohl nicht verübeln konnte, wenn er wie gebannt stehen blieb und seine Blicke mit ganzer Gluth auf der schönen Erscheinung ruhen ließ.

Doch bald wurde er bemerkt. Näher tretend bot er Gruß und Rechte dar, die auch mit lieblicher Verbeugung angenommen

wurden.

Ich mochte nicht eher zum Begrüßungsempfange der fremden Turner zum Schüßenhause gehen, bis ich dir guten Morgen" gewünscht, sagte der junge Mann, und freue mich, daß ich gerade dazu komme, um die Vorbereitungen zum heutigen Balle zu sehen. Wie werde ich mich aber erst freuen, wenn du, die Schönste der Schönen, heute in dem großen Saale des Schüßen hauses, der unsereins sonst nicht offen steht, glänzest und aller Augen, auch die der vornehmen Leute, die sämmtlich erscheinen wollen, auf dich ziehest und doch setzte er in einer Anwand­und doch setzte er in einer Anwand­lung von Trauer hinzu, wirst du nicht durch den Glanz dort geblendet werden, wirst du deinem Bräutigam, dem armen Tischlergesellen treu bleiben?

Die schöne Tochter des Gefangenwärters drückte dem jungen Burschen, der eine stattliche Figur, ein frisches Gesicht und ein gutes Herz hatte, innig die Hand und flüsterte: Da kommt die Mutter, du weißt, daß sie etwas höher hinauf will und unser Verhältniß nicht gern sieht, doch sei ohne Sorge, ich bleibe dir gut.

Der junge Tischler grüßte die Frau Gefangenwärterin ehr­erbietig und lud dieselbe zu dem Turnfeste ein, indem er für sie und ihre Tochter Billetts überreichte. Mit gelassenem Gruße nahm die Frau die Billetts an der junge Wann empfahl sich und eilte, da mittlerweile die Glocke des nahen Kirchthurms zehn mal mit dumpfem Klang die Zeit verkündete, dem Schützenhause zu, welches am anderen Ende des Städtchens lag.

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Von Ilmenau  , von Meiningen  , von Themar  , von Hildburg­ hausen  , von Eisfeld  , von Römhild   und gar von Koburg   waren gegen hundert Gäste eingetroffen, frische muntre Burschen im Turngewand mit Bändern geschmückt. Die einzelnen Turnvereine hatten ihre Fahnen mitgesandt, schöne seidene goldgestickte, meist von den Frauen des betreffenden Ortes den Vereinen geschenkte, welche den Zug, der des Nachmittags stattfand, verherrlichten.

Die Begrüßung von Menschen, die sich niemals vordem ge­sehen, wenn sie wissen, daß sie ein gleiches spezielles Ziel an­streben, ist immer überaus herzlich bezeichnerd aber ist es, daß das gemeinsame Ziel aller Menschen, recht glücklich zu werden, gerade das Gegentheil, eine überaus schlechte Begrüßung der Ringenden, erzeugt. Bei dem speziellen Ziel sind die Wege dieselben, sie laufen mindestens parallel, bei dem gemeinsamen Ziel sind sie sich zuwiderlaufend und das fortwährende Anprallen, das Niedergeworfenwerden bei solchem Rennen zum Ziele erzeugt Haß, Konkurrenzneid über den, der sich zuerst aufrafft, Schaden freude, wenn er wieder niederpurzelt.

Die Jugend, welche an dem frischen Herbstsonntagsmorgen zusammen gekommen war, dachte allerdings noch nicht an der artige Philosophastereien", sondern ihres speziellen gleichen Zieles bewußt, fühlte sie sich gegenseitig angezogen und begeisterte Be­grüßungen und Freundschaftsbezeugungen dokumentirten solche Stimmung.

