Die tene Boll
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
rscheint wöchentlich.
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1877.
In Heften à 30 Pfennig.
Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
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Per Erbonnel
Der Erbonkel.
Novelle von Ernst von Waldow.
„ Trudchen Trudchen, komm geschwind ich fürchte daß ich sehr krank bin krank bis zum Tode!" so rief der Hofrath von Bartels, ein verschüchtertes, zaundürres Männchen, indem er sich, stoßweise und mühsam Athem schöpfend, in einen großen Lehnstuhl gleiten ließ.
Die halbgeöffnete Thür, welche in das nebenan gelegene Wohnzimmer führte, wurde in diesem Augenblick etwas unsanft völlig aufgestoßen, eine hochgewachsene Frau erschien auf der Schwelle, und eine stahlharte Stimme jagte:
" Ich fürchte, mein lieber Sebaldus, daß du diesmal allen Ernstes den Verstand verloren hast, du würdest wohl sonst nicht die Unschicklichkeit begangen haben, so sans façon in einen Salon hereinzustürzen und deine Gemahlin mit einem so vulgären Namen zu rufen!"
Wenn die Dame erwartete, eine demüthige Abbitt für solche, eben gerügte, unverantwortliche Kühnheit zu vernehmen, dann wurde sie sehr enttäuscht, denn ihr sonst so unterwürfiger Gatte, von dem sie selbst in besonders guter Laune zu behaupten pflegte: daß er gut gezogen sei- verdiente dieses Lob heut ganz und gar nicht. Ein tiefer Seufzer war die einzige Mutwort auf die fleine Strafpredigt der gefürchteten Herrin des Hauses, dabei schilttelte Herr Sebastian von Bartels in des Wortes eigenster Bedeutung den Staub von seinen Stiefeln auf den hellgrauen Grund eines rosendurchwirkten Teppichs.
" Sebaldus!" rief die stahlharte Stimme noch drohender was soll denn das alles bedeuten, weißt du denn wirklich nicht mehr, wo du dich befindest und wie unpassend du dich benimmst?" Ach Trudchen das ist ja jetzt alles egal!"
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Die etwas hochblonde, noch recht gut conservirte Dame näherte sich nun schnell dem, immer noch wie geistesabwesend vor sich hinstarrenden Gatten.
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Ihre Vorwürfe waren verstimmt, und sie ließ es sogar ohne Rüge geschehen, daß der kleine Herr Hofrath seinen rechten Fuß sammt dem immer noch bestaubten Stiefel gegen das geschnitzte Postament des Sophatisches stemmte ihr war klar geworden, daß nur irgend ein furchtbares, unvorhergesehenes Ereigniß eine so gänzlich vernichtende Wirkung auf das sanfte Gemüth des lenksamen Mannes hatte hervorbringen können, deshalb ließ sie sich jetzt auch ohne weiteres auf dem hochgepolsterten, rothen Sopha nieder und fragte in möglichst mildem Tone:
Willst du mir nicht sagen, warum du heut noch vor Ablauf
deiner Bureaustunde zurückgekehrt bist und warum nun doch alles egal ist?"
Er seufzte wieder.
" Ach der Herzog-"
" Seine Durchlaucht der Herr Herzog"- fiel sie ihm streng in's Wort.
" Nun ja, meinetwegen also Seine Durchlaucht der Herr Herzog haben allergnädigst geruht, mich in Ruhestand zu versetzen."
„ Unmöglich-es muß ein Frrthum obwalten."
" Leider nein, es ist nichts als eine höllische Intrigue des neuen Ministers."
" Und sagte dies der Herzog selbst.?"-
" Freilich, Seine Durchlaucht hatten die Gnade, mir für langjährige treue Dienste zu danken und mich in Berücksichtigung meiner Kränklichkeit ich habe mich nie wohler befunden!- in den wohlverdienten Ruhestand zu verfeßen."
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Jetzt war das Fürchterliche geschehen, die schlimme Nachricht der in wortlosem Jammer die Hände ringenden Lebensgefährtin mitgetheilt. Der kleine Hofrath athmete erleichterte auf; bald jedoch bebte er, einem erschrockenen Lamme gleich zusammen, denn Frau Edeltrud hatte die Sprache wieder erhalten und der Redestrom fluthete wie das Wasser aus einer aufgezogenen Schleuse mit wilder Gewalt dahin.
Er ließ alles geduldig über sich ergehen, und nur als die Erzürnte ihren Sermon mit den Worten schloß:
D, ich bedauernswerthe Frau- das sind die Früchte dieser unseligen Heirath!" da sprach er tonlos nach:" Dieser unseligen Heirath!" Sie blickte erstaunt nach ihm hin und sagte strafend:
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Nun du hast es wohl noch nicht zu bereuen gehabt, daß dir das Freifräulein Edeltrud v. Reckenstein ihre Hand gereicht hat, eine Gunst, der bald von Seite des Herrn Herzogs eine zweite hinzugefügt ward in Gestalt der Adels- Verleihung."
Der Hofrath seufzte:" Was nützt mich der Mantel, wenn er nicht gerollt ist," meinte er dann achselzuckend, erschrak aber, sobald diese vulgäre Redensart seinen Lippen entschlüpft war und senkte den Blid, in Erwartung einer neuen ernsten Rüge. Diese blieb indessen zu seiner Verwunderung aus.
Die Dame erhob sich, glättete die lilaen Seidenschleifen an ihrem weißen Brignoir und sagte feierlich:
TIT