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Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

rscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

1877.

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Der Erbonkel.

Novelle von Ernst von Waldow. ( Fortsetzung.)

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Jonas Wallfisch besaß blaue Augen, still und ernst blickend, die nur zuweilen etwas es muß gesagt werden schöpsartiges hatten, dazu flachsblondes Haar, ein ewiges Lächeln auf den schmalen Lippen und die Ungelenkigkeit eines jungen Jagdhundes in jeder Bewegung.

Dafür war Jonas Wallfisch, der Sohn eines armen Schul­lehrers, auch ein sogenannter Musterknabe" und der Herr Pastor sagte in der Kinderlehre mehr als einmal: Der Jonas ist zwar ein blizdummer Junge, aber ich wollte, Ihr wäret alle so!"

Ja, er war unschuldig und tugendhaft und dies sogar noch als Student, da er schon aus dem Borne des Wissens schöpfte und eine rechtschaffene Kneiperei nur dem Namen nach kannte.

Jonas wohnte nach dem Ableben der armen alten Wallfische bei seiner Tante in der nahen Universitätsstadt. Die Frau war ebenso reich, als prüde und bigott.

Er war ihr Erbe und zwar sollte er das beträchtliche Ver­mögen der Alten aus der Hand ihrer Tochter, einer fleinen aber hübschen Heiligen, erhalten, legteres freilich nur in dem Falle, daß er tugendhaft und enthaltsam blieb, die Betstunden und Con­ventikel fleißig besuchte, nur fromme Lieder sang und stets von der Ansicht ausging, daß ein Wirthshaus wenn auch nicht geradezu eine Hölle, doch die Kapelle sei, welche sich, der Volks­meinung nach, der Teufel baut, wenn dem Herrgott eine Kirche gegründet wird.

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Täglich rief ihm die alte Betschwester mit warnend erhobenem dürren Zeigefinger zu: Wenn dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht" Cousine Margarethlein schlug dazu die frommen Taubenaugen nieder und bat ihn nur schlechte Gesell­schaft" zu meiden.

Unter letterer verstand sie besonders zwei alte Corpsburschen, die sich vorgesetzt hatten, der Unschuld des Jonas Wallfisch Fallen zu stellen. Bisher allerdings vergebens, denn noch umschwebte den blonden Jüngling ein sicher auch blonder Schußengel, mit weißen Flügelein an den Schultern und einer ungemein zähen Ausdauer begabt.

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Jedenfalls war dieser- der Schutzengel kein Freund des edlen Gerstensaftes oder anderer geistigen Getränke, denn allemal, wenn die bösen Buben" den Jonas in die Stammkneipe lockten, gab ihm besagter Spiritus familiaris( wie Theophrastus Para­ celsus sich ausgedrückt haben würde) einen moralischen Ruck im

Gewissen, der sich wie ein elektrischer Schlag bemerkbar machte und stets ein krampfhaftes Protestiren und Ausreißen des Jonas zur Folge hatte. Endlich gaben die bösen Buben ihr Werk der Finsterniß auf; der eine aber, er hieß Kaspar und war von je ein Bösewicht", brütete Rache.

Und es tam ein Tag, wo der Schußengel des Jonas, vielleicht aus Langerweile über eine eben genossene Bibelstunde, welche 3 Stunden und 45 Minuten gewährt, so fest entschlafen war, daß er selbst dann nicht erwachte, als Jonas, der den besagten Kaspar unterwegs getroffen, in die Nähe der Teufelskapelle, alias Stammkneipe, genannt zum schwarzen Wallfisch von Ascalon", gelangt war.

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Der Böse aber hatte einen unendlichen Durst in die Seele des Jonas gelegt und dies zwar diesmal nicht allein nach der Heiligkeit und Himmelsseligkeit, sondern ganz einfach nach irdischem Getränk. Aber auch die Neugier, diese Untugend, welche schon den Fall der Eltermutter verschuldet, plagte den strauchelnden Jüngling, und er fragte mit schüchterner Stimme den Gefährten, warum man gerade diesem Wirthshause einen so seltsamen Namen gegeben?

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Ein Hohngelächter antwortete dem Erschrockenen. " Du kennst nicht einmal unser Leiblied o Du jämmerliche Wachspuppe! Du Spottgeburt doch höre nun!" Und Kaspar begann: Im schwarzen Wallfisch zu Ascalon, Da kneipt ein Mann drei Tag,

Bis daß er steif wie ein Besenstiel Am Marmortische lag."

Jonas Wallfisch schwieg ganz still und lauschte wie ein Mäus­lein, dann brach er in einen Strom entzückter Ausrufe aus und ficherte zuletzt wie eine Lachtaube.

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Und der Engel schlief noch immer in Ermangelung einer anderen Beschäftigung. Wozu frage ich frage ich nüßt nun solch' ein Schußengel, wenn er just in dem Augenblicke, wo er um Gotteswillen wachen sollte, den Schlaf des Gerechten schläft?! Kaspar schwieg.

Weiter!" drängte Jonas.

" So komm hinein; ich werde doch nicht auf der Straße singen, auf daß mich die Wache aufgreift? Komm, ein einziges Glas Bier wirst du doch trinken dürfen, und drinnen singe ich dir die übrigen Verse."

I 20. Oftober 1877.