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Um 2 Uhr Nachmittags bewegte sich der stattliche Festzug durch die Straßen. Dem liebenswürdigen Bürgermeister, der das Fest in mancherlei Weise unterstützt hatte, wurde vor der Bürgermeisterei das übliche Hoch gebracht, auf welches er mit furzen, herzlichen Worten dankte; dann bewegte sich der Festzug Seele der Turnbewegung in dem Städtchen S. anzusehen war, zum Marktplaze, wo die Festrede gehalten werden sollte. Der junge fremde Handwerksgeselle, der als die eigentliche hatte dieselbe übernommen. Noch niemals war derselbe öffentlich aufgetreten; als der Zug sich dem Marktplatz näherte und der Festredner, der auch zugleich Führer des Zuges war, die große Menschenmasse aus der Stadt und der Umgegend auf dem Markt­plaze versammelt sah, da pochte ihm das Herz hörbar laut und schon wollte er die Ordre geben, daß der Zug über den Markt­bem mehr eingeschlossenen Turnplatz die Rede gehalten werden platz direkt zum Schüßenhause marschiren solle, wo dann auf follte, als die Musik schon einschwenkte und die nachrückenden Turner nach und nach einen Kreis um den in der Mitte des Marktplages gelegenen Stadtbrunnen bildeten. Es war zu spät.

Unser Freund hatte seine Rede wohl studirt, es klang darin würde und besonders hatte er sich vorgenommen, der sogenannten von Manneskraft und Vaterland, von Freiheit und Menschen­besseren Gesellschaft ihre Exklusivität vorzuwerfen und sie auf­zufordern, thatkräftig einzutreten für die Ideen der Jugend. danken in alle vier Windrichtungen verflogen, und irrenden Auges Angesichts der Menschenmenge waren all' die schönen Ge­suchte der junge Mann, der einige Stufen des Marktbrunnens emporgestiegen war, sie wieder zu haschen. Doch hierzu war keine Zeit vorhanden.

Mit zaghafter Stimme, Worte suchend, stammelnd hub er Seine Freunde ermunterten ihn durch Zustim­seine Rede an. mung, doch immer wirrer wurden die geäußerten Sätze. Da fiel der Blick des Redners, der schon sein Fiasko vor Augen sah und um Entschuldigung für seine Kühnheit bitten wollte, auf eine große Gruppe von älteren Gymnasiasten, Commis, Beamten, die zusammen lispelten und flüsterten und höhnisch ihre Lorgnetten auf den frechen Handwerksburschen richteten.

des Redners purpurroth, die Stimme wurde laut, die passenden Das half. Es färbte sich das vor Zaghaftigkeit blasse Gesicht Worte fanden sich und mit natürlichem Pathos klang es hinaus und Vaterland, von Freiheit und Menschenwürde, und der Schluß der ganzen Volksmasse verständlich, es flang von Manneskraft der Rede wandte sich gegen diejenigen, welche der jugendlichen Volksbewegung Unverstand und Hochmuth entgegenzuseßen wagten.

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lauscht die Gruppe der Commis, Gymnasiasten und Beamten Andächtig hatte die große Menge den glühenden Worten ge­hatte die Augen gesenkt, donnernde Bravos erklangen und ein Hoch auf Freiheit und Vaterland brauste durch die Lüfte.

es

Was der Redner gesprochen, das wußte er selbst nicht mußte ihm später erst von seinen Kameraden mitgetheilt werden; doch fand die Rede die ungetheilteste Anerkennung.

Das

Unter den Klängen:" Was ist des deutschen Vaterland" marschirte der Zug, dem sich die große Volksmenge anschloß, nach dem Schüßenhause, hinter welchem der Turnplay lag. ganze Bolt sang das allerdings etwas sentimentale Lied von Moritz Arndt   mit. Bedenkt man aber, daß dieses in einer preußischen Enklave geschah, so wird man sich nicht wundern, wenn dieserhalb von der erfurter Regierung Recherchen später angestellt wurden.

Das Schauturnen, welches nach dem Festzuge begann, war allerdings sehr primitiver Natur. Nur ein eisfelder Turner, der in Milwaukee längere Zeit geturnt hatte, und der eben erwähnte Festredner leisteten im Kürturnen Leidliches. Doch wurden die betreffenden Uebungen mit großer Bewunderung und bedeutendem Beifall aufgenommen, da das anwesende Publikum durchaus nicht verwöhnt war und in den betreffenden Leistungen schon etwas ganz Außergewöhnliches erblickte. Die Schullehrer und andere Notabilitäten" sahen allerdings an den Freiübungen und dem Riegenturnen, daß auch eine gewisse Schule" nicht ge­mangelt hatte, und so war das gesammte Publikum völlig zufriedengestellt.

Nach dem Schauturnen fand eine Berathung der Turner statt, in welcher über die Verbindung der naheliegenden Vereine zu einem Gauverband berathen wurde.

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