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Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

1877.

Erscheint wöchentlich.

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Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Weihnachten.

Erzählung von M. Kautsky. ( Fortsetzung.)

As Frizz mit derselben Vorsicht, mit der er eingetreten, wieder das Zimmer verließ, stieß er auf den kleinen Georg, der zuwartend an die Thüre gelehnt war.

Ich habe etwas gesehen, ich habe etwas gesehen!" schrie der allsogleich und paschte in die Händchen.

Was hast du denn gesehen?" Ich habe ein Licht gesehen." ,, Du wirst ihrer gleich mehr sehen, Bursche. Mama," rief Frizz der Schwägerin zu ,,, komm her, jezt heißt es aufpassen, saperlof, es wird gleich läuten, die Thür wird aufspringen und dann werden wir die Herrlichkeit sehen. Das Christkind ist ja schon drinnen."

,, Komm Mama," drängte Georg, das Christkind ist schon drinnen." Auguste löschte die Lampe, was Friz als ein Zeichen übergroßer Sparsamkeit bezeichnete, dann trat sie, ihren Hanst auf dem Arm, zu den Andern. Da harrten sie denn an der Thür, im Dunklen, aneinander gedrängt, in völliger Stille des Moments, und Alle überkam die gewisse erwartungsvoll feierliche Stimmung. Georg schlug das Herz bis an den Hals und selbst Augustes Herz pochte.

Jetzt ist das Christkind schon drinnen?" fragte Georg nach einer Weile mit leiser, unterdrückter Stimme.

,, Ja wohl."

,, Wie ist es denn hinein gekommen, Onkel Frizz?" ,, Durch's Fenster."

,, Wie denn durch's Fenster?"

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,, Es ist auf der Himmelsleiter emporgeschwebt," erklärte die Mama in einer poetischen Anwandlung mit einem zarten Flüstern. ,, Auf einer Leiter?" wiederholte Georg ,,, wie die Lampen­anzünder, Mama?" In diesem Augenblicke läutete es drinnen. Laut, lustig, langandauernd ertönte das Geklingel. Das hört Rosa sicher, dachte Auguste. Da ward die Thür aufgerissen, und ihnen entgegen strahlte der hell erleuchtete Weihnachtsbaum mit seiner mannigfaltigen Pracht.

Die Kinder wurden vorausgeschoben. Auguste folgte, selber aufgeregt und glückselig wie ein Kind. Hansi jubelte laut auf, er streckte die Händchen aus und rief wie besessen ,, Ah, ah, ah!" Georg blieb ganz ruhig. Er schien starr vor Ueberraschung. Er hält beide Arme vor sich ausgestreckt und seine kleinen Finger spreizen sich wie in Verwunderung weit auseinander. Ein ganz

leises, tief gezogenes Ah! entringt sich endlich seiner Brust. Seine Augen, diese großen, freudigen Kinderaugen, vermögen sich nicht abzuwenden von dem bunten, herrlich strahlenden Baume. End­lich fällt sein Blick auf die Seite, er bemerkt den Rappen. Da lacht sein ganzes, liebes Gesichtchen, er zeigt mit dem Zeigefinger auf das metamorphosirte Pferd und ruft entzückt: Mein Schimmel, schwarz angestrichen!" Alles brach in ein schallendes Gelächter aus. Und draußen in der dunklen Küche steht die Rosel und guckt scheu und vorsichtig durch die offene Thür; und wie sie das hört, muß sie ebenfalls lachen, herzlich, unbezwingbar aber doch so leise, damit es ja niemand hören soll. Fritz jedoch hat feine Ohren, es muß ihm etwas aufgefallen sein, und er nähert sich, wenn auch nur rücklings der Thür. Er horcht hinaus.

Der Vater hatte seinen Großen in die Höhe gehoben und ihn wie im Freudenrausche geküßt.

" Das ist doch ein Teufelsjunge!" rief er der Mutter zu. Der läßt sich nicht betrügen, der nicht, er hat seinen Schimmel sogleich wieder erkannt." Ich hätte es nicht gedacht," rief Auguste noch immer lachend und dabei voll mütterlichen Stolzes auf ihren Erstgebornen blickend. Dann nahm sie ihrerseits Hans auf den Arm und nun wurde den Kindern der Christbaum von einer gewissen Entfernung und nach allen Seiten gezeigt. sieht wirklich sehr hübsch aus, allerliebst, wunderherrlich!" riefen abwechselnd die glücklichen Eltern.

Er

Der unsre ist der hübscheste den ich je gesehen habe," meinte Auguste, und dann zu dem kleinen Hans gewendet: ,, Siehst du die vielen, vielen Lichterle?" Und die viele Bäckerei, Georg, was? da gibt's etwas für dich zu beißen."

Ich möchte gleich beißen, Vater," bat Georg in seinem singenden Ton.

,, Ein Stückchen kann er ja bekommen, nicht wahr Mutter?" ,, Und der Hans auch," bejahte diese, und sie nahm ein Bis­cuit vom Baum und steckte es dem Kleinen in den Mund. Georg sollte sich selbst etwas aussuchen. Er wählte bescheidenerweise eine kleine verzuckerte Brezel, er biß sie von dem rothen Bändchen, woran jie aufgehängt war, herunter, verspeiste sie und hing dann mit pedantischer Gewissenhaftigkeit das rothe Bändchen wieder auf den Zweig. Neues Gelächter, neues Entzücken.

,, Was das für ein ordnungsliebender Mensch wird," rief der Vater. ,, Er ist ein Musterkind," fügte die Mama hinzu.

III. 15 Dezember 1977,