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Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
Erscheint wöchentlich. Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig.- In Heften à 30 Pfennig.
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Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
1877.
Der Erbonkel.
Novelle von Ernst von Waldow.
( Fortsetzung.)
Am andern Morgen durchflog die Kunde das Städtchen| sanft.„ Es thut mir recht leid, daß Sie sich des Onkels KrankDohlenwinkel: Herr Jakob Bartels, der Erbonkel, ist erkrankt und muß das Bett hüten!
Schwester Emmerenzia hatte es von Frau Gertrud, der häß lichen Haushälterin, Martha von dem Wallfisch- Wirth, Adelgunde von Hans, dem verliebten Ladendiener, gehört. Die Schreinerfamilie und die adligen Bartels wurden nun sofort alarmirt nur der Bruder Eusebius war gänzlich vergessen worden.
Der Wallfisch hatte richtig prophezeit und mur in einem sich geirrt: Dame Edeltrud nämlich war schneller gewesen als die " Schreinerleut", und auf die Nachricht, daß der„ theure Schwager" schwer erkrankt sei, hatte sie sich, zur Freude des gefühlvollen Hans, mit ihrer Lieblingstochter Adelgunde höchstselbst zu dem Erbonkel begeben.
Herr Jakob saß in einer weißen, baumwollenen, gestrickten Zipfelmütze und angethan mit einem feineswegs sauberen Nachtfamisol in seinem Bette aufrecht, das eine braune, geblümte Kattundecke verhüllte. Er beantwortete mit kläglicher Stimme die theilnehmenden Fragen der Frau Hofräthin, während seine Aeuglein tückisch leuchteten und den zahnlosen Mund ein freundliches Grinsen verzog.
Nachdem die arme Adelgunde durch die schon so vielfach wiederholte Frage des Erbonkels, ob Theobald nicht bald kommen werde, in große Verlegenheit gebracht worden, ließ der Leidende nicht undeutlich merken, daß er mit der verehrten Schwägerin noch einige ernste Sachen zu besprechen habe, welche man am liebsten ohne Zeugen verhandle.
Adelgunde erhob sich schnell, und da die Mama sich plötzlich erinnerte, daß noch Einkäufe unten im Laden zu machen seien, begab sie sich hinab.
Hans saß auf einer halboffenen Häringstonne und trocknete sich eben mit dem Zipfel seines hellgrünen Foulardshawls, den er als Kravatte um den langen Hals wie einen Strick geknüpft trug, eine Thräne' ab, die langsam über die bartlose Wange
rollte.
Adelgunde trat theilnehmend näher; bei ihrem Anblick ging ein Leuchten über sein unschönes Gesicht. „ Ach, Sie sind es, theures Fräulein! Mit was kann ich
denn dienen?"
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heit so zu Herzen nehmen. Sie haben ihn wohl recht lieb?"
" Ja, ich habe ihn lieb," erwiderte Hans mit Wärme,„ trog seiner vielen Wunderlichkeiten. War er doch der einzige Mensch, welcher gütig gegen den häßlichen, verlassenen Knaben gewesen ist. Frau Gertrud sorgte wohl auch für mich, gewiß, sie hat mich gern, aber sie ist meine Tante, die einzige Schwester meiner armen, so früh geschiedenen Mutter, da folgte sie einem natürlichen Gefühle, sonst" Hans brach ab und fuhr sich wieder mit dem Zipfel des erwähnten Foulards über die Augen. „ Aber Herr Hans, wie können Sie so reden!" flüsterte Adelgunde mit mildem Vorwurf.
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„ Es ist aber doch die Wahrheit," seufzte er. " Onein. Ich zum Beispiel " Fräulein Adelgunde- Sie
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Sie
Sie hätten mich-"
Hans war aufgesprungen von seinem improvisirten Size, mit ausgebreiteten Armen, wie ein Meilenzeiger, stand er vor dem erröthenden Mädchen. Da klang es hinter ihm, vom Eingange des Ladens her:
Vor sechs Pfennige Syrup, um einen Dreier Del, ein'n Salzhäring und drei sauere Gurken!"
Blitzschnell wandte sich, gleich einem Schauspieler, der sein Stichwort gehört, der gefühlvolle Ladendiener um, und während Adelgunde sich zu einem Sack Reis niederbeugte und sich angelegentlich mit den einzelnen Körnern zu beschäftigen schien, verlangte der Lehrjunge des lahmen Schneiders von gegenüber, noch einmal recht vernehmlich die schon genannten Gegenstände, welche ihm zuzumessen und einzuhändigen Hans sich beeiferte.
Wieder war der günstige Moment zu einer Erklärung vorübergegangen, denn eben nahte der Schreinermeister Johann, grüßte flüchtig und schritt nach einem finstern Blicke auf Adelgunde durch den Laden, um sich in den Oberstock zu begeben. Dort kam er eben zur rechten Zeit an, um den Abschied Bruder Jakobs und der Hofräthin mit anzusehen. Mit stummem Gruße wollte die Dame an dem Schwager vorbeigehen, als der Erbonkel, nach einem heftigen Hustenanfalle, mit halb erstickter Stimme rief: " Schicke mir schnell den Jakob hörst du Johann? schnell!"
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Frau Edeltrud biß sich auf die feinen Lippen und vergaß " Bleiben Sie nur siten, das eilt nicht," sagte Adelgunde sogar in ihrem Aerger, ihr Bedauern über den argen Husten
( 1), 24 November 1M77,