2011
Drvene Delt
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
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In Heften à 30 Pfennig.
Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
1877.
Der Erbonkel.
Novelle von Ernst von Waldow. ( Fortsetzung.)
Was tann nicht in einem Zeitraum von zehn Jahren alles geschehen! Fürsten können von den Thronen gestürzt, Republiken gegründet, Völkerschlachten geschlagen und Freiheitskämpfer zu „ Erfolganbetern" werden. Eines nur ist unerschütterlich, so anders es uns auch erscheinen mag: der Charakter des Menschen. Schon der weise Seneka sagte: velle non discitur*), und er hatte nur zu sehr recht. Die Aeußerungen dieses Charakters allerdings sind burch äußere Umstände bestimmbar, und das dünkt uns oft eine Wandlung, ist aber im Grunde nur etwas unwesentliches.
So wird der Schwache, der Treulose und Verräther seine Ideale, seine Prinzipien, seine Herren wechseln und sich ob dieser Treulosigkeit vielleicht mit Guizots Worten entschuldigen: ,, L'homme absurde seul ne change pas"**), die Leute werden von ihm sagen: Wie der seinen Charakter geändert hat! Weit gefehlt er blieb grade diesem Charakter getrex, indem er seinen Wankelmuth bethätigte!
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So die erbberechtigten Glieder der Familie Bartelsbürgerlich und adlig. Auch sie waren sich treu geblieben in all' der Zeit, und die verschiedenen Charaktere dieses merkwürdigen Geschlechts hatten sich schön und logisch weiter entwickelt.
Wenn wir poetisch sprechen wollten, so müßten wir sagen: Dohlenwinkel glich der vielgenannten Insel der Glückseligkeit. Es blieb nämlich unberührt von allen Haupt- und Staatsaktionen, und der Freiheit Völkerfrühling machte keines Dohlenwinklers Herz höherschlagen. Diese Philister und Spießbürger führten ein bloßes Pflanzenleben, nur war dasselbe weniger harmlos. Wie alle Menschen, die zu jedem höheren Aufschwunge unfähig sind und dabei satt zu essen haben, langweilten sich die Dohlenwinkler ganz fürchterlich, und es war daher kein Wunder, wenn sich ihr ganzes Interesse auf den Bartel'schen Erbschaftsstreit konzentrirte. Jakob, der Erbonkel, lebte nämlich immer noch, und er sprach sich gegen Jonas Wallfisch, der mittlerweile um ein gut Theil dider und um einige kleine Wallfische reicher geworden war, dahin aus, daß ihm dieses lange Leben deshalb einen solchen Hochgenuß gewähre, weil er wisse, wie jeder Tag desselben ihm von seinen lieben Geschwistern mißgönnt werde. Nur auf diese Weise tönne er sich an ihnen rächen!
Das Wollen wird nicht gelehrt. **) Nur der Dummkopft bleibt, wie er war.
Allerdings hatte der Zahn der Zeit auch Onkel Jakob nicht verschont, was sicherlich eine wenig beneidenswerthe Aufgabe ge= wesen. Der spize, tahle Schädel wies auch nicht ein einziges Haar mehr auf, die kleinen, grauen Aeuglein, roth umrandet, lagen noch tiefer in ihren Höhlen, der große Mund hatte auch den letzten Zahn verloren, und nur die buschigen, weißen Augenbrauen hatten sich noch vergrößert.
Gertrud, die häßliche Haushälterin, lebte auch noch und waltete in den unwirthlichen Räumen umher, nur das lange, bartlose Gesicht des schmächtigen Ladendieners war ziemlich dasselbe geblieben, doch hatten die kleinen, grauen Aeuglein ein gewisses Schmachten angenommen, was stärker hervortrat, wenn die verstaubten Kastanienbäume vor dem Thore Dohlenwinkels blühten, wenn der Mond am Himmel stand oder es muß verrathen werden, so sorglich der tugendhafte Junggesell auch das Geheimniß seines Herzens hütete- wenn Fräulein Adelgunde von Bartels in einer längst nicht mehr modernen Krinoline, über der sich ein Schleppkleid bauschte, den Staub von den unregelmäßigen Steinen des Marktplatzes fegte.
Im Laufe der letzten zwei Jahre war dies häufiger geschehen, ja Adelgunde hatte sogar ihrer Mama begreiflich zu machen gesucht, daß es gerathen sei, wenn auch die Familie„ von" Bartels, gleich den bürgerlichen, höchstselbst" Einkäufe in Herrn Jakobs Laden mache. Die geborene Frein von Reckenstein wäre nun nicht zu bewegen gewesen, ihre, endlich mit großer Mühe errungene standesgemäße" Wohnung zu solchem Zweck zu verlassen, da sich aber ihre Lieblingstochter erbot, dieses Opfer zu bringen, hatte sie nichts dagegen, es im Interesse aller anzunehmen.
Kam ihr doch selbst im Traume nicht der Gedanke, daß ein Gefühl des Mitleids mit der treuen Liebe des Ladendieners Hans ihr alterndes Töchterlein in den Laden des Erbonkels trieb!
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Ja, anfänglich war es wirklich nur Erbarmen gewesen, das Adelgundens weiches Herz zu dem hochblonden, schmalschulterigen Junggesellen hingezogen. Wußte sie doch, was eine unglückliche Liebe" ist! Bruder Adelhart, der es bereits bis zum Lieutenant gebracht, hatte ihr, mit der Brüdern oft eigenen Herzensroheit, Meldung von ihres Geliebten Theobald Wagner Verlobung und Hochzeit, und später von jedem neuen Sprößlinge dieser Ehe gewissenhaft Mittheilung gemacht.
III. 10. November 1877,